Chiapas - Kampf um das Paradies

maktub 29.05.2009 23:51 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Der Landkonflikt in Chiapas, dem suedlichsten und zugleich aermsten Bundesstaat Mexikos, nimmt allmaehlich immer schaerfere Konturen an. Die im April vorgefallene willkuerliche Festnahme acht indigener politischer Aktivisten lassen nur die Spitze des Eisbergs erahnen, was sich momentan in diesem Teil der Welt abspielt. Denn hinsichtlich der Realisierung touristischer Megaprojekte und der Ausweitung der Rohstofffoerderung ist die, groesstenteil indigene, Bevoelkerung sowohl der chiapanekischen Regierung als auch in- und auslaendischen Wirtschaftsunternehmen unverkennbar ein Dorn im Auge. Aktiver offener politischer sowie sozialer Widerstand existiert in diesem Raum verstaerkt bereits seit 15 Jahren und wird auch weiterhin bestehen
Als am 13. April ein Bewohner der Gemeinde „San Sebastián Bachjaón“ in der Bezirkshauptstadt Ocosingo von Polizeikraeften festgenommen wurde als er seine Einkaeufe taetigte, war noch nicht abzusehen, welche Ereignisse und Konsequenzen diese Verhaftung mit sich bringen wuerde. Jerónimo Gómez Saragos, so die Staatskraefte, sei mitverantwortlich fuer diverse Raubueberfaelle auf Busse und Autos in der Touristenregion „Agua Azul“. Die Festnahme erfolgfte ohne Vorlegung von Beweisen und stuetzt sich lediglich auf Zeugenaussagen und Beschuldigungen von Mitgliedern der paramilitaerischen Organisation „OPDDIC“ („Organisation fuer die Verteidigung der Rechte von Indigenen und Bauern“), welche nachweisbare Kontakte und Kooperation mit Polizeikraeften unterhaelt. Am gleichen Tag, nur einige Stunden spaeter, wurden fuenf weitere Bewohner dieser Gemeinde verhaftet.

Auseinandersetzungen und Konfrontationen zwischen Indigenen und Staatskraeften, aber auch zwischen Indigenen untereinander, ist bereits ein festes Bild des Chiapas der heutigen Tage. Mit dem bewaffneten Aufstand der „Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung“ (EZLN) am 1. Januar 1994 kam es auch zu einer Spaltung innerhalb der Bevoelkerung – ob Sympathisant und Anhaenger der Bewegung oder Ablehner und Gegner. Die Guerrilla, die mit allen zuvor bekannten Klischees einer Guerilla bricht, verkuendete fundamentale Forderungen einer Bevoelkerungsgruppe – Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit - und die Anerkennung ihrer Rechte, die ihnen seit der Konquisation verwehrt bleiben. Nach zwoelf Tagen des Gefechts zogen sich die Rebellen in die Berge des mexikanischen Suedostens zurueck, von wo aus sie bis heute im Austausch und in Zusammenarbeit mit der Zivilbevoelkerung sowie nichtstaatlichen sozialen, politischen und kulturellen Organisationen versuchen, eine Welt abseits der herrschenden Ordnung aufzubauen.

Die Gemeinde, zu der die sechs Festgenommenen gehoeren, ist Teil der „Anderen Kampagne“, eine von der EZLN ins Leben gerufene, aber von ihr total unabhaengige, zivile Initiative, welche auf ausserparlamentarischem und pazifistischem Wege sich fuer die Verwirklichung der zapatistischen Ideale bemueht. Das in Chiapas taetige Menschenrechtszentrum „Fray Bartolomé de Las Casas“ (Frayba) verkuendete in einem Schreiben vom 24. April, dass die Bewohner „San Sebastián Bachajóns“ Teil der indigenen Bewegung seien, die sich gegen die Plaene des Landraubs und der Aneigung natuerlicher Ressourcen von staatlicher und wirtschaftlicher Seite widersetzt. Die Region „Agua Azul“, zu der die Gemeinde gehoert, sei seit vielen Jahren eine Touristenzone, deren daraus resultierenden Profite jedoch fast ausschliesslich externen Interessen zugute kommen wuerden.

Im gleichen Schreiben heisst es auch, dass es ausreichend Beweise gebe – sichtbare Verletzungen, Aussagen der Inhaftierten – die Folter und weitere Misshandlungen der sechs belegen wuerden.

Als Reaktion auf die Festnahme und die Folterungen wurden von den Anwohnern der Kommune eine dreitaetige Strassenblockade durchgefuehrt, um die Freilassung ihrer Gefaehrten zu fordern. Mit der offiziellen Begruendung „Gefaehrdung der allgemeinen Strassenordnung“, was ein Delikt gegen die Verfassung ist, wurden am 17. April 800 Militaer- und Polizeieinheiten entsendet, um die Blockade aufzuloesen. Zu diesem Zeitpunkt jedoch haben sich die Beteiligten bereits zurueckgezogen, um jeglicher Konfrontation zu entgehen. Nichtsdestotrotz drangen die Einheiten auf das zapatistische Territorium ein, zerstoerten ein Kassenhaeuschen, entwendeten mehrere wichtige Dokumente ueber die „Andere Kampagne“ und der EZLN und stahlen Geldbetraege im Wert von umgerechnet 7800 Euro. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Gebiet von dem „Ejido“*, dem die Gemeinde angehoert, selbst verwaltet, bearbeitet und stand unter keinem staatlichen Einfluss. Am folgenden Tage wurden zwei weitere Gemeindemitglieder mit der Begruendung des Verfassungsverstosses festgenommen.

Alle acht Gefangene wurden unter Untersuchungshaft gestellt. Laut der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ wuerden mehrere mexikanische Bundesstaaten diese Art der Untersuchungshaft (der mexikanische Begriff hierzu lautet „arraigo“*) benutzen, um Verdaechtigte einzusperren, waehrend noch Ermittlungen durchgefuehrt werden. Ausserdem, so „ai“, soll diese weitverbreitete Form der Verhaftung oft Folter, sowie weitere inhumane und gesetzeswidrige Behandlungen mit sich ziehen.

Des Weiteren wurde am gleichen 18. April eine Pressemitteilung der chiapanekischen Regierung in der Tageszeitung „La Jornada“ (dt. „Der Arbeitstag“) veroeffentlicht, die besagt, dass sich unter den Festgenommenen diesen Tages auch jemand befinde, den sie auf „illegale Freiheitsberaubung sowie Erpressung des Senators von Guerrero, David Jiménez Rumbo“, untersuchen wuerden. Knapp eine Woche spaeter war in der selben Zeitung eine Richtigstellung des Senators zu lesen, die alle Anschuldigungen der Regierung widerlegt: „... vor keiner juristischen oder behoerdlichen Anstalt wurde der Vorfall bei den Wasserfaellen von Agua Azul weder als Entfuehrung noch die Geldstrafe, die ich zahlen musste, als Erpressung aufgefasst. Was in Agua Azul […] vorgefallen ist war ein Missverstaendnis, das mich mit den Anwohnern des Ortes einige Stunden Diskussion kostete. Aber, nachdem die Dinge geklaert waren, verblieben wir ohne weitere Probleme mit diesen Leuten, die mich sogar einluden, zurueck zu kommen wann immer ich moechte.“

Das Benutzen von nationalen und staatlichen Kommunikationsmedien durch die mexikanische Regierung, so Frayba, diene in vielen Faellen dazu, verfaelschte Informationen in Umlauf zu bringen, um die soziale Funktion der Medien hinsichtlich einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung gegenueber der oeffentlichen Meinung aufzuloesen.

In einem Interview mit SIPAZ-Mitarbeiter („Internationaler Dienst fuer den Frieden“: ein internationales Beobachtungsprogramm welches sich aufgrund des bewaffneten Aufstand im Jahre 1995 gruendete) Thomas Zapf erklaert dieser, dass der Einsatz der Staatsmacht sich nicht vordergruendig auf die Strassenblockade, und schon gar nicht auf die vermeintliche Entfuehrung und Erpressung, bezogen haette. All dies sei Plan der Regierung, sich das Gebiet um Agua Azul anzueignen, welches ideal geeignet sei den Tourismus anzukurbeln und Gewinn daraus zu schlagen. Zu dem Grossprojekt der Regierung, dessen Punkte alle in dem Abkommen „Plan-Puebla-Panama“ festgelegt wurden, zaehle vor allem eine Autobahn zwischen den beiden Staedten San Cristóbal de Las Casas und Palenque, welches „die Sache ist, die den ganzen Tourismus zum boomen bringen wird.“

Auch die „Junta der Guten Regierung“ von Morelia, eine der fuenf von der EZLN installierte autonome Regierung im zapatistischen Einflussgebiet, betrachte die Regierungsplaene mit wachsender Besorgnis. Sie seien eine steigende Gefahr fuer Chiapas und deren Bevoelkerung. Die Junta laesst in einem Interview verlauten: „Die Autobahn und die restlichen Tourismusprojekte bringen keine Nutzen fuer die Doerfer, sondern helfen eher den Reichen und nicht den Armen wie wir es sind.“

Eben genau deswegen sei „Chiapas ein Pulverfass“, so Zapf. Einmal wegen dem immer noch ungeklarten Konflikt zwischen Staat und Rebellen (die Kriegserklaerung der EZLN aus dem Jahr 1994 hat noch immer Bestand) und auch wegen dem Vorhaben der Regierung, dieses Land komplett fuer den Tourismus zu oeffnen, ungeachtet der Tatsache, dass die Mehrheit des Landes der indigenen, und zum Teil auch zapatistischen, Bevoelkerung gehoere.

Die folgenden Tage verliefen ohne weitere Festnahmen oder aehnliche Zwischenfaelle als Freitags, der 8. Mai, die Staatsanwaltschaft verkuendete, dass die Inhaftierten zwischen acht und zwoelf Monate im Gefaegnis bleiben wuerden. Es kam zu keiner konkreten juristischen Festlegung ueber Schuld oder Unschuld der Gefangenen, diese Zeitspanne beschreibe lediglich den normalen juristischenVerfahrensweg. Danach solle es eine endgueltige unwiderrufliche Entscheidung geben. Den Inhaftierten stehen Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren bevor.

Pedro Faro, Systemkoordinator von Frayba, erklaert in einem Gespraech, dass die beibehaltenden Forderungen der Gemeinden nach eigenem Land, Erziehung, freies Wasser und Demokratie gegen die neoliberalen Regierungsplaene verstoessen. Dort, wo der Staat verstaerkt auf zapatistische Gebiete eindringt und diese bedroht, wachse auch die Gefahr einer gewalttaetigen Auseinandersetzung. „Im kapitalistischem System werden humanistische oder ueberhaupt andere Denkweisen nicht zugelassen, da diese gegen das neoliberale Ideal des Konsums und gegen das hochgesteckte Ziel des Geldverdienens agieren.“ Die Zapatisten und deren Anhaenger und Sympathisanten versuchen zur Zeit ein System gegen das System zu etablieren.

In einem weiteren Schreiben laesst Frayba verlauten, dass das Beispiel mit der indigenen Bevoelkerung von San Sebastián Bachajón stellvertretend sei, was momentan in ganz Lateinamerika mit den Kulturvoelkern passiere, die ihr Recht auf Land und Selbstbestimmung aeussern und fordern. Die Reaktion der Regierungen zeige sich in Form von Kraeften der Oeffentlichen Sicherheit, des Militaers sowie einer erhoehten Repression gegenueber den Aktivisten.





*Ejido: Ein gemeinschaftlicher Landbesitz, der sich meist aus einem Zusammenschluss mehrerer Kommunen bildet, welcher von den Stimmberechtigten selbst verwaltet und organisiert wird. Entscheidungen werden im Kollektiv besprochen und gefaellt. Bis zu einer Reform aus dem Jahre 1992 waren Teile eines Ejidos, oder das ganze Ejido selbst, laut Artikel 27 der mexikanischen Verfassung nicht verkaufbar. Der Artikel 27 stammt aus der Zeit nach der mexikanischen Revolution (1910-1920) und erfolgte als Reaktion auf die starke ungleiche Landverteilung in dieser Epoche, als vor allem der Sueden Mexikos hauptsaechlich in den Haenden von Grossgrundbesitzern war.

*arraigo: Jeglicher Ort und jegliches Gebaeude kann als Gefaegnis beutzt werden. Dabei werden die Inhaftierten nicht angeklagt, sondern ein Richter stellt sie unter staatliche Aufsicht. In diesem Zustand koennen sie auf lokaler Ebene zwischen 30 und 60 Tagen, und auf bundesstaatlicher Ebene zwischen 40 und 80 Tagen festgehalten werden, bis der Staatsanwalt sie entweder anklagt oder frei laesst.
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Ergänzungen

boca del cielo

tortuga 31.05.2009 - 11:01
nicht nur in den altos von chiapas boomen die investitionen.
die betreiber der palapas(kl restaurants) von boca del cielo
an der pacific-küste von chiapas(bei tonala)berichten,
das ein investor(angeblich mit deutschen kapital background)
5 kilometer der 70 km langen schmalen insel ´gekauft´ bzw von der
regierung gepachtet hat,um einen touristenkomplex zu errichten.
die insel ist regierungsland und die jetzigen pächter müssten
zum verkehrswert ausbezahlt werden.zu hoffen ist,das infolge
des momentanen tourismusrückgangs und der weltweiten rezession,
keine rendite zu erwarten ist und das projekt dann möglicherweise
hinfällig würde.ein ähnliches retorten-projekt der tourismusindustrie
in huatulco/oaxaca hat spürt schon einiger zeit den rückgang der besucher.
infolge der´schweine-grippen-panik´,sind die touristen-zahlen in den letzten wochen
stark zurück gegangen -zb in cancun auf 20% und viele hotels geschlossen.
die regierung will mit einem 90 millionen dollar plan den tourismus
wieder ankurbeln.

ciudad rurales

maktub 01.06.2009 - 23:02
und momentan wird auch die verwirklichung von sogenannten "ciudades rurales" versucht; d.h., wenn ich mich nicht ganz taeusche, dass viele Landbewohner zwangsverschoben werden in eben diese genannten Staedte, damit die laendlicheren Gegenden - der Urwald zum Beispiel - staerker fuer den Touismus genutzt werden. Die umgesiedelten Menschen verlieren nicht nur ihre Heimat dadurch, sondern auch ihre Einnahmensquelle, da sie, glaube ich, in diesen Staedten sicherlich nicht ueber ausreichend Ackerland verfuegen werden.
Eine neue Gesetzesvorlage der Regierung sieht ausserdem auch vor, dass Nationalparks und Reservate nun neuerdings auch fuer den Tourismus erschlossen werden koennen. Ergo: nichts mit Naturschutz, da mit den Touristen bekanntlich ja auch Hotels, groessere Strassen, und viel Schnick Schnack was das Touristenherz begehrt, dazu kommt. Aber ich weiss jetzt momentan auch nicht, ob dieser Gesetzentwurf nun schon gilt oder weiterhin behandelt wird.