Interview zur Antifa-Demo in Landau (Pfalz)

Herr Nilson 29.05.2009 20:25 Themen: Antifa
Interview mit Tommy und Annika vom Organisationsbündnis für die Demonstration „Die Verhältnisse zum Tanzen bringen – Nazis auf die Füsse treten“ am 30.05.09 in Landau.

(Der Demo-Beginn wurde übrigens auf 14:00 Uhr verlegt!!!)
„Die Verhältnisse zum Tanzen bringen – Nazis auf die Füsse treten“ ist das Motto der Demo.
Könnt ihr mal kurz erklären, was es mit diesem Motto auf sich hat?

Wir wollen uns nicht mit den von uns als untragbar empfundenen, gesellschaftlichen Verhältnissen abfinden. In einer Zeit, in der gesellschaftliche Widersprüche immer offener zu Tage treten, steigt zum Einen die Hoffnung, dass die Bereitschaft wächst, den Sprung in eine wirklich freie und emanzipatorische Gesellschaft zu wagen. Leider wächst aber mit Fortschreiten der Krise der kapitalistischen Gesellschaft auch die Gefahr reaktionärer Lösungswege. Neben der Gefahr eines wieder erstarkenden Neonazismus sollte aber nicht übersehen werden, dass die bestehenden, globalen Ausbeutungsverhältnisse und die damit zusammenhängenden Verelendungstendenzen von einem ständig wachsenden, technokratischen Überwachungs- und Repressionsapparat abgesichert und zementiert werden.
In diesem Sinne wollen wir „die Verhältnisse zum Tanzen“ bringen und in diesem Zusammenhang auf die massive Zunahme neonazistischer Umtriebe in und um Landau hinweisen.


Könnt ihr mal näher auf die Nazi-Problematik eingehen?

Seit geraumer Zeit stellt die Rhein-Neckar-Region einen der Hauptschwerpunkte nazistischer Aktivitäten in Deutschland dar. Diese Entwicklung hat sich in den vergangenen Monaten noch verschärft, als Nazis von ihnen als links wahrgenommene Einrichtungen teilweise unter brachialer Gewaltanwendung angriffen, wobei dabei auch vor körperlichen Übergriffen auf politische GegnerInnen nicht zurückgeschreckt wurde. [1]
In letzter Zeit versuchen organisierte Neonazis ihren Einflussbereich auch auf die Südpfalz auszudehnen, hier neue Strukturen zu schaffen, bzw. bestehende zu festigen und mittels Aktionen auf sich aufmerksam zu machen.
So häuften sich in den letzten Monaten propagandistische Schmierereien auch in und um Landau. Sowohl an der Universität als auch an Autobahnauffahrten sowie in der Innenstadt wurden faschistische und antisemitische Parolen an Wände gesprüht. Das Stadtbild wurde zudem mehrfach massiv durch Aufkleber der rechtsextremen Vereinigung „Aktionsbüro Rhein-Neckar“ (ABRN) verunziert. Darüber hinaus kam es zu teils massiven Sachbeschädigungen, die sich hauptsächlich gegen Autos vermeintlich Linker und die selbstverwaltete StudentInnenkneipe Fatal richteten.
Die verstärkten Bestrebungen der regionalen Naziszene, in der Südpfalz Fuß zu fassen, zeigen sich des Weiteren daran, dass mit perfiden Mitteln versucht wird, politisch noch unbedarfte Jugendliche für ihre menschenverachtende Gesinnung zu werben. So wurden an mehreren Schulen in Landau und dem nahegelegenen Kandel sowie an anderen öffentlichen Plätzen Plakate geklebt, die dazu aufriefen, sich in der Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationaldemokraten (JN), zu organisieren.


Habt ihr eine Idee, wer hinter diesen Umtrieben stecken könnte?

Unter den Gästen befanden sich auch Mitglieder einer regionalen Nazi-Korporation, den sogenannten „Nationalen Sozialisten Südpfalz“ (im Folgenden: NSSP), welche erstmals am 03.10.2007 als Mitorganisatorin zweier neonazistischer Demonstrationen in Speyer und Germersheim öffentlich in Erscheinung trat.
Bereits hier offenbarten sich die guten Kontakte zum Initiator dieser Doppeldemonstration, dem „Aktionsbüro Rhein-Neckar“(ABRN). Bei diesem handelt es sich um ein Netzwerk rechtsextremer „Freier Kameradschaften“ aus dem Rhein-Neckar-Dreieck und den angrenzenden Regionen, der dort für die Mehrzahl nazistischer Aktionen und Demonstrationen verantwortlich zeichnet und bundesweit zu allen größeren Nazi-Events mobilisiert.
Momentan versucht das Akionsbündnis Rhein-Neckar, ein Netzwerk rechtsextremer „Freier Kameradschaften“ aus dem Rhein-Neckar-Dreieck und den angrenzenden Regionen über eine Gruppe, welche sich „Nationale Sozialisten Südpfalz“ nennt, seinen Einflussbereich auf Landau und Umgebung auszudehnen. Die Nationalen Sozialisten Südpfalz unterhalten darüber hinaus gute Kontakte zur NPD und den JN. So war der führende Kader der Gruppe, Stefan Böttcher, bereits Mitglied des NPD-Landesvorstandes Rheinland-Pfalz.
Erstmals öffentlich in Erscheinung trat die Gruppe am 3. Oktober 2007 als Mitorganisatorin einer ABRN-Doppeldemonstration in Germersheim und Speyer. [2] Ursprünglich sollte der Aufmarsch übrigens in Landau stattfinden, allerdings mussten sie auf Grund antifaschistischem Widerstand diese Pläne auf Eis legen.


Welche Bedeutung messt ihr diesen Umständen nun bei?

Alles in Allem verheißen diese Umstände nichts Gutes: Nachdem es Nazis seit Jahren nicht mehr gelang in der Südpfalz funktionierende Strukturen aufzubauen, muss nun konstatiert werden, dass es allerhöchste Zeit ist, antifaschistisch zu intervenieren.
Die Zunahme neonazistischer Aktivitäten, die sich im Übrigen auch darin niederschlägt, dass sich in diversen Landauer Kneipen an Wochenenden vermehrt offensichtlich dem rechten Spektrum zuzurechnende Personen treffen, legt die Befürchtung nahe, dass sich Landau zu einer Problemzone für Menschen entwickeln könnte, die nicht in die „Zigarettenschachtelwelt“ (Wiglaf Droste – Mit Nazis reden) von Faschisten passen, wie es beispielsweise in manchen Teilen der unweit entfernten Stadt Ludwigshafens und einigen kleineren Ortschaften seit Jahren schon der Fall ist, wo das ABRN bereits starke Strukturen entwickeln konnte.


Und wie stellt ihr euch vor, auf die Problematik zu reagieren?

Die Antwort darauf ergibt sich für uns als zwingende Konsequenz aus der Erfahrung langjährigen antifaschistischen Engagements:
Den wichtigsten Ansatz im Kampf gegen Nazis stellt aus unserer Sicht eine von Aufklärungs- und Bildungsarbeit flankierte antifaschistische Politik und Praxis mit dem Schwerpunkt der offensiven gesellschaftlichen Intervention jenseits von zivilgesellschaftlichen Lippenbekenntnissen und Betroffenheitsrhetorik dar. Der Umgang mit Nazis darf keinesfalls ein akzeptierender , sondern muss ein konfrontativer sein. Antifaschistische Arbeit muss allerdings weit über die Neonazi – Problematik hinaus in eine wirklich freie und emanzipierte Gesellschaft fernab von Verwertungslogik und staatlicher Bevormundung hinausweisen und die Verhältnisse, welche Nationalismus, Ausgrenzung und rassistische Diskriminierungen tagtäglich produzieren, skandalisieren und diesen entschlossen entgegentreten.
Vielleicht ist dieser politische Ansatz auch der Grund, warum in Landau antifaschistisches Engagement gerne von Seiten städtischer Behörden und der Polizei sowie der Lokalpresse behindert und diffamiert wird.


Könnt ihr dafür mal Beispiele nennen?

Während die Stadt Landau 2007 der rechtskonservativen „Deutschen Burschenschaft“, welche auch keine Berührungsängste mit dem dunkelbraunen Lager zu haben scheint, durch das Bereitstellen der städtischen Festhalle absolute Wohlfühlatmosphäre bescherte, wird der Antifa Landau ohne offizielle Begründung seit 2005 die Nutzung des städtischen „Haus der Jugend“ untersagt. Damals zeigte sich die Stadt in Person des damaligen SPD-Bürgermeisters (heute OB) Hans Dieter Schlimmer schnell bereit, ein Hip-Hop-Konzert noch am Veranstaltungstag auf Druck der örtlichen Lokalzeitung Rheinpfalz zu verbieten. Diese hatte zuvor in unsäglicher Art und Weise über eine von AntifaschistInnen organisierte Demonstration berichtet. So war der Berichterstattung beispielsweise trotz Richtigstellungen von antifaschistischer Seite wiederholt zu entnehmen, DemonstrationsteilnehmerInnen hätten zum Töten von Kapitalisten aufgerufen. Tatsächlich war auf einem Transparent „Fight old europe – Delete capitalist reality“ zu lesen, was fälschlicher Weise mit „Löscht die Kapitalisten aus„ übersetzt wurde.
Antifaschistische Demonstrationen wurden stets – etwa durch überzogene Polizeiaufgebote und die Demonstrationsfreiheit bis zur Unkenntlichkeit verstümmelnde Auflagen und Gebühren sowie grundlose Teilnahme-Verbote – massiv behindert. 2007 wurden vermeintliche TeilnehmerInnen einer spontanen Demonstration, die schon damals auf die wieder erstarkende Neonaziszene in der Region aufmerksam machte, von einem Beamten in Zivil gar mit gezogener Dienstwaffe auf Kopfhöhe bedroht.
Dieser Umgang mit antifaschistischen AktivistInnen erscheint wiederum in einem ganz anderen Licht, wenn man erfährt, dass der örtliche „Extremismusbeauftragte“ der Polizei Linke für „rotlackierte Nazis“ hält. Dagegen spricht er sich im lokalen „Netzwerk Südpfalz gegen Extremismus – für Zivilcourage“, für das er aktiv ist, schon mal für einen offenen Dialog mit dem rechtsextremen Spektrum aus. Der Name des Bündnisses, welches vorwiegend Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus durchführt, lässt im Übrigen vermuten, auf welcher Grundlage hier auf Neonazismus reagiert wird.


Nämlich dem Extremismusmodell!? Könnt ihr dazu mal was sagen?

Das Extremismusmodell geht davon aus, dass es eine demokratische Mitte der Gesellschaft gibt, die durch extremistische Ränder bedroht ist, wobei einziges Kriterium für die Einteilung gesellschaftspolitischer Positionen das formale Bekenntnis zum liberalen Verfassungsstaat ist.
Durch eine Gleichsetzung des Denkens und Handelns der Nazis mit dem ihrer linken GegnerInnen wird linke Gesellschaftskritik und antifaschistischer Widerstand diskreditiert und die Naziproblematik als Randphänomen abgetan, während eine Auseinandersetzung mit den Elementen der Naziideologie, also mit rassistischen, antisemitischen, sexistischen und autoritätshörigen Einstellungen, die sich, wissenschaftlich belegbar, durch alle Bevölkerungsschichten ziehen, vermieden wird.
Inhaltlich steht die Extremismustheorie in der Tradition der Totalitarismusforschung, deren Ursprünge im faschistischen Italien der 20er Jahre liegen und die von vorne herein auf den Schluss einer Wesensgleichheit von Faschismus und Kommunismus angelegt war und beschwört die Alternativlosigkeit des Kapitalismus.
Obwohl Totalitarismus- und Extremismustheorien ob der Ausklammerung jeglicher inhaltlicher Differenzen und Gegensätzlichkeiten ihrer Betrachtungsobjekte eine Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden kann, dienen diese beiden Ansätze bis heute als politische Legitimationsinstrumente zur Durchsetzung zumeist konservativer und reaktionärer Politik.
Beide zielen auf die Gleichsetzung unterschiedlicher politischer Vorstellungen und Systeme ab und beschwören somit eine Alternativlosigkeit des Kapitalismus.
Die Totalitarimusdoktrin findet momentan ihre Anwendung bei der auf eine Relativierung der Naziverbrechen inklusive der singulären Shoah und eine gleichzeitige Diffamierung kommunistischer Bewegungen abzielenden Umschreibung der deutschen Geschichte. So dient sie, in Form der Extremismustheorie (welche nicht zufällig auch Arbeitsgrundlage des Verfassungsschutzes ist), einer Immunisierung des liberalen Verfassungsstaates gegen jegliche Kritik, und begünstigt dadurch gesellschaftliche Entdemokratisierungstendenzen.

In diesem Zusammenhang möchten wir auch auf den mit einer massiven Beschneidung der Grundrechte einhergehenden Aus- und Umbau des Sicherheitsapparates hinweisen, welcher sich aktuell ohne große Gegenwehr vollzieht. Mit einem Kampf gegen den internationalen Terrorismus begründet, richtet sich dieser in der Praxis gegen jegliche Möglichkeiten radikaler, also grundsätzlicher Kritik, da ganz im Sinne des Extremismusbegriffs von unterschiedlichen Formen und Inhalten und Zielen des Widerstands – von Kritik bis Terror, von Emanzipation bis Barbarei – abgesehen wird.
So bleibt es der Definitionshoheit der selbst erklärten Mitte zu verdanken, dass Linke, die gemeinhin auf ein Mehr an Demokratie, etwa in Form von Partizipation der Basis und direkter Demokratie, abzielen, als Feinde der Freiheit diffamiert werden.
Wie „freiheitlich“ der gegenwärtige Status Quo allerdings aussieht und sich die Apologeten der „Mitte“ gar nicht so sehr unterscheiden von denen, die sie angeblich bekämpfen, kann man z.B. an der Flüchtlingspolitik nachvollziehen, welche AsylbewerberInnen mit Abschiebung in Staaten, in denen Hunger und Folter an der Tagesordnung sind, bedroht und sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagereinrichtungen vegetieren lässt, sofern diese nicht schon vorher an den äußeren Grenzen der Festung Europa scheitern, da sie dort beispielsweise von Grenzpatrouillen abgefangen werden oder im Mittelmeer den Tod finden.
Die erwähnten Beispiele zeigen, dass sich vordergründig gegen Neonazis und deren Umtriebe richtende bürgerliche Initiativen für uns auf den Weg hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft keine Hilfe, sondern eher ein Hindernis darstellen. In der Logik solcher sich gegen „Extremismus“ richtenden Gruppen wird der „Feind“ ebenso in Gruppen gesehen, die für eine positive Überwindung der herrschenden Verhältnisse eintreten.


Könnt ihr nochmal erläutern, wie sich euer Ansatz jetzt von deren Herangehen unterscheidet?

Für uns liegt der Weg hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft nicht etwa in oberflächlichen Lippenbekenntnissen gegen Nazis, sondern in tiefer greifenden gesellschaftlichen Veränderungen. Zuerst einmal stellt das Aufdecken und Angehen von Nazistrukturen eine traurige Notwendigkeit dar, da Nazis nun mal eine konkrete Gefahr, etwa für MigrantInnen, Linke, Homosexuelle, JüdInnen, …Ein Leben, in dem sich der Mensch nicht der Profitmaximierung und somit der kapitalistischen Verwertungslogik unterordnen muss, sondern imstande ist, sich individuell frei zu entfalten, kann nur durch die Überwindung genau dieser Verhältnisse zustande kommen.
Der Kapitalismus und das von ihm hervorgebrachte gesellschaftliche System des bürgerlichen Parlamentarismus implizieren jedoch eben in letzter Konsequenz wichtige gemeinsame Elemente mit der Naziideologie, wie etwa Rassismus – in Form von staatlichem Rassismus – und Nationalismus – in Form von Standortlogik. Diese von der „Mitte“ bis ins nazistische Lager gepflegten Ressentiments entspringen aber nicht bösen Trieben oder der verkorksten Kindheit ihrer Verfechter, sie haben vielmenhr eine konkrete Funktion im Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, es soll nämlich erreicht werden, dass der/die Einzelne seine/ihre eigenen Bedürfnisse hinter dem Diktat der Produktion zurückstellen muss, was wiederrum der Profitmaximierung dient.
Für uns gilt daher das Postulat, genau diese Strukturen aufzudecken und zu bekämpfen, welche die Grundzüge faschistischen Denkens produzieren, was letztendlich in der Überwindung des dieses hervorbringenden – einen jeden Menschen beherrschenden – kapitalistischen Wirtschaftssystems führen soll.
Für uns bedeutet dies kurz gesagt: „Gegen den Extremismus der Mitte!
Den rechten Ideologien den Nährboden entziehen“


Zum Abschluß nochmal die Frage wann und wo es losgehen soll?

Los geht es am Hauptbahnhof in Landau (Pfalz). Ursprünglich sollte die Demonstration um 12:00 beginnen, was uns allerdings von Polizei und Ordungsamt ohne wirkliche Begründung untersagt wurde. Los geht’s jetzt also erst um 14:00!

Aktuelle Infos findet ihr auch unter www.verhaeltnissezumtanzenbringen.blogsport.de


[1]  http://de.indymedia.org/2009/01/239789.shtml

[2]  http://de.indymedia.org/2007/10/196087.shtml
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Ergänzungen

Bild in groß

Anonymous 19.02.2012 - 15:11
Hier noch ein Bild mit Namen.