Berlin-Lateinamerika: Der Aufstand der Farben

melek 28.05.2009 18:51 Themen: Globalisierung Kultur Weltweit
Ich höre den Bass bereits wummern als ich den Landwehrkanal entlang fahre. Am Stadthaus Böcklerpark schließe ich mein Rad ans Geländer und steppe voller Vorfreude auf einen HipHop-Nachmittag bei bestem Wetter auf den Bolzplatz des Kulturzentrums. Bis auf das DJing das der Laptop erledigt, sollen hier heute alle Elemente der HipHop-Kultur praktiziert werden: Die BreakerInnen rollen schon ihr Linoleum aus und in einer anderen Ecke sind (noch leere) großflächige Leinwände aufgestellt. Auf zwei Bierbänken lungert dort eine kleine Horde Kids aus der Nachbarschaft rum und bekommt den Aufbau eines Graffitis praktisch erklärt: In vorgezogene Kästchen wird im Bubblestyle das Wort »Hip Hop« ausgeschrieben. Unter der Beteiligung aller folgt das Fill-In inklusive einiger Elemente, Outline, Highlights, Seconds mit Bubbles...
Beim Workshop
TeilnehmerInnen des Workshops

Jede und Jeder darf mal ran. Die vibrierende Faszination für die Sprühdose ist dabei spürbar: Der Druck und die Power die in den Dosen stecken, gleichsam verwendbar für Zerstörung und Kreativität, die Möglichkeit der Umgestaltung fast jeder Oberfläche nach eigenem Belieben, all das zieht mich noch immer genauso in den Bann wie diese Kids, die hoffentlich gerade den ersten Tag ihrer »Karriere« als Writer erleben.

Nebenan sprüht UKI sich selbst: Fotorealistisch und zuschlagend! Schon die Skizze wirkt mächtig lebendig. UKI ist der erste von vier südamerikanischen Graffiteros die auf Initiative des Berliner Vereins »Interbrigadas« die nächsten Wochen in Berlin präsent sein werden. Während die drei KolumbianerInnen noch Probleme mit dem Visum haben (Fight Fortress Europe!) hat der Venezolaner UKI schon mächtig Welle geschlagen.

UKIs Bild an der jW-LadengalerieAuf dem ersten Event des »Aufstands der Farben« zauberte er auf der Torstraße vor der Ladengalerie der Tageszeigung junge Welt ein Indígenakind, das gerade eine mit einer Dose einen Lenin gesketcht hat. Während hinten hinaus lecker Empanadas frittiert wurden, führten die Interbrigadistas durch ihre Fotoausstellung. Sie haben dort ihre dreijährige Arbeit in verschiedenen lateinamerikanischen Gemeinden dokumentiert. Seit 2006 fahren regelmäßig junge Menschen mit Interbrigadas vor allem nach Venezuela.

»Each one teach one« trifft auf Internationale Solidarität

Wenn Weißenseer Graffitikids in einem Barrio in Caracas oder im ländlichen Cumanacoa im Bundesstaat Sucre loslegen, dann gibt es ganz schnell interessierte WorkshopteilnehmerInnen. Die HipHop-Kultur explodiert gerade in Lateinamerika und einer ihrer klassischen Leitsprüche »each one teach one« wird praktisch. Doch bei »Interbrigadas« geht es um weit mehr: Die Ausrichtung der Workshops richtet sich nach den Fähigkeiten der BrigadistInnen und so reicht das Angebot über die HipHop-Disziplinen hinaus bis zu Englisch-, Geschichts- oder auch Theaterunterricht.

SprühdosenÜberheblich wird dabei niemand: »Wir sind nicht die schlaueren Menschen«, sagt Jonas, der bereits zwei Brigaden mitorganisiert hat. »Wir hatten lediglich das Glück in Wohlstand und Luxus geboren worden zu sein«. Daraus entstehe eine Verantwortung, die in einem praktischen Internationalismus mündet. Der Gewinn dabei ist beidseitig: Den »bolivarianischen Prozess« in Venezuela mitzuerleben, selbst Kontakte zu knüpfen, Solidarität leben um zu Hause die Kämpfe mit neuer Energie und Inspiration führen zu können.

Nur zu logisch erscheint es den Schritt auch in die andere Richtung zu ermöglichen und die Graffiteros UKI, SUDAKA und SHIMANICO nach Berlin einzuladen. Inspirierend für die Sprüherszene sind sie vor allem wegen ihrer Message. So gehen ihre Bilder über das klassische – zugegeben leicht stupide – »writing my name«-Ding hinaus. Die Sprühdose wird als Waffe gegen ein menschenverachtendes System benutzt.

Das Event auf dem Bolzplatz des Stadthauses ist bei der Rap-Performance angelangt. Wie selbstverständlich trägt DERIK, einer der beiden Rapper von Jonny Botten, das »Aufstand der Farben«-Solishirt auf dem sich eine Berliner U-Bahn mit einer aus Caracas kreuzt. UKI setzt währenddessen neben seinen ausgearbeiteten Character seinen Namen als freshen Schriftzug. Es ist ein Genuss im zuzukucken, wie er Schicht für Schicht die Farbtöne aufträgt bis die Faust fast aus der Leinwand schlägt.

UKIs Selbstportrait
UKIs Selbstportrait

In den folgenden Wochen stehen noch einige Events an. So sind einige Collabos mit Berliner Writern geplant, weitere Workshops stehen an. Diesen Freitag (29.05.) werden die Kämpfe auf dem Helmholzplatz verknüpft wenn südamerikanische Sprüher einen lokalen Aktionstag gegen Gentrification unterstützen. Die Sprühdose erscheint auch in diesem Kontext als äußerst effektive Waffe gegen die Aufwertung der Kieze.

Termine
  • 29. Mai - Open-Air Hip Hop Konzert auf dem Helmholzplatz mit Pilskills, Damion Davis, Jenz Steiner, V-Mann, Schlagzeilen, Zloty Pippen & Derik (Jonni Botten), Boga & Benson… Beginn 16 Uhr - Eintritt frei
  • 10. Juni - Fassadengestaltung mit der GEWEBO, Michael-Brückner-Starße 3 (Schöneweide)
  • 12. Juni - Vosifa Festival, Charlottenburgerstr. 117 - offener Mural/Graffiti Workshop mit den Künstlern…
  • 13. Juni - Fest der Linken, Kulturbrauerei Berlin, Graffitipräsentation mit Cuba Si
  • 16. Juni - Hip Hop Konzert im Jungenclub Outreach Boxgym HOF 26, Finsterwalder Straße 33, 13435 Berlin mit Bläck Money, Boga und Benson, Max-14-Kidz und Graffitiworkshop, Beginn 15 Uhr - Eintritt frei
  • 18. - 20. Juni - offene Fassadengestaltung mit der Gewebo “FrauenbeDacht”, Bornemannstr. 12 (Nähe U-Bhf. Naunerplatz)… Eintritt frei - ganztägig
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Ergänzungen