Knastprivatisierung am Beispiel Berlin

Thomas Meyer-Falk 24.05.2009 14:19 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Knastprivatisierung am Beispiel Berlin
Knastprivatisierung am Beispiel Berlin

Nachdem im Jahr 2006 über die Pläne des Landes Berlin berichtet wurde, den geplanten Neubau eines Gefängnisses (JVA Heidering) möglicherweise durch private Firmen abwickeln und dann auch betreiben zu lassen, bat ich mit Schreiben vom 12.10.2006 die Senatsverwaltung für Justiz um Zugang zu einem Gutachten zur – Zitat - „Untersuchung alternativer Realisierungsformen der JVA Heidering“.
Erst in Folge eines längeren Rechtsstreits mit dem Land Berlin erhielt ich schlussendlich Ende April 2009 das 150 Seiten starke Gutachten.

Darin wird ausführlich ein Wirtschaftlichkeitsvergleich angestellt zwischen den drei Modellen: Eigenrealisierung ( d.h. alle Aufgaben des Projekts, Planung, Bau, Finanzierung und Unterhaltung in Verantwortung des Landes Berlin), Investorenmodell (wesentliche Leistungen der Bau- und Planungsphase würden an einen privaten Investor vergeben), sowie PPP-Modell (public-private-partnership); hier würde privaten Firmen die Aufgaben der Planung, der Errichtung und Finanzierung der Anstalt weitestgehend vollständig übertragen und in Teilen auch des Betriebs der JVA).

Im Ergebnis kommt das Gutachterkonsortium PSPS, Drees & Sommer Berlin GmbH und Hogan & Hartson Raue L.L.P. zu dem Schluss, dass das PPP-Modell um 6,70 % (barwertig: 11,8 Mio Euro über 25 Jahre Laufzeit) wirtschaftlicher wäre als die Eigenrealisierung; das Investorenmodell wäre noch 0,38 % (barwertig: 680.000 Euro über 25 Jahre) wirtschaftlicher als die Eigenrealisierung.

Ausgiebig widmen sich die Gutachter der Frage der „Gefangenenbeschäftigung“ (rechtlich handelt es sich dabei um Zwangsarbeit); auf S. 44 des Gutachtens heißt es: „Das Land Berlin beabsichtigt (...) auch die Gefangenenbeschäftigung einem privaten Partner zu übertragen“.

Aus Anhang E zu dem Gutachten ergibt sich, über welche Arbeitsbetriebe die JVA Heidering verfügen soll. Es fällt auf, dass nach den dort durchgerechneten Szenarien (Best Case, Real Case, Worst Case) zwar Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehen sind (Deutschkurs, Anlernmaßnahme Gastronomiehelfer, etc.), jedoch die Mehrzahl der Inhaftierten möglichst in Unternehmerbetrieben der Lebensmittelverarbeitung, Abfallsortierung, Automobilzulieferung und der Montage/Verpackung tätig sein werden.

Entlohnt sollen die Gefangenen in diesen Unternehmerbetrieben mit Lohnstufe 2 werden; dies bedeutet 88 % des normalen Gefangenensalärs. In Zahlen: circa 1,15 Euro pro Stunde! Im Best Case Szenario werden Umsatzerlöse alleine in den Unternehmerbetrieben von 1,3 Mio Euro pro Jahr erwartet (Real Case: 525.000; Worst Case: 300.000).

Vorgabe des Senats sei, so das Gutachten, dass in der JVA Heidering keinerlei Produkte, die für den Eigenverbrauch der JVA oder des Landes (z.B. Möbel, Bäckerei) bestimmt sind, hergestellt werden sollen, sondern alle hergestellten Produkte „wettbewerbsfähig auf dem privaten Absatzmarkt vertrieben werden“ müssen.

Hinsichtlich der möglichen Gestaltung der JVA lassen sich dem Gutachten folgende Maßgaben des Senats entnehmen. Arbeitsbetriebe sollen nicht via Kamera überwacht werden, jedoch ist sicherzustellen, dass sich innerhalb der Anstalt Gefangene möglichst wenig begegnen („... keine ungewollte Vermischung der Häftlinge aus den jeweiligen Wohngruppen und Teilanstalten ...“, a.a.O. S. 33). Die unterirdische Gangführung zu einzelnen Funktionsbereichen (z.B. Arbeitsbetrieb, Arzt) wird bevorzugt. Je 36 Inhaftierte sollen eine Wohngruppe bilden; zwei Wohngruppen bilden eine Station.
Insgesamt sollen 648 Haftplätze geschaffen werden; die Beschäftigungsqoute soll bei 75 % liegen.

Die Anstalt verfügt über eine eigene Alarmzentrale, welche Tag und Nacht mit zwei Beamten besetzt sein wird; insgesamt befänden sich nach dem Gutachten in der Nachtschicht 11 Bedienstete in der Anstalt. Für die Tagschicht ist pro Wohngruppe ein Bediensteter vorgesehen und zusätzlich pro Station ein Gruppenleiter. Zwei Ärzte und vier Sanis sind für die Frühschicht eingeplant, sowie drei Psychologen, wobei diese vom privaten Anbieter gestellt werden können. Insgesamt könnten von den 301 erforderlichen Bediensteten 72 (= 23,93 %) „privatisiert“ werden.

Auch wenn abzuwarten bleibt, wie sich letztlich der Betrieb der Anstalt darstellen wird, es ist absehbar, dass es neben dem Outsourcing von Leistungen ganz zentral um eine möglichst effiziente Nutzung der „Arbeitskraft“ Gefangener gehen soll.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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