Das Volk gegen Zensursula

spiegelfechter.com 07.05.2009 09:29 Themen: Blogwire Netactivism

Entweder sie sind für uns oder sie sind für die Pädophilen! So lässt sich der populistische Aktionismus der Familienministerin von der Leyen umschreiben. Im Parlament hatte die blonde Uschi bislang keinen relevanten Widerstand gegen ihre Sperrliste zu erwarten. Alle Oppositionsparteien sind zwar gegen die Einführung einer Zensurinfrastruktur bei deutschen Internetprovidern, aber die Reihen der Großen Koalition sind im Kampf gegen die Informationsfreiheit wie so häufig geschlossen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die umstrittenen Gesetzesänderungen noch in diesem Jahr vollzogen werden. Damit wird man dem vorgegeben Ziel, der Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet, zwar keinen Jota näher kommen – stattdessen errichtet man das Fundament für künftige Zensurvorhaben im Netz. Die Reihe der Interessenten an Netzfiltern zur Durchsetzung ihrer Begehrlichkeiten ist lang – die staatlichen Glücksspielmonopolisten wünschen sich ein Verbot ausländischer Konkurrenzangebote, Musik-, Film- und Softwarevertreiber wollen gegen Peer-to-Peer-Netzwerke vorgehen und Innenminister Schäuble sieht die nationale Sicherheit durch subversive Internetseiten schon länger gefährdet.

Die Zensur ist das Breitschwert, das dort mit Brachialgewalt geschwungen wird, wo eigentlich ein Florett vonnöten wäre. Die geplante Sperrliste wird vom BKA verwaltet und es ist nicht vorgesehen, eine neutrale Kontrollinstanz einzuschalten, die über Sperrung oder Freigabe entscheidet. Dies ist ein Novum in der deutschen Jurisdiktion – bis dato gilt für alle Medien, dass sie entweder von einer freiwilligen Selbstkontrolle oder von der Bundesprüfstelle überprüft werden. So sehr man diese Prüfungen auch im Detail kritisieren mag, sie unterliegen rechtsstaatlichen Prinzipien. So sind die Listen einsehbar und es besteht die Möglichkeit, in einem offenen Verfahren Widerspruch gegen die Aufnahme in eine solche Liste einzureichen, der dann von einem Gericht geprüft wird. Die „Internetsperrliste“ wird nicht von einem rechtsstaatlich legitimierten Gremium aufgestellt, sondern in den dunklen Kellern des BKA – weder eine Einsicht in die Liste, noch ein offenes Sperrungsverfahren sind vorgesehen. Hier besteht die große Gefahr staatlicher Willkür – solche Verfahrensweisen sind allenfalls aus Diktaturen bekannt.

Wofür man überhaupt eine solche Liste benötigt, ist nicht erklärlich. Untersuchungen der vorhandenen Sperrlisten in Skandinavien, der Schweiz und Australien ergaben, dass sich die Server, auf denen die vermeintlich kinderpornographischen Schriften gespeichert sind, zu 96% in westlichen Ländern befinden – ein Großteil davon in den USA. In Ländern also, in denen es klare Gesetze gegen Kinderpornographie gibt, und die ohne weitere Probleme bei einem Rechtshilfeersuchen tätig werden könnten. Es ist unverständlich, warum in diesen Staaten nichts gegen die Anbieter getan wird. Auch in Deutschland sind 321 Seiten der skandinavischen Sperrlisten gehostet, und es wäre ein Leichtes, diese Seiten schon heute dichtzumachen. Wie einfach das ist, demonstrierte ein Versuch des Vereins Carechild. Die Mitarbeiter suchten sich in einer zufälligen Stichprobe zwanzig Anbieter von Kinderpornographie aus der dänischen Sperrliste heraus, ermittelten den Provider und schrieben diesen an. Binnen kürzester Zeit waren 16 der 20 beanstandetetn Seiten für immer aus dem Netz verschwunden – bei drei Seiten versicherte der Provider glaubhaft die Rechtmäßigkeit der Inhalte seiner Kunden. Das Ergebnis des Carechild-Versuchs ist blamabel für die Bundesregierung. Warum sollte man Internetseiten filtern, die man auch ohne großen Aufwand vom Netz nehmen kann? Wenn man bedenkt, dass die Filtermaßnahmen auch kinderleicht zu umgehen sind, ist das Vorgehen der Regierung umso unverständlicher.

Wenn sich so viel Aktionismus, Dilettantismus und Überwachungswut vermengen, ist der Widerstand des Netzes natürlich nicht weit. Um von der Leyens feuchte Zensurträume platzen zu lassen, hat die Netzaktivistin Franziska Heine beim Server des Bundestags eine Petition eingereicht, die erreichen soll, dass der Bundestag das Gesetzesvorhaben ablehnt. Diese Petition hat das Zeug, Geschichte zu schreiben. Seit Montagmorgen haben sich bereits aktuell (Mittwoch 19:30) rund 37.000 Zeichner eingetragen. Die „magische Grenze“ von 50.000 Unterschriften wird somit wohl noch diese Woche erreicht werden – ein solches Lauffeuer ist historisch einmalig. Der Petitionsausschuss des Bundestags wird sich also in einer Einzelsitzung mit den Argumenten von Franziska Heine auseinander setzen müssen. Dies hat freilich nur Signalcharakter. Durch die Petition wird sich das Gesetz direkt nicht verhindern lassen, was das Volk allerdings erreichen kann, ist ein kaum zu übersehendes und von den Medien nicht zu ignorierendes Ausrufezeichen! Das Volk hat eine Stimme und diese wird in diesem Punkt – und nicht nur in diesem – nicht durch die Große Koalition vertreten.

Nach der erfolgreichen Petition zum Thema Grundeinkommen ist dies das zweite Volksbegehren, das sich abseits der alten Medien in Form einer Graswurzelrevolution Gehör verschafft. Die elektronische Petition hat dabei das Zeug, ein außerparlamentarischer Denkzettel für die Politik zu werden. Auch wenn das Instrument „Petition“ keine direkte Wirkkraft besitzt, so hat es doch das Potential, die Machthaber zu nerven. Volkes Stimme ist lästig und je häufiger und je zahlreicher erfolgreiche Einzelpetitionen die Machthaber nerven, desto besser.

Die Möglichkeiten der partizipatorischen Demokratie in Deutschland sind leider nur sehr gering. Die alliierten Machthaber hatten kurz nach dem zwölfjährigen Reich, das 1000 Jahre überdauern sollte, verständlicherweise kein Vertrauen in das deutsche Volk. Daher wurde die Bundesrepublik als Parteiendemokratie gestrickt, in der auf plebiszitäre Elemente weitgehend verzichtet wurde. Seitdem sind nun 60 Jahre vergangen und niemand muss mehr vor dem deutschen Volk Angst haben – niemand, außer den deutschen Politikern. Es ist an der Zeit, die Verfassung zu ändern. Wenn die Politik nicht mehr die Sprache des Volkes spricht, so muss das Volk eine Stimme bekommen. Ein Volksentscheid zur Einführung plebiszitärer Elemente wäre wünschenswert. Vielleicht wäre dies ein guter Inhalt für die nächste Petition mit Potential?

P.s.: Alle Leser sind hiermit aufgefordert, sofern nicht schon geschehen, die Petition online zu zeichnen. Wir sind das Volk!

Hintergrundinformationen: Die Pressemappe des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur bietet umfangreiches Informationsmaterial zum Thema Internetsperrliste

Venceremos!
Jens Berger

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Ergänzungen

Täterättä!

...................... 08.05.2009 - 05:53

Fast 60 000

Hotte 08.05.2009 - 21:12
Übel was der Politiker da von sich gibt (...)Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bezeichnete den Entwurf "in vielerlei Hinsicht" als "eines der wichtigsten Vorhaben" der Bundesregierung. Zum Protest dagegen sagte er in der Tagesschau: "Das macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben."(...)

Weiterzeichnen auf:  http://zeichnemit.de/

Audio-Mitschnitt zum Internet-Zensurvertrag

CCC 08.05.2009 - 21:14

Nötige Anzahl Mitzeichner

http://www.scharf-links.de 08.05.2009 - 21:16
Heute am 08.05.2009 kurz nach Mitternacht erreichte die am 22.04.2009 von Franziska Heine eingereichte öffentliche Petition mit dem Titel "Internet - Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten" die erforderliche Anzahl von 50.000 Mitzeichnern. Die Piratenpartei nimmt erfreut das Interesse der Bevölkerung an der Petition zur Kenntnis.

"Die extrem kurze Zeit, in der die nötigen 50.000 Unterzeichner zusammengekommen sind zeigt, wie viele Menschen mittlerweile sensibilisiert worden sind. Ohne ein freies Internet wäre dies nicht möglich gewesen. Und genau dessen Freiheit steht jetzt hier auf dem Spiel," so Andreas Popp Spitzenkandidat der Piratenpartei in der anstehenden Europawahl zum extrem schnellen Erreichen der nötigen Unterzeichner.

"Ohne das Internet wäre es all den Personen und Organisation, die über verschiedenste Kanäle zum Mitzeichnen aufgerufen haben, nicht möglich gewesen, Menschen aus ganz Deutschland zu mobilisieren. Dies zeigt auch, wie massiv die Bundesregierung versagt hat. Statt sich an Experten zu wenden, diskreditiert Frau von der Leyen diese als 'zum Teil schwer Pädokriminelle'," führt Popp weiter aus. "Die Rechnung dafür wird ihr jetzt serviert - den Nachschlag wird es bei der Europawahl geben. Leider ist zu befürchten, dass sich die Regierungsfraktionen weiter so beratungsresistent geben wie in der Bundestagsdebatte und an ihren Ammenmärchen festhalten. Die Behauptung, es gäbe eine millionenschwere Kinderpornoindustrie und unzähligen Jugendlichen würden beim unbedarften Surfen ständig über Kinderpornoseiten stolpern, ist aus der Luft gegriffen."

Die Mitzeichnungsfrist der Petition endet am 16.06.2009. Bis dahin ist es - nach Anmeldung - jederman möglich, seine Stimme gegen Zensur im Internet abzugeben.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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diesen artikel muss frau — V.Erbieten

nicht Volk, sondern Klasse — DenkenSollHelfen

Unterzeichnen! — Antiklasse

was kommt demnächst? — Peter H.