Bln-Tempelhof: Massenbesetzung angekündigt

autopilot 09.05.2009 16:50 Themen: Freiräume Kultur Soziale Kämpfe
"Wir fordern den Senat auf, den Zaun zu öffnen. Falls das nicht geschieht, werden wir uns das Gelände mit Hilfe des zivilen Ungehorsams aneignen." So steht es im Aufruf der Aktion "Squat Tempelhof", die für den 20.06. angekündigt ist. Schauplatz des ganzen ist der ehemalige Flughafen Tempelhof in Berlin, der seit November 2008 nicht mehr in Betrieb ist und seitdem ungenutzt leer steht.
Am 20.06. also soll dieser Ex-Flughafen massenhaft und öffentlich besetzt werden, wie es auf der Internetseite der Aktion zu lesen ist. „Wir werden viele sein und sind wütend, weil wir niemals mitentscheiden dürfen, was in unserer direkten Umgebung passiert“, heißt es im Aufruf. Wir – das sind „die Familie von nebenan, die Neuköllner Crew, die Autonomen, der Punk, die Illegalisierte, der Kioskbesitzer, die Hartz-IV Bezieherin, Leute mit Hund, die internationale Aktivistin, der Rollstuhlfahrer, Spaßfanatikerinnen und und und.“

Warum aber die ganze Aufregung um leeres Gelände? Mit der Stilllegung des Flughafens ist in der Berliner Innenstadt eine Freifläche entstanden, die mit rund vier Mio. Quadratmetern eine aus stadtentwicklungspolitischer Sicht beispiellose Größe hat. Dazu kommt ein Flughafengebäude, das mit über 300.000 Quadratmetern Nutzfläche eines der flächengrößten Gebäude weltweit ist. Die Schließung des Flughafens wurde schon vor Jahren beschlossen. Letzter Widerstand dagegen regte sich vor gut einem Jahr, als ein Bündnis aus CDU, FDP, Wirtschafts- und Handelsverbänden, Flughafenfantiker_innen und Luftbrückenromatiker_innen sowie allerhand West-Berliner Mief einen „Volksentscheid“ initiierten, der letztendlich aber scheiterte. Die Gegenfraktion, angeführt vom rot-roten Berliner Senat, warb warmherzig für die Schließung und kündigte an, Tempelhof allen Menschen in der Stadt zugänglich machen zu wollen.


Nichts mit „Tempelhof für alle“

Ein Jahr danach stellt sich die Situation allerdings ganz anders dar. Inmitten einer Stadt, in der die Auseinandersetzung um Verdrängung, Aufwertung und soziale Spaltung an Bedeutung und Schärfe gewinnt, steht das Gelände verlassen und eingezäunt da. Die Senatspläne sehen vor, die Fläche an den Rändern mit modernen Wohnformen wie etwa „Townhouses“ zu bebauen, und in der Mitte eine Parklandschaft anzulegen. In die Gebäude soll die „Kreativ- und Kulturwirtschaft“ einziehen. Bis dies geschieht, werden Gebäude und Fläche vermietet. Schon in diesem Sommer sollen diverse Messen und Events stattfinden, den Anfang macht die Modemesse „Bread and Butter“ im Juli. An dieser beschriebenen Situation entzündet sich mittlerweile Widerstand. Denn mit der Senatsankündigung „Tempelhof für alle“ wird es ganz offensichtlich nichts. Die neuen Wohnungen werden im mittleren bis oberen Preisbereich liegen, die Arbeitsplätze der anzusiedelnden Firmen werden abgesehen von prekär bezahlten Zulieferjobs nur Hochqualifizierte ansprechen und darüber hinaus gibt es ein „Wiesenmeer“, durch das brav und ruhig spaziert werden darf. Ein pikantes Detail am Rande ist das Areal rund um den Radarturm. Hier bekommt die Bundeswehr eine 80x80 Meter große Fläche, und baut zwei neue Gebäude für die Luftwaffe und Verwaltung des Radars.

Aber die Umsetzung der Senatspläne wird sich auch auf die anliegenden Stadtviertel auswirken. Nicht nur auf Neuköllner Seite ist das Wohnen immer noch billig, und das in einer Zeit, in der die Gentrifizierung an allen Ecken lauert. Entstehen direkt nebenan neue Lofts mit Grünblick, dann kann leicht abgesehen werden, dass auch hier die Aufwertung vor der Tür steht. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Außenvorlassung der Interessen der Anwohner_innen. Zwar gab es offizielle Beteiligungsverfahren und diverse Ideenwerkstätten, die Ergebnisse davon scheinen aber für den Aktenschrank gedacht zu sein. Noch ist jedenfalls überhaupt nichts passiert, und im Aufruf von Squat Tempelhof heißt es deswegen auch: „Im Fall Tempelhof stehen wir am Anfang des Prozesses. Wir wollen früh genug eingreifen und ein Zeichen setzen, dass wir diese Entwicklung der Stadt nicht hinnehmen. Wir haben viele Ideen, wie die Fläche nicht kommerziell und im Sinne der Anwohner_innen genutzt werden kann. Wir wollen über die neue Nutzung selbst entscheiden!“


Berlin im Metropolenwahn

Einer der Unterstützer der Aktion ist Adrian. Für ihn steht der Fall Tempelhof ganz exemplarisch für die Veränderung der Städte. „Die Stadt wird zur Spielwiese der kapitalistischen Akteurinnen und Akteure. Es wird privatisiert, investiert, verdrängt und geräumt. Am Ende haben wir in der Innenstadt eine Wahnsinnskulisse für den genormten Alltagsbetrieb. Schicke Büros, schicke Lofts, schicke Restaurants und schicke Clubs, aber alles völlig leblos und vor allem nur für die, die es sich leisten können. Der Rest sitzt dann eben draußen und darf zugucken oder für wenig Geld zuarbeiten“ Dass so eine Voraussage nicht aus der Luft gegriffen ist, würden Städte wie Paris oder London ja zeigen. Berlin hechelt da fast schon hinterher, meint er, in anderen Städten laufe es aber auch so.

Für Adrian geht es aber auch ums große Ganze. „Der Kapitalismus unserer Zeit funktioniert auch über die Entwicklung der Metropolen. Städte bieten vielfältige Investitionsräume für zu verwertendes Kapital. Sie sind Zentren der modernen Wirtschaft und Vorbilder für den Lebensstil des neuen Bürgertums. Und sie verdichten gesellschaftliche Verwerfungen auf krasse Art und Weise. Bei immer mehr Menschen, die in Städten wohnen, wird auch die Frage immer wichtiger, wie Städte eigentlich aufgebaut sind und funktionieren. Und es wird auch immer wichtiger politisch zu handeln.“ Linksradikale Stadtpolitik sei für ihn fast die neue Globalisierungskritik. Zwar sei es auch wichtig, die globalen Gipfel politisch anzugreifen, aber vor Ort in der Stadt könne man eben auch Sand ins Getriebe werfen. „Jedes Farbei auf die CarLofts, jede Hausbesetzung oder auch einfach nur jedes Kiezcafe kann da nerven.“ So verstehe er auch die Aktion Squat Tempelhof. Darüber hinaus hat er aber auch schon von vielen ganz konkreten Ideen gehört, die auf dem Gelände verwirklicht werden sollen, Platz genug sei ja da. Klar sei natürlich, dass eine dauerhafte Besetzung des gesamten Areals erstmal unmöglich ist. Aber man könne ja schon mal anfangen. Die Frage nach der Nachnutzung komme häufiger, sagt er, es wäre aber fatal jetzt irgendein umfangreiches Nachnutzungskonzept vorzulegen. „Dann würden wir doch nichts anderes machen als der Senat.“


Kollektiver Zaunübertritt

Den besonderen Reiz der Aktion sieht Adrian in der öffentlichen Ankündigung des massenhaften Zaunübertritts. „Wenn sich viele Leute bewusst dafür entscheiden, etwas rechtlich gesehen Verbotenes zu tun, das ankündigen und damit auch offensiv umgehen, dann hat das doch Aussagekraft.“ Ob die Aktion denn klappen wird, könne er natürlich nicht sagen, aber er sei optimistisch. „Funktionieren wird es aber nur, wenn wirklich viele Leute mitmachen. Die 15-jährige Schülerin soll genauso dabei sein können wie der Rentner aus dem Kiez und hoffentlich reisen auch noch Leute an. Die Resonanz ist bisher auf jeden Fall außergewöhnlich, es gibt total viel Interesse und Zustimmung, vor allem auch bei den Anwohnerinnen und Anwohnern“ Bei so einer groß angelegten Aktion sei die Vermittlung der Aktionsformen natürlich schwierig. Adrian sieht das undogmatisch und von Fall zu Fall. Bei Squat Tempelhof hofft er auf die Cleverness der Leute. „Wenn man sich auf irgendwelche Provokationen einlässt, dann wird es nichts. Das Ziel ist der Zaun, oder das, was dahinter kommt. Gefallen lassen soll man sich natürlich auch nichts, aber die Bullen haben eigentlich nur die Möglichkeit, die Aktion zu verhindern, indem sie uns in irgendwelche Sachen reinziehen. Wenn sie aber acht Kilometer Zaun an jedem Ort schützen müssen und die Leute auch wirklich aufs Gelände wollen, dann haben sie keine Chance. Es geht darum, in allem einen Schritt voraus zu sein und zu denken.“

Wie genau das Konzept für die Besetzung aussieht, weiß er auch nicht. Er geht aber davon aus, dass es erst kurz vorher bekannt wird. Außerdem gehe es auch nicht nur um das Konzept. „Es will ja niemand, dass alles zentral entschieden wird. Es wird schon ein Angebot geben, das sich auch an den unterschiedlichen Bereitschaften der Leute orientiert. Aber ich hoffe auch, dass bestehende Gruppen sich noch mal ganz eigene Sachen ausdenken. In der Mischung kann das dann richtig gut werden.“ Und vielleicht entsteht ja in den zwei Wochen vor der Besetzung noch die ein oder andere Idee. Da sind nämlich in Berlin die „ActionWeeks against Gentrification“ von der Wir Bleiben Alle – Kampagne ausgerufen worden. Adrian stellt sich den 20.06. jedenfalls spannend vor. „Meine Wunschvorstellung ist, dass Tausende vor dem Zaun stehen und rüber wollen, die Bullen merken, dass sie keine Chance haben und einfach abhauen und die Stadtentwicklungssenatorin gleich noch ihren Rücktritt erklärt. Dann gehen wir ohne Stress auf das Gelände und lassen uns mal überraschen, was die Leute so alles machen.“


Weitere Informationen: Squat Tempelhof Blog * Squat Tempelhof bei MySpace * Tempelhof für Alle Bündnis
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Der Tagesspiegel schreibt:

Leserin 04.05.2009 - 18:20
Autonome erschrecken Flughafen-Anwohner

Die Aktion war als Protest gegen vermeintliche Pläne für Luxusbauten auf dem Flughafen Tempelhof geplant, doch sie hinterließ nur verängstigte Mieter: Unter offziellem Logo hat eine linke Initiative Briefe mit Mieterhöhungen in Neukölln verteilt.

Die Hekimoglus sehen den Flughafen Tempelhof, wenn sie aus dem Schlafzimmer in Neukölln blicken. Das Ehepaar ist foh, das seit einem halben Jahr kein Lärm und Gestank mehr von dem Gelände in die Wohnung in der Leinestraße kommt. Doch vor wenigen Tagen hat Mutter Zehra Hekimoglu ein Schreiben aus dem Briefkasten gezogen, das ihre Familie sehr beunruhigt hat. „Mein Vater hatte kurz Panik“, sagt die 27-jährige Tochter Berrim Hekimoglu, „meine Mutter hat schon überlegt, wo wir in Zukunft hinziehen könnten“.

In dem Brief, der sich „an alle Mieter“ richtet, stand folgender erster Satz: „Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass aufgrund der veränderten Situation in Ihrer Umgebung nicht davon abgesehen werden kann, Ihre Miete zu erhöhen“. Darüber ist das Logo der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag abgedruckt, der das Haus gehört. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Die Pläne des Berliner Senats sehen vor, in Ihrer Umgebung Luxuswohnungen zu errichten.“ Mit den erhöhten Mieteinnahmen sollen angeblich die bestehenden Häuser saniert und dem neuen Standard „angepasst“ werden. Wer das Geld nicht aufbringen könne, möge „ohne großes Aufsehen seine Wohnung räumen“. Erst auf der Rückseite des Schreibens wird die Herkunft der Hiobsbotschaft aufgelöst. Hier bekennt sich die Initiative „Squat Tempelhof“ als Absender, eine Gruppe linker und autonomer Aktivisten, die „auf diesem Wege mitteilen“ wolle, „was mit Ihrem Kiez und Haus passieren wird“.(...)

(...)„in dem Haus wohnen viele Einwandererfamilien, die meisten werden das nicht als Scherz verstehen und sich große Sorgen machen“.(...)

Ganzen Bericht lesen:  http://www.tagesspiegel.de/berlin/Neukoelln-Tempelhof-Flughafen-Tempelhof;art270,2789123

Infostand am Zaun

anwohner_nk 04.05.2009 - 18:56
Am vergangenen Sonntag gab es eine nette Aktion mit Infostand am Zaun mit vielen Luftballons . Vorbeigehende konnten ihre Ideen zur zukünftigen Nutzung des Geländes auf Blättern am Zaun hinterlassen. Auch an den kommenden Sonntagen sollen dort Aktivitäten stattfinden. mehr dazu und Fotos auf:
 http://tfa.blogsport.de/2009/05/03/deine-idee-fuer-tempelhof/

Tag der Offenen Tür!

rosine 10.05.2009 - 02:11
Am 12.05. wird es im Flughafengebäude und auf dem Vorfeld einen „Tag der Offenen Tür“ geben. Unter dem Motto „Gemeinsam Grenzen überwinden“ lädt der Senat zum großen 60-Jahre-Luftbrücke-Revival ein. Höhepunkt soll der Überflug eines „Rosinenbombers“ sein. Drumherum gibts viel Militärmusik. Das Motto finden wir jedenfalls ganz ansprechend, den Rest nicht so. Außerdem laden wir doch am 20.06. zum Tag der Offenen Tür. Naja, jedenfalls sind wir am 12.05. auch dabei!

Unser Vorschlag: Um 16:00 Uhr sind wir alle pünktlich und friedlich auf dem Vorfeld und werden gemeinsam unsere Vorstellungen über die Zukunft des Feldes einbringen. Natürlich bietet der gesamte Tag genug Bühne für unsere Ideen. Dress nice! Bringt Sachen für euren Freiraum mit!

Fotos

Fotos 12.05.2009 - 22:30
Hier gibts übrigens Bilder von der Aktion heute am Tag der offenen Tür.

 http://www.flickr.com/photos/kietzmann/
 http://www.flickr.com/photos/rot-blog/sets/72157618051671092/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Vorschlag — spacken