Bologna-Prozess Gegengipfel in Brüssel

Dabeigewesener 01.05.2009 19:42 Themen: Bildung Globalisierung Weltweit
Am letzten Wochenende kamen bis zu zweihundert Studierende aus großen Teilen Europas in Brüssel zusammen, um über einen gemeinsamen Kampf gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung von Bildung zu beraten.
Ein kleiner Erlebnisbericht

Seit letztem Jahr bildet sich in häufig stattfindenden Chattreffen eine internationale Bewegung gegen die Privatisierung von Bildung. In einem dieser Chattreffen kam vor einigen Wochen die Idee auf, sich anlässlich des Fortsetzungstreffens des Bologna-Prozesses im Rahmen eines Gegengipfeltreffens näher kennen zu lernen. Hier tauchten allerdings schon die ersten Probleme auf:
Es gab keine aktive Gruppe aus Belgien im Netzwerk - geschweige denn aus Leuven.
Trotzdem wurde an dem Ort festgehalten und nach anfänglichen Überlegungen wo das ganze organisiert werden könnte (ein Camp war zu anfang geplant) fand sich in letzter Minute doch noch eine Gruppe in Brüssel, welche Räumlichkeiten in der Freien Universität Brüssels (ULB) organisieren konnte.
Pünktlich zum Gegengipfel besetzte dann auch noch eine andere Gruppe aus Brüssel einen Hörsaal und bot den Trakt als Schlafplatz an.
Ansonsten waren auch noch eine Pennplatzbörse eingerichtet, welche für 200 Personen Unterkunft verteilt in der Stadt anbot. Von dieser wurde anfangs jedoch kaum Gebrauch gemacht.

Bereits am Freitag zeichnete sich ab, dass die Größe des Treffens zumindest aus unserer (deutschen) Sicht total daneben lag:
Hatten wir mit einem kleinen, kuscheligen Treffen mit 20-40 Teilnehmenden gerechnet kamen bereits Freitag 150 Studierende. Ein kleines Empfangskommitee erwartete uns am Campus-Eingang und wies uns ein (Pennplätze usw.), dann konnten wir uns auch schon ins erste Plenum begeben. Dieses war schon einige Zeit am Laufen - und war eigentlich das des besetzten Gebäudes bzw. der BesetzerInnen-Gruppe.
Es schien Uneinigkeit zu geben - im Laufe der Zeit erfuhr mensch trotz mangelnder Übersetzung dann von Hier und Da, dass es sich um einen Streit zwischen zwei lokalen Gruppen handelte, wie die Besetzung aussehen sollte.
So nutzten wir den Abend um in Kontakt mit anderen Gruppen zu kommen und uns erst einmal so auszutauschen und suchten uns irgendwann einen Schlafplatz im Universitätsgebäude.

Am Samstag morgen startete dann das erste Großplenum auf einem anderen Campus. Geplant war kurz den Tagesplan zu erläutern und zu erweitern - jedoch uferte es in eine schier endlose Debatte aus. Immerhin übernahmen immer mehr Leute Selbstorganisation - so versuchten Freiwillige, schnell eine Übersetzungscrew hinzubekommen um wenigstens alles auf Französisch, Spanisch und Englisch zu übersetzen. Jedoch kam auch hier wieder scheinbar Streit zwischen den belgischen Gruppen auf, welche immer wieder auf französisch weiterdiskuttierten - was uns oft ausschloss, aber nach einer Weile auch egal war.
Schließlich wurde das Plenum nach vier Stunden (evtl. auch fünf) abgebrochen und nach einer Weile endlich mit der Gruppen bzw. Situationsbeschreibung der verschiedenen Orte angefangen. Insgesamt sieben Stunden wurde nun mehr oder weniger ausführlich über die jeweiligen Situationen berichtet.
Dann mussten wir die Räumlichkeiten verlassen, da sie abgeschlossen wurden und zogen wieder in den besetzten Hörsaal. Dort gab es inzwischen ein weiteres Großplenum über die Sicherheitssituation im besetzten Hörsaal, da es zu verschiedenen Individual-Aktionen gekommen war, durch welche sich mehrere Teilnehmer nicht mehr so wohl fühlten.
Ansonsten gab es noch Vokü und ein nettes Miteinander am Abend, eine kleine Gruppe arbeitete in der Zwischenzeit daran, die Ergebnisse von den Vorstellungen zusammenzufassen und eine erste Analyse zu erstellen, um diese am nächsten Tag vorstellen zu können. Auch wurde an dem Tag das erste Mal über Aktionen für den Gegengipfel geredet, jedoch ohne konkrete Ergebnisse.

Der Sonntag war Workshops gewidmet, welche sich zu verschiedenen Themen (siehe Bild unten) trafen und arbeiteten. Im Vernetzungsworkshop wurde sich darauf geeinigt, die Chattreffen weiter mindestens jeden ersten Sonntag im Monat zu machen, die Realtreffen allerdings auf ein Minimum zu beschränken, da der Aufwand, die Leute an einen Ort zu mobilisieren recht hoch ist. Auch wurde sich darüber ausgetauscht, das bisherige Treffen meist daran gescheitert waren, dass sie an ein anderes Event (z.B. G8) gekoppelt waren und dadurch die Leute eher für andere Themen kamen als für Bildungspolitik.
Des weiteren wurde die Problematik der verschiedenen Sprachen diskutiert und eine Übersetzungsliste beschlossen, sowie weitere kleinere organisatorische Verbesserungen. Für die Problematik der weiten Entfernungen wurde angeregt, eine dezentrale Vernetzung anzustreben, welche darauf setzt, dass Nachbarn wie z.B. Hamburg und Kopenhagen stärker miteinander vernetzt sein sollten durch gegenseitige Besuche und z.B. Frankfurt und Straßbourg und so über die Vernetzung innerhalb Deutschlands auch Kopenhagen mit Straßbourg vernetzt wäre. Als Vorschlag für eine nächste weltweite Aktionswoche wurden mehrere Termine im November ausgeguckt, welche in den nächsten Chattreffen vorgestellt werden.
Besonderes Interesse weckte bei mir, dass in den Gruppen in Spanien (welche sich erst vor relativ kurzem gründeten) bereits in den meisten Gruppen Leute für die internationale Vernetzung delegiert wurden. Die Studierendenbewegung scheint international ein neues Level zu erreichen.

In einem weiteren Großplenum am Abend wurde zunächst die Analyse der Ergebnisse des Vorabends vorgestellt und mit Kritik aus dem Auditorium erweitert.
Im Groben kam hierbei heraus, dass der Bologna-Prozess in den meisten Ländern bereits umgesetzt ist und auch die Privatisierung und Kommerzialisierung damit einher geht. Am stärksten Betroffen zu sein scheint England wo neben den europaweit höchsten Studiengebühren der Bologna-Prozess so gut wie abgeschlossen ist. Spanien und Frankreich stehen erst relativ am Beginn des Bologna-Prozesses. Sowohl in Deutschland als auch in England gibt es zudem inzwischen Pakte zwischen Universitäten und Militär, so dass Forschungsergebnisse der Universität direkt dem Militär zufließen. Einzige Ausnahme bildete Dänemark, wo der Bologna-Prozess zwar schon sehr lange auf politischer Ebene umgesetzt wurde, Studiengebühren jedoch ein Tabu-Thema sind da Studierende hier noch ein Studiengeld von rund 500 Euro pro Monat vom Staat bekommen. Dies, so stellte ein Studierender aus Dänemark ausdrücklich fest, sei jedoch nur auf den lokalen historischen Kampf der ArbeiterInnenbewegung zurückzuführen. Eine Einführung von Studiengebühren wird aber auch in Dänemark versucht - für AusländerInnen. Stärkstes Thema in Dänemark ist die Verwertung von Forschungsergebnissen: sie fordern, dass Universitäre Forschung immer der Allgemeinheit gewidmet sein muss und dementsprechend lizensiert werden sollten. (Ähnlich der Creative-Commons-License)
Danach wurde sehr unergiebig, aber sehr lange in einem Großplenum über gemeinsame Aktionen für die nächsten Tage diskuttiert, während in einem gleichzeitigen Großplenum die anderen Ergebnisse der Workshops zusammengefasst wurden.
Währenddessen kam es zu weiteren Aktionen von Individualisten der Besetzung ohne Absprache mit dem Rest, welche das Fass für viele Internationalen zum Überlaufen brachte und sie verzogen sich aus dem besetzten Hörsaal (wir auch) und suchten sich Schlafplätze auf dem anderen Campus.

Montag und Dienstag waren dann hauptsächlich von den Aktionen geprägt, dazu aber später mehr in einem anderen Bericht.
Insgesamt bleibt über den Kongress wohl festzuhalten, dass es erstaunlich viele Leute waren und verschiedene Bewegungen ein enormes Interesse daran haben, sich international zu Vernetzen. Die Unterschiedlichkeit der Bewegungen (autonom/basisdemokratisch und institutionell/demokratisch) trat deutlich zu Tage, aber auch der Wille, europa- und weltweit eine schlagkräftige Bewegung aufzubauen. So bleibt in meiner Erinnerung nicht so sehr die gescheiterten Großplena (haben die je funktioniert?) in Erinnerung als viel mehr das Gefühl:
Wir haben angefangen mit Chat-Treffen mit wenig Leuten - ein halbes Jahr später mobilisieren wir schon zu unserem ersten gemeinsamen Gipfel und wir sind sau viele! Letz Rock on!
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Ergänzungen

Global Week of Action - Erste Zusammenfassung

Mo 03.05.2009 - 15:20
Eine vorläufige Übersicht der weltweiten Proteste im Rahmen der "Reclaim your Education - Global Week of Action" [20.-29.04.] ist jetzt (bisher nur auf englisch) online:

 http://www.emancipating-education-for-all.org/content/actions-during-global-week-action-summary

Es gab Proteste in mindestens 15 Ländern, in vielen auch Besetzungen!

Eine weitere internationale Aktionswoche ist angedacht!

Macht mit! United we stand!