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Kein Frieden mit Hamburgs High Society!

Schulen_Abschaffen 18.04.2009 16:57
In Hamburg fand heute eine Demonstration des Bündnisses „Wir wollen lernen“ statt – Einer Vereinigung, der es vor allem darum geht, ein selektives Schulsystem zu bewahren (zu der im übrigen auch die NDP HH aufrief). Im folgenden wird das Flugblatt dokumentiert welches vom Hamburger Bildungsstreik-Kommitees auf der Demo verteilt wurde:
Kein Frieden mit Hamburgs High Society!

Kaum kriecht die Sonne hervor und hat den Winter verjagt, da erwacht die Hamburger High Society aus ihrem (Schönheits)/Winterschlaf.

Noch im November zeigten sich alleine in Hamburg ca. 8000 Schülerinnen und Schüler (die jeden Tag die Bildungsmisere leibhaftig erleben und direkt betroffen sind) auf der Straße, um für eine bessere Bildung und ein anderes Schulsystem zu streiken. Dazu nahmen sie zusätzlich die (möglichen) Repressionen von Seiten der Schulleitung sowie mehrere Fehlstunden in Kauf. Dieser Schulstreik wurde von den Schülerinnen und Schülern selbst vorbereitet und durchgeführt. Keine Eltern, kein Sky du Mont, waren an der Planung und/oder Finanzierung dieses Streiks beteiligt. Ebenso wenig titelte die Springer Presse für eine solche Demonstration. NEIN! Wir Schülerinnen und Schüler haben alles selbst organisiert und durchgeführt, ohne dabei die von unseren Eltern vorbestimmte oder gewünschte Wege zu gehen. In mehreren Monaten Arbeit hat ein basisdemokratisches Bündnis aus Schülerinnen und Schülern diesen Streik vorbereitet. Die Planungstreffen waren immer offen. Doch von der Presse wollte niemand erscheinen, um sich ein Bild zu machen.

Der Streik forderte unter anderem kostenlose Bildung, Verkleinerung der Klassen, eine Demokratisierung der Schulen und „Eine Schule Für Alle“. Es wurde ein komplett anderes Schulsystem eingefordert! Das ist jedoch nicht mit den halbherzigen GALschen Reformen, angetrieben durch Christa Goetsch, vereinbar. Nein, es lässt sich wahrscheinlich nicht einmal konform zur heutigen Praxis der Schulpolitik durchsetzen. Es würde eine komplette Umwälzung der bundesweiten Schulpolitik erfordern. Das Ziel diesen revolutionären Prozess zu erreichen, wird auch diesen Sommer wieder verfolgt werden. Doch auch lässt sich festhalten, dass die Revolution im Kleinen, jede Verbesserung der herrschenden Verhältnisse, eine Erleichterung des alltäglichen Lebens der Schülerinnen und Schüler in einem solch wichtigen Teil des Lebens darstellen würde.

Doch nun versucht an diesem Tage ein Bündnis zur Erhaltung der Gymnasien ein Bündnis zu demonstrieren, das sich selbst als „Netzwerk aller ReformkritikerInnen“ bezeichnet. Neben der Erhaltung der gymnasialen Oberstufe (die im Grunde durch die GAL gar nicht abgeschafft werden soll), wird eine Aufrechterhaltung des Wahlrechtes von Eltern für die weiterführende Schule ihrer Kinder gefordert. Man fürchtet sich scheinbar vor einer Zusammenlegung der Schülerinnen und Schüler verschiedener Lernstufen und auch sozialer Herkunft. So sollen durch die Reform die Primarschulen eingeführt werden, in denen die Kinder von Klasse 1 bis 6 zusammen lernen. Man fürchtet sich vielmehr vor der Schwächung der Gymnasien durch die Schulreform, die Stadtteilschule und Gymnasium einführt und dadurch, dass Gymnasien jetzt die Jahrgänge 5 und 6 fehlen und dass ein gymnasialer Abschluss an Wert verlieren werde. Fadenscheinig wird vorgegeben, dass man sich ebenfalls für die lernschwachen Schülerinnen und Schüler einsetze, die ja „zusammen mit den Guten“ lernen müssten und dadurch frustriert werden und die Chancengleichheit verloren ginge, da nun die Grundschullehrerinnen vorurteilsbehaftet den weiteren Werdegang der Schullaufbahn vorschreiben (Abschaffung des Elternwahlrechts) und somit in einem System feststecken würden. Die Stadtteilschulen werden angeblich zu den letzten Löchern mutieren, in denen die Schülerinnen und Schüler aus der Hauptschule vorm Lernfortschritt abhalten. Individuelle Förderung durch ein breites Spektrum an Lernfortschritten sei nicht zu managen. Lehrerinnen und Lehrer überfordert.

Doch wollen wir einmal hinter den schön zurecht gemachten goldenen Vorhang und die wackligen Kulisse schauen. Zu aller erst lässt aufstossen, dass die Initiative für sich in Anspruch nimmt stellvertretend für alle Kritikerinnen und Kritiker der Schulreform in Hamburg zu sprechen. Das ist schlichtweg ein lügenbehafteter Selbstprofilierungsversuch. Kritik an der Schulreform leisten auch jene Menschen, die für eine Zusammenlegung der Schulstufen sind und z.B. wie der Schulstreik Eine Schule Für Alle fordern. Nun jedoch wird vorgegeben auch für diese Menschen zu sprechen. Und das ist schlichtweg ein politischer Trugschluss. Kritikerinnen und Kritiker an der Reform der Schulbehörde kommen aus diversen Richtungen. Wer zentral ein Thema zur Kampfpolemik auswählt, darf nicht behaupten ebenfalls für den Rest der Kritikerinnen und Kritiker zu sprechen, die aus ganz anderen „Richtungen“ kommen. Da lässt sich kein schwarz-weiß Bild stilisieren, welches impliziert, man sei für oder gegen die Schulreform und somit für oder gegen (längeres) gemeinsames Lernen. Doch scheinbar spricht das Bündnis nicht für so viele Leute, wie es selbst vorgibt zu sprechen. Die Mopo formulierte es etwa: „Die Zahl der Architekten, Unternehmer, Ärzte und Juristen dürfte am Sonnabend in der City erheblich höher sein als an anderen Wochenenden. Denn die Primarschul-Gegner haben zu einer Demonstration unter dem Motto „Hamburger Eltern für gute Schulen“ aufgerufen. Und viele Eltern gerade aus den feineren Regionen wie Blankenese und den Walddörfern gehen zum ersten Mal für ihre Ziele auf die Straße. „Dies stellt ziemlich deutlich dar um welches Klientel es sich bei den Kritikerinnen und Kritikern an der Primarschule hauptsächlich handelt. Die taz stellte es noch treffender dar. „Manchmal stimmen Klischees: BMWs und Porsches standen am Mittwochabend vor dem Gebäude der Bucerius Law School, als sich drinnen rund 100 Primarschul-Gegner zu einem Treffen namens „Netzwerk 22″ versammelten. „ Ebenso ist zu beachten, dass eine Initiative von Gesamtschullehrerinnen und Lehrern dem Bündnis seine Unterstützung nun doch versagt haben. Überhaupt lässt sich in der Reihe dieser Leute so gut wie niemand finden, der nicht seine Kinder auf dem Gymnasium hat oder auf einem solchen unterrichtet.

So lässt sich festhalten, dass gut betuchte Eltern um das Bildungswohl ihrer Kinder besorgt sind. Mitorganisatorinnen der Demonstration sind z.B. Marina Stürken, Rechtsanwältin; Dagmar von Kügelgen, Architektin; Maike Gessler, Tanzpädagogin; Insa Axmann, Musikwissenschaftlerin und Susanne Gernandt, Logopädin, im Elternrat des Johanneum Hamburg, verheiratet mit einem Delegierten des Verwaltungsrates eines milliardenschweren Logistikunternehmens, der auch in der Vergangenheit schon einmal Vorsitzender einer Baustoffaktiengesellschaft war und sich in seiner Freizeit für Jaguar und Mercedes interessiert.

„Hamburger Persönlichkeiten wie Ingeborg Prinzessin zu Schleswig-Holstein oder Magnus Graf und Karoline Gräfin Lambsdorff und Unternehmer wie Dietrich von Saldern und Jean Jacques de Chapeaurouge „ (Welt.de) unterstützen diese Initiative. Als Rednerinnen und Redner haben sich neben dem Sky du Mont (FDP-Mitglied, Schauspieler) z.B. Jan Philliph Unger (im Vorstand der Schüler Union Hamburg, Projekt der CDU – Jungen Union), Britta Ernst ( Hamburger SPD Fraktionsgeschäftsführerin) und Matthias Oehlrich (Chef Deutscher Lehrerverband) angekündigt.

Die Hamburger High Society fährt also einiges an Personal auf, um für die Elite-Gymnasien zu streiten und hält sich dazu auch die Springer Presse als Schiesshund. In der Welt und im Abendblatt wurde in den letzten Monaten und Wochen in zahlreichen Artikeln über die geplante Demonstration berichtet. Somit mussten sich die Organisatorinnen und Organisatoren immerhin mit einem Hauptproblem bei Demos nicht mehr auseinander setzen: Der Mobilisierung. Dort wo andere in monatelanger Arbeit auf sich aufmerksam machen wollen, übernimmt hier die Springerpresse mit ihrer Berichterstattung komplett diese „Aufgabe“.

Es stößt zu Denken an, dass sich hier überwiegend Menschen engagieren, die selbst schon lange aus der Schule heraus sind. Man fürchtet scheinbar um den Stellenwert des Gymnasialabschlusses. Die Hamburger High Society will sich selbst am Leben erhalten, indem für die eigenen Kinder das Beste vom Besten eingefordert wird. Auch Unternehmer haben ein wachsames Auge im Anbetracht auf den Nachschub an Elitearbeitskräften. Denn spätestens seit OECD und Pisa ist bekannt, dass in Deutschland der soziale der Eltern maßgeblich den schulischen Erfolg der Kinder beeinflusst.

„In Deutschland haben universitäre Abschlüsse damit deutlich größere relative Vorteile gegenüber denen des Sekundarbereichs II als in den meisten anderen OECD-Staaten.“ […]
„In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit eines Studiums für Schülerinnen und Schüler aus Arbeiterfamilien weniger als halb so hoch wie es in Anbetracht ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung zu erwarten wäre. Diese Wahrscheinlichkeit ist in keinem der anderen 8 europäischen Staaten mit vergleichbaren Daten geringer.“ […]
„In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit eines Hochschulbesuchs für Kinder aus besser gestellten Familien 2,2mal höher als für Kinder aus Arbeiterfamilien „ ( http://www.oecd.org/dataoecd/22/28/39317467.pdf)

Es ist ein nicht von der Hand zu weisender Fakt, dass Deutschland bei Pisa und OECD Studien schlecht abschneidet. Und gleichzeitig ist Deutschland mit Österreich das letzte Land mit einem selektiven Schulsystem in Europa. Das sollte in Anbetracht der Ergebnisse aus den skandinavischen Ländern, wo nicht selektiert wird, mindestens nachdenklich stimmen.

In preußischer Tradition wird nun gegen die Einführung der Primarschule gewettert, da sich das Gymnasium nicht mehr stark von der Primarschule abheben würde. Man bangt also um seinen hochgebildeten Nachwuchs, der die gut honorierten Berufe wahrnehmen soll, um sich immerhin noch ein stückweit vom Rest der Gesellschaft abzuheben. Schon 1920 war die Einführung der gemeinsamen Grundschule zu Lasten der von vornherein geteilten Vorstufen der Volksschule und des Gymnasiums mit viel Widerstand aus der elitären Schicht verbunden. Damals gab es eine Bildungsaristrokratie von Menschen in gut bezahlten Berufen, die ihre Kinder auf die Gymnasien schickten. Nur durch die gymnasiale Bildung waren diese in der Lage die selben gut bezahlten Berufe der Eltern wahrzunehmen. Der Rest der Menschen ließ seine Kinder die Volksschulen besuchen, in denen lediglich grundlegende Bildung vermittelt wurde und vor allem Treue zu Vaterland und Religion auf der Tagesordnung stand. Ein wahrer Schreck war es dann, als die Reichen und Schönen ihre Kinder in den 20ziger Jahren mit dem „Pöbel“ auf der Grundschule zusammen sahen. Und auch heute noch, wenn man sich gegen jede Zusammenlegung von Schulen engagiert, sind die Beweggründe dieselben. Verpackt in einer angeblichen Sorge um den Lernprozess der „schlechteren“ Schülerinnen und Schülern und jenen aus prekären sozialen Situationen.

Doch wir lassen uns nicht verarschen und vereinnahmen. Kritik ist auch aus ganz anderer Richtung als von „Gute Schulen für Hamburg“ und wie sie alle heißen möglich. Denn WIR segeln unter einer ganz andere Flagge. Der Flagge der Veränderung und nicht der des Progressiven. Denn wir fordern eine radikale Veränderung der Bildungssituation, die allen einen Lernfortschritt durch individuelles Lernen ermöglicht. Dazu muss eine Schule Für Alle geschaffen werden, die Muster von Klassenstufen und das Selektieren nach Leistung überwunden werden. Ebenso sind finanzielle Investitionen notwendig, die Schule, Uni usw. kostenlos machen. Pädagoginnen und Psychologen müssen her; die LehrerInnenschaft darf nicht im Regen gelassen werden. Jeder und jede muss die Möglichkeit haben nach den eigenen Fähigkeiten zu lernen, ohne sich dabei an zahlreichen Vorstellungen, Regeln und Mustern zu orientieren. Mitbestimmungsrecht durch Demokratisierung der Schulen und eine angenehmere Lernatmosphäre, die auch die Beziehungen zu Lehrerinnen und Lehrern verbessert. Verantwortung innerhalb der Behörden und Schulleitungen, Entbürokratisierung, Modernisierung und letzten Endes den gesellschaftlichen Willen etwas zu verändern, um nicht Bildungsverlierer am laufenden Band zu produzieren und einer Gesellschaft zu überlassen. Denn die Gewinner des Deutschen Schulpreises waren nicht irgendwelche Elite-Gymnasien, sondern Schulen, die sich vom alten Konzept des Lernens losgesagt haben, neue Methoden anwendeten und dabei nicht selektiert, sondern integriert haben. (Montessori-Oberschule Potsdam, Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule Altingen in Ammerbuch, Integrierte Gesamtschule Bonn-Beuel usw.)

Für all das kämpfen wir. Denn nur so kann eine wahrhafte Verbesserung der Bildungssituation geschaffen werden.

Nicht mit Goetsch, nicht mit den Parteien, nicht mit Bonzeneltern, nicht mit den Unternehmen, nicht mit der Schüler Union. High Society träumt eure feuchten Träume von getrennter Gesellschaft woanders. Lasst unsere Bildung in Ruhe und verpisst euch! Wir nehmen das selbst in die Hand.

Unsere Forderungen werden auf dem nächsten bundesweiten Schulstreik in aller Deutlichkeit auf die Strasse getragen werden. Zusammen mit Gruppen aus aller Welt kämpfen wir für eine bessere Bildung.

Für ein selbstbestimmtes,individuelles Lernen

HAMBURGER BILDUNGSSTREIK KOMITEE


Als Buchtipp sei noch Christian Füller „Schlaue Kinder, schlechte Schulen“ Droemer Verlag 2008 empfohlen.
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Ergänzungen

lief gut

hallo 18.04.2009 - 18:15
das ist übrigens nicht die "überarbeitete version" des flyers. verteilt wurde eine andere version, auf grundlage dieser hier.

die demo lief für uns ganz gut. haben die bonzen ca. eine halbe stunde blockiert. einzig gab es 2 personalienaufnahmen+platzverweise. aber ansonsten echt geil! buntes hemd war wunderbare "tarnklamotte"!

einer aus der bonzendemo hat einen etwas älteren mann von uns mit einem schild angegriffen, geschlagen und umgworfen. es wurde anzeige erstattet. hätte fast ne dicke schlägerei gegeben, die bullen haben sich auch nicht wirklich bemüht einzugreifen. der schubser wäre um ein haar vermöbelt worden nach seiner aktion. hätte nicht gedacht, dass eine fdp-demo gewalttätig werden könnte.

auf der demo selbst waren eigentlich 75% der menschen generation 45-90 jahre. viele hatten noch ihre kinder aus der 1.-3. klasse mitgebracht (als ob in dem alter schon politisches bewusstsein vorhanden wäre. tzzzz) der slogan der blockiererInnen "wir sind schüler, was seid ihr?" hat dementsprechend gut gepasst und immerhin mehrere tausend leute übertönt.

klasse waren ja auch die kommentare innerhalb der bonzen-demo "hm, hier könnte ich eigentlich ganz gute geschäftskontakte knüpfen" und ein vater zu seinem kind "zieh das t-shirt (ich bin kein versuchskaninchen) jetzt an, sonst gibt es nachher keine currywurst"

sky du mont hat übrigens auch autogrammstunde gegeben.

presse

ugon 18.04.2009 - 18:15