Hamburg: Zur Situation der Roten Flora

Archivist 16.04.2009 13:38 Themen: Freiräume
Wenn aktuell die Existenz der Roten Flora in Hamburg auf die Tagesordnung gesetzt wird, lohnt ein Blick in die Textarchive der Bewegung! Zumindest die FloristInnen haben die Entwicklung schon vor 8 Jahren voraus gesehen.
Nachdem Anfang der Woche der "Besitzer" Klaus-Martin Kretschmer über die Presse die Rote Flora öffentlich kritisiert hat, fühlten sich bereits unterschiedliche Politiker aus Reihen der CDU und SPD berufen,das Ende des besetzten Pojektes zu fordern. Aber selbst in der Linken zumindest in Hamburg scheint die Rolle von Kretschmer nicht allen restlos klar zu sein. Er ist keineswegs der "Gönner" (O-Ton BILD), der Initiativen das Gebäude "mietfrei" zur Verfügung stellt! Kretschmer verdient Geld mit Immobilien und dürfte der Letzte sein, dessen Kritik an linken Räumen (die sicherlich auch bei der Flora grundsätzlich richtig und notwendig ist!) irgendwie ernstzunehmen wäre! Zur Erinnerung jedenfals ein Text der Flora aus dem Jahre 2001, der die Sitution des Jahres 2009 bereits vorweg genommen hat:


Eurhythmie? Auf die Füße treten!
Pressemitteilung vom 19.06.2001 der Roten Flora
Kretschmer, die Stadt, der Standort und Gentrification



In den letzten zwei Monaten ist Klausmartin Kretschmer zur Zielscheibe von Kritik aus verschiedenen Richtungen geworden. Uns ist es wichtig klarzumachen, dass es verkürzt wäre, die Kritik allein auf Kretschmer als Person zu richten. Stattdessen muss gesehen werden, dass sich seine privaten ökonomischen Interessen mit den StandortInteressen der Stadt überschneiden und er gerade deshalb von der Stadt protegiert wird. Die Stadt, der Standort und Gentrification
Eines der primären Ziele städtischer Politik ist heute die Sicherung und Aufwertung des eigenen Wirtschaftsstandorts. In einigen für den neoliberalen Standortwettbewerb zentralen Wirtschaftszweigen gehen Arbeit und Leben/Freizeit immer mehr ineinander über bzw. liegen geografisch näher beieinander. Dadurch gewinnen gegenüber den harten Standortfaktoren wie Gewerbesteuern, städtischen Subventionen und Infrastruktur besonders in Metropolen wie Hamburg weiche Standortfaktoren wie Kulturangebot, Gastronomie, Urbanität immer mehr an Gewicht. Diese weichen Standortfaktoren sind dabei allerdings nur insofern interessant, als sie ein ganz bestimmtes Klientel ansprechen, nämlich diejenigen Arbeitskräfte, die im KonkurrenzKampf der Metropolen zentrale Rollen spielen. Für die MedienStadt Hamburg ist das heute unter anderem die NewEconomyBranche. Um im Standortwettbewerb die Nase vorn zu behalten, muss Stadtentwicklungspolitik darauf abzielen, interessante Stadtteile bzw. solche, die das Potential dazu haben, für genau solche Klientel nutzbar und attraktiv zu machen. Diese Politik zeigt sich im Moment besonders deutlich im Schanzenviertel.
Dabei haben sich die Strategien, die von Stadtentwicklungspolitik zum Zweck der Aufwertung von Stadtteilen verfolgt wurden, in den letzten 10 bis 15 Jahren aus mehreren Gründen qualitativ verändert. Zum einen gab es die Erfahrung, dass eine Umstrukturierungspolitik mit der Brechstange mitunter zu massivem Widerstand führen kann: Der Versuch, Ende der 80er im damals noch relativ verarmten Schanzenviertel ein MusicalTheater für Besserverdienende anzusiedeln, endete mit der von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützten Besetzung des alten Flora-Theaters. Zum anderen hat sich gezeigt, dass gerade alternativ und subkulturell geprägte Stadtteile wie z.B. das Schanzenviertel mit ein bisschen staatlichem Nachhelfen fast von selbst und insofern sehr kostengünstig einen schleichenden AufwertungsProzess durchlaufen, bei dem alternative Strukturen, multikulti-Flair und Sub-Kultur gerade der Motor für eine Entwicklung sind, die genau dies irgendwann selbst verdrängt. Dieser Prozess wird oft mit dem Begriff Gentrification bezeichnet.

Deshalb betreibt die Stadt heute sog. "soziale Stadtteilentwicklung": Über die von ihr eigens dazu gegründete STEG (Stadtentwicklungs- und Erneuerung-Gesellschaft) versucht die Stadt Umstrukturierung den AnwohnerInnen schmackhaft oder zumindest akzeptabel zu machen. Über BürgerInnen-Nähe und vermeintliche BürgerInnenbeteiligung (wie z.B. durch die "AG Umgestaltung Schulterblatt") wird den Menschen vorgegaukelt, sie könnten an wesentlichen Punkten die Entwicklung des Aufwertungsprozesses mitbestimmen. Die Erfahrung hat bestätigt, dass dabei immer diejenigen Vorschläge, die in die AufwertungsInteressen der Stadt hineinpassen, aufgenommen werden, alle anderen sang- und klanglos verschwinden. So wird damit im Idealfall nicht nur potentieller Widerstand von Anfang an ausgebremst, sondern auch das Engagement der BewohnerInnen als Ideenpool für einen Prozess nutzbar gemacht, der sie selbst langfristig verdrängt. Parallel zu dieser integrierenden Bewegung werden bestimmte Gruppen, die schon jetzt nicht mehr ins Bild passen (wie Obdachlose, KonsumentInnen illegalisierter Drogen und Menschen schwarzer Hautfarbe) von solchen Beteiligungsverfahren ausgeschlossen und stattdessen zum Sicherheitsrisiko erklärt und immer weiter kriminalisiert und vertrieben oder abgeschoben. Längerfristig werden aber auch alle, die sich die überproportional steigenden Mieten nicht mehr leisten können, verdrängt. Das BeteiligungsAngebot an große Teile der AnwohnerInnen ist also immer nur die andere Seite von Ausgrenzung und Verdrängung derer, für die das Angebot eben nicht gilt. Und aus diesem Grund hat die Flora auch jede solche Beteiligung konsequent abgelehnt.
der private Investor und die Stadt.

Doch für die Durchsetzung von Aufwertungsprozessen ist nicht nur ein Akzeptanz-Management á la STEG wichtig sondern auch private Investoren. Zum einen braucht die Stadt Menschen oder Firmen, die in die betreffenden Stadtteile ihr Geld investieren, zum anderen folgt aus der Sachzwang-Logik des Neoliberalismus, die Steuerungsinstrumente für solche Aufwertungsprozesse selbst zunehmend in private Hände zu geben. Das tut der verfolgten Politik vor allem deshalb keinen Abbruch, weil die ökonomischen Interessen der privaten Investoren meist mit den StandortInteressen der Stadt zusammenpassen: Wenn z.B. die Überwachung und Kontrolle der Innenstädte immer mehr von privaten Sicherheitsdiensten übernommen und dadurch auch verschärft wird, so dient das im Denken der dort ansässigen Gewerbetreibenden ihrem Umsatz genauso wie im Denken der Metropolen dem Standort.
Der Verkauf der Flora an Klausmartin Kretschmer passt wunderbar in diese Entwicklung: Das, was die STEG in zehn Jahren nicht geschafft hat, nämlich die Rote Flora zu befrieden, soll jetzt der private Investor übernehmen. Durch die Privatisierung von gesellschaftlichen Konflikten wird vor allem auch eine Entpolitisierung dieser Konflikte angestrebt. Der Legitimationsdruck für eine Politik, die sich mehr an Standortkriterien orientiert als an den Bedürfnissen der Menschen, soll aufgelöst werden, indem die Verantwortung für diese Politik privatisiert wird: Wenn ein privater Investor ausschließlich nach ökonomische Gesichtspunkten agiert – wer sollte ihm das übel nehmen?
Auch wenn Kretschmer offensichtlich deutlich skrupelloser vorgeht als die STEG, verfolgt er doch eine ähnliche Strategie: Diejenigen, die für seine kulturellökonomischen Interessen nützlich sind, versucht er zu integrieren – solange sie dazu nützlich sind - die anderen werden übergangen, verdrängt, über den Tisch gezogen. Solange eine bestimmte Sub-Kultur Ambiente und Anziehungspunkte schafft, die (ob gewollt oder ungewollt) als Motor für eine Aufwertung dienlich sind – wie z.B. im Moment Flora oder Pudels – wird versucht Kontakt aufzunehmen und gemeinsame Projekte aufzuziehen. Ist der Aufwertungsprozess einen Schritt weiter, werden diese Projekte genauso wie viele andere jetzt schon über den Tisch gezogen oder plattgemacht.
Wenn der Anthroposoph Kretschmer Orte wie die Flora als "Kraftorte" bezeichnet, so meint er damit offensichtlich das Bronx-Feeling für Besserverdienende, mit dem sich prima Geld machen lässt. Und so wie im Schanzenviertel soll offenbar auch in St. Pauli Süd die Mischung aus sozialer Ungleichheit und Subkultur zur interessanten, authentischen Hintergrundkulisse für ein chices und kaufkräftiges Publikum gemacht werden.
Kretschmer und wir
Damit ist klar, was vom selbst ernannten Wohltäter Klausmartin Kretschmer zu halten ist. Eine Zusammenarbeit kann nie die von ihm oft vorgetäuschte gleichberechtigte Partnerschaft sein, da er als Investor, rechtlicher Besitzer und von der Stadt Protegierter immer in der machtvolleren Position steht. Vor allem aber bedeutet eine solche Zusammenarbeit sich zum Teil des beschriebenen Zusammenspiels von Aufwertung, Integration und Verdrängung machen zu lassen.Deshalb fordern wir alle kulturellen und politischen Projekte und Initiativen auf, jeden Annäherungsversuch von Kretschmer konsequent abzublocken. Lasst die Spaltungs- und Vereinnahmungs-Politik von Stadt, Kretschmer und Konsorten ins Leere laufen!

Kretschmer will Eurhythmie mit "Kraftorten, die Energien bündeln" – wir werden ihm dabei solange auf die Füße treten bis er sein – wie er es nennt -"Gutes im Stillen tun" für sich behält!

Kretschmer, wir dissen dich!

Rote Flora
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Ergänzungen

Solidarität mit den Besetzer_Innen in Erfurt!

autonome gruppen aus hamburg 16.04.2009 - 17:03


Solidarität mit den Besetzer_Innen in Erfurt! Deutschland zerscheppern!

Nachdem am 3. April von einer Richterin des Landgerichtes Erfurt ein Räumungstitel gegen vermeintliche Bewohner_Innen des Besetzten Hauses ausgesprochen war, wurde dass seit 8 Jahren besetzte Haus heute am 16.4. in den Morgenstunden von mehreren Einsatzhundertschaften, Sondereinsatzkommandos, Hubschraubern und schwerem Gerät geräumt. Dabei setzte die Cops auch Räumpanzer und Tränengas ein.
40 - 60 Besetzer_Innen die sich zum Teil im Haus einbetoniert hatten wurden von den Schergen unter Vorwurf des Landfriedens - und Hausfriedensbruch vorläufig festgenommen. Im Laufe des Nachmittags wurden mehrere Genoss_Innen dem Haftrichter vorgeführt. Bis jetzt ist unklar wieviele Aktivist_innen bei dem Überfall der Schergen verletzt wurden.

Seit dem 12.4.2001 war das ehemalige Firmengelände von Topf&Söhne in Erfurt besetzt.
Diese produzierte während der Zeit des Nationalsozialismus die Öfen für die Krematorien von Konzentrations – und Vernichtungslagern wie Buchenwald und Auschwitz. Die Auseinandersetzung mit der Rolle und Mittäter_Innenschaft der Firma Topf&Söhne während des NS war den Besetzer_Innen von Anfang an ein grosses Anliegen. So gab es z.B. Führungen über das Gelände und Infoveranstaltungen, die wesentlich dazu beitrugen, dass heute wenigstens das Verwaltungsgebäude der Firma Top&Söhne erhalten bleiben sollte um als Gedänkstätte zu dienen.

Neben der Möglichkeit für Soliveranstaltungen, politische Projekte und Kampagnen, Bandproberäume, ein Büro, Wohnräume, künstlerische Aktivitäten und einem Lesecafe, einem Bauwagenplatz, Konzert- und Partyräume, Kino, einem Umsonstladen, Werkstätten, einem Sportraum und einer „Küche für alle“, war das besetzte Haus Erfurt, das einzige besetzte soziale Zentrum mit solch einer Fülle an Möglichkeiten in Erfurt. Dies stellte einen Versuch dar, einen Raum entgegen kapitalistischer Verwertungslogik, Konsumzwang und Ausgrenzung zu schaffen.
Die Botschaft, dass es den Herrschenden in diesem Kontext auch immer um einen grundsätzlichen Angriff auf linke Strukturen und Selbstorganisationen geht, ist angekommen. Wir nehmen diese Angriffe nicht tatenlos hin.

Mitwirkungspflicht und die Einsicht, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, werden weltweit als unausweichliche Folgen der kapitalistischen Globalisierung gepredigt. Einem Leben in Formen von selbstentwickelter Kollektivität soll zugunsten des Systems ebenso abgeschworen werden wie individuellen Freiheiten oder kommerziell nicht verwertbarer Glückserfüllung. Gegenüber den politischen Verhältnissen wird eine Bussfertigkeit eingefordert, die widerspruchslose Demut und Unterwerfung verlangt. Wer aus dieser Selbstunterwerfungsspirale ausschert, hat seine Rechte zunehmend verspielt und wird zum Feind der Gesellschaft erklärt.

Wir sind wütend und werden es uns nicht nehmen lassen unsere Bedürfnisse zu artikulieren. Wir werden uns weiter kollektiv organisieren und uns die Räume nehmen, die wir brauchen!!

Linke Freiräume statt kapitalistischer Verwertungslogik- Solidarität mit Rigaer 94, Bauwagenplatz Schwarzer Kanal, New York im Bethanien - Berlin, des Tanneries in Dijon und vielen weiteren bedrohten Projekten weltweit!

Solidarität mit den Besetzer_Innen in Erfurt! Freilassung aller Gefangenen! Einstellung der Verfahren! Her mit den Häusern! Nie wieder Deutschland!

Infos:  http://haendeweg.blogsport.de ,  http://wba.blogsport.de

autonome gruppen aus hamburg

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Formulierungen — blubb

Tolle Strategie hamburg4 — Verstockter Aktivist

WIRKLICH keine Ergänzung — nicht ergänzender