Groß Lüsewitz: Gentechnik ist kriminell, nicht Widerstand!

Projektwerkstatt 08.04.2009 16:39 Themen: Ökologie
Zur Kritik von LobbyistInnen, BetreiberInnen und Politik an der Genfeldbesetzung in Groß Lüsewitz
Starke Worte gebrauchten BetreiberInnen und PolitikerInnen am gestrigen Tag, als gentechnikkritische AktivistInnen ein Versuchsfeld am Agrobiotechnikum nahe Rostock besetzten. Landes-Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus kritisierte Feldbesetzungen als "gewalttätige und illegale Aktionen", während die FDP-Bundestagsabgeordnete Happach-Kasan ganz ähnlich von "kriminellen und rechtswidrigen Aktionen" sprach. Besonders schwer wog die Stellungnahme der Geschäftsführerin des die Versuche durchführenden Unternehmens biovativ, Kerstin Schmidt. Sie verurteilte die Feldbesetzung als "illegale und gewalttätige Tat".

Gerade an dieser Formulierung kommt nun Kritik auf, denn Kerstin Schmidt und die Firma biovativ stehen im Verdacht, Teil eines auch mit illegalen Praktiken agierenden Netzen dubioser Gentechnikfirmen und Forschungsinstitute zu sein. Jörg Bergstedt, Autor der aktuellen Veröffentlichung "Organisierte Unverantwortlichkeit", hält deshalb die Vorwürfe nicht nur wegen der Benutzung des Wortes "kriminell" für Aktionen, die bislang noch nie strafrechtlich verfolgt wurden, für maßlos überzogen: "Es stellt sich sogar die Frage, wer hier kriminell ist".Kerstin Schmidt wirft er vor, Fördermittel zu missbrauchen und in eigenen, dubiosen Firmengeflechten versickern zu lassen. "Hier hat eine Mathematikerin mehrere Kleinstunternehmen aufgebaut, bei denen sie jeweils Geschäftsführerin ist", hat er recherchiert. Dort werden Millionen verschoben, ohne dass der Sinn der Freisetzungsversuche erkennbar ist. Schmidt sei die zentrale Person am Agrobiotechnikum in Groß Lüsewitz, aber auch Geschäftsführerin der weit entfernten Biotechfarm im sachsen-anhaltinischen Üplingen. Dort wurden in den Anträgen für die angemeldeten Freisetzungen gar keine Versuchsziele angegeben. Vor Ort existiert keine Infrastruktur für wissenschaftliche Untersuchungen. Transporte zu anderen Laboren seien nicht beantragt.

Solche Gentechnik, die Risiken schafft ohne Nutzen zu bringen oder wissenschaftliche Ziele zu verfolgen, sei nicht nur politisch fragwürdig, sondern schlicht rechtswidrig. Daher spreche Kerstin Schmidt mit gespaltener Zunge, wenn sie über Feldbesetzungen erklärt: "Rechtsbrüche dürfen auch in einer kontroversen Auseinandersetzung nicht geduldet werden." Bergstedt wirft solche Rechtsbrüche nun Schmidt selbst vor: "Ich denke, hier paaren sich Unterschlagung und Betrug - kriminell sind die Agrogentechniker, nicht die Kritiker!"

Einen Versuch, der von Kerstin Schmidt am Agrobiotechnikum durchgeführt werden soll, hat Bergstedt sehr genau untersucht. Beim geplanten Versuches mit transgener Gerste, dessen Versuchsleiter Prof. Kogel an der Uni Gießen arbeitet, konnte er etliche Rechtsbrüche nachweisen. In beiden Aussaatjahren 2006 und 2007 wuchs transgene Gerste außerhalb der kontrollierten Flächen. Die Versuchsleitung verschwieg das und ging weitere Risiken sogar bewusst ein. So wurde auflagenwidrig wissentlich auf einen Mäuseschutz verzichtet. In mühevoller Recherchearbeit konnte dem Versuchsleiter noch eines nachgewiesen werden: Für den Versuch täuschte Kogel nur vor, die Umweltauswirkungen der Gengerste untersuchen zu wollen. Doch tatsächlich entwickelte er seit Jahren gentechnische Methoden und Produkte, für die er zum Teil auch Patente anmeldete. Durch die falsche Deklarierung der Versuche als Sicherheitsforschung wurden Fördermittel gewonnen, aber falsch verwendet. Steuergelder seien so missbraucht worden für riskante Experimente. Bergstedt hat gegen Versuchsleiter inzwischen Strafanzeige erstattet, außerdem wurden die Untersuchungsergebnisse dem Bundesrechnungshof vorgelegt.

"Biosicherheitsforschung ist nichts als Betrug!"

Der Betrug mit Steuergeldern durch Prof. Kogel ist kein Einzelfall, sondern gerade am Agrobiotechnikum eher das Übliche, kritisieren GentechnikgegnerInnen die Gentechnikanwendungen bei Groß Lüsewitz. Intensiv haben sie sich mit den Freisetzungsversuchen auseinandergesetzt, von denen viele über ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert werden. Dort soll die Sicherheit der Pflanzen untersucht werden. Allerdings soll das laut Förderrichtlinien nur bei Pflanzen geschehen, die kurz vor der Marktreife stehen. Das sei bei allen Versuchen am Agrobiotechnikum nicht der Fall. Ausgerechnet in einer der harschen Kritiken an der Feldbesetzung vom 3. April 2009 findet sich der Hinweis, dass auf dem besetzten Gelände "verschiedene Versuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen geplant. Die meisten dieses Pflanzen befinden sich in einer frühen Entwicklungsphase und sind weit von einer Markteinführung entfernt." (TransGen am 3.4.2009) Genau damit aber ist ausgesagt, dass die Versuche illegal sind und ein Betrug mit Fördermitteln stattfindet.

Die KritikerInnen deshalb: "Kriminell sind die VersuchsbetreiberInnen - Kerstin Schmidt, Inge Broer, Karl-Heinz Kogel und andere sind ein Fall für die Staatsanwaltschaft!" Die solle nicht die BesetzerInnen angreifen, die mit ihrer Aktion eine riskante Technik verhindern wollten, die zudem nur der Kontrolle des Saatgutes und der Mehrungs des Profits Weniger dient. Staatliche Behörden würden die Versuche nicht überwachen, denn sie seien eng verfilzt mit den Konzernen. Kerstin Schmidt sei selbst Beraterin der Stellen, die ihre Versuche genehmigen oder überwachen, ist in der Veröffentlichung "Organisierte Unverantwortlichkeit" ebenso zu lesen wie auf den Internetseiten zu Projekten wie dem Agrobiotechnikum (  http://www.biotech-seilschaften.de.vu/ ). "80 Prozent der Bevölkerung lehnen die Gentechnik in der Landwirtschaft ab - aber hier werden weitgehend sinnlose, aber riskante Experimente mit großen Mengen Steuergelder vollgestopft. Mit Behörden und Polizei setzt der Staat das Interesse profitgieriger Eliten durch", schimpft eine Aktivistin über Räumungen, Polizeischutz und immer neue Genversuchsfelder. Nicht "die Besetzung des Geländes soll die Forschung an Innovationen für die Landwirtschaft verhindern", wie es Kerstin Schmidt in ihrer Pressemitteilung schrieb, sondern die Gentechnik werde mit Fördermitteln vollgestopft, die für eine Landwirtschaftsforschung fehlen, die die Bedingungen für LandwirtInnen, Umwelt und VerbraucherInnen verbessern können. "Wo mit Mitteln der Macht eine solche Politik durchgesetzt wird, hilft am besten die direkte Aktion, eben z.B. eine Feldbesetzung", geben sich GentechnikkritikerInnen optimistisch, weitere Aktionen durchführen zu können.


Bericht von der Besetzung gestern:
 http://www.de.indymedia.org/2009/04/246035.shtml
(dort auch Links zu den Stellungnahmen der PolitikerInnen und BetreiberInnen angefügt)

Seilschaften in der Gentechnik, u.a. zum Agrobiotechnikum, zur Biotechfarm und mit Link zu Veröffentlichung "Organisierte Unverantwortlichkeit":
 http://www.biotech-seilschaften.de.vu/

Übersichtsseite zum Widerstand gegen die Gentechnik:
 http://www.gentech-weg.de.vu/

Kontakt zum Autor von "Organisierte Unverantwortlichkeit" über die Projektwerkstatt, Tel. 06401/903283,  saasen@projektwerkstatt.de
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Ergänzungen

Hinweise zeitlich falsch

jb 08.04.2009 - 20:03
Der Text ist schon vor ein paar Tagen entstanden, daher sind die zeitlichen Bezüge nicht ganz richtig. So war die Besetzung nicht gestern, sondern am 3.4.

FDP zetert

jb 08.04.2009 - 22:22
Happach-Kasan macht, was sie kann: Hetzen, Pöbeln ...: "Die Bundesregierung ist aufgefordert, sich nicht durch teilweise kriminell handelnde Aktivisten und die von ihnen organisierten Demonstrationen, ob in München, Üplingen oder Groß Lüsewitz, beeinflussen zu lassen. Kriminelle Handlungen haben keinerlei Rückhalt bei den Menschen im Land."
Quelle:  http://www.fdp-fraktion.de/webcom/show_websiteprog.php?wc_c=649&wc_lkm=84&wc_id=12173&bis=

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