Interview zu Auflösung von Alleanza Nazionale

Nicola Tranfaglia + ROSSO 07.04.2009 21:11 Themen: Antifa Weltweit
Die Selbstauflösung der italienischen Alleanza Nazionale (AN), die als weichgespülte Nachfolgerin 1995 aus dem neofaschistischen MSI hervorgegangenen war, und ihre Verschmelzung mit Berlusconis Partei Forza Italia zum sog. „Popolo della Libertà“ (Volk der Freiheit – PdL) wirft auch die Frage nach der Aktualität des Antifaschismus auf. Zwar existieren rechts von der PdL noch die Zwei-Prozent-Partei „La Destra“ des ehemaligen AN-Führungsmitglieds und Ex-Präsidenten der Region Lazio, Francesco Storace, der Movimento Sociale-Fiamma Tricolore oder die neonazistische Forza Nuova (FN), aber mit dem Aufgehen von Alleanza Nazionale im PdL ist das Lager der selbstorganisierten Nachfahren und offenen Nostalgiker des Mussolini-Regimes doch erheblich zusammengeschrumpft. Gleichzeitig entsprechen Silvio Berlusconis Politik und Propaganda, Werdegang und Zielsetzungen (z.B. ein autoritärer „Präsidenzialismus“) keineswegs den bürgerlich-demokratischen Standards – um es einmal vorsichtig auszudrücken.

Grund genug für die von Rifondazione Comunista herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ den linken Historiker und Politiker Nicola Tranfaglia nach seiner Einschätzung der jüngsten Entwicklung in der italienischen Rechten zu fragen.
Das Interview erschien am 24.3.2009.

Zur Person: Nicola Tranfaglia wurde am 2.Oktober 1938 in Neapel geboren. Sein Vater war überzeugtes, linientreues KP-Mitglied. Tranfaglia selbst entwickelte sich zu einem dem PCI gegenüber kritischen, antistalinistischen Linken, der sich auch für die Sozialdemokratie nicht erwärmen konnte. Seine berufliche Karriere führte ihn zum Professor für Zeitgeschichte an der Universität Turin. Daneben ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Gramsci-Stiftung und schrieb nebenher längere Zeit für die linksliberale Tageszeitung „la Repubblica“ sowie das ähnlich ausgerichtete Wochenmagazin „L’espresso“.

Nach Auflösung des PCI 1991 wurde er Mitglied der daraus hervorgegangenen Partei der Demokratischen Linken (PDS), die er aber im Zuge von deren Weg in die „Neue Mitte“ und ihrer Wiederentdeckung des langjährigen, korrupten PSI-Führers und frühen Berlusconi-Mentors Bettino Craxi im Februar 2004 wieder verließ. Im Folgenden näherte er sich der Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI) an, einer Rechtsabspaltung von Rifondazione Comunista aus dem Oktober 1998. Einen Schritt, den er selbst lakonisch mit den Worten kommentiert: „Italien ist noch kein normales Land.“ Für den PdCI saß er von Ende April 2006 bis Ende April 2008 in der Abgeordnetenkammer. Im Juli 2008 erklärte er dann öffentlich seinen Austritt aus dieser sehr PCI-nostalgischen Kleinpartei und ist gegenwärtig, wie viele andere italienische Linke auch, unorganisiert.

Nicola Tranfaglia, Historiker

„Angesichts eines autoritären und Medienpopulismus bleibt der Antifaschismus aktuell“

Vittorio Bonanni

Der Historiker Nicola Tranfaglia hegt keinen Zweifel: Der Antifaschismus gehört auch nach der Auflösung einer postfaschistischen Partei wie Alleanza Nazionale (AN) nicht in die Rumpelkammer. Da stimmt er mit dem am Sonntag in „Liberazione“ erschienen Artikel von Angelo d’Orsi voll und ganz überein. Das hat er gestern auf den Seiten des „Corriere della Sera“ gesagt und das bekräftigt er auch bei uns.

„Es erscheint mir absurd“ – sagte der neapolitanische Intellektuelle – „das in dem Moment wo der Abgeordnete ((und AN-Chef)) Gianfranco Fini anerkannt hat, dass der Antifaschismus eine grundlegende Voraussetzung für die Republik ist, auf der Linken stattdessen die Ansicht vertreten wird, dass dieser Wert zu den Akten gelegt werden sollte. Es besteht daher kein Zweifel, dass der Antifaschismus, der von uns seit Anfang an als eine grundlegende Voraussetzung für die republikanische Staatsbürgerschaft betrachtet wurde, nicht in Vergessenheit geraten darf. Ich möchte allerdings sofort etwas hinzufügen, das mir sehr wichtig erscheint und zwar, dass heute die wahre Gefahr nicht so sehr in einem Wiederaufleben des Faschismus besteht, wie wir ihn erlebt haben – der ist meines Erachtens wenig aktuell – sondern vielmehr in einem autoritären und Medienpopulismus, dessen wichtigste und wahrscheinlichste Inkarnation unser aktueller Ministerpräsident ist. Dieser autoritäre und Medienpopulismus hat viele üble Eigenschaften, die nicht geringer sind als die des Faschismus.“

Welche insbesondere?

„Zuallererst einmal ist es ein Regime, das versucht sowohl die Meinungs- als auch die Informationsfreiheit der Italiener vollständig zu beseitigen. Zweitens ist es ein Regime, dass das Bewusstsein der Leute manipuliert und – wie man am Entwurf des Gesetzes Nr. 1360 sieht, das gegenwärtig im Parlament diskutiert wird – diejenigen, die am bewaffneten Widerstand gegen die Nazi-Faschisten beteiligt waren, mit den Mitgliedern der brutalsten Banden des letzten Mussolini-Regimes auf eine Stufe stellen will. Banden, die für zahlreiche Massaker an Italienern verantwortlich sind. Es gibt hier also verschiedene Merkmale, die den Gedanken nahe legen, dass die Tendenz hin zu einem autoritären und Medienpopulismus besorgniserregender ist als die des alten Faschismus.
Ich würde noch hinzufügen, dass wir es mit einer Art von Regierung zu tun haben, die auf die Angst der Italiener setzt. Und das ist eine weitere sehr negative Sache, weil die Angst bekanntlich zur Beseitigung der individuellen Rechte führt. Außerdem entspricht ein solches Vorgehen nicht den demokratischen Grundsätzen unserer Verfassung.“

Auch die Maßnahmen des jüngsten Sicherheitspaketes, insbesondere diejenigen gegen die Immigranten erinnerten in gewisser Weise an die während des Mussolini-Regimes erlassenen Rassengesetze. Ist das ein weiteres Element von Faschismus, das sich in der Regierung Berlusconi findet?

„Mit Sicherheit stehen wir vor einer Welle von Rassismus gegen Nicht-EU-Ausländer, die von den Massenmedien nicht gebremst, sondern im Gegenteil gefördert wird und das vor allem von den Fernsehsendungen, die sich mehr mit der Kriminalität als mit der Gesellschaft, ihren Konflikten und Differenzen beschäftigen.“

Kann der Antifaschismus angesichts dieses demokratischen Notstandes wieder an Aktualität gewinnen? Auch im Hinblick auf die Verteidigung einer Verfassung, die die Rechte radikal verändern will. Was meinen Sie?

„Es besteht kein Zweifel, dass der Antifaschismus bei der Verteidigung unserer Verfassungscharta wieder Bedeutung erlangen wird. Vor zwei Jahren haben sie die Italiener wirkungsvoll verteidigt als sie die von der zweiten Regierung Berlusconi geplante weit reichende Verfassungsänderung ablehnten. So wie sich die aktuelle Legislaturperiode entwickelt, ist es möglich, dass ein zweiter Versuch zur Revision der Verfassung unternommen wird. So gesehen überschneidet sich der Antifaschismus mit der Verteidigung der demokratischen Verfassung.“

Wie Sie bereits erwähnten, ist Fini in jüngster Zeit auch durch seine antifaschistischen Äußerungen aufgefallen, die sich deutlich vom Rest seines Lagers abheben. Was treibt den Präsidenten der Abgeordnetenkammer an?

„Fini spielt hier eine Karte aus, die auf die Zukunft zielt. Meiner Ansicht nach denkt er an eine Perspektive, die sich erst in vielen Jahren verwirklichen ließe, wenn es den gegenwärtigen charismatischen Chef des Populismus nicht mehr gibt und diese große Rechtspartei einen neuen Führer bräuchte. Es handelt sich also um eine Investition in die Zukunft, die in der heutigen PdL keine Chance auf Umsetzung hat. Ich habe nicht den Eindruck, dass die charismatische Übermacht Berlusconis kurzfristig in Frage gestellt werden könnte.“

Die meisten ehemaligen Mitglieder der 1991 aufgelösten Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) haben inzwischen – bei allen Unterschieden – ein eher gequältes und verlegenes Verhältnis zum Antifaschismus. Wieso?

„Meines Erachtens zeigen die Ereignisse der letzten Jahre, dass ein Großteil der ehemaligen PCI-Mitglieder, die heute eine führende Rolle spielen, nachhaltig gescheitert ist. Sie haben (zusammen mit Christdemokraten und Liberalen) eine Organisation wie die Demokratische Partei ins Leben gerufen, die ständig schwankt und vor allem nicht in der Lage zu sein scheint, eine echte gesellschaftliche Alternative zum vorherrschenden Populismus zu entwickeln.“

Die italienische Linke ist zersplittert und steckt in einer tiefen Krise. Welche Rolle kann der Antifaschismus da spielen?

„Eine zentrale. Das Problem der Linken besteht meines Erachtens aber darin, das sie eine effektive Vereinigung anstreben und ihrerseits die Fähigkeit entwickeln sollte, eine eigenständige Perspektive unabhängig von der Demokratischen Partei aufzuzeigen und zwar eine, mit der die breite Masse der Italiener etwas anfangen kann. Was das angeht, stochern wir aber noch im Nebel und es ist zu wünschen, dass diese Perspektive in den kommenden Jahren klarere Konturen annimmt.“



((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: * Rosso))
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