Akademie der Künste: Mumia-Soli-Veranstaltung

Anton Mestin 30.03.2009 00:00 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Am Sonntag morgen um 11 Uhr fand in der Berliner Akademie eine öffentliche Gesprächsrunde unter dem Motto "Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal" statt. Gekommen waren ca. 250 Interessierte, um Reden des ex-Bundesinnenministers Gerhart Baum, den Schriftstellern Günther Wallraff und Johanno Strasser, des Künstlers Klaus Staeck, der französischen Menschenrechtsaktivistin Danielle Mitterand sowie Mumias Hauptanwalt Robert R. Bryan aus San Francisco zu hören. Der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal sitzt seit
über 27 Jahren im Todestrakt des US-Bundesstaates von Pennsylvania für ein Verbrechen, was ihm nie bewiesen wurde.
Die Veranstaltung begann mit einem 5-minütigen Ausschnitt aus dem Mumia-Film "In Prison My Whole Life" (  http://www.inprisonmywholelife.com/intro ). Dann sprach Danielle Mitterand über die Todesstrafe und nannte viele der bekannten Argumente, die gegen diese sprechen. Es sei u.a. auffällig, dass gerade in Regionen mit vielen Hinrichtungen die Gewaltverbrechen ansteigen (1). Als Überstezerin fungierte hier Frau Grossman, Aktivistin der französischen FREE MUMIA Bewegung.
Mumias Hauptanwalt Robert R. Bryan berichtete über die derzeitige Situation seines Mandanten. So haben die Schikanen gegen Mumia deutlich zugenommen (2). Er wertete dies als Zeichen der Nervosität auf Seiten des Staates von Pennsylvania. Er erzählte, dass bereits am letzten Freitag ein erstes Treffen der Staatsanawaltschaft und des US Supreme Courts über den Todesstrafenantrag stattgefunden habe. Ein Ergebnis sei noch nicht bekannt. Gleichzeitig kündigte er an, dass die Verteidigung von Mumia am kommenden Freitag, den 3. April 2009 ebenfalls zu Beratungen über ihren Antrag auf ein neues Verfahren zum selben Gericht bestellt sei. Vor nur zwei Wochen ist ein völlig gleich gelagerter Fall vom US Supreme Court zur Anhörung zugelassen worden.
Ob das Gericht nun schnell über Mumia entscheidet oder erst den Ausgang der rechtlich identischen Anhörung abwartet, ist ungewiss.
Robert R. Bryan betonte, wie wichtig solidarische Öffentlichkeit für Mumias aktuelle Bemühungen ist. Er kündigte auch eine neue Petition an Präsident Obama an.
Direkt im Anschluss redete der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP). Er liess keinen Zweifel an der Fragwürdigkeit von Mumias Verurteilung und beschrieb die "Rechtspraxis" der vergangenen Jahre in den USA als "Schande für die Menschenrechte". Auch den rassistischen Charakter der US-amerikanischen Justiz und ihrer Verurteilungspraxis untermauerte er mit eigenen Erlebnissen seiner aktiven Zeit als Berufspolitiker. Die vollständige Rede von ihm steht bereits im Netz  http://www.top-medien-berlin.de/content/view/350/1/
Der Schriftsteller und Präsident des P.E.N.- Zentrums (  http://www.pen-deutschland.de/ ) Johanno Strasser fügte hinzu, dass es nicht "Anti-Amerikanismus" sei, wenn z.B. das Verwenden von unter Folter zustande gekommener Geständnisse ( Stichwort "Waterboarding") als krasser Verstoss gegen die Menschenrechte angegriffen werde. Baum ergänzte, dass seiner Meinung nach auch hier in der BRD Verstösse gegen Menschenrechte im sog. "Kampf gegen den Terrorismus" eingeplant seien. Natürlich gelte es auch hier, sich diesem entgegen zu stellen.
Nach soviel "Rechtsstaatlichkeit" lenkte der Schriftsteller Günther Wallraff die Aufmerksamkeit wieder auf den Zusammenhang von Rassismus und der Entwicklung des Gefängnis-Industriellen Komplex in den USA. Mit eindeutigen Statistiken belegte er, wie seit Jahrzehnten systematisch schwarze junge Männer ohne Chancen auf faire Verteidigung in der USA zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Oft arbeiten sie dann als billige Arbeitssklaven der Industrie, welche in Gefängnisse investiert. Mumia Abu-Jamal und Angela Davis haben über diesen Sachverhalt in den letzten Jahren ausführlich geschrieben. Eine für den Autor dieses Artikels neue Angabe war es, dass die Gefängnisindustrie inzwischen der drittgrößte "Arbeitgeber" hinter Ford und Walmart sein soll.

Klaus Staeck berichtete darüber, dass die Todesstrafe in den USA immer mehr an gesellschaftlicher Zustimmung verliere. Er verwies auf die Abschaffung derselben im Bundesstaat New Mexico. Allerdings seien die Argumente manchmal überraschend, was die Mehrheiten zur Ablehnung treibe: so sei es nachweislich teurer, einen Gefangenen durch Jahrzehnte währende Berufungen zu lotsen, als sie "lediglich" zu Lebenslänglich zu verurteilen.
Es schien auf dem Podium Einstimmigkeit zu bestehen, dass das Problem einer rassistischen Justiz tiefergehend ist. Staeck schloss die Veranstaltung mit der Feststellung, dass es viele unterschiedliche Argumente im Kampf gegen die Todesstrafe gebe. Wenn es im Augenblick der aktuellen Krise eben ein neo-liberales Argument sei, was die Abschaffung der Todesstrafe in einem Teil der USA ermögliche, können sich trotzdem alle über die Abschaffung freuen.

Interessant an dieser bürgerlichen Veranstaltung war für mich sowohl die Eindeutigkeit in der Beurteilung des Rassismus als auch das Erkennen der Rolle der Konzerne bei den Masseninhaftierungen. Bis auf Mumias Anwalt beschränkte sich das Podium zwar darauf, lediglich "Fairness" und ein neues Verfahren für Mumia Abu-Jamal zu fordern. Aber die wesentlichen strukturellen Hintergründe in der nun schon 27 Jahre andauerneden Inhaftierung Mumias scheinen hier längst Allgemeingut.

Natürlich sitzt Mumia Abu-Jamal zu allererst immer noch im Knast, weil er als politischer Kommentator und "Voice Of The Voiceless" in den USA Sachen sagt, die von den Machthabenden nicht toleriert werden können. Aber wäre Mumia weiss, hätte er für seine Analysen heute wahrscheinlich einen hochbezahlten Universitätsposten.

Vor einer Woche fand in Berlin ein Kongress anlässlich des Tages der politischen Gefangenen statt. Allgemeiner Tenor der Podiumsdiskussion dort war die Einschätzung, dass sich weder die "liberale" Öffentlichkeit noch die politische Linke derzeit für die Lage politischer Gefangener interessiere. Sowohl heute als auch gestern auf der "Anti-Kaptialismusdemo" habe ich in Bezug auf Mumia Abu-Jamal andere Beobachtungen gemacht.


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(1) vergleich hier eine WDR Reportage: "Francis Newtons letzte Worte - Chronik einer Hinrichtung" ConVoi 2006, 56 min
(2) siehe auch  http://de.indymedia.org/2009/01/240568.shtml von der Mumia-Hörbuchgruppe
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Ergänzungen

Online Unterschriften an Supreme Court

Yo 30.03.2009 - 00:20
Um Mumias aktuellen Antrag zu unterstützen, ist eine Online Petition direkt an den U.S. Supreme Court eingerichtet worden:

 http://www.PetitionOnline.com/supreme/petition.html

Bitte unterschreibt diese Petition und verbreitet sie weiter.
Ziel ist es, dem U.S. Supreme Court deutlich zu machen, dass sehr viele Menschen in vielen Ländern über Mumias Fall Bescheid wissen und seine Freiheit fordern.

Mumia schreiben!

Mumia-Hörbuchgruppe 30.03.2009 - 00:49

@ Autor

ich 30.03.2009 - 17:09
Welche Rolle haben den "die konzerne" bei den Massenverhasftungen gespielt?

@ ich

Anton 30.03.2009 - 17:43
ganz kurze Kausalkette:

Neo-koservativer Strafdiskurs der 70iger & 80iger führte zu "3-Strikes You Are Out" Gesetzen. Innerhalb weniger Jahre "explodierten" die Gefangenenzahlen (zwischen 1976 und 1983).

Gefängnisse waren schnell überbelegt (und sind z.T. bis heute, siehe Kalifornien 2008).

In der Reagan-Ära bewarben sich viele Konzerne um Abschöpfung der Arbeitskraft der Gefangenen. In Pennsylvania ist das z.B. die auch hier beliebte Firma Harribo gewesen. Die federale Regierung als auch einzelne Bundesstaaten vergaben ab Mitte der 80iger im Rahmen der Privatisierung ganze Knastneubauten an Privatfirmen. So war es möglich, von nicht mal 400.000 Gefangenen im Jahr 1976 auf über 2,4 Millionen heute zu kommen, ohne unverhältnismässig mehr Steuergelder dafür auszugeben.


Buchtipps: "Wettlauf gegen den Tod - Ein schwarzer Revolutionär im weissen Amerika" Michael Schiffamnn, promedia 2006

oder auch Christian Parenti ("Lockdown America") und Angela Davis. Beide haben eine Menge zum Thema geforscht.

FREE MUMIA Abend im Mai

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 30.03.2009 - 20:33
Die Gewinne des Abends gehen zu gleichen Teilen an Verteidigung und Kampagnenkosten.

Mumia Abu-Jamal’s Last Chance for Justice

Philly imc 02.04.2009 - 18:50
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In denying Abu-Jamal’s Batson claim, the Third Circuit’s ruling created new law by placing new restrictions on a defendant’s ability to file a Batson claim. The Third Circuit, in effect, tampered with and undermined a long-established Supreme Court ruling.
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read the full article by J. . Patrick O’Connor on Philadelphia's indymedia:

Mumia Abu-Jamal’s Last Chance for Justice

 http://www.phillyimc.org/en/mumia-abu-jamal%E2%80%99s-last-chance-justice

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