Auslieferung nach 30 Jahren?

verdammt lang quer 13.03.2009 12:42 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Am 25.2.2009 hat der Pariser Cour d´Appell in 1. Instanz entschieden, dass Sonja S. (76) und Christian G.(67) an die Bundesrepublik ausgeliefert werden.
Sonja und Christian wurden seit 1978 gesucht und haben seit 2000 „geduldet“ in Paris gelebt, ein französisches Gericht hatte damals nach ein paar Monaten Haft entschieden, dass die ihnen von deutschen Staatsschutzbehörden vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt seien und die Auslieferung abgelehnt. Die jetzige Entscheidung erfolgte aufgrund eines formal neuen "europäischen Haftbefehls" deutscher Behörden, also aufgrund einer veränderten Gesetzeslage und der französischen Auslieferungspolitik unter Sarkozy. Gleich geblieben ist die bundesdeutsche Verfolgungswut...
Die Taten, die beiden vorgeworfen werden, fanden in den 1970er Jahren statt: Am 22.8.1977 explodierte bei der Firma MAN in Nürnberg ein Sprengsatz. In einer Erklärung der „Revolutionären Zellen“ heißt es dazu: „ MAN exportiert Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in Pelindabe in Südafrika… Südafrika als Atomstaat – damit wird ein rassistisches Unterdrückungssystem weiter abgesichert…Die BRD-Regierung sichert das Atomgeschäft durch Versicherungsgarantien ab („Hermes Bürgschaften“)…“ Am 30.8.1977 sollen beide an der Vorbereitung und Planung eines Sprengstoffanschlages auf die Firma „Klein, Schanzlin und Becker“ in Frankenthal beteiligt gewesen sein. In einer Erklärung der „Revolutionären Zellen“ heißt es dazu: …“ als der Welt größter Pumpenhersteller spielen diese Leute eine wesentliche Rolle des Zulieferns für Kernkraftwerke in aller Welt. 30% der Umsatzsteigerung im Jahr 1976 hat sich KSB durch das Atomgeschäft ergaunert…“
Am 18.5 1978 wurde auf das Heidelberger Schloss ein Brandanschlag verübt. In einem Text mit dem Briefkopf der Stadt Heidelberg heißt es: „ Als Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg erkläre ich, dass irgendwelche Behauptungen ich hätte gestern Nacht im Königssaal des Heidelberger Schlosses Feuer gelegt, jeglicher Grundlage entbehren. Richtig ist vielmehr: Ich zerstörte und zerstöre Gebäude, die mir bei der Sanierung Heidelbergs im Wege stehen. – Wo gehobelt wird, fallen Späne…“
Die Tat wird den „Revolutionären Zellen“ zugeordnet, beteiligt gewesen sollen Sonja und Christian sein.
Sonja wird darüber hinaus vorgeworfen, sie und andere seien 1975 im Rahmen der Vorbereitung des Überfalls auf die Wiener Opec-Konferenz bei der Anwerbung von Hans-Joachim Klein anwesend gewesen und hätten Waffen und Sprengstoff nach Wien transportiert. Diese Behauptung stützt sich allein auf eine Aussage Kleins - der vor wenigen Tagen übrigens begnadigt wurde. Das Landgericht Frankfurt hat allerdings im Urteil gegen Klein sehr detailliert festgestellt, dass Klein bei genau diesen Beschuldigungen unglaubwürdig sei. In dem europäischen Haftbefehl gegen Sonja und Christian taucht diese offizielle Feststellung aber nicht auf.
Der Haftbefehl stützt sich ansonsten entscheidend auf "Vernehmungen" von Hermann F., der am 23.6.1978 durch einen Explosionsunfall schwerstverletzt wurde, weshalb ihm die Beine amputiert und beide Augen zu entfernt werden mussten. Durch die Explosion erlitt er auch eine Hirnschädigung, die zu einer posttraumatischen Epilepsie führte. Ab seiner Einlieferung in das Krankenhaus wurde Hermann polizeilich bewacht, um jeglichen Kontakt zwischen ihm, seinen Freunden, Vertrauten und Bekannten auszuschließen. Lediglich seinen Eltern wurden Besuche gestattet. Abgesehen vom Klinikpersonal gab es Kontakt ausschließlich mit polizeilichen Ermittlungsbeamten, zeitweise auch Staatsanwälten und einem Richter. Sie waren Bewacher, Ermittler, Pfleger und soziales „Umfeld“ in einer Person und ließen sich auch durch die erkennbar schweren Verletzungen nicht davon abhalten, die Gunst der Stunde zu nutzen, um „in die Revolutionären Zellen einzudringen“, wie sich der damalige Generalbundesanwalt Rebmann in einer Pressekonferenz am 4.7.1978 ausdrückte. Diese Abschottung Hermanns wurde in Polizeikasernen Oldenburgs und Münsters bis Ende Oktober 1978 aufrechterhalten, wo weitere Vernehmungen erfolgten, obwohl er eindeutig nicht haft- und vernehmungsfähig war. Eine psychische Behandlung fand nicht statt. Einen schwer verletzten, traumatisierten Menschen zum Werkzeug von Ermittlungszielen herabzuwürdigen, verletzt elementare Menschenrechte und auch das Verbot unzulässiger Vernehmungsmethoden. Dass auf Angaben aus einer solchen Verhörsituation nach wie vor ein internationaler Haftbefehl gestützt wird, ist ein echter Skandal.
Die Rechtsanwälte Hartmann und Heiermann aus Köln vertreten Sonja und Christian und haben eingehende Beschwerden gegen die Haftbefehle - und damit indirekt auch gegen die Auslieferungsentscheidung - eingelegt. Die Entscheidung der französischen Berufungsinstanz kann in den nächsten Wochen erfolgen und damit auch die Auslieferung.
13. März 2009
Kontakt zu den Rechtsanwälten:  info@raehrenfeld.de
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Menschenrechte einfordern?

Kritiker 14.03.2009 - 09:54
"Einen schwer verletzten, traumatisierten Menschen zum Werkzeug von Ermittlungszielen herabzuwürdigen, verletzt elementare Menschenrechte"

Leuten in die Knie zu schiessen, verletzt natuerlich keinerlei Menschenrechte.
Ein Fall von Doppeldenk?
Was ich fuer mich selbst einfordere, muss ich auch anderen zugestehen.

Aktueller Stand Ende Oktober 2009

° 08.11.2009 - 16:49
Berliner Zeitung 29.10.2009

Ehemalige Terroristen vor Auslieferung
Rentner angeblich Mitglied der Revolutionären Zellen

Von Andreas Förster

BERLIN. Frankreich will zwei mutmaßliche deutsche Terroristen an Deutschland ausliefern. Die seit Jahrzehnten in Frankreich lebenden Sonja Suder, 76, und Christian Gauger, 68, sollen in den 70er Jahren als Angehörige der linksterroristischen "Revolutionäre Zellen" (RZ) an Anschlägen in Deutschland beteiligt gewesen sein. Den beiden Rentnern wurde dieser Tage das von Frankreichs Premier Francois Fillon gebilligte Auslieferungsbegehren zugestellt. Sie müssen nun mit ihrer Überstellung nach Deutschland rechnen.

Allerdings können ihre Anwälte dagegen noch Rechtsmittel einlegen. Ob diese aber aufschiebende Wirkung haben, steht nicht fest.

Bereits im Februar hatte das Pariser Appellationsgericht einen Gerichtsbeschluss von 2001 aufgehoben. Damals war eine auf einem internationalen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegründete Auslieferung des betagten Pärchens für nicht rechtens erklärt wurde, da die ihnen vorgeworfenen Taten nach französischem Recht verjährt waren.

Nur Sachschäden verursacht

Tatsächlich ereigneten sich die Anschläge, an denen die beiden beteiligt gewesen sein sollen, vor mehr als 30 Jahren. So detonierte am 22. August 1977 ein Sprengsatz bei der Firma MAN in Nürnberg. Der Sprengsatz riss nur ein Loch in die Außenmauer eines Firmengebäudes. Die RZ begründeten die Aktion in einem Bekennerschreiben mit der Mitwirkung von MAN am Atomwaffenprogramm Südafrikas. Die Firma habe Verdichteranlagen für eine Urananreicherungsanlage in den Apartheid-Staat geliefert.

Nur eine Woche später sollte eine Bombe in einer Pumpenfirma in Frankenthal hochgehen, der die RZ Lieferungen für Kernkraftwerke vorhielt. Hier versagte aber der Zünder. Im Mai 1978 richtete ein Brandanschlag im Königssaal des Heidelberger Schlosses einen Sachschaden von 80 000 D-Mark an. Mit der Aktion wollte die RZ gegen die Abrisspolitik der Stadt protestieren. Auch hier gab es keine Verletzten.

Stichhaltige Beweise für die Mitwirkung von Suder und Gauger an den Anschlägen liegen nicht vor. So sehen es jedenfalls die Kölner Anwälte der beiden RZ-Rentner, Detlef Hartmann und Wolfgang Heiermann. Denn die von der Frankfurter Staatsanwaltschaft erwirkten internationalen Haftbefehle gründen sich vor allem auf die Vernehmungen des früheren RZ-Aktivisten Hermann F., der im Juni 1978 bei der Explosion einer selbstgebastelten Bombe schwer verletzt worden war.

Noch auf der Intensivstation der Uniklinik Heidelberg, wo ihm die Beine amputiert und die Augen entfernt werden mussten, hatte die Staatsanwaltschaft mit der Vernehmung von F. begonnen. Sie wurde später in einer Polizeikaserne fortgesetzt, wo F. bis Oktober 1978 in Isolationshaft festgehalten wurde.

Zweifel an Zeugenaussagen

Die Anwälte von Suder und Gauge hatten in einer Beschwerde gegen die Auslieferungsentscheidung des Pariser Appellationsgerichts Zweifel am Beweiswert von F.s Aussagen angemeldet. Der RZ-Aktivist sei 1978 durch die Schmerzen und Hirnschäden infolge der Explosion in seiner Erinnerungs- und Einsichtsfähigkeit stark beeinträchtigt gewesen, argumentierten sie.

Auch eine zweite Zeugenaussage, die Sonja Suder belastet, zweifeln die Anwälte an. Dabei geht es um Hans-Joachim Klein, der im 2001 wegen seiner Beteiligung am Anschlag auf eine Minister-Konferenz der Organisation Ölexportierender Staaten (Opec) am 21. Dezember 1975 in Wien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Klein hatte ausgesagt, Suder sei bei seiner Anwerbung durch die Terrorgruppe um Ilich Ramirez Sanchez, genannt Carlos, dabei gewesen und habe Waffen und Sprengstoff für den Anschlag nach Wien transportiert. Das Landgericht Frankfurt stellte in seiner Urteilsbegründung gegen Klein jedoch fest, dass seine Angaben unglaubhaft seien.

-

Berliner Zeitung 30.10.2009

NACHRICHTEN
Auslieferung mutmaßlicher RZ-Aktivisten gestoppt

PARIS. Die Auslieferung von zwei mutmaßlichen deutschen Terroristen aus Frankreich ist bis zu einer Entscheidung des französischen Staatsrates ausgesetzt worden. Die 76-jährige Sonja Suder und der 68 Jahre alte Christian Gauger hatten Einspruch gegen ihre Auslieferung eingelegt. Suder und Gauger waren in den 70er-Jahren in Frankreich untergetaucht. Sie gehörten den linksextremen Revolutionären Zellen an und sollen an drei Anschlägen beteiligt gewesen sein. (AFP)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an