Bi: Straßenumbenennung vs Geschichtsrevision

Bündnis gegen Geschichtsrevisionismus 12.03.2009 16:45 Themen: Antifa Soziale Kämpfe
Am 12.03.2009 wurde erneut der „Agnes-Miegel-Weg“ in Bielefeld-Sennestadt und zeitgleich die „Kaselowsky Straße“ in Bielefeld umbenannt.
Der Agnes Miegel Weg wurde in „Nelly-Sachs-Weg“ und die Kaselowsky Straße in „Lippmann Straße“ umbenannt.
Agnes Miegel war aktive Wegbereiterin des Nationalsozialismus. Die Familie Kaselowsky war ebenfalls unbestritten tief verstrickt in das Terrorregime von des deutschen Faschismus. Trotzdem werden auch heute noch die Nazidichterin Agnes Miegel und der Stiefvater von Rudolf August Oetker, Richard Kaselowsky durch die Benennung von Straßen nach ihnen öffentlich geehrt.

Die Umbenennung der Straßen erfolgte, da wir der Meinung sind, dass es endlich an der Zeit ist die Verherrlichung des Nationalsozialismus auf allen Ebenen und in jeder Form zu stoppen. Mit der Umbenennung zum jetzigen Zeitpunkt, erklären wir uns außerdem solidarisch mit den Protesten gegen die jährlichen „Agnes Miegel Tage“ der Agnes Miegel Gesellschaft in Bad Nenndorf, die am kommenden Wochenende stattfinden.

Mit dieser symbolischen Aktion wollen wir darauf aufmerksam machen, dass bis heute zahlreiche Straßen, Plätze, Schulen und andere öffentliche Orte in Deutschland ungebrochen nach Wegbereitern/Wegbereiterinnen der nationalsozialistischen Ideologie und Tätern/Täterinnen des NS benannt sind. Zahlreiche Nazis sind nach wie vor Ehrenbürger von Städten. Häufig wird sich entweder unkritisch oder bewusst, im Sinne einer äußerst bedenklichen Traditionspflege, auf Handelnde des Nationalsozialismus positiv bezogen. Die Akteure/Akteurinnen werden nach wie vor gesellschaftlich geehrt. Dadurch wird die Rolle dieser Menschen und die Verantwortung, die sie für die nationalsozialistische Ideologie und die dazugehörigen Verbrechen tragen, relativiert und verwischt.

Zugleich wird den Opfern nur sehr eingeschränkt gedacht. Namen von Antifaschisten und Antifaschistinnen finden nicht ebenso selbstverständlich Eingang in das Stadtbild und die so genannten Entschädigungen werden auch heute noch nur teilweise an die Opfer des Nationalsozialismus ausgezahlt. Einige Opfergruppen werden nach wie vor nicht als solche anerkannt, so sind z. B. Personen die im Nationalsozialismus wegen Kriegsverrat verurteilt wurden nach wie vor nicht rehabilitiert.

Dies alles ist Ausdruck dafür, dass es auch heute wenig Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung gibt, sich wirklich und ernsthaft mit den Verbrechen des Nationalsozialismus, aber auch mit den Ursachen und Mechanismen die dazu geführt haben, auseinander zusetzen.

Ein kleiner Schritt in dieser notwendigen Auseinandersetzung, könnte die Umbenennung von Straßen sein, die nach Vertreterinnen und Vertretern des Nationalsozialismus benannt sind.

Uns geht es nicht darum, äußerlich die sichtbaren Verweise auf die Akteure und Akteurinnen des Nationalsozialismus zu verwischen. Durch die Umbenennung der Straßen soll vielmehr eine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und mit den Menschen, die im Nationalsozialismus gelebt haben, angeregt werden. Nicht zuletzt für die Opfer wollen wir sicherstellen, dass sich nicht positiv auf Wegbereiter und Wegbereiterinnen des Nationalsozialismus bezogen wird, sondern auf Menschen die gegen Unterdrückung und Faschismus gekämpft haben.

Gegen Opfermythen und Revisionismus!


Zur Person Agnes Miegel:

Agnes Miegel wurde 1879 in Königsberg geboren und arbeitete dort als Journalistin, Autorin und seit 1927 als freie Schriftstellerin. 1945 floh sie vor der Roten Armee nach Dänemark, zog 1948 nach Bad Nenndorf und lebte dort bis zu ihrem Lebensende 1964.
Agnes Miegel war bekennende Verehrerin des nationalsozialistischen Gedankenguts und des „Führers“ Adolf Hitler. Ihre Einstellung wird an glorifizierenden Hymnen auf Adolf Hitler (unter anderem in dem Gedicht: An den Führer, 1938) und einer Hinwendung zu Blut- und Boden-Themen deutlich. Dies bestätigt auch das Meyers Lexikon, indem es Miegels Werk ab 1933 eine “Tendenz zur Blut- und Bodenromantik”bescheinigt. Durch die Wiedergabe ihrer nationalsozialistischen Überzeugung wurde sie zu einem literarischen Aushängeschild des NS-Regimes und somit Wegbereiterin des NS-Gedankengutes. 1939 nahm sie das Ehrenzeichen der Hitlerjugend entgegen.
Auch nach dem Krieg hat Agnes Miegel sich nie von ihrer Vergangenheit distanziert und wird bis heute von Rechtsextremen gewürdigt.

Zur Person Nelly Sachs:

Nelly Sachs wurde am 10. Dezember 1891 in Berlin geboren und war Schriftstellerin und Lyrikerin. Da sie von den Nazis dem jüdischen Glauben zugeordnet wurde, musste sie nach monatelangen bürokratischen Hemmnissen mit ihrer Mutter im Mai 1940 buchstäblich im letzten Moment “der Befehl für den Abtransport in ein Lager war bereits eingetroffen“ mit einem Flugzeug Deutschland Richtung Stockholm verlassen. In der Nachkriegszeit schrieb Nelly Sachs über das Grauen des Holocaust. 1966 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur „für ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren“ verliehen. Nelly Sachs starb am 12. Mai 1970 in Stockholm.

Zur Person Kaselowsky:

Kaselowsky wurde 1888 in Bielefeld geboren. Er heiratete 1919 Ida Oetker, die Witwe von Dr. Rudolf Oetker. Damit stieg er in die Firma Oetker ein und wurde bald Teilhaber und etwas später zur bestimmenden Person im Unternehmen.
Seit 1935 nahm das NSPAD-Mitglied Kaselowsky – auf Einladung von Adolf Hitler – mehrmals als Betriebsführer im Gau Westfalen-Nord als Ehrengast an den Nürnberger Parteitagen teil. 1937 wird dem Unternehmen Oetker als einem der ersten 30 deutschen Betriebe von Adolf Hitler persönlich das Prädikat „Nationalsozialistischer Musterbetrieb” verliehen.
Spätestens seit 1939 ist Kaselowsky Mitglied im Freundeskreis Reichsführer SS Heinrich Himmler. Mit zweimal 40.000 Mark spendet Kaselowsky kaum weniger als die Deutsche und die Dresdner Bank an die Projekte Himmlers. Auch Ida Kaselowsky tritt der NSDAP bei und ist im Vorstand der Bielefelder NS-Frauenschaft aktiv.
Im Jahr 1965 fasst der Bielefelder Rat - auf Wunsch der Familie Oetker - den Entschluss, das neue Museum ,die Kunsthalle, „Richard Kaselowsky Haus“ zu nennen. Nachdem dieser Namenszusatz 30 Jahre später aufgrund der anhaltenden Proteste gestrichen wurde, wurde die Hochstraße - wieder auf den Wunsch der Familie Oetker hin- in Kaselowsky Straße umbenannt.

Zur Person Elli Lippmann:

Die Kaselowskystraße wurde in Lippmann-Straße umbenannt, um drauf aufmerksam zu machen, dass die Oetker-Familie nicht nur Unterstützer des nationalsozialistischen Regimes sondern auch Profiteure dessen waren. 1940 eignete sich Rudolf-August Oetkter das 3200 qm² großes Grundstück in bester Hamburger Lage (Hamburg, Bellevue 13) von Elli Lippmann an. Diese sah sich gezwungen das Grundstück, welches 131.000 Reichsmark wert war, zu verkaufen, um Geld für die für sie erforderliche Auswanderung zu erhalten. Diese war erforderlich, da sie jüdischen Glaubens und somit von der Verfolgung und Diskriminierung betroffen und dadurch mit dem Tode bedroht war. Rudolf-August Oetker wollte nur die Hälfte des ursprünglichen Kaufpreises zahlen und nutzte somit die Not von Elli Lippmann und ihrem Ehemann Carl Lippmann skrupellos aus. In einem Bescheid vom 13. Juni 1940 setzte der Reichstatthalter den Preis auf 45.500 Reichsmark herab. Der Historiker Frank Bajohr verurteilte dieses Handeln der Oetker-Familie später als „krasse Form der Bereicherung“.
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Ergänzungen

Ein Gedicht von Nelly Sachs:

Entdinglichung 12.03.2009 - 19:14
"Feld des Vergessens" von Nelly Sachs auf dem Wandbild an der ehemaligen HWP, Uni-Campus Hamburg

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Zeige die folgenden 9 Kommentare an

Gute Sache — amir

Deutschlandumbenennung Jetzt! — Nennt mich um

Relevanz? — Herr Glück

weiter so — danke

vielen lieben — dank

gähn... — ...

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Danke! — Kevin S.

Lächerlich... — Martin Weber