Völkische Umtriebe am Tollensesee

Paul Bedeking & friends 05.03.2009 00:00 Themen: Antifa
Am 28. Februar fand der inzwischen sechste „Tollensemarsch“ der Neonaziszene rund um den Neubrandenburger Tollensesee statt. Das Event entwickelt sich über die Jahre zu einem festen Bestandteil der völkischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern.
Völkisches Event im engsten Kameradenkreis

In diesem Jahr fanden sich lediglich ca. 60 wanderbegeisterte Neonazis am Treffpunkt in Burg Stargard ein. Die Route führte, wohl nicht zuletzt aufgrund zweier Gegenkundgebungen nicht um den See herum sondern lediglich ein Stück am südöstlichen Ufer entlang, über einige Dörfer und wieder zurück nach Burg Stargard.[1][2]
Neben dem Veranstalter David Petereit, Denis Tomszek und Steve Neitzel nahm auch der NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller (samt Anhängsel Marcus Neumann) an der Wanderung teil.[3]

Geländemarsch seit 2004

Seit 2004 versuchen Rechtsradikale aus Neubrandenburg, Neustrelitz und der Umgebung den Tollensemarsch als regelmäßiges Event zu etablieren. In den ersten Jahren noch unbehelligt und beinahe unbeobachtet marschierten bis zu 130 Personen stets am letzten Februarwochenende die knapp 40 Kilometer lange Strecke um den Tollensesee. Es dürfte in den vergangenen Jahren so manch einem Anwohner und Jogger einen gehörigen Schrecken eingejagd haben, als aus heiterem Himmel die TeilnehmerInnen des konspirativ und verschwiegen organisierten Gewaltmarsches in langen Kolonnen an ihm vorbeiliefen. zentrale Figur in der Vorbereitung und Durchführung war über die Jahre hinweg der Nazi-Aktivist David Petereit.

Neonazi und Multifunktionär

David Petereit stellt eine der wichtigsten Personen der ostmecklenburgischen Neonaziszene dar. Aus Neustrelitz inzwischen nach Rostock gezogen, ist der Jurastudent nicht nur Fraktionsmitarbeiter des Landtagsabgeordneten Birger Lüssow, sondern war selbst Kandidat Nr. 13 auf der Landesliste der NPD zur Landtagswahl 2006. Auf dem kürzlich stattgefundenen NPD-Landesparteitag hat er sich für die Bundestagswahl im September einen ebenso aussichtslosen Platz gesichert.[4]
Trotz seiner Aktivitäten in der NPD ist aber er weiterhin auch in einer führenden Position in der „Mecklenburgischen Aktionsfront“ (MAF) und stellt seinen Namen als ViSdP für zahlreiche Publikationen der Kameradschaft zur Verfügung. Sein Engagement umfasst daneben auch das Anmelden von Demonstrationen und die Tätigkeit als Ordner, wie zuletzt beim bundesweiten Naziaufmarsch in Dresden. Dies trifft auch auf den Tollensemarsch zu, dessen Organisation in seiner Hand liegt. So ist es auch sein Konto auf dass die TeilnehmerInnen die Startgebühr zu überweisen haben.[5][6]

Völkische Freizeitkultur

Eine weitere wichtige Organisation, ebenfalls maßgeblich von David Petereit bestimmt, ist der „Kulturkreis Mecklenburg-Strelitz“, eine Vorfeldorganisation der MAF, mit dem Zweck über folkloristische Tanz- und Trommelgruppen, Wanderungen, Zeltlager und Sportveranstaltungen eine rechtsradikale Erlebnis- und Freizeitkultur zu schaffen. Sie ist damit in Konzeption und Vorgehensweise dem „Heimatbund Pommern“ (HbP) und dessen Untergliederung dem „Kulturkreis Pommern“ nachempfunden.[7]
Der HbP wie auch der „Kulturkreis Mecklenburg-Strelitz“ arbeiten in dieser Hinsicht eng mit der bundesweit aktiven „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) zusammen, welche sich in Uniformierung, Organisation und Ideologie großer Anleihen bei der 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ) und deren Vorbild der Hitler-Jugend, bedient. Die Strategie dieses Netzwerkes ist es, durch die Schaffung von Freizeitangeboten und Schulungen für Kinder und Jugendliche aber auch Erwachsene eine möglichst weitgehende Durchdringung des Alltags der Aktivisten und ihrer Kinder zu ermöglichen. Auf diesem Wege wird die Anerziehung und Festigung eines geschlossenen rechtsradikalen Weltbildes, neben der Ausbildung potentieller Kader für andere Organisationen, für größere Personengruppen möglich.[8]
Der Tollensemarsch, dessen erfolgreiche Absolvierung mit einem Leistungsabzeichen honoriert wird, muss daher in diesem weitaus größeren Rahmen gesehen werden.

Späte öffentliche Berichterstattung

Der öffentlichen Berichterstattung kommt im Falle des Tollensemarsches eine besondere Bedeutung zu, da sich in den vergangenen Jahren zeigte, das sie erheblichen Einfluß auf das Event auszuüben vermag. Verliefen die ersten Jahre gänzlich ohne die Aufmerksamkeit der Presse (lediglich die HDJ produzierte eigene Beiträge in ihrer Zeitschrift „Funkenflug“) wurde 2007 erstmals ein Artikel im Internetportal „Mut gegen rechte Gewalt“ veröffentlicht.[9]
Dies nötigte den Verfassungsschutz offenbar dazu sein Stillschweigen über die rechtsradikalen Aktivitäten am Tollensesee zu brechen und dem Event im Verfassungsschutzbericht 2006 (veröffentlicht im Mai 2007) einen Absatz zu widmen.[10]
Die Vermutung, es würde sich hierbei um einen Gedenkmarsch zu Ehren des berliner SA-Führers Horst Wessel handeln, stammt ebenfalls vom Verfassungsschutz-MV und beruht lediglich auf der Tatsache dass das Datum meist auf das Folgewochenende des Todestages von Horst Wessel fällt und der Äußerung auf einer Neonazi-Website, dass eben jener auch gerne gewandert wäre. Hier wird offensichtlich wie problematisch die Rechercheergebnisse des Verfassungsschutzes sind, denn der NPD-Landtagsabgeordnete Stefan Köster konnte die Verfassungsschutzbehörde im Juli 2007 durch eine so genannte „kleine Anfrage“ an die Landesregierung in Erklärungsnöte bringen und so auf einfachem Wege einen (wenn auch begrenzten) öffentlichkeitswirksam Erfolg erzielen.[11]
Die mediale Auseinandersetzung um den Tollensemarsch forderte trotzdem ihren Preis und so mussten die Veranstalter im darauffolgenden Jahr aufgrund befürchteter Proteste (und der Mithilfe des Unwetters „Emma“) in die Nähe der brandenburgischen Grenze nach Klein Trebbow und Godendorf ausweichen. Um dann 2009 nicht völlig das Gesicht zu verlieren, wurde wenigstens ein kleiner Teil der Strecke an den See zurückverlegt.[12]

National Socialist Sightseeing

Das es keines Horst Wessels bedarf um den Neonazi-Aktivisten die 40 Marschkilometer attraktiv zu machen zeigt ein Blick in die Geschichte der Region. In der Mitte des Sees veranlasste das Oberkommando der Marine 1941 den Bau einer künstlichen Insel durch polnische und jugoslawische Häftlinge, auf ihr wurde später eine Torpedoversuchsanstalt errichtet.
Ein weiteres „Highlight“ stellt die ehemalige „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ welche der „Nationalsozialistische Ärztebund“ (NSDÄB) ab 1934 im an der Strecke gelegenen Alt Rehse bauen liess. Hier wurden bis 1942 etwa 40.000 Ärzte in „Rassenbiologie“ und Euthanasie geschult.
Ebenfalls in Alt Rehse liegt zudem das gleichnamige NS-Musterdorf, welches durch seine bis Heute erhaltenen in den 30er Jahren gebauten niederdeutschen Fachwerkhäuser bis Heute große Attraktivität für Alt- und Neonazis besitzt. Dies wurde am 28. Februar 2009 unter anderem dadurch deutlich das vor Ort eine, vom Tollensemarsch völlig unabhängige rechtsradikale Reisegemeinschaft, zufällig von den braunen Wanderern und der Presse überrascht wurde.[13]

Fazit und Ausblick

Eines wird in der Auseinandersetzung mit der rechten Wandergesellschaft besonders deutlich. Vereinigungen wie der „Kulturkreis Mecklenburg-Strelitz“ oder die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) bedürfen möglichst wenig kritischer Aufmerksamkeit durch Presse und Fernsehen damit ihre nach dem „Lebensbund-Prinzip“ funktionierende Strategie aufgeht. Wie Einflußreich allein eine relativ geringe Berichterstattung sein kann, zeigt das Beispiel „Tollensemarsch“ sehr eindrucksvoll. Dennoch darf es nicht das alleinige Ziel sein, die Neonazis durch Protest vom Tollensesee zu vertreiben. Die beiden letzten Jahre haben gezeigt das es den Nazis, durch das Ausweichen auf weniger belebte Marschstrecken, gelingt ihr Event weitestgehend ungestört durchzuführen.
Für die nächsten Jahre bleibt daher zu hoffen, dass sie wieder und wieder im Licht der Öffentlichkeit stehen werden und keine Gelegenheit zum Abtauchen im Schatten der mecklenburger Wälder finden werden.

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Paul Bedeking

Fußnoten & Bilder:
[a] derTollensesee
[b] der Tollensemarsch 2007, Ausschnitt eines Fotos aus „Ferien im Führerbunker“, Seite 70


[01] Vgl. „Rechte Marschierer“ von Andreas Segeth, erschienen am 02.03.2009 im Nordkurier-Neubrandenburg
[02] Siehe „ortstermin(e)“ erschienen am 26.02.2009 auf der Website der „Antifa Offensive NB“ (aonb.blogsport.de)
[03] Vgl. „Braune Wanderer“ von Andrea Röpke, erschienen am 04.03.2009 auf Blick-Nach-Rechts (www.bnr.de)
[04] Vgl. „100% für Udo Pastörs: NPD bereitet sich auf Bundestagswahlkampf vor“ erschienen am 22.02.2009 auf www.endstation-rechts.
[05] Siehe „Ferien im Führerbunker“, Seite 47, 67, 70, 71, 84, 90 und folgende von Andrea Röpke, erschienen 2007 bei der Bildungsvereinigung „Arbeit und Leben“ Niedersachsen
[06] Vgl. „Großaufmarsch der Geschichtsrevisionisten“ erschienen am 14.02.2009 auf Recherche Ost (www.recherche-ost.com)
[07] Vgl. „Dirty Dancing“ in Ausgabe 69 / Herbst 2005 des „Antifaschistischen Infoblatts“ (AIB)
[08] Die beiden NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster waren beide Mitglieder der Wiking-Jugend, siehe hierzu „Ferien im Führerbunker“, Seite 24 und 25
[09] Vgl. „"Sie wissen, dass wir Sie hier nicht gerne sehen"...“ von Andrea Röpke, veröffentlicht am 28.02.2007 auf www.mut-gegen-rechte-gewalt.de
[10] Siehe Verfassungschutzbericht MV 2006, Seite 48
[11] Siehe dazu Drucksache 5/674 vom 24.07.2007 des Landtages Mecklenburg-Vorpommern
[12] 2008 wurde schliesslich noch angekündigt „aller Unwetter“ und „lauen antifaschistischen Winden“ zum trotz die Strecke um den ganzen See zu nehmen
[13] Vgl. „Braune Wanderer“ von Andrea Röpke, erschienen am 04.03.2009 auf Blick-Nach-Rechts (www.bnr.de)
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Ergänzungen

ergänzung

tim tom 06.03.2009 - 12:10