Die "British Work for British Worker"-Streiks

Gianni Rinaldini + GewerkschaftsforumHannover 10.02.2009 01:35 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Die wilden Streiks und Demonstrationen, die Ende Januar / Anfang Februar 2009 eine Woche lang, trotz Schneestürmen von bis zu 19 Belegschaften unter dem nationalistischen Motto: „British Jobs for British Workers!“gegen das Subcontracting beim Ausbau der Ölraffinerie des Total-Konzerns im mittelenglischen Lindsey geführt wurden, analysierte der Generalsekretär der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Gianni Rinaldini in einem Interview für die linksalternative Tageszeitung „il manifesto“ vom 3.2.2009. Rinaldini ist zugleich einer der Köpfe der italienischen Gewerkschaftslinken und tritt - genau wie die FIOM insgesamt - seit langem für die Überwindung des gewerkschaftlichen Standortdenkens und die Schaffung aktionsfähiger und von der Basis kontrollierter, internationaler Gewerkschaftsstrukturen ein, stoßt damit aber insbesondere bei der deutschen IG Metall immer wieder auf taube Ohren.
Die Erkenntnis, dass der Kapitalismus in seiner tiefsten Krise seit den 30er Jahren steckt und dies sehr herbe Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen hat, ist endlich auch in Europa in den Köpfen angekommen. Die Reaktionen darauf sind allerdings unterschiedlich. Während in Griechenland, Island, Frankreich und Irland die (zum Teil militanten) Sozialproteste in Form von Streiks und Demonstrationen einen fortschrittlichen und solidarischen Charakter haben und sich in Italien die Gewerkschaftsbewegung in einen kämpferischen (CGIL, CUB, COBAS, SdL etc.) und einen gelben Flügel (CISL, UIL, UGL) gespalten hat, wie beim Generalstreik am 12.Dezember 2008 und im Vorfeld des von den beiden größten CGIL-Branchengewerkschaften FIOM und Funzione Pubblica (FP) geplanten Massenstreiks am 13.Februar 2009 deutlich wurde, ist die britische Arbeiterbewegung mit einer sehr janusköpfigen Welle wilder Streiks in den neuen Zyklus gestartet, an denen sich insgesamt 19 Betriebe beteiligten. Motto: „British Jobs for British Workers!“

Das Zentralorgan der bundesdeutschen Bourgeoisie, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wusste dazu am 4.2.2009 folgendes zu berichten: „Die Rezession, steigende Arbeitslosigkeit und 300 aus Italien angeheuerte Facharbeiter haben in Großbritannien zu einem Gemisch aus wilden Streiks, lamentierenden Gewerkschaftern und irritierten Politikern geführt.“

Doch der Reihe nach: „Den Anlass des Aufruhrs bot ein Neubauvorhaben am Raffinierie-Standort in North Killingholme. Die Inhaberin der Anlage, der Treibstoffproduzent Total, vergab den Auftrag nach einer Ausschreibung an eine italienische Baufirma . Diese hat vor, den Bau mit italienischen Arbeitskräften auszuführen. Achtzig Bauarbeiter aus Italien sind schon eingetroffen, sie sind auf einem Wohnschiff im Hafen von Grimsby untergebracht.

Die Stammbelegschaft der Killingholmer Raffinerie begann ihre Protestaktionen mit einem Schlagwort, das vor eineinhalb Jahren der – damals gerade ins Amt gekommene – Premierminister Brown im Munde geführt hatte. „Britische Jobs für britische Arbeiter“, hatte Brown auf dem ersten Labour-Jahresparteitag ausgerufen. Damit wollte er sich den Gewerkschaften empfehlen. Denn er hatte auf eben jenem Parteitag deren Einfluss auf Labour-Parteibeschlüsse durch organisatorische Änderungen weiter vermindert. Jetzt, zu Zeiten der ökonomischen Krise, steigender Arbeitslosenzahlen und – nach einem Zwischenhoch – wieder sinkender Beliebtheitswerte der Regierung, sahen die Funktionäre der mächtigsten britischen Gewerkschaft „Unite“ eine Gelegenheit zur Vergeltung gekommen. Eine Rolle bei der Wahl des Augenblicks werden aber auch interne Querelen der erst kürzlich aus der Fusion von zwei Großgewerkschaften – der größten Industriegewerkschaft Amicus und der Transportarbeitergewerkschaft – geformten „Unite“ gespielt haben.“

Der Co-Vorsitzende von Unite, Derek Simpson (64), verlangt, dass die Vergabebedingungen von internationalen Unterverträgen (also das Subunternehmer-Unwesen) neu geklärt werden müsse. Die jüngste Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg erlaube es, dass nationale Tariflöhne von heran gekarrten, separierten und in enger Abhängigkeit gehaltenen ausländischen Arbeitskräften unterboten wird. Dies müsse sich ändern.

Interessant ist, dass offensichtlich auch die dem neoliberalen Freihandel verpflichtete FAZ den Protest als ambivalent einstuft. Mit Blick auf das Labour-Kabinett unter Gordon Brown heißt es im Politikteil: „Stattdessen versucht die Regierung, die Gewerkschaftsaktivisten fremdenfeindlicher Bestrebungen zu verdächtigen; schließlich hat sich die Partei der britischen Nationalisten sofort an die Protestkampagne angehängt. In Stellungnahmen der Regierung hagelt es Belehrungen wie jene, dass zwar 1,5 Millionen ausländischer Arbeitskräfte in Großbritannien tätig seien, dass aber schätzungsweise ebenso viele Briten im Ausland arbeiteten.“

Einer der kasernierten italienischen Bauarbeiter nahm die Sache – laut FAZ – mit Galgenhumor und meinte: „’Wenn die uns hier nach Hause schicken, dann verlangen wir auch Fabio Capello zurück.’ Und dieser Italiener ist immerhin der Trainer der englischen Fußballnationalmannschaft.“

Etwas ernster nimmt naturgemäß Gianni Rinaldini (57) die Angelegenheit. Der Generalsekretär der mit Abstand größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM ist zugleich einer der führenden Linken im Gewerkschaftsbund CGIL. Er äußerte sich in einem Interview für die linksalternative Tageszeitung „il manifesto“ vom 3.2.2009.

Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass sich der Genosse Rinaldini und die FIOM-Führung nicht erst seit heute nachdrücklich für die Überwindung des gewerkschaftlichen Standortdenkens und die Schaffung aktionsfähiger und von der Basis kontrollierter, internationaler Gewerkschaftsstrukturen eintreten, damit aber insbesondere bei der deutschen IG Metall immer wieder auf taube Ohren stoßen.

Interview:

“Eine globale Gewerkschaft oder die Krise wird uns mit in den Abgrund reißen“

Gianni Rinaldini über den englischen Fall

Loris Campetti

„Das ist ein schwerer Schlag. Das zeigt wie sich ein Arbeitskampf in eine Auseinandersetzung unter Arbeitern verwandeln kann.“ Der Sekretär der FIOM, Gianni Rinaldini versucht nicht die Pille zu versüßen. Im englischen Hafen von Lincolnshire spielt sich eine Tragödie ab.

Haben wir es mit Sozialdumping zu tun?

„Was im Moment in Großbritannien passiert, ist ein Zeichen dafür, dass diese Krise destruktive Dynamiken in Gang setzt und der Protest der englischen Arbeiter ist das Gegenstück zu den protektionistischen Logiken, die überall aus dem Boden schießen. Das erste, was deutlich wird, ist die Verzweifelung der Arbeiter. Gewiss gibt es die Gefahr von Dumping. Einerseits hast Du ein Unternehmen aus Syrakus mit geringem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, andererseits hast Du die Arbeitslosigkeit in einem der Länder, die am heftigsten für die Krise bezahlen. Großbritannien hat unter Jahrzehnten der Deindustrialisierung zu leiden. Die industrielle Produktion wurde seit Thatcher durch die Finanzbranche und den Immobiliensektor ersetzt. Das erklärt die Rebellion der Arbeiter, die im industriellen Bereich tätig sind. Ja, wir stecken voll im Dumping. Ich würde gern genauer wissen, ob sich das bestätigt hat, was mir die englischen Gewerkschafter gesagt haben: Sie behaupten, dass der ((Subunternehmer-))Vertrag, den die italienische Firma ((IREM)) im Ausschreibungsverfahren gewonnen hat, nicht nur ein Lohndumping provoziert, sondern auch eine Klausel vorsieht, die die Einstellung lokaler Arbeitskräfte ausschließen und damit eine elementare Norm verletzen würde, die eine Anwendung der Arbeitsverträge aus den Ursprungsländern verbietet. In wenigen Worten: Wer ausländische Arbeiter nach Großbritannien bringt, muss dieselben Lohn- und Vertragsbedingungen garantieren, wie sie von der englischen Gesetzgebung vorgesehen sind.“

Was einen betroffen macht, ist die Unzulänglichkeit, ja fast die Inexistenz der Gewerkschaften angesichts der Globalisierungsprozesse.

„Es fehlt eine Organisation und damit ein Handeln auf globaler Ebene. Dieses Problem betrifft über die Gewerkschaften (die nur in der Lage sind, Land für Land zu agieren, wenn es gut läuft) hinaus auch die Linken, die keine Vorstellung eines anderen Auswegs aus der Krise anzubieten haben, das heißt eine solidarische und nicht protektionistische Idee. Über den englischen Fall müssen wir auf der nächsten Versammlung des Internationalen Metallarbeiterbundes diskutieren, die am 18. und 19.Februar stattfinden wird. Bei dieser Sitzung steht bereits ein Treffen mit den US-Gewerkschaften auf der Tagesordnung, das für uns nach dem geplanten Abkommen zwischen FIAT und Chrysler von grundlegender Bedeutung ist. Wir brauchen eine gemeinsame Aktion. Wir müssen Strategien und eine gemeinsame Praxis entwickeln. Zu meinen, dass man alles durch einen allgemein gehaltenen Appell an die Solidarität lösen könne, wäre eine Dummheit. Das hat in der Geschichte der Arbeiterbewegung noch nie funktioniert. Nötig sind eine Antwort und ein Vorschlag auf globaler Ebene.“

Das, was jetzt in England geschieht, ist nur der letzte sehr vieler anderer, ähnlich gelagerter Fälle…

„Besorgniserregende Symptome treten ständig auf. Zum Beispiel hat die Fusion der Stahlarbeitergewerkschaften der USA, Großbritanniens und Kanadas zu einem Durcheinander auf gewerkschaftlicher Ebene geführt, mit einer harten Reaktion vonseiten der südafrikanischen und der lateinamerikanischen Gewerkschaften. Nicht zufällig gesellt sich dieser Prozess zu dem von Obama angekündigten verhängnisvollen Beschluss, der allein die Verwendung von in den USA hergestellten Stahlprodukten vorsieht. ((Das von der Thatcher abgekupferte sog. „Buy American!“)) Eine andere Entscheidung ist – auch wenn sie einen nachdenklich macht – die von Sarkozy getroffene, die die öffentlichen Finanzspritzen für die Automobilindustrie mit dem Erhalt der Werke in Frankreich verbindet und sich gegen eine Produktionsverlagerung wendet. Alle diese Beispiele zeigen aber, dass wir als Gewerkschaften ohne eine echte Globalisierung in der Krise mit in den Abgrund gerissen werden.“

Es zirkulieren Gerüchte, dass das erste Opfer der Automobilkrise in Italien das Werk in Termini Imerese ((40 Kilometer östlich von Palermo)) sein könnte. Gleichzeitig schließt FIAT ein Abkommen mit dem serbischen Unternehmen Zastava über die Produktion des FIAT Punto und in Zukunft vielleicht auch des Topolino. Besteht auch hier die Gefahr einer Auseinandersetzung unter Arbeitern?

„Das ist nicht der Fall. In Kragujevac war FIAT bereits präsent bevor das Zastava-Werk von der NATO bombardiert wurde. Ich werde die sizilianischen mit Sicherheit nicht in Gegensatz zu den serbischen Arbeiter bringen. Das Problem, auf das wir hinweisen, betrifft die Tatsache, dass, während in Serbien Abkommen mit Zastava oder in den USA mit Chrysler geschlossen werden, FIAT sich in Italien weigert, eine industrielle Planung vorzulegen und damit Klarheit über die Zukunft der Werke und der Beschäftigung in unserem Land zu schaffen. Ist es möglich, dass Chrysler gezwungen ist, einen detaillierten Plan zu präsentieren, um öffentliche Gelder zu bekommen (einen Plan, der vier ökokompatible Modelle vorsieht), während FIAT staatliche Finanzmittel ohne einen Plan, das heißt ohne irgendwelche Verpflichtungen, verlangt? Für die FIOM ist die öffentliche Intervention in einem Sektor wie dem der Automobilindustrie richtig, der insgesamt eine Million Menschen beschäftigt, allerdings unter der Bedingung, dass der Firmenzentrale in Turin-Lingotto zwei Bedingungen gestellt werden: Erstens eine umweltpolitische, bei der es um die Erforschung, Entwicklung und Produktion von Motoren dreht, die von Energiequellen angetrieben werden, die eine Alternative zum Erdöl darstellen. Und zweitens eine soziale zum Schutz der Beschäftigung und der Werke.“

((Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügungen in doppelten Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover))
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Mehr Infos

zum Streik 10.02.2009 - 14:35
gibts auf www.sozialismus.info

Andere Stimmen zum Streik

noName 11.02.2009 - 11:56
rf-news, 10.02.2009:
Streikende in Großbritannien distanzieren sich von nationalistischer Propaganda der Regierung
 http://www.rf-news.de/2009/kw07/streikende-in-grossbritannien-distanzieren-sich-von-nationalistischer-propaganda-der-regierung

Der Freitag, 10.02.2009:
Streiks gegen EU-Standards
 http://www.freitag.de/politik/0907-grossbritannien-streiks-europa-lohndumping

linke Zeitung: 09.02.2009:
Arbeiter fangen an, den Nationalismus infrage zu stellen
 http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=6192&Itemid=1

indymedia, 08.02.2009:
Briten üben sich im Nationalsozialismus
 http://www.indymedia.org/en/2009/02/920628.shtml

sozialismus.info, 07.02.2009:
Britannien: Ölraffinerie- und Kraftwerkstreiks
 http://www.sozialismus.info/?sid=3009

sozialismus.info, 05.02.2009
Großbritannien: Streiks ausgeweitet
 http://www.sozialistische-alternative.de/?sid=3002

wsws, 04.02.2009:
Britische Gewerkschaften unterstützen reaktionären Streik gegen ausländische Arbeiter
 http://www.wsws.org/de/2009/feb2009/brit-f04.shtml

arbeitermacht, 04.02.2009:
Nein zu den nationalistischen Streiks!
 http://www.arbeitermacht.de/infomail/407/britannien.htm

junge welt, 03.02.2009:
Wilde Streiks auf britischen Baustellen und Raffinerien als Antwort auf die Krise
 http://www.jungewelt.de/2009/02-03/007.php

aus dem Dchungel

Jingle 13.02.2009 - 07:45
Auch die Jungle World hat zum Thema was zu sagen:
 http://jungle-world.com/artikel/2009/07/32638.html