02.02.: 'Zahltag!' in Köln

agenturschluss 02.02.2009 15:39 Themen: Soziale Kämpfe
Monat für Monat das gleiche "Spiel". HartzIV-Betroffene ohne Geld und erfolgreiche Gegenwehr. It's 'Zahltag!'
Köln: 'Zahltag!'

'Zahltag!' ist bei der ARGE/Jobcenter in Köln zwischenzeitlich ein Begriff, der ihr nichts Gutes verheißen soll. Die Strategie, HartzIV-betroffene Menschen, die zum Monatsanfang (aus welchen Gründen auch immer) kein Geld bekamen mal eben mit einem so genannten Lebensmittelgutschein abzufertigen, wird in der Regel ganz schnell fallen gelassen, wenn die Piratenfähnchen vor der Tür, auf den Fluren und in den Büros der Sachbearbeiter zu sehen sind.

Ca. 20 engagierte Menschen, die sich selber „Meute“ nennen (abgeleitet von „Meuterer“) und sich – ganz egal ob erwerbslos oder nicht – inzwischen seit Jahren solidarisch unterstützen, besuchten heute unangemeldet die ARGE-Standorte Genovefa-Str. (U25) und Wiener Platz in Köln-Mülheim. Sie kommen aus unterschiedlichen Spektren, aber unter dem Dach der Kampagne 'Zahltag!' kommen und kämpfen sie zusammen.

Anlass zur heutigen Aktion war natürlich das Erstreiten von Bargeld. Diesmal jedoch eingebettet in eine Kampagne der KEAs (Kölner Erwerbslose in Aktion), die sich nichts Geringeres zum Ziel setzt, als so genannte Lebensmittelgutscheine abzuschaffen. Ob dieses Ziel mittelfristig erreicht werden kann, sei mal dahin gestellt, die derzeitige Praxis der Kölner ARGE lässt sich so auf keinen Fall aufrecht erhalten. Dementsprechend blies heute bisweilen ein kräftiger Wind durch die ARGE-Büros, die Tür für Tür durchkämmt wurden, auf der Suche nach Mitarbeitern, die schon mal einen solchen Lebensmittelgutschein ausgestellt haben.

Es ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit die HartzIV-Beamten darüber reden und mit welcher (auch rechtlich) leichtfertigen Art sie denn auch den Lebensmittelgutschein über den Tisch reichen. Die gesetzlichen Regelungen hierzu werden in den seltensten Fällen beachtet, sonst hätte man ja am 'Zahltag!' 2. Januar in Köln Süd nicht ganze 30 Gutscheine auf Druck der Meute in Bargeld zurück getauscht. Das Bargeld war rechtlich korrekt, die Gutscheine waren es nicht!

Das sieht angeblich auch die ARGE-Geschäftsführung so (siehe Zitat weiter unten), was für die Mitarbeiter der unteren Ebene wie ein Schlag ins Gesicht wirken muss. Heute sprachen nämlich einige Sachbearbeiter (hiervon auch ein Teamleiter) von klaren Weisungen, Schecks sowie jene Gutscheine immer der Barzahlung vorzuziehen.
Die rechtliche Seite, sofern Gutscheine im Kontext unwirtschaftlichen Verhaltens, Drogen- und Alkoholsucht und bei Sanktionen unter Umständen Anwendung finden dürfen, ist die eine Seite. Weil es aber menschenunwürdig ist, sich an der Kasse des Supermarktes mit einem solchen Schein outen zu müssen (und zudem jene Märkte somit in bedenklicher Weise i.S. HartzIV instrumentalisiert werden) hat dies KEIN Mensch verdient. Sie gehören abgeschafft, die Gutscheine! Hier müssen ganz andere Lösungen her!

Im Zeitraum zwischen 08:00 und 09:00 Uhr konnten heute am Standort Wiener Platz über 50 Menschen erfasst werden, die kein Geld überwiesen bekamen und deshalb heute hier waren. Weil sich die Meute heute jedoch verstärkt den ARGE-Mitarbeitern widmete, musste es gegenüber den Betroffenen bei einem Schulungsprogramm zur erfolgreichen Abwehr von Lebensmittelgutscheinen im Wartebereich der Eingangszone bleiben. Immerhin wurden sowohl an Betroffene als auch Mitarbeitern mehrere hundert Flyer und der Kölner Erwerbslosen-Anzeiger (KEA) verteilt.

Nachfolgend ein Artikel, der heute ebenfalls verteilt wurde:

Zunehmender Unmut unter ARGE-Mitarbeitern

Köln „Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht.“, bekennt eine Sachbearbeiterin der ARGE Mitte, die selbstverständlich anonym bleiben möchte. Konfrontiert mit einem Flyer zum Thema 'Lebensmittelgutscheine' sagt sie: „Die Angelegenheit mit den Gutscheinen wird auch unter den Kollegen durchaus kritisch diskutiert, aber mehr will ich dazu nicht sagen. Da müssen Sie einige Etagen höher gehen.“

Kaum haben Die KEAs ihre derzeitige Kampagne zur Abschaffung so genannter Lebensmittelgutscheine ausgerufen, da scheint sich das Problem wie von selbst zu lösen. In einer der Redaktion vorliegenden Mail von Sozialdezernentin Marlis Bredehorst (Die Grünen), wird ARGE-Pressesprecher Udo Wendlandt als Reaktion auf eine Pressemitteilung des Erwerbslosen Forum Deutschland mit folgender Stellungnahme zitiert:

„In der PM des Erwerbslosen Forum Deutschland ist die Rede von Gutscheinen. Die Darstellung in der PM ist eindeutig falsch: Menschen, die einen Leistungsanspruch haben, erhalten diesen.
Gutscheine gibt es nur in gesetzlich klar geregelten Fällen (Alkoholmissbrauch; Drogenabhängigkeit; unwirtschaftliches Verhalten).“

Eine solche Formulierung gibt vor, es hätte seitens der ARGE Köln noch nie bzw. ganz selten derartige Gutscheine gegeben. Die Praxis sieht freilich anders aus! Allein am 2. Januar dieses Jahres und nur in der ARGE Süd wurden ca. 30 Gutscheine ausgegeben, jedoch mit solidarischer Hilfe und Empörung der Betroffenen in Bargeld zurück getauscht.

Bredehorst, als Dienstherrin der ARGE Köln, muss selber wissen, wie viel Dreistigkeit sie sich und ihrem Amt angesichts gegenteiliger Behauptungen zumuten will.

Sachbearbeiter aufgepasst!

Derzeit machen Aktivisten der 'Zahltag!'-Kampagne innerhalb der ARGE nahezu empirische Untersuchungen zur Praxis mit den Gutscheinen, wobei sich schon jetzt Bredehorsts übermittelte Aussage als „Versprecher“ schlechthin erweist. „Eine derart widerwärtige Diskriminierung, Menschen mit solchen Scheinen zur Kasse der Supermärkte zu schicken, ist ein Angriff auf unsere Würde und provoziert unseren solidarischen Widerstand.“, bringt es jemand während eines Bündnistreffens der Kampagne 'Zahltag!' auf den Punkt. Und weiter: „Wir werden jeden einzelnen Sachbearbeiter, der uns namentlich bekannt wird und Lebensmittelgutscheine herausgegeben hat, zur Rede stellen und die Rechtsgrundlage bzw. Dienstanweisung hinterfragen.“ (KEA 02/09)
____________________________


„Lebensmittelgutscheine“ verweigern
Bargeld verlangen!

Lebensmittelgutscheine gehören zu den so genannten
„Sachleistungen“, die in Ausnahmefällen an Hilfebedürftige
ausgegeben werden können und sind darüber hinaus ein
hochgradiges Instrument öffentlicher Demütigung (an der
Kasse des Supermarktes) und Entmündigung, sofern der
Betroffene nicht mehr selbst über seinen Einkaufsladen und
die Art der Ausgabe dieser Leistung bestimmen kann (Alkohol
und Tabak z.B. sind Tabu). Die Leistung erfolgt nicht zusätzlich,
sondern ersatzweise an Stelle der Regelleistung in
Form von Geld.

Bei unwirtschaftlichem Verhalten,
Drogen- oder Alkoholabhängigkeit

Gesetzlich geregelt ist die Anwendung von Sachleistungen im § 23, Abs.
2 SGB II: „(2) Solange sich der Hilfebedürftige, insbesondere bei Drogen-oder Alkoholabhängigkeit sowie im Falle unwirtschaftlichen Verhaltens, als ungeeignet erweist, mit der Regelleistung nach § 20 seinen Bedarf zu decken, kann die Regelleistung in voller Höhe oder anteilig in Form von Sachleistungen erbracht werden.“ Mit diesem Passus sind auch die eigentlic engen Grenzen ihrer Anwendung beschrieben, insofern Unwirtschaftlichkeit, Drogen- und Alkoholabhängigkeit keine spekulative Diagnose irgend eines Sachbearbeiters sein darf, sondern hinreichend festgestellt werden muss. Immer wieder gibt es völlig normale Lebensumstände, die völlig normale Menschen dazu zwingen, das Konto zu überziehen oder sich anderweitig kurzfristig und minimal zu verschulden. (Die Bundesregierung macht dies seit Jahr und Tag!) Selbst für Hartz-IVBetroffene ist ausdrücklich die Möglichkeit des Vorschusses bzw. eines Darlehens gesetzlich festgeschrieben. Mit Unwirtschaftlichkeit, Drogen oder Alkoholabhängigkeit hat dies nur in den seltensten Fällen zu tun. Oft ist die ARGE selbst der Verursacher, wenn z.B. das Alg-2 nicht pünktlich oder nicht vollständig überwiesen wurde. (Mal ganz zu schweigen davon, dass der Regelsatz grundsätzlich zu niedrig ist.)

Ohne Rechtsgrundlage

Umso frecher und ehrabschneidend ist es, wenn selbst in solchen Fällen
in der ARGE Köln immer wieder der „Lebensmittelgutschein“ zum Einsatz
kommt. Da sich dies also in der Regel mit keiner Rechtsgrundlage deckt, sind Lebensmittelgutscheine konsequent zu verweigern. Bitten Sie andere Hartz-IV-Betroffene aus dem Wartebereich um solidarische Hilfe, suchen Sie notfalls das Gespräch mit dem Teamleiter oder treten Sie direkt den Weg zur ARGE-Geschäftsführung an (Luxemburger Str., Etage 10). Das Recht und der Erfolg sind hier (ausnahmsweise) auf Ihrer Seite!

Ein Tipp zur Wirtschaftlichkeit

Sofern sich der Lebensmittelgutschein in den wenigen vermeintlich begründeten Fällen nicht vermeiden lässt, achten Sie auf Mehrwegprodukte. Flaschenpfand bringt bares Geld, über das Sie dann wiederum frei verfügen können.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

qwf — qwfqwf