Chemnitz an der Leine - Runkel halb durch

Barney Geröllheimer 23.01.2009 01:18 Themen: Repression
In Chemnitz wurde am 21.1.2009 nach einigen Protestaktionen im Stadtrat eine neue Polizeiverordnung verabschiedet. Die geplanten repressiven Regelungen gegen Menschen im öffentliche Raum wurden aus dem Beschluss gestrichen, aber ein flächendeckender Leinenzwang für Hunde wurde beschlossen.
„Ein sehr schöner Titel“, so Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig zur Einleitung des Tagesordnungspunktes „Beschlussvorlage Nr. B-033/209 – Verordnung zur Änderung der Polizeiverordnung der Stadt Chemnitz gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen sowie über das anbringen von Hausnummern.“

Was folgte, war eine erhitzte Debatte, in der zuerst der frisch gebackene Ordnungsbürgermeister auftrat, um seinen Entwurf zu rechtfertigen, er dann von CDU und Republikanern mehr oder minder erwünschten Zuspruch bekam, SPD und Grüne dagegenhielten und DIE LINKE mit Änderungsanträgen versuchte, zu retten, was von ihrem Mann noch zu retten war.

Seit September der letzten Jahres hatte der neue Entwurf zur Chemnitzer Polizeiverordnung für viel Unmut gesorgt, seitens BMX- und Skateboarder_innen, denen verboten werden sollte, „mit Sportgeräten bauliche Anlagen entgegen ihrer Bestimmung“ zu benutzen, seitens Hundehalter_innen wegen des stadtweiten Leinenzwangs und generell gegen die Verschärfung der Repression gegen Trinken, Betteln und den Aufenthalt im öffentlichen Raum.
Mit der Forderung „Skaten, saufen, Gassi gehen“ ging im November ein Bündnis gegen die Polizeiverordnung in Chemnitz auf die Straße ( http://de.indymedia.org/2008/11/234074.shtml?c=on#c538962), die Beschlussvorlage im Stadtrat wurde mehrfach verschoben, die Passage gegen die Skater_innen schon aus dem Entwurf genommen und dies durch den Ordnungsbürgermeister Miko Runkel als vernünftiges Einlenken präsentiert. Die Personalie Runkel ist pikant.

Noch ein solcher Sieg und wir haben verloren.

Miko Runkel wurde im Juni 2008 zum neuen Ordnungsbürgermeister der Stadt Chemnitz gewählt – mit Stimmen der Linken und der CDU, was sachsenweit für Aufsehen sorgte.
Von „Nationaler Front“ war seitens des SPD – Vorsitzenden die Rede.
Anfangs wurde die Stadtratsentscheidung zu Runkel in der Linkspartei schnippisch als großer eigener Erfolg gefeiert. Doch mittlerweile ist die Freude über das Ding, das die Fraktion da gedreht hat, vergangen. Spätestens als sich Runkel im September mit dem Entwurf einer neuen Polizeiverordnung als Vertreter des aalglatten Rechts – und Ordnungs-Populismus in die Öffentlichkeit begab, wurde klar, dass DIE LINKE sich selbst im ganz großen Stil in ein politisches Desaster manövriert hatte. Der parteilose Runkel ist nun nicht mehr zu steuern und spielt seine eigene politische Agenda durch. Und diese ist viel eher auf der Linie der CDU bzw. der Republikaner als auf der von Linken in der LINKEN.

Verteidigende Thesen wurden vorgebracht, Runkel verfolge nur die Konzepte seines Amtvorgängers Berthold Brehm (CDU) weiter, könne also eigentlich nichts für das, was er tut. Eine hilflose Bemühung, um Runkel zu rechtfertigen, die spätestens mit seinem jetzigen Auftritt im Chemnitzer Stadtrat am 21.1.2009 hinfällig ist.
Mit seinen Verteidigungsversuchen machte Runkel deutlich, dass er zwar willens, aber noch nicht fähig ist, rechts-populistische Politik zu machen.
„Die Erfordernis derartiger Regelungen leitete sich aus der Zunahme der Bevölkerung her, das hat zu zunehmenden Problemen geführt, na gut jetzt haben wir eine Abnahme der Bevölkerung aber trotzdem immer noch Probleme!“
Etwas unbeholfen versuchte sich Runkel in einem rechtsgeschichtlichen Kurzabriss vom Mittelalter bis zur Jetztzeit zur Begründung der Polizeiverordnung. Nachdem im 15. Jahrhundert das Verbrechertum zugenommen habe, seien Anfang des 16. Jahrhunderts die Halsgerichtsordnungen zur Abwehr von Gefahren erlassen worden.
“1871 gab es das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches auf dem auch die jetzigen Regelungen noch basieren, 1952 und 1968 gab es noch einige Änderungen. Das war nur ein kurzer historischer Abriss der zeigen sollte, dass die Erstellung solcher Rechtsordnungen ein historischer und demokratischer Prozess ist.“

Wo der Bartl sich den Mist holt

Problem von Runkel: er verfolgt zwar wirtschaftskonforme sicherheits- und ordnungspolitische Ziele, ist aber nicht in der Lage, diese im Jargon der bürgerlichen Demokratie zu verpacken und die grundgesetzliche Ordnung aus ihrem Kontrast zum Nationalsozialismus heraus zu legitimieren.
„Allein auf Freiwilligkeit und guten Willen abzustellen würde zu einer Anarchie führen,“ macht Runkel seine Rechtsauffassung klar. Ordnung muß eben irgendwie schon sein. Am Ende ist sich Runkel seiner Sache dann auch nicht mehr ganz sicher: „Ich hoffe ich habe sie nicht lang genug gelangweilt.“ Gebeutelt tritt der Opportunist vom Pult.
Er sei froh, jetzt diesen Job zu haben, wird eine Aussage von Runkel kolportiert, denn mit seiner DDR-Karriere komme er wohl in der Justiz nicht weit und müsse nun auf die Politik umsatteln. Runkel stieg nach seinem Jurastudium 1989 bei der Karl-Marx-Städter Staatsanwaltschaft ein, vorm Studium war er drei Jahre bei den Grenztruppen der DDR. Aus der Zeit bei der Staatsanwaltschaft Karl-Marx-Stadt stammt auch die Beziehung zu seinem Hauptförderer, dem LINKE - Politiker Klaus Bartl.

Grüne und SPD nehmen Runkel sein im Amt sein nach wie vor schwer übel, denn eigentlich war wer von der SPD von ihnen dafür gedacht, und können sich nun gegen ihn als urdemokratisch präsentieren. Hier ist eine speziell ostdeutsche Situation mit einmaligen Konstellationen zu besichtigen. Teile der Post-SED, CDU-Blockflöten- und warte und Nazis würden tatsächlich als „Nationale Front“ Seit an Seit schreiten, wenn es der Post-SED nicht doch so peinlich wäre, in welches Fahrwasser sie da gerutscht ist.
Der Republikanerabgeordnete Haubold feierte den Entwurf der Polizeiverordnung: Zum Glück sei nun die Zeit der rechtlichen Beliebigkeit vorbei, viel zu lange sei in „linkslastiger Manier“ eine „falschverstandene Toleranz“ gegenüber „fragwürdigen Gruppen und Einzelpersonen“ geübt worden.
Martin Kohlmann von der Fraktion Republikaner/DSU setzte noch einen drauf. Der Leinenzwang für Hunde sei nur ein „Nebenkriegsschauplatz“ der linksradikalen Gruppen, die sich gegen die Polizeiverordnung wendeten. „Halbverwahrloste Linksradikale“ lungerten in den Straßen herum, es müssten „fühlbar härtere Ahndungen“ her, so Kohlmann mit Holzhack- und Rasenmähergesten.
SPD-Abgeordnete Doris Müller zeigte sich schockiert über diesen Auftritt. Sie sei in zwei Diktaturen großgeworden und habe dort gelebt und wünsche sich „dass wir auf dies Art nicht miteinander sprechen.“
Die CDU gerierte sich ausnahmsweise eben nicht antitotalitär sondern störte sich nur an der geplanten Mittagsruhe für Chemnitz und dem dortigen Verbot des privaten Bohrens, Schleifens und Hämmerns. Die Unterscheidung privaten und gewerblichen Lärms sei wahrscheinlich schwierig, schmunzelte Tino Fritzsche von der CDU und stellte einen Änderungsantrag. In der Debatte blieb es in der LINKE – Fraktion mucksmäuschenstill, mit blassen Gesichtern saßen die Fraktionsangehörigen ziemlich geduckt in ihren Stühlen und blieben bei ihren von Jörg Hopperdietzel eingebrachten Änderungsanträgen. Die Regelung zur Absperrung von Spielplätzen sei ebensowenig rechtsklar, wie die Verschärfung des Aufenthaltsrechts im öffentlichen Raum.

Punkten gegen Runkel

Selbst FDP-Abgeordneter Dieter Füsslein konnte nun gegen Runkel punkten. „Da steckt zu wenig vom städtischen Leben drin, wie es tatsächlich läuft.“ Urbanität und soziale Zufriedenheit seien mit der neuen Polizeiverordnung nicht zu machen.
Die zweite Achillesferse für Runkel, Chemnitz, das zwischen Stadtschrumpfung und wirtschaftlichem Standorthype hin und hergerissen wird, hat keine Lust auf die Provinzialität, die er mit seinem vorherigen Job als Richter am Amtsgericht Freiberg trotz aller Mühe um eine fesche Ausstrahlung verströmt.
Zu dilettantisch ist der Entwurf, den er abgeliefert hat. Es herrscht ein zu starkes politisches Kräftemessen, wie viel Repression nötig und möglich ist, als dass Runkel mit seinem schlecht verpackten Produkt landen kann.
Durch Massenarmut und Angst vor ihren Konsequenzen entstehen auch neue Legitimationsquellen für Repression. Soziale Ausgrenzung wird durch die Präsenz armer Menschen im öffentlichen Raum sichtbar. Der Entwurf der Polizeiverordnung hatte diese Menschen und ihre Sichtbarkeit offen zur Bedrohung erklärt. Aber die Form war einfach zu plump:

„Auf öffentlichen Straßen und in Grün- und Erholungsanlagen ist es Personen untersagt (...) aggressiv zu betteln (Aggressives Betteln liegt vor bei unmittelbarem Einwirken auf Passanten durch in den Weg stellen, Einsatz von Hunden als Druckmittel, Anfassen, Einschüchterungen durch Verwünschungen, Errichten von Hindernissen im Verkehrsraum, bedrängende Verfolgung, das bedrängende Zusammenwirken mehrerer Personen, den Passanten beschimpfen), (...) sich ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Alkohol- oder Rauschmittelkonsums in Gruppen von mehr als zwei Personen niederzulassen, wenn durch alkohol- oder rauschmittelbedingtes, unkontrolliertes, insbesondere aggressives Verhalten (Belästigung von Passanten, Grölen, Gefährdung anderer durch herumliegende Flaschen oder Gläser, Verunreinigungen) andere an der Nutzung der öffentlichen Straßen, des Weges, des Platzes gehindert oder von der Nutzung abgehalten werden, (...) sich wiederkehrend an denselben Orten regelmäßig zu versammeln und dabei Passanten bei der Nutzung der öffentlichen Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern, (...) die Notdurft zu verrichten.“

Die bürgerliche Politik steht vor dem Balanceakt, einerseits die Angstgefühle der Bürger durch Repression zu minimieren, andererseits sich nicht durch einen zu brutalen Law and Order – Kurs selbst zu delegitimieren. Die Auseinandersetzung in der Stadt Chemnitz um Polizeieinsätze gegen Punks im Sommer 1997 wirkt immer noch nach.
( http://www.youtube.com/watch?v=dDfeJxLgbEM)
Klaus Bartl war es damals, der als Anwalt der vertriebenen Jugendlichen gegen den Polizeieinsatz vorging und erreichte, dass dieser Einsatz als rechtswidrig verurteilt wurde. Im Nachgang wurde die gesamte Polizeiführung von Chemnitz ausgewechselt, was Bartl seit dem bei der sächsischen Polizeispitze zum gefürchteten Anwalt und Politiker macht. Um so absurder, dass nun ein von der LINKEN und Bartl selbst ins Amt gehebelter Ordnungsbürgermeister in einem so repressiven Stil Politik macht, wie ihn Bartl immer bekämpft hat.
Zu befürchten ist, dass Runkel in einem Lernprozess smarter wird, und dann die selbe Politik nur besser verpackt betreiben kann. Im Moment ist seine Politik des offensichtlichen Ausnahmezustands nicht erwünscht, weil diese die Gewalt zu kenntlich macht und so selbst den Landfrieden und die Standortplege stört. Die schlimmsten Passagen wurden durch Änderungsanträge der LINKEN aus dem Entwurf verbannt und die Polizeiverordnung mit Leinenzwang für Hunde durchgewunken.
Runkel will auch ohne die herausgefallenen Passagen der Polizeiverordnung auf verschärfte Kontrollen setzen. „Die Situation ist generell nicht befriedigend“, so Runkel zur Durchsetzbarkeit der Polizeiverordnung. Es sei aber ein neuer Bestreifungsplan mit Schwerpunktsetzungen in Arbeit: „Ein Polizist und ein Vollzugsbediensteter sollen gemeinsam losgehen um zum Beispiel die Rotlichtlatscher zu erwischen.“
In Chemnitz wird Rot die Farbe des Stillstands.
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