Goldene Kakerlake besucht Neujahrskonzert

Freya Fluten 18.01.2009 09:36 Themen: Antirassismus
Goldene Kakerlake besucht Neujahrskonzert der AWO Berlin-Brandenburg

Antirassistische Aktivisten besuchten am Samstag den 17. Januar die Benefizveranstaltung in Berlin, um auf die unmenschlichen Machenschaften der AWO Berlin Mitte hinzuweisen. Sie verteilten Flugblätter zur Lebenssituation von Flüchtlingen in dem Berliner Lager Motardstr und zeigten ihre mobile Fotoausstellung über das Lager
Mit ihrem Neujahrskonzert in der Philharmonie wollte sich die AWO Berlin-Brandenburg in Gegenwart von Oberbürgermeister Wowereit und Ministerpräsident Platzeck am heutigen Samstag selbst feiern.

Das nahm die seit langen Jahren in der Flüchtlingssolidarität aktive „Initiative gegen das Chipkartensystem“ zum Anlass, über die AWO-Mitte als Betreiberin des umstrittenen Flüchtlingslagers Motardstraße in Spandau zu informieren. Dieses Lager dient sowohl als „Erstaufnahmeeinrichtung“ für Asylsuchende als auch als heimliches „Ausreisezentrum“. Viele der BewohnerInnen sind Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt wurden, die jedoch nicht im Besitz identitätsausweisender Papiere sind und deshalb nicht abgeschoben werden können. Durch repressive Maßnahmen wie die Einweisung in die Motardstraße sollen sie zu einer „freiwilligen“ Ausreise bewegt werden.

Die Einweisung in die Motardstraße bedeutet für die Betroffenen, dass sie nur noch Unterkunft und Verpflegung in Form von Eßpaketen, jedoch keinen Cent Bargeld mehr erhalten. So fehlen ihnen nicht nur jegliche Mittel für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sondern auch für rechtliche Schritte. Die BewohnerInnen dürfen zwar das Lager verlassen, haben aber ohne Geld und Fahrkarten keine legale Möglichkeit Verkehrsmittel zu benutzen.

Das Lager Motardstraße liegt in einem Spandauer Industriegebiet, in direkter Nachbarschaft zweier Kohlekraftwerke und einer Müllverbrennungsanlage und besteht aus zweistöckigen Containern, welche von Stacheldraht umgeben sind. Das Personal versucht, BesucherInnen fernzuhalten, die soziale Kontakte zu den BewohnerInnen aufnehmen und gemeinsam mit ihnen die Situation verbessern wollen. Zusätzlich gibt es hygienische Probleme, u. a. einen anhaltenden Kakerlakenbefall.

In Begleitung einer riesigen Kakerlake forderte die Initiative deshalb die AWO-Mitglieder auf, durch eine verbandsinterne Auseinandersetzung für einen Rückzug der AWO aus diesem Menschenverachtenden Geschäft zu sorgen. Auf der Jugendbundeskonferenz der AWO gab es bereits entsprechende Diskussionen, da viele Mitglieder die Grundsätze der AWO, die sich zum Schutz von Flüchtlingen verpflichtet hat, verletzt sehen.

Hintergrundinformationen, Nachfragen oder Interviewanfragen unter o. a. Handynummer oder E-Mailadresse

Initiative gegen das Chipkartensystem /
c/o Berliner Büro für Gleiche Rechte
im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalderstr. 4
10405 Berlin
Tel: 0160/3410547
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Ergänzungen

Presse zur Aktion

pressebeoba chterin 19.01.2009 - 02:18
19.01.2009
Goldene Kakerlake
Initiative protestiert gegen »Ausreisezentrum«
Von Peter Nowak
In Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit und von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) wollte die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Berlin-Brandenburg am Samstag in der Philharmonie ihre Aktivitäten für das Jahr 2009 feierlich einleiten. Doch zuvor wurde sie mit einem alten Problem konfrontiert.
Das antirassistische Bündnis »Initiative gegen das Chipkartensystem« forderte die AWO auf, die Leitung des Flüchtlingsheims in der Spandauer Motardstraße aufzugeben. Die Einrichtung ist schon lange in der Kritik von Flüchtlingsgruppen und antirassistischen Organisationen. Dort sind viele Flüchtlinge untergebracht, deren Asylanträge abgelehnt wurden, die jedoch mangels gültiger Dokumente nicht abgeschoben werden können. Sie sollen zur »freiwilligen Ausreise« bewegt werden. Die 25 Antirassisten vor der Philharmonie nannten die Einweisung in die Motardstraße eine »repressive Maßnahme«. Sie forderten die Schließung und die Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen ihrer Wahl. »Auf der letzten Bundesjugendkonferenz der AWO fand diese Forderung viel Zustimmung«, sagte Wolfgang Weise von der Chipkarteninitiative. »Mit der Aktion wollten wir die Diskussion auch in die ältere AWO-Mitgliedschaft tragen«, meinte er. Für die größte Aufmerksamkeit sorgte eine große goldene, auf einem Fahrradanhänger drapierte Kakerlake vor dem Eingang der Philharmonie. Damit verwiesen die Antirassisten auf Klagen von Bewohnern der Motardstraße über mangelnde Hygiene und Kakerlaken in den Waschräumen. Die zuständigen AWO-Mitarbeiter haben die Berichte allerdings zurückgewiesen.

Die BVVen von Marzahn-Hellersdorf und Pankow hatten bereits 2008 beschlossen, keine Flüchtlinge mehr in die Motardstraße einzuweisen. Auch das Abgeordnetenhaus befasste sich Ende 2008 mit der Einrichtung. Auf eine Anfrage der grünen Abgeordneten Heidi Kosche bestätigte die Senatsverwaltung für Integration, dass es 2008 drei Tuberkulosefälle gab.