Erinnerung an die Revolutionären Obleute

lesend arbeiter 10.01.2009 03:14 Themen: Antifa Kultur
Am Sonntag werden wie Tausende in Berlin und anders Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedenken. Aber wer kennt Richard Müller von den Revolutionären Obleuten einen der wichtigsten Praktiker und später auch Theoretiker der Novemberrevolution?
Im bis zum letzten Platz gefüllten Berliner Stadtteilladen Zielona Gora informierte kürzlich der Berliner Historiker Ralf Hoffrogge, Autor des Buches „Richard Müller – der Mann hinter der Novemberrevolution“ über die Biographie Müllers und seine politische Bedeutung.
Müller, der vor dem ersten Weltkrieg als Tarifexperte in der Metallarbeitergewerkschaft hervorgetreten war, entwickelte sich langsam nach links.
Noch 191 5 hatte er in einer Broschüre zur Tarifpolitik das strittige Thema des Krieges unerwähnt gelassen. Die Revolutionären Obleute, die in den wichtigsten Berliner Betrieben gut verankert waren, könnte man ideologisch am ehesten als syndikalistisch einordnen. Obwohl sie mit der USPD, die zum Sammelbecken der kriegsgegnerischen Sozialdemokraten geworden war, in engen Kontakt stand und Müller sogar als Reichstagskandidat aufgestellt wurde, betonten die Obleute ihre Unabhängigkeit. Das galt auch für den linken Spartakusbund, der am linken Rand der USPD stand und sich spätestens nach der Oktoberrevolution auf die Bildung einer kommunistischen Organisation vorzubereiten und eine revolutionäre Politik voranzutreiben. Wie Hoffrogge beschrieben hat, scheint es sogar zu einer regelrechten Konkurrenz zwischen Müller und Liebknecht gekommen sein. Dabei scheinen neben persönlichen Animositäten auf Seiten der Obleute auch taktische Differenzen eine Rolle gespielt zu haben. Für Müller und seine Kollegen scheinen die Spartakusleute in erster Linie eine Gruppe von Intellektuellen ohne Basis gewesen zu sein. Dass es keine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen der jungen KPD und den Revolutionären Obleuten gab, hat sicher mit zum schnellen Scheitern der Novemberrevolution beigetragen.
Hoffrogge sieht deren Ende mit der wesentlich von den Obleuten getragenen Streikbewegung vom März 1919.
Müller war dann kurze Zeit Gewerkschaftsexperte der KPD, die er wegen der politischen Schwankungen zwischen Aufstandskurs und Mitregieren bald wieder verließ.
Zuvor hatte er mit seinen Schriften zur „Reinen Rätedemokratie“ auch theoretische Beiträge zu der Frage geleistet, wie eine Gesellschaft aussehen kann, die weder eine bürgerliche Demokratie ist noch zentral von oben verwaltet wird.
Diese Modelle sind natürlich nur fragmentarisch und können gerade in der heutigen Zeit, wo die fordistische Kernarbeiterschaft, auf die sich die Obleute stützen, zumindest in unseren Breiten an Einfluss verloren hat, nicht einfach als Modell zu übernehmen.
Doch die Beschäftigung mit der Bewegung der Obleute ist nicht nur eine historische Geschichtsstunde. Gerade für Linke, für die die Arbeitsverhältnisse weiterhin ein Kampffeld sind, sollten sich damit befassen.
Und wir sollten immer bedenken, es gab neben Luxemburg und Liebknecht, die Müllers, Barths und Däumlings, die aus den Fabriken für kurze Zeit Geschichte geschrieben haben

Erinnern heißt auch Lehren ziehen

Wenn wir heute Bewegungen, wie die Revolutionären Obleute und Aktivisten wie Richard Müller aus diesem Vergessen der Geschichte herausholen, dann auch, um von ihnen heute etwas zu lernen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Ergebnisse die Novemberrevolution 1918 hatte, welche Erfahrungen und Lehren wir aus ihrem Scheitern ziehen müssen: Warum ist es den Revolutionären Obleuten trotz ihrer Verankerung in vielen Betrieben nicht gelungen, die Revolution weiter zu treiben? Warum haben sich die Räte selbst entmachtet und für die Einrichtung der Nationalversammlung gestimmt? Warum gelang es der Sozialdemokratie, die gerade noch mit der Bewilligung der Kriegskredite gezeigt hat, dass sie die Seiten gewechselt hat, so schnell wieder Einfluss in der Bewegung zu schaffen?
Und vor allem, was können wir heute aus diesen Erfahrungen der Revolutionären Obleute lernen? Sind nicht die neuen Medien eine gute Hilfe bei der Etablierung eines Rätesystems? Aber, wie kann das Rätekonzept so ausgeweitet werden, dass aus den Arbeiter- und Soldatenräten, wie sie Müller und den Obleuten vorschwebte, ein Rätesystem für alle Menschen macht? Viele Fragen und bisher wenig Antworten: aber, wenn zumindest die Diskussion darum beginnt, wäre schon viel gewonnen. Dazu kann das Buch über Richard Müller beitragen, wie sich auf der Veranstaltung gezeigt hat.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Modell der Arbeiterbörsen

Syndikalist 10.01.2009 - 10:56
Wo das Rätemodell unzureichend ist, lohnt sich vielleicht mal ein Blick auf das ausgefeiltere Modell der Arbeiterbörsen:

Die Arbeiterbörse – Netzwerk des Syndikalismus

Eine soziale Revolution ohne Chaos! Geht nicht? Geht doch! Das meinen zumindest die Syndikalisten. Wenn auch vielen nicht bekannt, so bietet der Syndikalismus eine plausible und durchaus reale Konzeption zur Umgestaltung der Gesellschaft ohne „Übergangsphase“ politischer Herrschaft und ohne Versorgungsengpässe. Einen zentralen Bestandteil bilden dabei die Arbeiterbörsen. Sie sind das unerlässliche Gegenstück zu den Syndikaten. Denn als Organisationsstrukturen der Arbeiterschaft bilden sie gemeinsam das Fundament einer syndikalistischen Wirtschaftsweise. Die syndikalistische Konzeption unterscheidet sich somit wesentlich von allen anderen Vorstellungen gesellschaftlicher Umgestaltung.

In dieser wird davon ausgegangen, dass für die unmittelbare Versorgung der Bevölkerung zwei Faktoren von entscheidender Bedeutung sind: die Produktion und die Konsumption. Dementsprechend organisieren sich SyndikalistInnen so, dass beides von ihnen selbst vor, während und nach der Revolution abgedeckt werden kann.

Der Bereich der Produktion wird dabei von den Syndikaten abgedeckt, in denen sich die ArbeiterInnen auf industrieller Ebene (d.h. nach Branchenzugehörigkeit) organisieren. Diese bilden die kleinsten Einheiten in allen Entscheidungsfragen. Neben dem gewerkschaftlichen Tageskampf arbeiten die Syndikate bestenfalls so, dass sie sich auf den Generalstreik vorbereiten und die nötigen Fähigkeiten entwickeln, damit im Prozess einer sozialen Revolution die Betriebe – nun auf selbstverwalteter Basis – reibungslos weiter arbeiten können.

Auf geographischer Ebene wiederum bilden die Syndikate lokale Föderationen: die Arbeiterbörsen. Zum einen findet sich hierin eine Ebene, auf der die ArbeiterInnen sich branchenübergreifend koordinieren können, um z.B. die Tageskämpfe nicht isoliert zu führen. Auch sollen durch sie diejenigen, die nicht (direkt) im Produktionsbereich tätig sind (z.B. Hausfrauen/männer, Jugendliche, Rentner usw.), ebenso in den sozialen bzw. wirtschaftlichen Strukturen mitwirken können. Als weitere Organisationsebene können die Börsen somit den gewerkschaftlichen Kampf verstärken, sei es durch die Koordination von Streikaktionen, sei es in Form von Konsumentenstreiks, und nicht zuletzt auch als Bildungs- und Kultureinrichtung. Vor allem aber soll in den Börsen der Konsumbedarf der Kreise, Regionen und Länder ermittelt werden. Sie stellen Statistiken über den Bedarf auf, um die Syndikate während und nach der Revolution über die benötigten Produkte und deren Mengen zu unterrichten, und übernehmen außerdem die Verteilung der Produkte.

Wahrend die dezentrale, föderalistische Organisierung gewährleisten soll, dass die Arbeiterschaft zu jedem Zeitpunkt die Basis bildet, welche die ökonomische Macht inne hat (im Gegensatz zum Zentralismus), so dient die Doppelstruktur von horizontaler und vertikaler Ebene dazu, die Einheit von Konsumenten und Produzenten zu sichern (im Gegensatz zum Kapitalismus). Die Kopplung von Syndikaten und Arbeiterbörsen stellt deshalb eine Form von dezentraler Planwirtschaft dar. Diese orientiert sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung, wodurch sich unnütze Arbeitsbereiche, wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft anfallen, erübrigen.

Konkretere Beispiele dafür, welche Produktionsbereiche dabei im Einzelnen wie genau organisiert werden könnten, zeigte schon die FAUD 1922 in einem Bericht auf (siehe „Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus“). Darin findet sich auch eine Auflistung von Punkten, was damals zum Aufgabengebiet der Arbeiterbörsen gehörte. So z.B.: die „Organisation und Durchführung der Aktionen und Tageskämpfe aller in der Börse zusammengefassten Gewerkschaften“; sowie die „Vorbereitung der notwendigen Maßnahmen, um die zukünftige sozialistische Wirtschaftsorganisation durchführen zu können.“

Dass all dies keine unrealistischen Kopfgeburten sind, hat die Geschichte schon einmal gezeigt. Während und nach der Spanischen Revolution 1936 konnte die CNT im hochindustrialisierten Katalonien tatsächlich eine reibungslose Versorgungslage gewährleisten. Durch die bedürfnisorientierte Wirtschaftsweise einer dezentralen Planwirtschaft wurden reichlich Kapazitäten frei für die Rüstungsindustrie gegen den Faschismus, und viele Arbeitskräfte zogen in Milizen von ihren Produktionsstätten an die Front. Die Selbstbestimmung sorgte darüber hinaus für größere Kreativität und Innovation im Produktionsbereich. Zudem funktionierte der Austausch zwischen Industrie und Landwirtschaft.

Mehr dazu findet ihr auf:

 http://www.syndikalismusforschung.de/arbeiterborse.htm

 http://www.syndikalismusforschung.de/sovorwort.htm

Die SPD und der Mord an Rosa und Karl

radio corax 10.01.2009 - 17:08
Der Tathergang ist klar, die Mörder gefasst und vor ein Gericht gestellt. Klingt nach einem logischen Ablauf von Verbrechen, Aufklärung und Strafe. Weit davon entfernt ist das im Falle der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919. Wie weit die Regierung Ebert in die Tat und den Umgang mit ihr verwickelt war, beleuchtet Klaus Gietinger in seinem im Januar erscheinenden Buch "Der Konterrevolutionär. Waldemar Papst - eine deutsche Karriere". Was wusste die Regierung? Welche Rolle spielte Reichswehrminister Gustav Noske - also die SPD? Und wie geht diese damit um? Fragen an den Autor Klaus Gietinger gestellt im Morgenmagazin von Radio Corax.

Links zu Richard Müller

Bruno Peters 12.01.2009 - 14:47
Hallo, Wer lust hat zum Weiterlesen - es gibt mittlerweile auch im Internet einiges an Informationen über Richard Müller und die Revolutionären Obleute, sogar Vorabdrucke aus dem erwähnten Buch, mehr dazu siehe die links unten. Wer Müllers Schriften genau gelesen hat, wird übrigens sehen dass er weniger ein Syndikalist als ein marxistisch orientierter Rätekommunist war. Aber die Grenzen sind hier fließend, von daher sollte vermieden werden, die Debatte identitär zu führen und einzelne Leute/Organisationen als "richtig" zu feiern. Wichtig wäre, das linkskommunistische und antiautoritäre Spektrum der Novemberrevolution insgesamt als Inspirationsquell zu schätzen. Zum Buch "Richard Müller - Der Mann hinter der Novemberrevolution" findet sich hier eine Inhaltsangabe: http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=9926&backPID=9926&begin_at=60&tt_products=420 Vorabdrucke von zwei Kapiteln des Buches finden sich auf folgenden Websiten: http://jungle-world.com/artikel/2008/46/29750.html http://www.labournet.de/diskussion/geschichte/arbeiter.html Basisinformationen über Richard Müller selbst bietet der Wikipedia-Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_M%C3%BCller_(USPD)