Zahltag! XXL in Köln - Eie Rückschau

Zahltag! 17.12.2008 14:52 Themen: Antifa Freiräume Repression Soziale Kämpfe
Eine Woche Proteste an Kölner ARGEn und Jobcenter. Eine Woche gelebte Solidarität - Zeit für eine Rückschau.
Bereits seit 2007 machen engagierte Menschen gemeinsam mit selbst- und unorganisierten Erwerbslosen in Köln mit der Aktion 'Zahltag!' von sich Reden, wenn unterschiedliche ARGE- bzw. Jobcenter-Standorte und bisweilen einzelne Träger so genannter 1-Euro-Jobs kurzerhand okkupiert werden und ihr Geschäft bisweilen empfindlich gestört wird.

In der ersten Dezemberwoche 2008 war es die vierte große Kölner 'Zahltag!'-Aktion und das vollmundig angekündigte „XXL“ war keineswegs zu viel versprochen.

Am Montag ging's los, als fast 100 Menschen mit Musik und Volxküche entschlossen ins Foyer der Kölner Haupt-ARGE in der Luxemburger Str. eindrangen. Kam es früher bei derlei Gelegenheiten schon Mal zu Eskalationen mit der Polizei, hielt diese sich diesmal vornehm zurück, war aber doch zahlreich anwesend.

Das Berufsinformationszentrum (BIZ) der Arbeitsagentur wurde erst wenige Tage zuvor von einem großflächigen Farbanschlag heimgesucht. Ein Mitarbeiter der ARGE beziffert den Schaden auf 12.000 Euro. Und er muss es wissen, da es sich um einen Wiederholungsfall handelt. Der Anschlag stehe im Zusammenhang der Werbeveranstaltungen der Bundeswehr, die regelmäßig im BIZ junge Erwerbslose zum Kriegsdienst rekrutieren möchte.
Aktive einer Kampagne namens 'Bundeswehr wegtreten!' waren auch beim 'Zahltag!' dabei sowie Menschen aus den Spektren der Antifa, 'Kein Mensch ist illegal' und – wie an allen anderen 'Zahltagen' auch – natürlich die Selbsthilfeorganisationen der 'Sozialistischen Selbsthilfe Köln' (SSK), 'Die KEAs (Kölner Erwerbslose in Aktion e.V.) und 'Tacheles' aus Wuppertal.

ES GEHT UMS GANZE

Dass das gemeinsame Erstreiten von Arbeitslosengeld im Sinne von Beratung und Begleitung zahlreicher Betroffener ein wesentliches Anliegen der Aktion ist, mag unstrittig sein, dennoch – so betonen es einzelne Engagierte der Aktion – geht es hier um mehr, als nur um die schnöde Kohle. Die Kampagne 'Zahltag!' begreift sich als politische Aktion, die die soziale Frage nach einer anderen, nach einer besseren Gesellschaft stellt. HartzIV, als ein systemisches Instrument, Menschen zu erniedrigen und für alle möglichen Drecks- und vor allem Billigjobs gefügig zu machen – auch um den Konkurrenzdruck gegenüber lohnarbeitenden Menschen zu erhöhen – steht hier nur als herausragendes Beispiel einer Politik, die das vermeintliche „Wohl“ der Menschen zunehmend aus den Augen zu verlieren scheint.

Das begreifen am ehesten die Betroffenen selbst, weshalb die ARGE genau der richtige Ort ist, sich mit der sozialen Frage auseinander zu setzen. Bei vielen ARGE-MitarbeiterInnen, bei den am Rande stehenden PolizistInnen, selbst bei den beobachtenden Presseleuten ist dies nicht ganz so einfach vermittelbar. Dabei sind sie selbst Teil des Systems und sehr wohl auch ganz persönlich betroffen! Niemand ist vor Erwerbslosigkeit und somit vor HartzIV gefeit!

Die AktivistInnen des 'Zahltags' haben denn auch begriffen, wie wichtig es ist, sich zu solidarisieren und so genannte Schnittstellen zu anderen sozialen Auseinandersetzungen zu suchen.
Dies äußerte sich im Laufe der Woche durch bisher völlig neue Elemente im Rahmen von 'Zahltag!'.

Dienstag wurde unvermittelt die ARGE Köln-Kalk gestürmt und der dortige Wartesaal zum Kino verwandelt. Am Mittwoch wurde erst das Zentrum für Analyse von Potenzial und Fähigkeiten (ZAPF) im idyllischen Köln Niehl gehörig „aufgemischt“, so dass das komplette Tagesprogramm dieser Profiling-Institution für 1-Euro-JobberInnen zum Erliegen kam und der zukünftige Verlauf des aktuellen Teilnehmerkurses empfindlich gestört bleiben dürfte. Am Nachmittag widmete sich 'Zahltag!' aktionistisch der Thematik eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs. Im Rahmen einer Freie-Fahrt-für-alle-Aktion, spielte man erst mit der KVB, dann mit hinzugerufener Polizei „Räuber und Gendarm“.

Donnerstags stand das Sozialamt der Stadt Köln im Kalk-Karree auf dem Programm, das wegen seiner Zeiger-Architektur (von: „ich zeig Euch, wo der Hammer hängt!“) gern 'Kalkatraz' bezeichnet wird. Die Ausländer- respektive Abschiebebehörde und die Resozialisierungsabteilungen für Ex-Strafgefangene und Obdachlose lieferten hier die Schnittstellen der Auseinandersetzung. Das 'Kölner Modell' fühlte sich empfindsam getroffen und bedroht und ließ eine Hundertschaft der Polizei in geordneten Dreierreihen ins Sozialamt einmarschieren. Es kam zu Ingewahrsamnahmen mit erkennungsdienstlicher Behandlung.

LEBENSMITTELGUTSCHEINE ALS INSTRUMENT DER ERNIEDRIGUNG

Freitag dann war die so genannte U-25-ARGE (unter 25jährige HartzIV-Betroffene) in Köln Mülheim dran. Der dort arbeitende und im Rahmen einer Aktion der 'Überflüssigen' enttarnte Chef-Ermittler des ARGE-Prüfdienstes, Markus Galle, rannte, als ginge es um sein Leben und verschloss die Bürotür von innen.
Auch wenn alle ARGE-Standorte in Köln und deren MitarbeiterInnen zuvor über die Möglichkeit eines 'Zahltag!'-Besuchs informiert wurden, waren die AktivistInnen dem Sicherheitspersonal stets einen Schritt voraus. Hier fand kein Gespräch unter Begleitung eines so genannten Beistandes ohne die jeweilige Teamleitung statt, was nahezu ALLE Anliegen der Betroffenen relativ problemlos zum Erfolg verhalf.

Schwerpunkt hier wie anderswo war u.a. das Thema „Bargeld statt Lebensmittelgutscheine“ und die AktionsteilnehmerInnen zeigten sich erschrocken darüber, mit welch machtdemonstrativen Gebahren und mit welcher Häufigkeit jene Gutscheine über den Tisch gereicht werden. Damit war schließlich Schluss! Im Rahmen von 'Zahltag!' gab's richtiger und rechtlicher Weise nur Bargeld, bis auf einen einzigen Fall: der Betroffene war in Not, aber formal(!) nicht leistungsberechtigt. Hier wurde der Gutschein solidarisch umgesetzt, sofern andere für sich einkauften und dem Betroffenen Bargeld aushändigten.

DIE BEWEGUNG BEWEGT SICH!

Am Freitag Abend dann wieder ein neues Element, ein neuer Schauplatz für die Aktion 'Zahltag!'. Gemeinsam mit erfahrenen Menschen aus der Hausbesetzerszene wurde strategisch gut organisiert eine seit langem leer stehende Villa befristet besetzt und zum Party-Palast umfunktioniert.

Zu weiteren Veranstaltungen der Aktionswoche gehörte ein Erfahrungsaustausch mit Emmely, die extra aus Berlin anreiste und von der in Köln gelebten Solidarität sichtlich angetan war. Emmely machte während einer couragierten Streikaktion als langjährige Kassiererin bei der Einkaufskette 'Kaisers' von sich Reden, bis sie wegen eines vermeintlichen Fehlbetrags von ganzen 1,50 Euro gekündigt wurde. Der Rechtsstreit läuft, da der Verdacht nahe liegt, dass es sich um eine sozialpolitisch motivierte Kündigung handelt. Und weil 'Kaisers' zudem die nötigen Unterlagen blockiert, entfällt für Emmely zunächst der Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. So wird man bisweilen aus der vermeintlichen beruflichen Sicherheit direkt zu HartzIV durchgereicht.

In einer weiteren Diskussionsveranstaltung, hier organisiert von der 'Antifa', ging es um eine kritische Auseinandersetzung mit 'Arbeit / Arbeitsethos / Arbeitsfetish', die Initiative 'Kein Mensch ist illegal!' zeigte im Rahmen von 'Zahltag!' eine Dokumentarfilm-Vorführung („Unsichtbare Hausarbeiterinnen“) mit anschließender Diskussion.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die zahlreichen auswärtigen solidarischen MitstreiterInnen, die sich u.a. aus Aachen, Bielefeld, Duisburg, Düren, aus Koblenz, Oldenburg, Wuppertal und Kiel ... auf den Weg nach Köln machten. Einige auch, um von jener Kölner Aktion zu lernen und mit dem erklärten Willen, Erfahrungen und bisweilen jede Menge Wut und Mut an die heimische ARGE zu tragen.

Bei dem so genannten Nachbereitungstreffen der engagierten Bündnispartner wurde trotz durchaus selbstkritischer Reflexion eines sofort sehr deutlich: Nach dem 'Zahltag!' ist vor dem 'Zahltag!'. Im Rahmen der XXL-Woche wurden sowohl aus informativer Sicht, als auch unter dem Aspekt sozialer Kämpfe und Strategien so einiges gewonnen, das es mitunter noch aufzuarbeiten gilt, vor allem aber Mut. Ein Erwerbsloser besuchte das Nachbereitungstreffen nur um eines loszuwerden: „Ich danke Euch!“ Eine Frau fasste ihr Fazit poetisch zusammen: „Die Bewegung bewegt sich!“

Tagesberichte, weiterführende Infos auch unter:

 http://zahltag-jetzt.org/
Public Domain Dedication Dieses Werk ist gemeinfrei im Sinne der Public Domain
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

das system schlägt zurück

tina 17.12.2008 - 16:07
Seit dem 1. Dezember werden wohl hunderte von erst-und weiterbewilligungsanträge bei der ARGE Koeln-Sued , nicht bearbeitet.Intern heisst es, daß zuwenig personal dafür da sei und die mit dem bearbeiten von widersprüchen beschäftigt sei. mir scheint der zweck eher eine entsolidarisierung und vereinzelung zu sein, denn so werden ein teil der erwerbslosen als "geisel" genommen. wann die anträge bearbeitet werden sollen , ist noch unbekannt-- in den nächsten tagen beginnen fest-und brückentage, da wird eh nichts mehr laufen.die einzige möglichkeit momentan ist neben dem veröffentlichen dieses übels wohl versuche, teilzahlungen bei aktueller not zu bekommen, nur, wenn die anträge noch nicht einmnal bearbeitet werden...ein weiterer schritt wäre es, wenn die betroffenen, wo viele wohl in den nächsten tagen mit mietzahlungsklagen konfrontiert werden, sich gegenseitig informieren und eine eigene art des widerstands entwicklen koennten, wobei ich zum o.a. artikel mal kurz was sagen will: es geht sehr wohl um den "schnöden" Mammon, solang es keine konkreten dauerhaften alternativen gibt und die dementsprechende infrastruktur, ist die finanzielle grundversorgung das erste, was für weitere kämpfe hergestellt werden muss... alles andere sind theorien, die von menschen aufgestellt werden, die diese sorgen anscheinend(aus welchen gründen auch immer) nicht haben

Klasse

Ex-ARGESklave 18.12.2008 - 15:35
Als ehemaliger ARGE-Gegängelter der aber auch sehr gute Erfahrungen dort gemacht hat (aber nicht in Kölle) kann ich diese Aktion gut verstehen und die Beteiligten haben meinen uneingeschränkten Respekt und meine vollste Solidarität. Leider ist es in Deutschland nicht wie in Frankreich wo sich schon Mitarbeiter der ARGE entsprechenden Behörde geweigert haben schikanöse Aktionen gegen Arbeitssuchende durchzuführen. Nicht alle ARGE-Schergen sind solche, mir hat damals sogar ein ARGE-Berater mal hinter vorgehaltener Hand ("Das ist jetzt unter uns") geraten daß wenn mir eine Aktion seiner Kollegen ungerecht vorkommt ich mich ruhig an ihn wenden solle denn man müsse sich nicht alles gefallen lassen und "wer sich nicht wehrt lebt verkehrt". Schade das solche Angestellten der ARGEn so selten sind.

Die ARGEn sollten der Hauptkampfplatz des sozialen Kampfes in der BRD sein! Offensiv!

@das system schlägt zurück.... NA UND

acrata 04.01.2009 - 18:43
Seit Wochen, manche seit Monaten sind wohl tausende von Erwerbslosen ohne Geld gewesen(s.a.betreffenden Artikel hier auf der Seite).Dies hat sich seit heute Morgen etwas geändert. Ca. 20 Menschen zogen in Dunkelheit und Kälte, mit Piratenfähnchen(gabs wohl heute im Discount) zur Arge Sued, um nicht nur gegen diesen unhaltbaren Zustand zu protestieren, sondern auch diie entsprechenden Zahlungen einzufordern.

Nach und nach taute nicht nur der Schnee vor der Tür, sondern auch die Menschen im Wartebereich mehr und mehr auf und wurden lauter und fordernder. die ArgemitarbeiterInnen machten ein paar Büros mehr auf, wollten dann viele mit "Lebensmittelgutscheinen" abspeisen um dann zu merken, daß die Leute klar und unnachgiebig auf Barzahlung bzw. sofortige Überweisung bestanden. Auf einmal klappte es dann doch. einige schwache Versuche von einigen Sachbearbeiterinnen, das ganze als ein Systemfehler darzustellen, erntete eigtentlich nur ein müdes Grinsen, weil das System ist der Fehler, aber leider war von den Angestellten nicht erkennbar, daß sie selbst die Situation irgendwie hinterfragen oder zumindest verstehen, was es heisst, nur durch die sogenannte "Grundsicherung" existenziell überleben zu können.

Wichtig war, wieder ein mal und weiterhin an die eigene und gemeinsame Stärke zu appelieren, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen also das wir jeden tag mehr werden , die sich wehren, heute erst mal die ausstehende Zahlung und morgen gemeinsam - gegen die Ausgrenzung durch die Armutsgesetze, gegen die Politik der Schikanen, der Hetze, der Kürzungen und der permanenten Diskriminierungen - mit uns mit den Nachbarn mit allen, die ihre Lage erkannt haben und was verändern wollen.

aus "Kumm erus" bei www.mitmachzeitung.de


Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke den folgenden Kommentar

Titel der Ergänzung

ex-algU25-empfäner 17.12.2008 - 15:53
sehr gute aktion, die ihr da gestartet habt! hut ab!!!