Berlin: FREE MUMIA Demo - Bericht

Kurt Sonntag 13.12.2008 20:24 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Heute fand in Berlin eine Demonstration für den seit 27 Jahren in den USA inhaftierten politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal statt. Hier ein erster Bericht und einige Beobachtungen.
Trotz unübersehbarer Mobilisierung der letzten Monate fanden sich zum Demostart nur 250 Teilnehmer_innen am Kreuzberger Oranienplatz ein.
Während ein Demonstrant zur Personalienfeststellung von den Schergen in Grün kurzfristig festgehalten wurde, starteten Redebeiträge, die den historischen Hintergrund antirassitischer und antikapitalistischer Kämpfe in den USA mit besonderem Bezug auf die Todesstrafe als Unterdrückungsinstrument beleuchteten. Die Rolle Mumias sowie die Kampagne zu seiner Freilassung steht in einer langen Kette von Kämpfen, ist aber gleichzeitig bisher fast der längste solche in der U.S. Geschichte.
Danach gab es wie bei fast jeder Demo in den letzten Tagen die Aufforderung, die griechischen Aktivist_innen zu unterstützen, die derzeit gegen den mordenden Polizeiapparat dort protestieren.
Auch die Straffreiheit der Polizisten aus Genua oder Dessau, welche Oury Jalloh 2005 im Gewahrsam ermordeten oder seinen Tod billigend in Kauf nahmen, wurde entsprechend kommentiert.

Die Demo setzte sich erstaunlich lautstark in Bewegung. Im ersten Teil der Oranienstr. gab es einen "Parolen Work-Shop". Beliebt waren "Freiheit für Mumia Abu-Jamal - Weg mit der Todesstrafe überall!" oder auch "Free Mumia - Free Mumia - Free Mumia - NOW!". Weniger gut klappte die U.S.-amerikanische Parole "Brick By Brick - Wall By Wall - We Gonna Free Mumia Abu-Jamal".
Nach Beiträgen über die privatisierte Knastindustrie der USA und einer Grussadresse ex-Gefangener im sog. "mg" Verfahren bog die Demo in die Friedrichstrasse ein.

Inzwischen war die Teilnehmer_innenzahl erfreulicherweise auf knapp 400 angewachsen. Auf der Friedrichstrasse wurden viele Flugblätter an Passant_innen verteilt. Aus dem Lautsprecherwagen wurde mehrfach erklärt, dass hier für die Freilassung des seit 27 Jahren inhaftierten politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal sowie die weltweite Abschaffung der Todesstrafe demonstriert wird. Parolen und Sprechchöre wurden immer lauter, die Stimmung besser.
Alle Zuschauer_innen hielten an. Die allermeisten nahmen sich die Zeit, Flugblätter zu lesen und viele machten die obligatorischen Berlin-Tourismus-Demofotos.

Über Unter Den Linden ging es dann vor die U.S. Botschaft. Die ersten Reihen stoppten aber nicht in der zugewiesenen Mitte vom Pariser Platz sondern gingen direkt weiter zum Haupteingang der U.S. Botschaft. Der Rest der Demo zog nach. Ca. 15 Meter vor dem Haupteingang der Botschaft stoppten einige Tretgitter mit Grün-Uniformierten dahinter den Demozug. Schliesslich standen etliche Demonstrant_innen mit dem Demo-Leitransparent (FREIHEIT FÜR MUMIA - ABSCHAFFUNG DER TODESSTRAFE ÜBERALL) auf dem Absperrgitter und die Abschlusskundgebung begann.

Mehrere Hundert Schaulustige kamen zur Demo hinzu. Etliche solidarisierten sich insbesondere bei den Parolen gegen die Todesstrafe, nicht wenige riefen mit. Kurzzeitig wuchs die Teilnehmer_innenzahl hier auf knapp 600.
Aus dem Lautsprecherwagen wurde in deutsch/englisch ein offener Brief an den U.S. Botschafter verlesen. Das Berliner Mumia-Bündnis forderte den Botschafter auf, seiner Regierung die Forderung nach Mumias sofortiger Freilassung und Haftentschädigung, der Abschaffung der Todesstrafe und der privatisierten Gefängnisindustrie sowie der "Three Strikes..." Regel zu übermitteln. Letztere wurde als verantwortlich für die 2,4 Millionen Gefangenen in den USA erklärt. Diese Inhaftiertenzahl ist weltweit derzeit beispiellos.

Als dann die genaue Prozedur der Giftspritzen-Hinrichtungsmethode ( http://de.indymedia.org/2008/03/210305.shtml ) aus dem Lautsprecherwagen erklärt wurde, schien es vielen Zuhörer_innen sichtlich übel zu werden. Aber es gab auch aktuelle Beispiele von erfolgreichem Widerstand gegen die Todesstrafe in den USA. Neben Mumia gelang es auch 2007 Kenneth Foster (  http://mumia-hoerbuch.de/archivstopptodesstrafe.htm#kennethfosterlive ) oder vor wenigen Wochen Troy Anthony Davis (  http://de.indymedia.org/2008/09/227936.shtml ), dank ähnlicher Proteste wie heute ihre angesetzten Hinrichtungen zu überleben.

Die Demo war Bestandteil einer weltweiten Aktionswoche für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal. Zeitgleich gab es ähnliche Demos in Bern und Hamburg, von wo aus auch Grussbotschaften verlesen wurden. Dem vorausgegangen war eine Woche voller Veranstaltungen und Demonstrationen in mehreren verschiedenen Ländern (  http://de.indymedia.org/2008/12/235837.shtml ).

Nächste Woche wird Mumias Verteidigung den allerletzten möglichen Antrag auf ein neues Verfahren einreichen. Vor kurzem hatte die zuständige Staatsanwältin Lynn Abraham erneut die Todesstrafe gegen Mumia beantragt. Im Januar 2009 ist mit reger Korrespondenz zwischen dem U.S.-Supreme Court, der Staatsanwältin und Mumias Verteidigung zu rechnen. Ob Mumias Antrag auf ein neues Verfahren überhaupt gehört werden wird, entscheidet sich im Februar 2009. Diese Prozedur stellt die allerletzte juristische Möglichkeit für ihn dar, a) der drohenden Hinrichtung oder b) der Inhaftierung bis zum Lebensende zu entgehen.

In Berlin hat es eine ganze Woche mit Veranstaltungen zum Thema gegeben. In ersten Reaktionen zeigten sich die Organisator_innen von heute zwar über die laute und entschlossene Haltung der Demo erfreut, drückten aber ihre Verwunderung über die in ihren Augen geringe Teilnehmer_innenzahl aus. Natürlich stand diese Demo am Ende einer Woche mit vielen Demos und Aktionen (Athen, Dessau, Anti-Repressionsdemo...), aber die Dringlichkeit in Mumias aktueller Lage war seit Monaten in der Stadt bekannt.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Oury Jalloh - das war Mord

Antifa ohne Antirassismus ist blind 13.12.2008 - 20:34
Film "Oury Jalloh" (D 2008, 30min)

Oury Jalloh, ein Asylsuchender aus Sierra-Leone, wird einem abgeschiedenen Asylbewerberheim bei Dessau zugewiesen. Permanent konfrontiert mit dem Gefühl, unerwünscht zu sein und keine Möglichkeiten zu haben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, bestimmen Perspektivlosigkeit und Ohnmacht zunehmend seinen Alltag: Er darf seinen Landkreis nicht verlassen, er darf nicht arbeiten und allmählich beginnt er einen stillen, inneren Kampf gegen staatliche Fremdbestimmung und soziale Ausgrenzung.Der semi-dokumentarische Kurzfilm ist eine Auseinandersetzung von Asylbewerbern, jungen unabhängigen Filmemachern sowie Oury Jallohs engsten Freunden mit alltäglichen Repressionen gegenüber Flüchtlingen. Der Film knüpft an ein wahres Ereignis an: Oury Jalloh verbrannte am 7. Januar 2005, an Händen und Füßen gefesselt, in einer Dessauer Polizeizelle - auf einer feuerfesten Matratze!
Erst durch die Mobilisierung seiner Freunde kommt der Fall, zwei Jahre später, vor Gericht. Im Sommer 2008, über drei Jahre nach Oury Jallohs Tod, dauert der Prozess noch an. Aus zunächst sechs geplanten Prozesstagen wurden über 50.


EX PLATAFORMA
NewYorck im Bethanien, Bethanien-Südflügel, Mariannenplatz 2 (Plan siehe unten)
FR 19.12.2008 , 20:00 Uhr EINTRITT FREI
Vortrag mit Moussa Conde / Schauspieler
und Mouctar Bah von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh

einige Redebeiträge von der Demo

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 13.12.2008 - 21:22
In den PDFs sind einige Redebeiträge von der heutigen FREE MUMIA Demo. Fotos kommen demnächst.

Wer Mumia wie in der vorherigen Ergänzung schreiben möchte, findet hier alle dafür wichtigen Infos  http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#SchreibtMumia

Demosprüche, Ereignisse

AutonomA Hausi 13.12.2008 - 21:46
Waren unter anderem "Oury Jalloh das war Mord, Widerstand an jedem Ort!" und "Solidarität muß praktisch werden...", "Das Salz in der Suppe...", "Hoch die internationale/anti-nationale Solidarität!", "129a das kennen wir schon! Feuer und Flamme der Repression!", "No Border No Nation, Stop Deportation!" und "Freiheit für Mumia Abu-Jamal, Weg mit der Todesstrafe überall!" (Was übrigens auch aufm Fronttranspi stand)

Die Rede von dem Genossen Mumia Abu-Jamal (aus "Deathrow" Todestrakt) sprach nochmal explizit den Fall "Oury Jalloh" an der in Dessau nach Aussagen Mumias ermordet wurde.

Ansonsten war die Stimmung gut und kämpferisch, für mich persönlich wesentlich besser als bei gestriger Demo. Am Rand viele internationale Touristen, die Fotos machten.

Wirkung der Demo

Mumia-Hörbuchgruppe 13.12.2008 - 21:47
Also, wir können den pessimistischen Ergänzungston von "Teilnehmer" nicht so ganz teilen. Sicherlich hatten wir auch mit wesentlich stärkerer Beteiligung der Berliner Szene gerechnet, aber eigentlich wissen wir auch, dass der "Event" des Wochenendes halt gestern abend bereits in Kreuzberg statt fand. (Aber es waren ja auch einige vom Vorabend gekommen, zumindest das Leitranspi wurde mitgetragen.)
Anschliessende Parties machten bei dem grauen Wetter bestimmt auch vielen einen Tag vor dem Ofen attraktiver als auf der Strasse.

All das ist in Berlin aber schon lange bekannt. Es gibt nur wenige Mobilsierungen, wo das anders ist (z.B. letzte Woche gegen die Nazis in Lichtenberg oder bei der Silvio Meier Gedenkdemo vor kurzem).
Viel wichtiger finden wir, dass es an einem Tag in verschiedenen Städten gleich drei FREE MUMIA Demos gegeben hat (Hamburg, Bern und Berlin). Ausserdem gab es ja in der vergangenen Woche noch einige andere Berliner Veranstaltungen über Mumia Abu-Jamal, an denen auch einige hundert Menschen teilnahmen.
Uns hat auch die laute Stimmung sehr gut gefallen. Wir sind uns sicher, dass solche Demos die jeweiligen Botschaften und Konsulate zwingen, Bericht an die Regierung erstatten zu müssen.

Dr. Seltsam spricht an den US-Botschafter

über Mumia 14.12.2008 - 15:14

@Teilnehmer 13.12.2008 - 20:53

Ich 14.12.2008 - 15:17
Bzgl "Andere Protestformen suchen", gestern fanden im Ramen des Antirepressionsaktionstages einige Aktionen statt:


"
Wegen mehrerer offenbar politisch motivierter Taten am Freitag und am Wochenende im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen. Verletzte habe es bei den Aktionen keine gegeben, teilte eine Sprecherin der Polizei mit.

Den Angaben zufolge alarmierten in Kreuzberg Passanten wegen eines brennenden Papiercontainers Polizei und Feuerwehr. Sie hatten beobachtet, wie am Freitagabend sechs Vermummte den Behälter auf die Kreuzung Reichenberger-/Manteuffelstraße schoben und anzündeten. Die Feuerwehr löschte den Brand.

Sechs Vermummte warfen in der Petersburger Straße Steine gegen die Fensterflächen einer Bankfiliale. Die Scheiben wurden dabei beschädigt. Die Gruppe flüchtete.

In der Frankfurter Allee warfen Unbekannte einen Brandsatz gegen das Schaufenster einer Bankfiliale. Anwohner alarmierten die Polizei, nachdem sie einen Knall gehört hatten. Am Tatort fanden die Polizisten einen bereits erloschenen Brandsatz.

Unbekannte steckten in der Dieffenbachstraße einen Wagen an. Ein Passant bemerkte die Flammen und alarmierte die Feuerwehr, die den Brand löschte. Hinweise auf den oder die Täter gibt es nach Angaben der Polizei bisher nicht.

Am Sonntagmorgen setzten Unbekannte einen Land Rover in Mitte in Brand. Ein Taxifahrer hatte das Feuer an der Kreuzung Choriner Straße/Fehrbelliner Straße bemerkt und Polizei sowie Feuerwehr alarmiert, die den Brand löschte.
"
Quelle: Berlinonline, 14.12.08

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

@ ich — ich auch