3 griechische Linksintellektuelle zur Revolte

Pavlos Nerantzis + ROSSO 10.12.2008 23:25 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Ein sehr wesentlicher Punkt bei der gegenwärtigen Jugendrevolte in Griechenland ist die Tatsache, dass sie unter den nicht direkt daran beteiligten (lohnabhängigen) Massen über eine nicht geringe Sympathie verfügt, also alles andere als isoliert ist, auch wenn die Spaltungslinien gegenüber den Gewerkschaftsführungen, der Sozialdemokratie (PASOK und SYRIZA) sowie der griechischen KP (KKE) und zwischen diesen unübersehbar sind. Auch von einer echten Analyse der Bewegung und ihrem ebenso spontanen wie dynamischen und massiven Charakter sind alle Seiten weit entfernt. Was bislang existiert sind Bruchstücke. Der Griechenland-Korrespondent der linken, italienischen Tageszeitung „il manifesto“ hat für die Ausgabe vom 9.12.2008 unter bekannten, linken Intellektuellen einige Mosaiksteine zusammengetragen.
Die Wut der Dozenten: „Neues Bewusstsein, aus Blut entstanden“

Pavlos Nerantzis – Athen

Voller Wut und Schmerz über das, was geschehen ist, aber auch voll harter Kritik an der konservativen Regierung sind die Äußerungen der Universitätsprofessoren, die wir um einen Kommentar zu der Mobilisierung der Schüler und Studenten in Griechenland gebeten haben. Eine Mobilisierung, die ohne Gleichen ist. Die Universitätsdozenten haben den Generalstreik am 10.Dezember 2008 gegen die Hochschulreform vorverlegt und bereits gestern keine Lehrveranstaltungen abgehalten, genauso wie es sehr viele griechische Schulen taten, die von den Schülern besetzt wurden, bevor die Regierung erklärte, dass sie im ganzen Land für einen Tag geschlossen würden.

Jannis Mylopoulos ist Professor am Politechnikum von Saloniki: „Die Massenmobilisierung der Schüler und Studenten ist aufgrund ihres Ausmaßes, ihrer Stärke und Spontaneität unglaublich. Der Mord war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, weil die griechische Polizei üblicherweise in einer autoritären und oftmals willkürlichen Weise agiert. Der Unterbau der Macht, die halbstaatliche Mafia, die von der Rechten seit der Gründung des griechischen Staates ((1830)) geschaffen wurde, hat, dieses Mal dank der Politik der Regierung Karamanlis, ihre Tätigkeit bis in unsere Tage fortgesetzt. Die große Frage ist, welcher politischen Kraft es wie gelingen wird den Bürger von heute an davon zu überzeugen, das er einen Staat vor sich hat, der in der Lage ist, ihn vor Amtsmissbrauch / Übergriffen und Misshandlungen zu schützen.“

„Die Jugend sieht die Unfähigkeit der politischen Kräfte, zu regieren und die Ausweglosigkeit der eigenen Zukunft“, sagt Zissis Papadimitriou (Soziologieprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Saloniki). „In unserem Land gibt es auf politischer Ebene keine wirkliche Alternative. Die Tatsache, dass diese Protestdemonstrationen spontan sind, schließt nicht aus, dass in näherer Zukunft in Griechenlands politischem System neue Kräfte auftauchen können. Abgesehen davon ist sicher, dass diese Erfahrung bei allen Jugendlichen, die sich an den Mobilisierungen beteiligen, zu einem politischen Bewusstsein führen wird. Leider glänzt die Welt der Kultur allerdings durch Abwesenheit. Ein Teil meiner Kollegen steht der Zukunft dieses Landes vollkommen gleichgültig gegenüber, während andere inzwischen Teil des Establishments geworden sind.“

Triantafyllos Mytafidis ist Vorsitzender der Lehrerverbandes der weiterführenden Schulen ((Sekundarstufe 2, in der Regel für die 14 bis 19jährigen Schüler)) und war während des ((von 1967 – 1974 herrschenden, rechtsradikalen)) Obristenregimes politischer Gefangener: „Nach den Skandalen mordet die Regierung Karamanlis jetzt. Es gibt einen sehr wichtigen qualitativen Sprung in ihrer Repressionspolitik, nachdem sie uns bisher an die Verelendung, die Kommerzialisierung des Gemeineigentums, den Diebstahl der Gelder aus unseren Sozialversicherungskassen und an einen allgemeinen Autoritarismus gewöhnt hatte. Die Trostlosigkeit und Wut der Schüler und Studenten muss sich in eine treibende Kraft für neue soziale Kämpfe verwandeln.“



((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: * Rosso))

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover, die sich nach mehr als 17jähriger Arbeit Ende Oktober 2006 aufgelöst hat.
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weiterer bericht 13.12.2008 - 18:16
"Internationalismus live" mit Gast aus Griechenland: "Heute Athen, morgen ..."
13.12.08 - "Dies ist keine Bewegung der Autonomen und Anarchisten, wie die Zeitungen hier schreiben, sondern eine echte Massenbewegung", das berichtete gestern Abend Giorgos Papaioannou, Vertreter des griechischen "Bündnis der Radikalen Linken" ("SY.RIZ.A.") und Mitglied der in diesem Bündnis mitarbeitenden marxistisch-leninistischen KOE. Rund 150 Besucher waren in die "Horster Mitte" in Gelsenkirchen gekommen, obwohl erst seit dem Vormittag für die Veranstaltung "Zur offenen politischen Krise in Griechenlands" anlässlich des kurzfristigen Besuchs von Giorgos Papaioannou eingeladen wurde. 

Nach dem Auftakt mit einem schönen Partisanenlied von Mikis Theodorakis begrüßte Stefan Engel, Vorsitzender der MLPD, die Teilnehmer und den Gast. Der Mord an dem 15-jährigen Jugendlichen könne "nicht allein der Grund für eine solche Bewegung sein". Dass dies keineswegs so ist, wurde in den Ausführungen von Giorgos Papaioannou lebendig, der die Besucher der Veranstaltung hautnah am aktuellen Geschehen in Griechenland teilhaben ließ.

Auf dem Podium (von links nach rechts):
Giorgos Papaioannou, Klaus Wallen-
stein, Stefan EngelEr machte deutlich, dass mehrere Faktoren als Grundlage dieser Entwicklung zusammen kamen: Die hohe Arbeitslosigkeit gerade unter der Jugend; der Druck, massenhaft 400-Euro-Jobs und ähnliches anzunehmen; die Regierungspläne zu Privatisierung der Hochschulen, die durch eine breite Studentenbewegung vor zwei Jahren zu Fall gebracht wurden; die Erfahrungen mit der brutalen Unterdrückung solcher Kämpfe durch die Polizei und eine unheimliche Wut über die Korruptheit und Verkommenheit der Herrschenden, die von keiner Strafverfolgung behelligt werden.

Die arbeitenden Menschen und breite Teile des Volks unterstützen die Protestbewegung der Jugend. Während die revisionistische KKE vor allem die "Radikalität" der Bewegung kritisiert und regelrechte Angst vor ihr hat, wurde sie vom Bündnis "SY.RIZ.A." und der KOE von Anfang an gefördert und mitorganisiert.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die jetzige explosive Entwicklung eine längere Vorgeschichte hat und auf wichtigen Erfahrungen der Arbeiterkämpfe sowie der Studentenbewegung aufbaut. Wer sich in dieser Auseinandersetzung durchsetzt, ist von internationaler Bedeutung. Entsprechend verpflichteten sich die Teilnehmer der Veranstaltung, die Solidarität in Deutschland zu organisieren. Treffend meinte ein Redner, der griechischen Regierung müsse klar werden, dass "sie sich mit den Arbeitern auf der ganzen Welt anlegt".

Stefan Engel stellte den Zusammenhang zur internationalen Finanz-, Banken- und Börsenkrise und ihren Folgen für die Massen heraus. Es sei kein Zufall, dass es jetzt auch in Italien wieder zu Massenstreiks komme. Der Auslöser solcher Kämpfe seien die ersten Maßnahmen zur Abwälzung der internationalen Finanzkrise, die in verschiedenen Ländern bereits zu Produktionseinbrüchen führt und eine weltweite Überproduktionskrise vorbereitet. Massenproteste wie in Griechenland seien die "Vorwehen einer allgemeinen Verschärfung des Klassenkampfs".

Vertreter der Verbandsleitung des Jugendverbands REBELL überbrachten kämpferische Grüße an die griechische Jugend und überreichten dem Gast eine REBELL-Fahne. Solidaritätserklärungen an die Massenbewegung in Griechenland können an "rf-news" (E-Mail: redaktion@rf-news.de) zur Weiterleitung geschickt werden.

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