Griechenland: Generalstreik

Ludwig Börne 10.12.2008 22:57 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Während das Staatsradio von der ruhigsten Nacht seit Ausbruch der Ausschreitungen am Samstagabend berichtete, gab es heute einen Generalstreik im ganzen Land. Schon vor längerer Zeit hatten die beiden größten Gewerkschaften des Landes für heute zu einem Generalstreik aufgerufen. Das öffentliche Leben war deshalb weitgehend lahm gelegt. Der internationale Flughafen von Athen wurde geschlossen und auch der öffentliche Nahverkehr war betroffen. Banken, Behörden und staatliche Unternehmen arbeiteten eingeschränkt.
Generalstreik legt das ganze Land still

Seit dem frühen Morgen kam es zu Beeinträchtigungen vor allem im Bereich Verkehr. Es wird bis Mitternacht keine Flüge geben, weil die Fluglotsen streiken und daher der griechische Luftraum komplett geschlossen bleibt. Die Fluglinien nahmen in weiser Voraussicht bereits seit Tagen keine Buchungen mehr an. Zudem blieben die Schulen und die Ministerien geschlossen. Beim Stromversorger DEI ruhte die Arbeit, Krankenhäuser blieben geschlossen, Notdienste waren organisiert, Hotels und Taxis wurden nicht bestreikt. In Athen versammelten sich einige tausend Arbeiter und skandierten Sprechchöre gegen die Regierung. Im Laufe des Tages gab es eine Kundgebung, zu der die beiden größten Gewerkschaften aufgerufen hatten. Die Beteiligung am Streik sei „umfassend“ gewesen, sagte ein Sprecher des Gewerkschaftsbundes GSEE. „Das ganze Land steht still.“ Die Kundgebung fand in der Nähe des großen Weihnachtsbaumes auf dem Syntagma-Platz statt, der nun wie ein Mahnmal als verkohltes Skelett in den Himmel ragt. Die Gewerkschaften werfen dem Kabinett Karamanlis vor, durch Privatisierungen, Steuererhöhungen und eine Rentenreform zur Verarmung der Menschen beigetragen zu haben. Besonders betroffen sei das Fünftel der elf Millionen Griechen, das unterhalb der Armutsgrenze lebt. „Wir wollen diese Regierung stürzen sehen“, sagte Petros Constantinou von der Sozialistischen Arbeiterpartei. „Diese Regierung will, dass die Armen für die Probleme des Landes bezahlen - und nie die Reichen. Und sie wollen die, die protestieren, mit Polizeiunterdrückung unten halten.“ Auf einem Transparent stand unter anderem: „Die Reichen sollen für ihre Krise zahlen“.


Weniger Ausschreitungen als in den letzten Tagen

Die Regierung in Griechenland sieht sich nun mit einer Bewegung konfrontiert, die längst nicht mehr auf eine kleine Szene beschränkt ist, nebenbei nimmt auch der parlamentarische Widerstand zu. Die Gewerkschaften hatten die Forderung der Regierung nach einem Verzicht auf den Streik wegen der Auseinandersetzungen der vergangenen Tage zurückgewiesen. Am Rande einer Kundgebung, war es heute am Parlament zu neuen Ausschreitungen mit der Polizei in Athen gekommen. Einige Leute lösten sich aus der Kundgebung von mehr als 15.000 Menschen und warfen mehrere Molotow-Cocktails und Steine auf die Polizei vor dem Parlamentsgebäude. Die Polizei setzte massiv Tränengas und Schlagstöcke ein, um die rund 300 Randalierer auseinander zu treiben, wie es in den Medien hieß. Auch auf ein Athener Gerichtsgebäude gab es einen Angriff, außerdem hieß es, ein TV-Übertragungswagen sei in Mitleidenschaft gezogen worden. In der Nacht ist die Lage bis jetzt etwas ruhiger als die letzten Nächte. Im Athener Stadtteil Nea Smirni zündeten Jugendliche Mülltonnen an, an der Technischen Universität gab es ebenfalls Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften. Ein Polizist, der sich in Gefahr fühlte, feuerte in die Luft, die Polizeidirektion sprach von einem Warnschuss, Augenzeugen im Fernsehen von mindestens sieben, verletzt wurde angeblich dabei niemand.


Neue Angaben vom Verband der Geschäftsleute

Die Schäden nach den schweren Unruhen in Athen sind erheblich geringer als zunächst angenommen. Wie der Verband der Geschäftsleute am Mittwoch bekannt gab, seien insgesamt 435 Läden und andere Betriebe beschädigt worden. Der Sachschaden wird von den Besitzern auf zusammen etwa 50 Millionen Euro beziffert. Der Gesamtschaden war zunächst auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt worden. Kostas Karamanlis kündigte Entschädigungen für die Ladenbesitzer an. Laut Karamanlis sind unter anderem Soforthilfen in Höhe von 10.000 Euro für alle betroffenen kleinen und mittelgroßen Geschäfte sowie Unterstützungen bis zu 200.000 Euro für große Unternehmen geplant. Karamanlis zeigte sich in einer Fernsehansprache fest entschlossen, die Gewalt einzudämmen und die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen. Regierungskredite sollen bei der Renovierung beschädigter Gebäude sowie dem Ersatz gestohlener Waren helfen. 37 Läden in Athen wurden nach den neuen Daten vollständig zerstört, knapp 400 Geschäfte seien beschädigt worden. Schwere Schäden gab es auch in 16 Banken und zwei Supermärkten. Nach den neuen Angaben sollen auch drei Kinos drei Theater in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Über die Schäden in anderen Städten lägen noch keine Zahlen vor. Die Krawalle würden sich negativ auf das Verbraucherverhalten und den Tourismus auswirken, sagte Platon Monokroussos von der EFG Eurobank. Das Sicherheitsempfinden ausländischer Reisender werde dabei beeinträchtigt. Die Polizei nahm nach ihren Angaben zufolge bisher 108 Menschen im Zusammenhang mit den Ausschreitungen fest, die meisten nach ihren Aussagen wegen Plünderung. Den Angaben nach klauten Plünderer unter anderem Mobiltelefone, Computerzubehör, Kleidung, Schuhe, Elektrogeräte, Schmuck und Uhren. In der Nacht zum Mittwoch laut den Behörden in Athen 16 Griechen und 25 Einwanderer festgenommen. Regierungskreise traten abermals Gerüchten entgegen, dass Notstandsmaßnahmen geplant seien. Nach der Verfassung können öffentliche Versammlungen verboten werden, wenn von ihnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. „Hände weg von unseren Rechten!“, forderten einige Demonstranten heute auch auf ihren Transparenten.


Gutachten sorgt für Kontroverse - unabhängige Untersuchungen gefordert

Einem Gutachten zufolge soll der Junge von einem Querschläger getötet worden sein. Das teilte jedenfalls ein Anwalt der beiden beschuldigten Polizisten, Alexis Cougias, in Athen mit. Das Gutachten stütze die Angaben der Beamten, dass sie Warnschüsse abgegeben und nicht direkt auf den Jugendlichen gezielt hätten. Das Gutachten wurde zunächst nicht offiziell von den Behörden veröffentlicht. Der griechische Polizist, aus dessen Waffe der tödliche Schuss auf den Jungen abgegeben worden war, wird nach Angaben des Anwalts durch die ballistische Untersuchung der Kugel entlastet. „Die Untersuchung spricht für meinen Mandanten“, sagte am Mittwoch der Rechtsanwalt des mutmaßlichen Schützen. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür bislang nicht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf der griechischen Polizei ein zu hartes Vorgehen gegen die Protestierenden vor. In einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung forderte Amnesty die Regierung in Athen auf, „die unrechtmäßige und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt der Polizei“ zu stoppen. Griechische AI-Aktivisten hätten von Übergriffen der Polizei gegen friedliche Demonstranten berichtet. Zur Aufklärung der tödlichen Schüsse auf den 15-Jährigen müsse es eine unabhängige Untersuchung geben. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte in London eine unabhängige Untersuchung des Falls. Die Polizei habe widersprüchliche Angaben zum Tod des Jugendlichen gemacht.


Neue schwere Vorwürfe an die griechische Polizei

In Patras organisierten Ladenbesitzer eine Art Bürgerwehr, berichteten Medien heute. Mit Schlagstöcken und Eisenstangen bewaffnet sollen sich die Geschäftsleute den Randalierern entgegengestellt haben, wie der griechische Rundfunk berichtete. Ein auf Indymedia Athen und später auf deutsch veröffentlichter Bericht stellt den Fall anders da ( http://de.indymedia.org/2008/12/235623.shtml), demnach soll die Naziorganisation "Chrysí Avgí" bzw "Χρυσή Αυγή" mit der Polizei gemeinsame Sache gemacht haben und unbewaffnete Leute mit Messern und Tränengas angegriffen hat. Die Darstellung der griechischen Aktivistin scheint nicht so weit hergeholt, Anfang diesen Jahres hatte es schon einmal Vorfälle dieser Art in Griechenland gegeben ( http://de.youtube.com/watch?v=3g1VdrYBECs), ein weiterer Bericht auf Indymedia Holland scheint diese Aussage mit Fotos und einem Artikel zum selben Thema zu bekräftigen ( http://indymedia.nl/nl/2008/12/56319.shtml)


Solidarität kennt keine Grenzen – neue Aktionen in verschiedenen Städten

In Den Haag ( http://indymedia.nl/nl/2008/12/56282.shtml), Nijmegen ( http://indymedia.nl/nl/2008/12/56301.shtml), Kopenhagen ( http://politiken.dk/indland/article611172.ece), Izmir, Istambul ( http://de.indymedia.org/2008/12/235654.shtml) und in Zypern protestierten heute erneut Menschen und zeigten ihre Solidarität mit den Demonstrierenden in Griechenland. In Kopenhagen seien 25 junge Leute festgenommen worden, die sich zu einer Kundgebung in Kopenhagen versammelten hieß es. Die Demonstration sei nicht angemeldet gewesen, hieß die Begründung zur Festnahme. Die knapp 200 Demonstranten erklärten in Sprechchören ihre Sympathie für die Proteste Griechenland. In mehreren Städten Nordrhein-Westfalens hat es am Dienstagabend Demonstrationen gegeben. In Düsseldorf versammelten sich nach Polizeiangaben am Hauptbahnhof rund 100 zum Teil vermummte Personen zu einem Umzug zum griechischen Generalkonsulat. In Minden zogen rund 20 vermummte Menschen durch die Innenstadt. Eine Fassade der Commerzbank, sowie einen Streifenwagen der Polizei soll im Laufe des Abends bemalt worden sein, 17 Personen im Alter von 16 bis 20 Jahren wurden nach Angaben der Ordnungshüter festgenommen. In Bielefeld gab es eine Demonstration von 60-80 Menschen in der Innenstadt ( http://de.indymedia.org/2008/12/235652.shtml).
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Ergänzungen

Statement

Revo 10.12.2008 - 23:55
“Wir sind kurz, ganz kurz vom Ausrasten!”
Solidarität mit den Jugendprotesten in Griechenland!
Seit Tagen überschlagen sich die Nachrichten über die Geschehnisse in Griechenland. Linke Jugendliche haben die stärksten Unruhen seit 25 Jahren begonnen und das linksalternative Athener Stadtviertel Exarchia ist diversen Meldungen zufolge komplett frei von Polizeieinheiten. Wie kam es nun dazu?
Die Nachrichten sind sehr unterschiedlich. Die griechische Polizei selbst behauptet, ein Querschläger habe den 15jährigen Alexandros Grigoropoulos in die Brust getroffen, nachdem „30 Autonome“ einen Polizeiwagen angegriffen hätten. Von drei Schüssen, die ein Polizist abgegeben hätte, seien zwei auf den Boden abgegeben worden, von denen einer den Jungen in die Brust getroffen hätte. Eine sehr fragwürdige Geschichte.
Deutlich glaubhafter erscheinen hier die Augenzeugenberichte, die von „kaltblütigem Mord“ sprechen. Nachdem die Jugendlichen aus einer Bar kamen, haben sie die Polizisten „verarscht“ und eine Plastikflasche auf ihren Wagen geworfen. Zwei Minuten nachdem die Situation vorbei war, kamen die Cops zurück; einer der Beiden wirft eine Blitzgranate und der Andere erschießt Alexandros mit einem Treffer in die Brust. Ob er nun einen oder alle drei Kugeln auf den Jungen schoss, das wird hierbei völlig irrelevant.
Rasend schnell breitete sich die Nachricht nicht nur in Athen, sondern in ganz Griechenland aus, und kurz darauf kam es zu den ersten Unruhen, die sich auch auf diverse Inseln des Landes ausbreiteten (Korfu und Kreta, z.B.). Die Wut der Jugend in Griechenland über die miserable ökonomische Situation, unter der sie besonders zu leiden hat – die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 25%! –, kanalisierte sich durch diesen Vorfall mit der Wut gegen den Staat und die Polizeigewalt.
In ganz Griechenland wurden Polizeistationen angegriffen. PolizistInnen wurden verletzt und viele Polizeifahrzeuge zerstört. Aber nicht nur die Staatsgewalt wurde Ziel der Ausschreitungen, sondern auch Symbole des Reichtums, zu dem viele Jugendliche niemals Zugang haben werden. Seit dem Vorfall brennen jede Nacht neue (Nobel-)Läden, (Luxus-)Autos, Banken und Barrikaden. Die Polizei, setzt massiv Tränengas ein, was aber kaum Wirkung auf die Protestierenden hat. Und nachdem die Deeskalationstaktik keinen Erfolg hatte, scheint die Regierung langsam auf hartes Durchgreifen zu setzen. Die Polizei wird mit Steinen und Brandsätzen beworfen und offensiv angegriffen. Auch im Ausland gab es Solidaritätsproteste, etwa Besetzungen von griechischen Konsulaten in Berlin oder London.
Wir, die unabhängige Jugendorganisation REVOLUTION, unterstützen die Proteste. Unsere Solidarität gilt denjenigen, die sich zur Wehr setzen gegen Staat und Polizei. Wir begrüßen, dass der alternative Bezirk Exarchia derzeit frei ist von Polizeieinheiten und dass die Athener Innenstadt kurzzeitig unter Kontrolle der tausenden Protestierenden waren. Wir unterstützen die Streiks und Besetzungen der Schulen und Universitäten und freuen uns besonders über die Unterstützung der LehrerInnen, die in einen dreitägigen Solidaritätsstreik gegangen sind. Auch wenn wir die teilweise Rücksichtslosigkeit gegenüber unbeteiligten ZivilistInnen in Privatwohnungen kritisieren müssen, so bleiben wir solidarisch mit den linken Menschen, die sich gegen die unaufhörliche Gewalt des Systems auflehnen.
Auch 1983 wurde ein 15 Jähriger durch die Polizei erschossen. Die Unruhen dauerten damals zwei Monate – doch längerfristig haben diese Randalen nichts am Wesen des kapitalistischen Staates samt Polizeigewalt geändert. Damit nicht dasselbe noch einmal passiert, und die berechtigten Wutausbrüche nichts am Bestehenden ändern, muss die Verbindung zur ArbeiterInnebewegung gesucht werden. Die Ausschreitungen dürfen nicht isoliert bleiben, sondern müssen sich die Unterstützung der MigrantInnen, ArbeiterInnen, der Ausgebeuteten sichern. Andersrum muss der Generalstreik, der für den heutigen Mittwoch (10. Dezember) seit langem geplant wird, durch linke Jugendliche unterstützt werden. Nur so gibt es die Möglichkeit, die Klassenherrschaft, welche Polizeimorde erst ermöglicht, tatsächlich revolutionär zu überwinden.
Für die Freilassung der während der Unruhen Festgenommenen! Für bedingungslose Solidarität mit den Protesten! Für die Zusammenarbeit mit und Radikalisierung der ArbeiterInnenproteste! Für die revolutionäre Zerschlagung des Staates und des Kapitalismus!
 http://www.onesolutionrevolution.org/?p=321&language=de

Andere Bilder von Faschos in Patras

Gefunden auf indy.org.uk 11.12.2008 - 02:47
Hier ist ein Bild zu finden, das zwei der Faschos zeigen soll, mit denen die Polizei in Patras gemeinsame Sache machte, wie sie gerade Läden in der City zerstören, die die bürgerlichen Medien später der Demo anlastet:

 http://4.bp.blogspot.com/_BCsaeWGNwNI/ST5luVfWlKI/AAAAAAAAwvw/haWR4k3S64s/s1600-h/%CE%B5%CF%80%CE%B5%CE%B9%CF%83%CF%8C%CE%B4%CE%B9%CE%B1+%CF%87%CE%B1%CE%BC%CF%8C%CE%B3%CE%B5%CE%BB%CE%BF.jpg

Die Adresse der Seite

Gefunden... 11.12.2008 - 02:52
 http://www.indymedia.org.uk/en/2008/12/414810.html

mit weiterem Bildmaterial. Indy.org.uk hatte am 10.12. auch noch einige Videos, die diese Zusammenarbeit belegen sollen, kann ich aber nicht beurteilen (keine Akustik am Rechner).

Europas enttäuschte Jugend

http://oraclesyndicate.twoday.net 11.12.2008 - 18:24

weiterer Bericht zu den gestrigen Streikdemos

Entdinglichung 11.12.2008 - 19:17