Kölner Zahltag xxl, Tag 5

agenturschluss 06.12.2008 20:14 Themen: Freiräume Globalisierung Soziale Kämpfe
Am vorerst letzten Kölner Zahltag für diese Woche besuchten die Aktiven überraschend (und diesmal von den Repressionskräften ungestört) die "Sonderabteilung U-25" in der ArGe-Mülheim, Genovevastraße: Schwerpunkt war die Stelle für „Unter-25-Jährige", die in besonderem Maße von Diskriminierungen, Entrechtungen und Entwürdigungen durch eine auf diese "Sondergruppe" abgestimmte HartzIV-Gesetzgebung, aber auch von der Willkür, der Machtstellung und den Übergriffen durch die vollziehenden SachbearbeiterInnen, Teamleitungen und StandortleiterInnen ausgeliefert sind. Abgerundet wurde der "Zahltag XXL", der diesmal von einem bunten Bündnis verschiedener Gruppen rund um die soziale Frage, Antira, Antifa und Antimilitarismus getragen wurde, am Abend mit einer Party-Besetzung.
Der gestrige, vorerst letzte Aktionstag der Kölner Zahltag-Woche, begann wie die anderen Tage früh um 8 Uhr an der ArGe-Mitte/ Luxemburger Straße, wo gleich Begleitungsbedarf anstand. Eine Frau, die in der Woche von unseren Aktivitäten erfahren und sich deshalb auf zum Treffpunkt gemacht hatte, wurde wegen einer längst überfälligen Bearbeitung ihrer Übernahme der Nebenkosten zur Beschwerdestelle begleitet, wo ihr Anliegen auch gleich Bearbeitung fand. Erst im Anschluss machten sich die Aktiven auf den Weg in die ArGe-Mülheim,Genovevastraße, in der einige "Sonderabteilungen" untergebracht sind: Schwerpunkt dort war die Stelle für „Unter -25 Jährige", die in besonderem Maße von Diskriminierungen, Entrechtungen und Entwürdigungen durch eine auf diese "Sondergruppe" abgestimmte HartzIV-Gesetzgebung, aber auch von der Willkür, der Machtstellung und den Übergriffen durch die vollziehenden SachbearbeiterInnen, Teamleitungen und StandortleiterInnen ausgeliefert sind.
Wie immer gab es zunächst Frühstück mit Kaffee und Tee, diesmal für die überwiegend angespannten und zunächst auch uns gegenüber misstrauischen "jungen erwachsenen" „Hartz IV-BezieherInnen. Anders als am Tag zuvor konnten wir ungehindert die verschiedenen Flugblätter ausgelegt und verteilen und die Anwesenden über den "Zahltag!", unsere Erfahrungen und Positionen und unser Angebot, sie zu ihren "Persönlichen Ansprechpartnern" zu begleiten, informieren. Insbesondere informierten wir die Leute über die SozialschnüfflerInnen, die auf der selben Etage untergebracht sind. Nach einer Weile kam es im Wartesaal zu interessanten Diskussionen, und nach und nach kamen immer mehr junge Betroffene mit ihren ungeheuerlichen Geschichten und der Bitte um Beistandschaft auf uns zu: Es wurde deutlich, dass von den SachbearbeiterInnen der "U25"-Abteilungen besonders die Mittel der Zwangsunterbringung bei den Eltern, die Verbringung in 1-€-Jobs sowie die sanktionierende Kürzung auf Null mit der Aushändigung von Lebensmittelgutscheinen angewand wird - mit der Folge, dass etliche Jugendliche und junge Erwachsene auf den Bezug von ALGII lieber verzichten als sich den stets wiederkehrenden Erniedrigung und Unterwerfung durch die ArGe auszuliefern.
Sicherheitsdienstangestellte beobachteten unsere Aktivitäten (und machten sogar ihren Zuspruch deutlich), aber im Gegensatz zum gestrigen Aktionstag im Kalk-Karree, wo eine Hundertschaft der Polizei aufmarschierte, war diesmal weit und breit keine Polizei zu sehen. Abgeschlossene Türen signalisierten, dass die anwesenden SozialschnüfflerInnen, deren Aktivitäten bereits im Fokus von Kölner Sozialprotesten gestanden hatten, keinen Wert auf ein Zusammentreffen legten - vielleicht waren sie wegen eines früheren Besuchs eines der Sozialschnüffler zuhause einfach ängstlich ob der unberechenbaren „Zahltags-Aktiven"...
Im Anschluss waren Begleitungen zu den Sachbearbeitern unbedingt vonnöten, da die ArGe anscheinend gewohnheitsmäßig zur Praxis übergegangen ist, die jungen Leute einzuschüchtern, aufzuschrecken, abzuwimmeln oder mit Lebensmittelgutscheinen abzuspeisen. Mehrere junge Erwachsene, die frustriert und wütend aus den Zimmern kamen, wandten sich an uns oder wurden von uns angesprochen, um mit Unterstützung erneut mit den SachbearbeiterInnen zu verhandeln. Zwischenzeitlich wurde innerbehördlich offenbar die Direktive ausgegeben, zu jedem begleitenden Gespräch die Teamleitung hinzuzuziehen. Erfolgreich wurden so nicht nur Barzahlungen durchgesetzt, wo zuvor nur Lebensmittelgutscheine zugebilligt wurden, auch wurde die Entgegennahme von Anträgen auf eine eigene Wohnung erwirkt sowie Sanktionen und Zuweisungen von Jobmaßnahmen zum "Jugendlichen-Tarif" von 70 Cent pro Stunde.
Nur bei einem jungen Mann wurde weit nach Überschreiten der Öffnungszeit seitens der stellvertretenden Stationsleiterin eine komplette Barzahlung kategorisch abgelehnt: ursprünglich sollte er ohne Geld und Gutschein weggeschickt werden, statt dessen händigte sie ihm schließlich eine Barauszahlung von 50 € und einen Lebensmittelgutschein in Höhe von 50 € aus. Mehrere Zahltag-Aktive nahmen dies zum Anlass, im Anschluss gemeinsam auf diesen Gutschein einkaufen zu gehen und dafür dem jungen Mann das Geld in bar auszuhändigen - eine schöne Art, diese Gutscheinschikane zu unterlaufen.
Am Abend dann ließen es sich die Zahltag-AktivistInnen nicht nehmen, den Verlauf der Woche gemeinsam mit anderen Interessierten zu feiern. Und weil mit Präkarisierung und Verarmung nicht nur der Wohnraum in Köln ganz im Sinne der Gentrifizierung zunehmend unerschwinglich wird, sondern auch die Räume fehlen, in denen nach Lust und Laune und frei von Konsumzwang getanzt und gefeiert werden kann, wurde für diesen Abend ein Haus am schönen Rheinufer besetzt, das eben nicht, wie von Politik und Wirtschaft geplant, allein und unwidersprochen ein "Wirtschaftsstandort Medienhafen" sein wird.

Fazit: Mehr als manchmal warme Worte, ein Telefonat oder ein sogar ein Widerspruch sind die Zahltage eine direkte und unmittelbare Aktionsform, gemeinsam mit anderen von ArGe-Schikanen betroffenen Erwerbslosen für unsere Rechte zu kämpfen, Zumutungen und Schikanen zurückzuweisen und unser Anliegen für eine andere Welt in die Ämter zu tragen!
Es macht für die Aktiven einfach auch Spaß, wenn statt vereinzelter Wut, Frust und Verzweiflung mit den Hartz-IV-Gebeutelten wenigstens kurzfristig Genugtuung und Freude über den Erfolg und die Gegenwehr geteilt werden kann. Umsonst ist das nicht zu haben, es bedarf einer guten Überzeugungskraft und Beharrlichkeit, das Optimale aus diesem unsäglichen Hartz-IV rauszuholen, die systematische Schikane durch die SachbearbeiterInnen zurückzuweisen und zugleich zu vermitteln, dass es uns eben nicht nur um die unmittelbare Durchsetzung unserer wenigen verbleibenden Rechte geht, sondern um gemeinsames Handeln und um die Abschaffung nicht nur von Hartz IV!



Wir kommen wieder, keine Frage: Denn nach dem „ZAHLTAG!" ist vor dem "ZAHLTAG!"

(Eine Gesamtauswertung des Zahltag XXL folgt in den nächsten Tagen)
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Ergänzungen

Die einen handeln, die andern reden

Apaco 07.12.2008 - 16:29
Das klingt nach einer Super Aktion, wie auch die früheren Berichte von euch Kölner_innen als tätige und ausdauernde Bekämpfer_innen der repressiven Agentur und der Hartz-Funktionär_innen. Weiter so!
Hier in Berlin finde ich, wir könnten uns von euren Aktionen eine Scheibe abschneiden und sehe in eurer Handlungsweise ein anderes und wirksameres Selbstverständnis als Protestgruppe.
Habe selbst in der ersten Zeit von Hartz-Vier, mehr als zwei Jahre, Behördenbegleitung für verschiedenste Leute gemacht und mir damals in der Hauptstadt wirklich mehr vom Aufkommen einer solidarischen Struktur der Anti-Hartz-Kämpfer_innen erhofft, als sich dann später einstellte. Diese Erfahrung war für mich erstmal enttäuschend und um nicht als der Tropfen auf dem heißen Stein zu verzischen hab ich dann meine Tätigkeit auch geändert und mich aus der Behördenbegleitung zurückgezogen. Praktische und politisierte gegenseitige Hilfe bei der Agentur ist möglich und müßte auch jetzt noch möglich sein, meine ich, indem tätige Hilfe (Beistand beim Amt wirkt oft Wunder) und öffentliche Protesterklärung miteinander verbunden werden. Nur,wenn nicht irgendwann eine Zugkraft entsteht und du nach langer Zeit immer noch mit einem kleinen Kreis von Homies dastehst, die ihre Behördenbegleitung anbieten, läßt du es auch irgendwann wieder bleiben, weil deine Energie versiegt, und du läßt es bleiben wenn das überwiegende Protestverständnis im Umfeld auf Kampagnen gerichtet ist die nicht dauerhaft auf praktische Erfahrungen zurückgreifen und nicht dahin zurückstrahlen, wo es immer neue skandalöse Vorkommnisse, und auch neue Hartz 4- Betroffene als Gesprächspartner_innen gibt: in die Agenturen.
Handeln ist nicht nur das einzige ehrliche Kampfmittel, bei dem Erfahrungen aus der Agentur
gesammelt, ständig neue Hartz-Vier-Betroffene gesprochen und Bausteine für den Gegendruck der Ausgebeuteten gesetzt werden, sondern macht auch, durch persönliches Angefochtenwerden, Hindernisse und Begegnungen, realistischer und es bewahrt eine Anti-Hartz-Bewegung vor zuviel Herumreden, direktorialen Manieren, ehrgeizigen Akademiker_innen-Projekten und raschen Erfolgsansprüchen.


Holt euch die Villen! Zahltagparty

... 07.12.2008 - 17:14
Freitag Abend - Rheinufer Köln
Eine kleine Gruppe fährt vor einem leerstehenden Haus vor. Tür auf, Anlage und Getränke rein - die Party steht. Nach und nach trudeln mehr und mehr Leute über die SchleuserInnen zur Party. Es sollten über den Abend verteilt um die 200 Gäste werden. Kollektiv und solidarisch wurde wie in der gesamten Zahltag-Woche gezeigt, dass die "Ausgegrenzten" der Gesellschaft sich nicht einfach abfertigen lassen, sondern mit Widerständigkeit und Aneigung auf die repressiver werdenen Methoden des gesellschaftlicehn Arbeitsgefüges reagieren.

Fight for your right to Party!
Gerade in Köln fehlt es an sozial kulturellen orten, wo auch Menschen ohne viel Geld die Möglichkeit geboten bekämen, eigene Veranstaltungen oder Feten durchzuführen. Die Kürzungen der Städtischen zushcüsse bei den Bürgerzentren haben die Preise für Räumlichkeiten in die Höhe sprignen lassen, und Versuche politsche kulturelle Zentren sich anzueignen, wurdne immer wieder mit Polizei Repression beantwortet.

Die letzten Möglichkeiten, wie die selbstorganisierten Party unter der Mülheimer Brücke, mussten diese Jahr aufgrund polizeilicher und Ordnungamt-Repressionen eingestellt werden. So dass aufrgrund des akuten Raummangels wohl in Zukunft kein andere Weg, als die Besetzungen von ungenutzten Räumlichkeiten bleiben wird.

Insgesamt war ist die Besetzung als ein Auftakt für weitere unkontrollierten und selbstorganisierte Partys zu verstehn. Wo Staat und Behörden mit Repression reagieren - da folgt der Widerstand!

ALso Augen auf - Man sieht sich bei der nächsten Party!

PS: Die Bullen haben den gesamten Abend und Nacht über von nix was mitbekommen!

...Fotos...und VA zum Thema...

jjrhr 07.12.2008 - 17:24

Aufruf Zahltag AK

Donnerstag, 11. Dezember VA: Einführung in die Kritik der Arbeit!
19 Uhr Alte Feuerwache Köln (Melchiorstr.3)



Für jeden ist Arbeit selbstverständlich. Sie nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Es wird mehr Arbeit gefordert, Arbeit soll sich lohnen und ein sicherer Arbeitsplatz sei eine gute Aussicht. Aber wir sollen uns auch für die Arbeit lebenslänglich bilden, „Chancen erkennen“ und „Herausforderungen annehmen“.

Arbeit scheint also indiskutabel. Aber warum arbeiten wir?

Wieso beschäftigen wird uns selbst so sehr damit uns in Arbeit zu bringen? Wieso soll man sich seit dem 6. Lebensjahr möglichst gut bilden um später eine Arbeit zu finden? Und wieso soll man nicht sagen, dass Arbeit scheiße sei?

Mit dem Wandel der Arbeitsorganisation in den 70er Jahren hat die Krise der Arbeitsgesellschaft eingesetzt. Ihre Folgen sind Massenarbeitslosigkeit und Prekarisierung. Seit dem wird man von Ideen zur Arbeit erschlagen. Die einen wollen die Arbeit retten, damit wir nicht arm werden. Die anderen uns das Elend der Verhältnisse mit Werten und Leuchtreklame schönreden. Arbeitnehmern wird eine Bringschuld eingeredet um nicht „selbstverschuldet“ arbeitslos zu werden. Hauptsache alles wird getan, dass die Zahnräder in der kapitalistischen Maschine weiterlaufen. Geradezu irrelevant erscheint es dabei, dass es überhaupt nicht so viel Arbeit gibt wie nötig und welches Elend durch die neuen Arbeitsformen zugemutet wird.

Referent von der Gruppe Krisis
Donnerstag, der 11. Dezember, 19 Uhr
Alte Feuerwache Köln (Melchiorstr.3)

..

. 08.12.2008 - 16:29
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