Hintergründe: Verhaftungen in FR am 11.11.08

p 29.11.2008 18:10 Themen: Atom Repression Weltweit Ökologie
Am 11.11.2008 wurden in Frankreich nach Sabotageakten am Schienennetz zehn Personen festgenommen. Neun von ihnen sind nun unter dem französischen Anti-Terror-Paragrafen angeklagt. Im folgenden Artikel werden detailiertere Informationen zu den Verdachts-Konstruktionen und dem Vorgehen von Staat und Justiz sowie zur aktuellen französischen Medien-Panikmache gegeben.
Am Dienstag den 11. November 2008 wurden um 10 Uhr morgens zehn Personen in dem Dorf Tarnac in der Region Correze, in Paris, in Rouen und in Baccarat in der Region von Meurthe-et-Moselle bei einer großen Polizeioperation vorläufig festgenommen: Diese Operation trug den Namen Taiga und wurde von insgesamt 150 Polizist_innen aus unterschiedlichen Einheiten ( Antiterroreinheit; Kriminalpolizei; Geheimdienst) durchgeführt.

Von diesen zehn Personen wurden neun im Gebäude des französischen Geheimdienstes « Direction Centrale du Renseignement Intérieur (DCRI) » in Levallois in Gewahrsam genommen. Eine zehnte Person, Maryvonne H., Mutter von einer der in Gewahrsam genommenen, wurde in Baccrat festgenommen und verblieb kurzzeitig in Gewahrsam in Nancy.

Gegen diese Personen wird derzeit wegen Sabotageaktionen am Schienennetz der SNCF ermittelt, durch die der Zugverkehr gestört wurde und sich TGVs verspäteten. Den Personen wird vorgeworfen eine terroristische Vereinigung zu sein, weshalb sie nach Behördenangaben schon seit dem 16. April 2008 durch eine spezielle Anti-Terroreinheit überwacht wurden.

Aufgrund des Terrorismusvorwurfes können die Personen unter völlig verschärften Bedingungen und unter Beschneidung all ihrer Persönlichkeitsrechte (ähnlich wie in Deutschland) festgehalten werden.

Die Innenministerin Michele Alliot- Marie sagt dazu: „Diese Menschen haben die SNCF angegriffen da sie ein Symbol für den Staat ist und sie sich sicher sein konnten, dass dies großes mediales Aufsehen verursachen würde.“ (Zeitung Libération, 14.11.08)
Sie bezeichnet die Festgenommenen als „ultra-linke Anarcho-Autonome“. Die Zeitung „Le Figaro“ hat die Vorlage für diese Aussage schon geliefert: „Die gewalttätigen Verdächtigen, diese klandestinen Nihilisten, wollten ein Symbol des Staates angreifen.“ (12.11.08).

Die Ermittlungen beruhen auf dem Untersuchungsbericht der polizeilichen Beschattung, die Julien Coupat und Yldune L. zum Gegenstand hat. In der Nacht vom siebten auf den achten November sollen die beiden in Dhuisy (Seine-et-Marne), ganz in der Nähe des Ortes an dem eine Hakenkralle, befestigt an einem Kabel, eine Oberleitung beschädigt hat, beobachtet worden sein. Sie sollen Dinge in einen Mülleimer geworfen und sich dann, kurz vor vier Uhr früh, unter einer Eisenbahnbrücke aufgehalten haben.
Die Polizist_innen seien an den Ort zurückgekehrt, als sie die Gewissheit hatten, dass die beiden gegangen waren. Dort hätten sie ein Feuerwerksgebinde entdeckt, das in dem Moment losgehen sollte, in dem der erste Zug vorüberfahren würde und eine Ausdehnung der Oberleitungen verursachen sollte. Im Mülleimer seien Zugfahrpläne, ein „SCNF Reiseführer“ und die Verpackung einer Stirnleuchte gefunden worden.

Benjamin R. und Gabrielle H. wurden in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 2008 im Auto kontrolliert, in der Nähe von Vigny en Moselle, wo eine ähnliche Hakenkralle bereits auf einer Oberleitung angebracht worden war.

Die Ermittler_innen geben selbst zu, dass sie, anders als direkt nach den Festnahmen verkündet, keine aussagekräftigen Beweise für die Verstrickung von Personen in diese Sabotageakte haben: keine unmittelbaren Zeug_innen, keine abgehörten Telefonate mit strafbarem Inhalt, keine Fingerabdrücke und keine DNA. Sie geben sich damit zufrieden zu behaupten „schwerwiegende übereinstimmende Indizien“ feststellen zu können: die Angeklagten seien „in der Nähe der Orte“, an denen die Sabotageaktionen stattgefunden haben (begangen worden) „zu Zeiten die übereinstimmen könnten“ bemerkt worden.

Die an die Presse kommunizierte Liste der bei den Hausdurchsuchungen sichergestellten Gegenstände änderte sich im Laufe der Woche:
Am auf die Festnahme folgenden Dienstag und Mittwoch wird nur von militanter Literatur, von Rechtshilferatgebern („Wie verhalten bei Gewahrsamnahmen?“ etc.) und von Kletterausrüstung berichtet.
In den folgenden Tagen ist dann von verschiedenem Werkzeug, „einer recht großen Anzahl von Computermaterial“ und einer Anleitung zum Bau von Molotov-Cocktails die Rede

Wie bereits gesagt gibt es keine Beweise, aber als „Indizien, die eine Verdächtigung der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe zulassen“ werden die folgenden genannt:

Julien Coupat und Yldune L. wurden im Januar 2008 in den Vereinigten Staaten nach einer Demonstration auf dem Times Square in New York hinter einem Rekrutierungszentrum der amerikanischen Armee (angetroffen und) kontrolliert. Nach einem Attentat gegen das gleiche Militärzentrum im Frühling soll das FBI die französischen Behörden über „subversive Machenschaften“ dieser zwei Personen in Kenntnis gesetzt haben. Das Seltsame daran ist, dass diese zur Zeit des Attentats bereits nach Frankreich zurückgekehrt waren... Deshalb leitete die Pariser Staatsanwaltsschaft am 16. April 2008 Ermittlungen gegen die Aktivitäten der Gruppe des „gewalttätigen Protests“ um Julien C. ein. Er ist es auch, der in die Position des „führenden Kopfes der ultra-linken anarcho-autonomen Gruppe“ gebracht wird.

Die beschuldigten Personen hätten Kontakte mit deutschen, griechischen, italienischen und amerikanischen Militanten gehabt.

Einige der Angeklagten wohnen in einer anarchistischen Wohngemeinschaft auf dem Hof von Goutailloux in Tarnac, von Monsieur Jean-Calude Marin (Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft von Paris) als „ein Ort der Zusammenkunft, der Indoktrinierung, eine Rückzugsbasis für gewalttätige Aktionen“ (Le Monde, 15.11.2008) bezeichnet. Den Tatsachen nach waren sie gut in das Dorfleben integriert, hatten einen unabhängigen Lebensmittelladen gegründet, leiteten die Festhalle. Die Einwohner_innen (und andere Leute) haben eine Unterstützer_innengruppe für die Angeklagten gegründet. ( www.soutien11novembre.org)

Während ihrer Ingewahrsamnahme zeigten sie sich wenig redselig.

Sie benutzen ungerne ihre Handys, haben zum Teil nicht einmal welche, und bevorzugen die Benutzung von Telefonzellen.

„Unser Freund Julien C. ist ein Profi des Untergrundes der kein Handy benutzt und sein Auto wechselt wie das Hemd“, erklärt ein Polizist der ihn seit sechs Monaten überwacht, „Gelegentlich leiht er sich Handys von Leuten auf der Straße um zu telefonieren, einmal sogar um einen hohen Beamten in Rouen anzurufen.“ (Liberation, 15.11.2008)

Um dem Umstand zu begegnen, dass „unser Freund Julien“, nicht über seine Hosentasche lokalisiert werden konnte, wurde ein GPS-Sender unter seinem Auto angebracht.

- Julien Coupat sei „sehr intelligent“ da er sein Diplom an einer großen Handelsakademie gemacht hat und Doktorand an der Hochschule für Sozialwissenschaften ist. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift „Tiqqun“. Er wird verdächtigt das Buch „L'insurrection qui vient“ („Der kommende Aufstand“) bei der Edition La Fabrique (per Download über http//:www.mecanopolis.org/?p=2071 erhältlich) aufgesetzt zu haben. In dem auf Grund seiner recht revolutionsromantischen Rhetorik diskussionswürdigen Buch, befindet sich auch das folgende Zitat, das durch die Medien weiträumig und aus seinem Kontext gerissen verbreitet wurde: „Wie eine TGV-Linie, ein elektrisches Netz unbenutzbar machen?“
Dieses Buch ist unterzeichnet mit „comité invisible“ (in etwa: „unsichtbares Komitee“; in Bezug auf die von Guy Debord in „La société de spectacle“ entwickelten Thesen), was von den Medien zur „unsichtbaren Zelle“ gemacht wurde und mit Sicherheit mehr nach Terrorismus klingt.

Dem Staatsanwalt zufolge habe sich die Gruppe 2002/ 2003 gegründet, sie habe an gewalttätigen Demonstrationen teilgenommen, an Gegengipfeln und in sozialen Bewegungen. Was durcheinander genannt wird: der G8-Gipfel in Genua (2001) und in Heiligendamm (2007), CPE (2005), LRU und die Bewegung der Gymnasiast_innen (2007), die Student_innenbewegung in Thessaloniki in Griechenland, die Mobilisierung gegen die Kartei EDVIGE, der Immigrationsgipfel in Vichy (2008), Times Square in New York (2008)...


Am Samstag, den 15. November 2008, nach vier Tagen Ingewahrsamnahme, werden die neun Personen dem Anti-Terror-Haftrichter Thierry Fragnoli vorgeführt.
Alle neun sind unter dem französischen Anti-Terrorparagrafen angeklagt.
Dieser Paragraf ermöglicht, ähnlich wie der deutsche § 129 (a), ein präventives Vorgehen gegen „Personen, die in terroristische Aktivitäten verstrickt sind, ohne eine Verbindung zwischen dieser Aktivität und einem präzisen terroristischen Projekt beweisen zu müssen“, so Jean-Louis Bruguière, ehemaliger vorsitzender Richter der Anti-Terrorismus-Abteilung[1]. Auch die Konstruktion von Beweisen, welche herangezogen bzw. in den Medien zitiert werden, um den Terrorismus-Vorwurf zu untermauern, erinnern an den deutschen Gesinnungsparagrafen 129 (a); bereits der Besitz bestimmter Literatur wird zum Verdachtsmoment erhoben.

Gegen Julien Coupat wird als „Führer einer Struktur mit terrorisischer Berufung“ ermittelt, wofür bis zu zwanzig Jahre Gefängnisstrafe drohen.
Gegen Benjamin R., Gabriel H., Manon G. et Yldune L. wird wegen einer „kriminellen Vereinigung mit terroristischer Zielsetzung und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung an Eisenbahnlinien mit terroristischer Zielsetzung“ ermittelt, wofür bis zu zehn Jahre Haft drohen.

Jean-Claude Marin (Staatsanwalt von Paris) behauptet, dass diese fünf Personen „den harten Kern einer Gruppe, die den bewaffneten Kampf zum Inhalt hatte“ bilden. Sie befinden sich in Untersuchungshaft.

Für vier der insgesamt neun „Mitglieder“ (Bertrand D., Elsa H., Mathieu B. und Aria T.) dieser „unsichtbaren Zelle“ scheinen die Beweise dem Staatsanwalt nicht auszureichen, um sie der Sachbeschädigung zu beschuldigen. Allerdings scheinen die Beweise ausreichend genug zu sein, um die vier aufgrund einer „kriminellen Vereinigung in Verbindung mit einem terroristischen Unternehmen“ zu verfolgen.

Diese vier Personen wurden freigelassen, befinden sich aber unter richterlicher Kontrolle.


Für die Abschaffung der Anti-Terrorismus-Sondergesetze ! Freiheit allen politischen Gefangenen !


[1] zitiert nach  http://www.hrw.org/legacy/french/reports/2008/france0708/


 http://www.soutien11novembre.org
 http://tarnac9.wordpress.com
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Ergänzungen

Lafontaine als Pate für französische Linke

http://www.faz.net/ 29.11.2008 - 20:54
Lafontaine als Pate für französische Linkspartei

Oskar Lafontaine steht an diesem Samstag Pate, wenn der abtrünnige sozialistische Senator Jean-Luc Mélenchon Frankreichs neue Linkspartei (“Parti de gauche“) begründet. Der Hinterbänkler Mélenchon, der mehr als zwanzig Jahre für die Sozialisten im Senat saß, will enttäuschten Genossen eine neue Heimat bieten. Er strebt ähnlich wie sein Vorbild Lafontaine an, das von den Sozialisten vernachlässigte Terrain am linken Rand zu besetzen.

Anders als sein Pate kann er nicht auf einen Zusammenschluss mit den Kommunisten hoffen. Die Vorsitzende der Erbengemeinschaft der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), Parteisekretärin Marie-George Buffet, verteidigt ihre verbleibenden Besitzungen mit letzter Kraft.

Wahlbündnis für die Europawahlen

Mélenchon, der „gallische Bolschewik“ (so einer seiner Spitznamen), hofft deshalb lieber auf einen Wahlpakt bei den Europawahlen. Auch mit dem neuen Star der Linken, dem berühmten Briefträger Olivier Besancenot, ist Mélenchon in Verhandlungen.

Der Trotzkist ruft im Januar seine „Neue Antikapitalistische Partei“ aus, der jetzige Parteiname „Revolutionäre kommunistische Liga“ (LCR) hat dann ausgedient. Besancenot steht, wie er diese Woche im Nachrichtenmagazin „L'Express“ sagte, einem Wahlbündnis mit Mélenchon bei den Europawahlen durchaus offen gegenüber. „Wir reden miteinander“, sagte Besancenot.

„Historischer Irrtum“ der Sozialistischen Partei

„Wir versuchen im Hinblick auf die nächsten Wahlen eine gemeinsame Front aller wahren Linkskräfte zu bilden“, sagte Mélenchon kürzlich. Damit knüpft er an seine politische Sternstunde während der Referendumskampagne im Frühjahr 2005 an. Mélenchon hatte sich an die Spitze einer Allianz von sozialistischen Dissidenten, linken Souveränisten, Anarchisten, Globalisierungskritikern, Trotzkisten, Kommunisten und Grünen aufgeschwungen, die im neoliberalen Europa ihr Feindbild entdeckt hatten. Damals organisierte Mélenchon in Paris eine große Referendumsparty gegen den europäischen Verfassungsvertrag - mit Oskar Lafontaine als Ehrengast.

Mélenchons Kritik konzentriert sich mittlerweile auf den Vertrag von Lissabon, dessen Ratifizierung er verhindern will. Martine Aubry, der neuen Vorsitzenden der Sozialistischen Partei (PS), kann er nicht verzeihen, im Referendum dem europäischen Verfassungsvertrag zugestimmt zu haben. Mélenchon gibt sich vom „historischen Irrtum“ überzeugt, den die PS-Parteiführung begehe, in dem sie eine „Sozialdemokratisierung“ der Partei zulasse.

Das Mehrheitswahlrecht bleibt die größte Schwelle

Die neue „Parti de gauche“ setzt auf klassenkämpferische Parolen. Mélenchon will die Banken verstaatlichen, profitablen Unternehmen Kündigungen verbieten und die Steuern für die Besserverdienenden erhöhen. Das französische Mehrheitswahlrecht wird die neue Linkspartei voraussichtlich noch lange daran hindern, das außerparlamentarische Linksaußen zu verlassen.

Das Beispiel des „dritten Mannes“ bei der Präsidentenwahl, François Bayrou, spricht für sich. Ohne Bündnispartner konnte er nur zwei Abgeordnetensitze sichern. Das erklärt, warum Mélenchon alle Kraft auf die Vorbereitung der Europawahlen verwendet.

http//:www.mecanopolis.org/?p=2071

http//:www.mecanopolis.org/?p=2071 30.11.2008 - 02:19
http//:www.mecanopolis.org/ wird über deutsche DNS Server nicht aufgelöst, sondern führt zu  http://de.wikipedia.org/wiki/Hypertext_Transfer_Protocol.

Wenn man  http://www.mecanopolis.org googelt, kommt man auf die Seite und kann unter Articels den link zu „L'insurrection qui vient“ („Der kommende Aufstand“) finden und das Dokument als PDF laden.

Hier der Link zur pdf-Ausgabe des Buchs

Verlag la fabrique 30.11.2008 - 16:25
L’insurrection qui vient als pdf-Datei:

 http://www.lafabrique.fr/IMG/pdf_Insurrection.pdf

Giorgio Agamben

Übersetzerin 01.12.2008 - 00:20
Terrorismus oder Tragikomödie?

Am Morgen des 11. November umzingelten 150 Polizeibeamte, die meisten von ihnen Angehörige von Anti-Terror-Brigaden, ein 350-EinwohnerInnen-Dorf in der Hochebene von Millevaches, Frankreich, bevor sie einen Bauernhof stürmten, um neun junge Menschen festzunehmen (die die lokale Gemüsehandlung führen und versuchen, das kulturelle Leben des Dorfes zu beleben). Vier Tage später wurden die neun jungen Leute vor ein Anti-Terror-Gericht gestellt und "der kriminellen Verschwörung mit terroristischen Absichten angeklagt". Nach Zeitungsberichten haben Innenministerium und Minister "der lokalen und nationalen Polizei für ihre Umsicht gedankt".

Beginnen wir bei den Gründen: Die jungen Leute, gegen die ermittelt wird,"wurden von der Polizei verfolgt, weil sie der Ultralinken und dem anarchistisch-autonomen Milieu angehörten". Wie aus der Umgebung des Innenministeriums verlautet, "ist ihr Diskurs sehr radikal, und sie haben Kontakte zu ausländischen Gruppen". Noch mehr: einige der Verdächtigen "nehmen regelmäßig an politischen Demonstrationen teil", z.B. im Rahmen von Protesten gegen die staatliche Edvige-Datenbank (Exploitation Documentaire et Valorisation de l'Information Générale) und gegen die Intensivierung von Gesetzen, die die Immigration einschränken. Politischer Aktivismus (das ist die einzig mögliche Bedeutung solcher sprachlicher Monstrositäten wie "anarchistisch-autonomes Milieu") oder die aktive Ausübung politischer Freiheiten und die Anwendung eines radikalen Diskurses sind also ausreichender Grund, um die Anti-Terror-Abteilung der Polizei (SDAT) und das zentrale Büro des inneren Nachrichtendienstes (DCRI) in Aktion treten zu lassen. In Anbetracht des Demokratie-Abbaus durch die Edvige-Datenbank, biometrische Technologien und die Verschärfung der Immigrationsgesetze müsste jedoch jedeR, der/die auch nur ein Minimum an politischem Bewusstsein besitzt, die Anliegen dieser jungen Leute zu teilen.

Was die Ergebnisse anbelangt, hätte man erwarten können, dass die untersuchenden Beamten Waffen, Sprengstoff und Molotov-Cocktails im Bauernhof in Millevaches gefunden hätten. Weit gefehlt. SDAT-Beamte fanden "Dokumente, die detaillierte Information des Bahnverkehrs enthielten, auch die exakten Ankunfts- und Abfahrtszeiten von Zügen". Sprich: die Fahrpläne der nationalen Bahngesellschaft SNCF. Aber sie konfiszierten auch "Klettergerät". Sprich: eine Leiter, wie man sie in jedem Landhaus finden kann.

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit den Verdächtigten zu und vor allem dem unterstellten Kopf dieser terroristischen Bande, "dem 33-jährigen Anführer aus wohlhabenden Pariser Kreisen, der von Zuschüssen seiner Eltern lebt". Es handelt sich um Julien Coupat, einen jungen Philosophen, der früher (mit einigen FreundInnen) Tiqqun herausgebracht hat, eine Zeitschrift, deren politische Analysen - wenn sie auch ohne Zweifel umstritten sind - zu den intelligentesten unserer Zeit zählen. Ich kenne Julien Coupat aus dieser Zeit und verbinde mit ihm meine bleibende intellektuelle Wertschätzung.

Untersuchen wir also weiters den einzigen konkreten Tatbestand in der ganzen Geschichte. Die Aktivitäten der Verdächtigten sollen mit böswilligen Handlungen gegen die SNCF in Verbindung stehen, die am 8. November Verspätungen einiger TGV-Züge auf der Strecke Paris-Lille zur Folge hatten. Die Vorrichtungen, um die es in diesem Zusammenhang geht, können, soweit wir den Erklärungen der Polizei und der SNCF selbst Glauben schenken können, in keiner Weise Menschen verletzen: sie können im schlimmsten Fall die Kommunikation zwischen Zügen erschweren und somit Verspätungen verursachen. In Italien sind Züge oft verspätet, aber bis jetzt hat niemand auch nur davon geträumt, die staatliche Bahn des Terrorismus anzuklagen. Es handelt sich um geringfügige Delikte, auch wenn es niemandem in den Sinn kommen wird, sie gutzuheißen. Am 13. November formulierte ein Polizeibericht vorsichtig, dass es vielleicht "unter den in Gewahrsam Befindlichen GesetzesübertreterInnen gibt, dass es aber nicht möglich ist, einem von ihnen eine kriminelle Handlung zuzuschreiben".

Die einzig mögliche Folgerung aus dieser undurchsichtigen Angelegenheit: AktivistInnen gegen die (in jedem Fall fragwürdige) Art und Weise, wie mit sozialen und ökonomischen Problemen heute umgegangen wird, werden heute ipso facto als potenzielle TerroristInnen angesehen, sogar wenn keine einzige Handlung diese Anklage rechtfertigen kann. Wir müssen den Mut aufbringen, mit Klarheit zu sagen, dass heute zahlreiche europäische Länder (vor allem Frankreich und Italien) Gesetze und polizeiliche Maßnahmen eingeführt haben, die wir früher als barbarisch und antidemokratisch beurteilt hätten, und dass diese nicht weniger extrem sind als jene, die in Italien im Faschismus in Kraft waren. Eine dieser Maßregeln legitimiert die 96-Stunden-Haft einer Gruppe junger - vielleicht leichtsinniger - Menschen, denen "man keine kriminelle Handlung zuschreiben kann". Eine andere, ebenso schwer wiegende, ist die Verabschiedung von Gesetzen, welche Verbindungs- und Vereinigungsdelikte einführen, deren Formulierung bewusst vage gehalten bleibt und die es erlauben, terroristische "Absichten" oder "Bestimmungszwecke" politischen Handlungen zuzuordnen, die bis jetzt noch nie als terrorproduzierend angesehen wurden.

Erstveröffentlicht in: Libération, November 19, 2008
Quelle:  http://eipcp.net/n_t/1227536496

Artikel zu Freilassung

chris 02.12.2008 - 12:17
Im Umsonst(propaganda)blatt Metro France war heute ein Artikel über die am 11. November festgenommenen.
Ich habe (versucht) diesen zu übersetzen


Mis à jour 02-12-2008 09:32
Simples anars ou terroristes ?
La décision de remise en liberté de cinq suspects est décidée ce mardi.

Quinze jours après leur incarcération, quatre des neufs suspects, soupçonnés d’avoir commis des dégradations sur des caténaires SNCF, seront fixés cette après-midi sur leur demande de mise en liberté. Mis en examen pour dégradations et association de malfaiteurs en relation avec une entreprise terroriste, Gabrielle, Manon, Benjamin et Julien sont présentés par le parquet, comme le " noyau dur " d’une organisation d’extrême gauche.

" Instrumentalisation "
" Nous avons eu le droit à un rouleau compresseur politico médiatique qui s’est chargé de condamner à l’avance mes clients " expliquait ce lundi à Metro Irène Terrel, avocate des quatre suspects.

Le 11 novembre dernier, neuf personnes âgées de 22 à 34 ans étaient arrêtées à Tarnac, soupçonnées de plusieurs sabotages sur des caténaires SNCF. Du côté de l’accusation, les preuves formelles sont bien difficiles à produire. On évoque de forts indices, comme des écrits retrouvés lors des perquisitions et la présence, au moment des faits, de cinq suspects à proximité des lignes sabotées.

" Les accusations sont disproportionnées, et cette affaire totalement instrumentalisée » poursuit Irène Terrel. " Les permis de visite ont tous été refusés aux parents et je n’ai toujours pas la copie de la procédure. Dans ces conditions, comment défendre équitablement mes clients " s’insurge l’avocate.

Du côté du parquet de Paris, on explique que ces décisions " sont du ressort du juge d’instruction ", mais " que des retards peuvent se produire, car il n’y a pas un greffier derrière chaque dossier ".

Übersetzung:

Einfache Anarchos oder Terrorristen?
Die Entscheidung über die Freilassung der fünf Verdächtigen wird am heutigen Dienstag entschieden

Zwei Wochen nach ihrer Inhaftierung, bei vier der neun der Sachbeschädigung an Oberleitungen der SNCF Verdächtigten wird heute Nachmittag über ihren Antrag zur Freilassung entschieden. Beschuldigt der Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit einer terrorristischen Unternehmung, Gabrielle, Manon, Benjamin et Julien werden von der Staatsanwaltschaft als der « harte Kern » einer linksextremen Organisation dargestellt.

« Instrumentalisierung »

« Wir wurden von einer politischmedialen Dampfwalze überrollt, die meine Klienten im Vorhinein verurteilt hat » erklärte am Montag die Anwältin der vier Verdächtigten Irène Terrel gegenüber Metro.

Am 11. November, neun Personen zwischen 22 und 34 Jahren wurden in Tarnac festgenommen, verdächtigt der mehrerer Sabotageakte an den Oberleitungen der SNCF. Auf der Anklageseite ist es schwer formelle Beweise zu finden. Man bedenke die starken Indizien wie die bei der Hausdurchsuchung gefundenen Schriftstücke und die Anwesenheit der fünf Verdächtigten in der Nähe der sabotierten Strecken im Tatzeitraum.

« Die Anschuldigungen sind unangemessen und diese Angelegenheit instrumentalisiert » fährt Irène Terrel fort.  « Die Besuchsrechte wurden den Eltern vollständigt versagt und ich habe immer noch keine Kopie des Rechtsweges. Wie kann ich unter diesen Bedingungen meine Klienten vernünftig verteidigen » rebelliert die Anwältin.

Die Pariser Staatsanwaltschaft erklärt dass diese Entscheidungen die Angelegenheit des Ermittlungsrichters ist, es aber zu Verzögerungen kpmmen könnte, da nicht ein Amtsschreiber pro Akte da sei.



L’épicerie de Tarnac menacée ?

L’épicerie du village, tenue jusqu’à présent par certains suspects, prend du plomb dans l’aile. Outre la mise en cause de ses gérants, ses subventions (environ 4000 euros) ont été gelées, sur décision de la commission permanente du conseil régional du Limousin. Les élus locaux ont déclaré " regretter " cette décision.

Quelle:  http://www.metrofrance.com/x/metro/2008/12/01/UOYr7HNMVFXeE/

02-12-2008 09:28
"S'ils sont libérés, il y aura une fête au village"
Jean Plazanet est l'ancien maire de Tarnac (1967-2008), où vivaient les suspects

• Le calme est-il revenu à Tarnac ?

Oui, un peu, il est vrai que les dernières semaines ont été plutôt agitées. Vous savez, ici c’est un petit village de 350 habitants, tout le monde se connaît, et ces jeunes gens, on les voyait tous les jours. Nous sommes tous tombés des nues au vu de ce déploiement de forces de Police et de tous ses journalistes, dont certains étaient même arrivés la veille des arrestations.

• Les habitants sont-ils toujours solidaires des suspects ?

Tout à fait. Ici, 98 % des habitants sont solidaires et ne veulent pas croire à toutes ces accusations. Lors des manifestations de soutien de ces derniers jours, il y a eu une mobilisation exceptionnelle à Tarnac. Et tous les jours, les habitants viennent nous trouver pour demander des nouvelles. C’est le sujet permanent. L’immense majorité des gens sont outrés, car ils s’étaient attachés à eux.

• Vous les aviez accueillis… ?

Ah oui, comme tout bon maire qui se respecte. J’ai vu de suite que j’avais affaire à des gens intelligents et très prévenants. Ils cherchaient une veille ferme, ils en avaient marre de la vie parisienne. Tous les jours, ils venaient chez moi, emprunter des outils pour le jardin, les filles venaient avec ma femme pour la cuisine et pour tricoter. Dans ces conditions, vous comprendrez que cette affaire nous semble montée de toutes pièces. Certes, ils avaient leurs idées, mais de là à les traiter de terroristes.

• Vous attendez leur remise en liberté ?

Et comment ! Croyez bien qu’en cas de libération, il y aura une fête retentissante dans le village. Ils sont ici chez eux

Quelle:  http://www.metrofrance.com/x/metro/2008/12/02/fFwpwKRRlkEZ6/index.xml