'Hassmorde' an Transsexuellen in der Türkei

panamuk 24.11.2008 12:22 Themen: Gender
In den letzten Jahren hat die (nicht nur) in der türkischen Gesellschaft verankerte Homo- und Transphobie neben regelmäßigen gewalttägigen Übergriffen zu zahlreichen Morden an transsexuellen Personen geführt. Um auf die Situation von Transsexuellen in der Türkei aufmerksam zu machen, organisierte der Verein Pembe Hayat (dt.: Rosa Leben), die einzigen Anlaufstelle für und von transsexuellen SexarbeiterInnen in der Türkei, am 20. und 21. November in Ankara Veranstaltungen in Erinnerung an die “Hassmorde“ (türk.: nefret cinayetleri).
In den letzten Jahren hat die (nicht nur) in der türkischen Gesellschaft verankerte Homo- und Transphobie neben regelmäßigen gewalttägigen Übergriffen zu zahlreichen Morden an transsexuellen Personen geführt. Um auf die Situation von Transsexuellen in der Türkei aufmerksam zu machen, organisierte der Verein Pembe Hayat (dt.: Rosa Leben), die einzigen Anlaufstelle für und von transsexuellen SexarbeiterInnen in der Türkei, am 20. und 21. November in Ankara Veranstaltungen in Erinnerung an die “Hassmorde“ (türk.: nefret cinayetleri).

Wie Pembe Hayat berichtet, ist die Diskriminierung in ländlichen Regionen und Kleinstädten so stark, dass Transsexuelle gezwungen sind, in Metropolen zu ziehen. Viele fliehen dabei auch vor der Ausgrenzung und Gewalt in ihren Familie, die sie, ähnlich wie in Fällen von Ehrenmorden, als „Schande für die Familienehre“ wahrnehmen. Kommen sie in Großstädte wie Istanbul oder Ankara, werden sie an den Stadtrand oder förmlich ghettoisierte Straßenzüge gedrängt. Da sie in anderen Berufsfeldern keine Anstellung finden, verdienen die meisten (ca. 90%) ihren Lebensunterhalt als SexarbeiterInnen. Tagtäglich berichten die SexarbeiterInnen der Anlaufstelle Pembe Hayat von psychischer, sexueller und physischer Gewalt, der sie von Passanten, Kunden und der Polizei ausgesetzt sind. Der „Hass“ gegen Transsexuelle ist eingebettet in eine nationalistische, patriarchale und heterosexuelle Machtstruktur. Bei der Veranstaltung in der Ankara Universität bezeichnete eine der Teilnehmenden dieses System als „sexuellen Faschismus“, der Transsexuelle als eine Gefahr für die öffentliche (heterosexuelle) Moral und männliche Hegemonie wahrnimmt.

Von extremistischen Gruppen werden Transsexuelle laut eigener Aussage nicht mehr als Menschen wahrgenommen. So sind seit 1997 8 Transsexuelle ermordet worden: 1997 starb Gamze durch 16 Messerstiche in den Rücken, 1998 Nilüfer durch die Folgen einer Vergewaltigung, 2000 wurde Seher in ihrem Auto ermordet, 2003 starb Aydan in ihrer Wohnung durch Messerstiche in den Rücken, 2004 wurde Serpil in ihrer Wohnung ermordet und danach auf einer Müllkippe gefunden, 2005 wurde Sitem zuhause mit einer Wäscheleine erwürgt, im selben Jahr starb Cibali an den Folgen einer Vergewaltigung und 2006 wurde Nese auf der Straße ermordet. Der aktuellste Mord an einer Transsexuellen, Dilek Ince, geschah in der Nacht vom 10. auf den 11. November. Sie starb in einem Krankenhaus in Ankara, nachdem sie von 8 Schüssen aus einem Gewehr in den Kopf getroffen worden war. Dilek war eine der Transsexuellen, die eine Aussage gegen die Personen gemacht hatte, die 2006 an den Gewalttaten gegen Transsexuelle in Eryaman, einem Stadtteil von Ankara, beteiligt gewesen waren. Die wenigen Angeklagten waren nach der Gerichtsverhandlung am 17. Oktober freigelassen worden.

Die Vorfälle in Eryaman sind nur eins von vielen Beispielen für die systematische und strukturelle Gewalt an transsexuelle Personen. Bislang hatte man Transsexuelle in dem Bezirk Eryaman am Rande der Stadt geduldet. Nachdem sich die Stadt vergrößert hatte, begann man auch hier, luxuriöse Wohnblöcke zu bauen. Um die entsprechend wohlhabenden Bevölkerungsschichten anwerben 'zu können' wurden die 30-35 Transsexuellen, die in dem Stadtteil lebten, mit Schlagstöcken und Messern auf der Straße und in ihren Wohnungen attackiert, um sie zu vertreiben. Laut Pembe Hayat eine brutale 'Säuberungsaktion', geduldet (oder angeordnet?) von 'Sicherheitskräften' und der Stadtverwaltung. Die Bevölkerung beteiligte sich und die Medien schwiegen oder applaudierten.

Pembe Hayat wurde 2005 in Ankara gegründet, um gegen die massive Gewalt gegen transsexuelle SexarbeiterInnen aktiv zu werden und sich für den Schutz ihrer Menschenrechte einzusetzen. Derzeit bereitet der Verein die Gründung einer Gewerkschaft für Sexarbeiterinnen vor, die zentraler Bestandteil der Aktionen und Demonstrationen sein wird, die für März 2009 geplant sind. Da jedoch gerade Verhandlungen zur Schließung des LGBTT-Vereins Lambda in Istanbul laufen, da der Verein gegen die öffentliche Moral verstoße, ist fraglich, in wieweit dieser Plan im kommenden Jahr umgesetzt werden kann. Hier der Aufruf zu Aktionen für internationale Solidarität mit SexarbeiterInnen, homo-, bi- und transsexuellen Menschen in der Türkei, im Kampf für ihre Rechte!


Für weitere Informationen:

Bericht von Human Rights Watch (engl.):  http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/turkey0508_1.pdf
Bericht von ai (dt):  http://queeramnesty.ch/tuerkei_trans_berlin_200510.htm
Beitrag von Deutschlandfunk (dt):  http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2008/05/29/dlf_20080529_0919_3debc458.mp3
Homepage von Pembe Hayat (türk.):  http://www.pembehayat.org
Homepage von Kaos GL (türk):  http://www.kaosgl.com
Englische Berichterstattung von Kaos GL:  http://news.kaosgl.com
Bericht über Eryaman (türk):  http://toplumsalozgurluk.com/index.php?option=com_content&task=view&id=40&Itemid=72
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Presseerklärung

Plattform für die Rechte von LGBT 24.11.2008 - 12:55
Wir empfinden Trauer und Wut.
Wir trauern, weil eine weitere Freundin von uns das Opfer von heterosexistischem Hass geworden ist und ermordet wurde.

Die Transsexuelle Dilek Ince starb gestern, am 11. November, nachdem sie am Abend zuvor angegriffen und von Schüssen aus einem Gewehr in den Kopf getroffen worden war.

Wir sind wütend, weil wir hierher heute vom Friedhof gekommen sind. Wir sind wütend, weil wir nicht wissen welcheR unserer schwulen und transsexuellen FreundInnen als nächstes an der Reihe ist.

Wer hat die Transsexuelle Dilek Inci in der Hauptstadt mit einem Gewehr erschossen und werden die Mörder gefasst werden?

Wer hat den Schwulen Ahmet Yildiz ermordet und warum hat die Istanbuler Polizei die Mörder noch nicht gefunden?

Wer hat den Schwulen Ege Tanyürek in Adiyaman dazu gezwungen, sich das Leben zu nehmen?

Wir sind besorgt und haben Angst!
Sehr geehrter Präsident, wir fragen sie, sind Homosexuelle und Transsexuelle keine StaatsbürgerInnen?

Ist es nicht gegen das Gesetz, StaatsbürgerInnen unterschiedlich zu behandeln?

Wir fragen: wird die Polizei die Mörder finden?

Wird die Staatsanwaltschaft und werden die RichterInnen darauf verzichten, die Strafe aufgrund „schwerer Provokation“ zu reduzieren und die Täter freizusprechen?

Wir fragen: wer wird unsere Sicherheit und unser Recht auf Leben beschützen?

Wir sind besorgt und haben Angst, weil wir nicht wissen, wieviele Homosexuelle und Transsexuelle die ungeduldigen StaatsbürgerInnen unseres Präsidenten noch umbringen wollen.

Wir fragen uns, ob unser sehr verehrter Präsident, Besorgnis und Angst aufheben und eine gerechte und friedliche Gesellschaft schaffen wird.

Wir werden uns nicht ändern, ihr werdet euch an uns gewöhnen!

Wir haben an euren Türen geklopft, wir haben aufgeschrien, wir haben Leichenhemden getragen, denkt ihr wir spielen ein Spiel?

Nur weil wir transsexuell sind, nur weil wir schwul sind, wird uns das Leben genommen, werden wir ermordet. Wir suchen Gerechtigkeit, aber wir finden sie nicht.

Wir wollen nicht viel. Wir wollen nur nicht aufgrund unserer sexuellen Orientierung und Identität ermordet werden.

Wie lange noch werdet ihr trans- und homophoben Hass anheizen und dabei zusehen, wie wir umgebracht werden?

Hitler hat mit rosa Dreiecken gebrandmarkt und in Massen gemordet, aber er konnte nicht auslöschen. Ihr, die ihr zuseht, die ihr unter Frauen und Männern Leben wollt, denkt ihr, dass ihr auslöschen könnt, indem ihr jedeN einzelneN jagt?

Wir deklarieren!

Morde an Homosexuellen und Transsexuellen sind politische Morde – wir kennen die Mörder!

Wir werden euch nicht in Ruhe lassen.

Eure Moral, die mit dem Blut von Homosexuellen und Transsexuellen befleckt ist, soll untergehen!

Original auf:  http://www.kaosgl.org/node/2151

Presseerklärung

Pembe Hayat 24.11.2008 - 12:57
An die Presse und die Öffentlichkeit.

Heute ist der „Gedenktag für die transvestitischen und transsexuellen Opfer von Hassmorden“.
Vor 10 Jahren kam ein Ereignis in den USA in die Medien, das uns heute alles andere als fremd ist. Die Transsexuelle Rita Hester war im November 1998 in ihrer Wohnung auf grausamste Weise mit einem Messer erstochen worden. Nach den Mahnwachen für Rita Hester, bei denen mit Kerzen, „unserem Tod gedacht wurde“, wurde auf der ganzen Welt zum heutigen Gedenktag aufgerufen. An diesem Tag erinnern wir an Transvestiten und Transsexuelle, die wegen transphobischem Hass und Vorurteilen ermordet wurden, mit dem Ziel, Transsexualität sichtbar zu machen.
Rita Hesters MörderInnen konnten bis heute nicht gefasst werden. Das kommt uns bekannt vor, oder? Der Schmerz wegen unserer Freundin Dilek Ince, die gerade vor 10 Tagen ermordet wurde, ist noch frisch. Wir erinnern uns auch noch an unsere zahlreichen anderen transvestitischen und transsexuellen FreundInnen, die die Opfer von transphobischem Hass wurden.

Gamze starb 1997 durch 16 Messerstiche in den Rücken!
Nilüfer starb 1998 durch die Folgen einer Vergewaltigung!
Seher wurde 2000 in ihrem Auto ermordet!
Aydan starb 2003 in ihrer Wohnung durch Messerstiche in den Rücken!
Serpil wurde 2004 in ihrer Wohnung ermordet und danach auf einer Müllkippe gefunden!
Sitem wurde 2005 zuhause mit einer Wäscheleine erwürgt!
Cibali starb 2005 an den Folgen einer Vergewaltigung!
Nese wurde 2006 auf der Straße ermordet!

Die Morde an TransvestitInnen und Transsexuellen basieren nicht auf simplem Hass und es handelt sich dabei auch nicht um vereinzelte Ereignisse, wie dies von den Behörden gern dargestellt wird.

Ganz im Gegenteil handelt es sich dabei um einen Hass, der durch eine von den Machthabenden realisierte und institutionalisierte Politik verfestigt wurde.

Um es noch einmal zu betonen: die Morde an TransvestitInnen und Transsexuellen sind politisch!
Wir, die wir durch die Machthabenden und ihrer Doppelmoral als „den Fluch auf Erden“ stigmatisiert werden, wir transvestitischen und transsexuellen Individuen sind hier, um an unsere Freunde zu erinnern, die genau wegen dem Hass, den diese Doppelmoral hervorgebracht hat, ermordet wurden, und um gegen die Praxis der Ausgrenzung, Negierung und schließlich Eliminierung zu protestieren.

Wir sagen „basta!“

Ja, wir sind anders, und wir wollen nicht sterben sondern unser Anderssein leben.

Wir sind Transvestitinnen, wir sind hier, gewöhnt euch daran, wir bleiben!

Pembe Hayat LGBTT Beratungszentrum

Original auf  http://www.kaosgl.org/node/2183

Presseerklärung von Pembe Hayat am 20/11/2008

panamuk 24.11.2008 - 13:10
Presseerklärung von Pembe Hayat am 20/11/2008


An die Presse und die Öffentlichkeit.

Heute ist der „Gedenktag für die transvestitischen und transsexuellen Opfer von Hassmorden“.
Vor 10 Jahren kam ein Ereignis in den USA in die Medien, das uns heute alles andere als fremd ist. Die Transsexuelle Rita Hester war im November 1998 in ihrer Wohnung auf grausamste Weise mit einem Messer erstochen worden. Nach den Mahnwachen für Rita Hester, bei denen mit Kerzen, „unserem Tod gedacht wurde“, wurde auf der ganzen Welt zum heutigen Gedenktag aufgerufen. An diesem Tag erinnern wir an Transvestiten und Transsexuelle, die wegen transphobischem Hass und Vorurteilen ermordet wurden, mit dem Ziel, Transsexualität sichtbar zu machen.
Rita Hesters MörderInnen konnten bis heute nicht gefasst werden. Das kommt uns bekannt vor, oder? Der Schmerz wegen unserer Freundin Dilek Ince, die gerade vor 10 Tagen ermordet wurde, ist noch frisch. Wir erinnern uns auch noch an unsere zahlreichen anderen transvestitischen und transsexuellen FreundInnen, die die Opfer von transphobischem Hass wurden.

Gamze starb 1997 durch 16 Messerstiche in den Rücken!
Nilüfer starb 1998 durch die Folgen einer Vergewaltigung!
Seher wurde 2000 in ihrem Auto ermordet!
Aydan starb 2003 in ihrer Wohnung durch Messerstiche in den Rücken!
Serpil wurde 2004 in ihrer Wohnung ermordet und danach auf einer Müllkippe gefunden!
Sitem wurde 2005 zuhause mit einer Wäscheleine erwürgt!
Cibali starb 2005 an den Folgen einer Vergewaltigung!
Nese wurde 2006 auf der Straße ermordet!

Die Morde an TransvestitInnen und Transsexuellen basieren nicht auf simplem Hass und es handelt sich dabei auch nicht um vereinzelte Ereignisse, wie dies von den Behörden gern dargestellt wird.

Ganz im Gegenteil handelt es sich dabei um einen Hass, der durch eine von den Machthabenden realisierte und institutionalisierte Politik verfestigt wurde.

Um es noch einmal zu betonen: die Morde an TransvestitInnen und Transsexuellen sind politisch!
Wir, die wir durch die Machthabenden und ihrer Doppelmoral als „den Fluch auf Erden“ stigmatisiert werden, wir transvestitischen und transsexuellen Individuen sind hier, um an unsere Freunde zu erinnern, die genau wegen dem Hass, den diese Doppelmoral hervorgebracht hat, ermordet wurden, und um gegen die Praxis der Ausgrenzung, Negierung und schließlich Eliminierung zu protestieren.

Wir sagen „basta!“

Ja, wir sind anders, und wir wollen nicht sterben sondern unser Anderssein leben.

Wir sind Transvestitinnen, wir sind hier, gewöhnt euch daran, wir bleiben!

Pembe Hayat LGBTT Beratungszentrum

Original auf  http://www.kaosgl.org/node/2183

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

@ "AntiRa" — ultrá bal

gähn — ja und

Trauer Wut und Panik — Nakte Angst