Offener Brief an alle Polizeieinsatzkräfte

tnirp 14.11.2008 20:21 Themen: Antifa
Das Gräfenberger Bündnis gegen Rechtsextremismus hat am Vorabend eines erneuten Naziaufmarsches in Gräfenberg einen offenen Brief an die Medien verteilt. Das Bündnis reagiert damit auf die Ankündigung der Bamberger Polizei, dass es am Samstag, 15. November 2008 ein Großaufgebot an Polizei geben werde. Es würden auch starke Polizeikräfte aus anderen Bundesländern nach Gräfenberg geholt, wird mitgeteilt. Ausschlaggebend hierfür sei nicht die polizeiliche Prognose, dass die Bürger vor den Neonazis geschützt werden müssen. Vielmehr erwarte die Polizei, dass die um 11 Uhr von Friedensinitiativen und verschiedenen Anti-Rechtsbündnissen aus Nürnberg angemeldete Kundgebung am Bahnhofsplatz zu Gesetzesüberschreitungen führen könnte. Dem Bürgerforum sei daran gelegen, insbesondere die auswärtigen Polizeikräfte über die Situation in Gräfenberg aufzuklären.
Sehr geehrte Damen und Herren,

seit zwei Jahren fallen Rechtsextremisten aus ganz Bayern im zwei- bis vier-Wochen-Takt fahnenschwingend und grölend in unsere Stadt ein, um Bürgerschaft, Stadtrat und Kirche unflätig zu beleidigen, sich offen zum Hitler-Faschismus zu bekennen („wir Nationalsozialisten“) und gewalttätiges „Aufräumen“ für den Tag ihrer Machtübernahme anzudrohen. Die Polizei hat uns, den Bürgern von Gräfenberg, im Vorfeld der erneuten Zusammenrottung auswärtiger Rechtsextremisten in unserer Stadt bedeutet, dass dieser NPD-Aufmarsch von noch weit massiverer Polizeipräsenz begleitet sein wird als bisher. Tenor der polizeilichen Ausführungen war nun allerdings nicht, dass das angekündigte massive Polizeiaufgebot auf einen besonderen Schutz der Bevölkerung vor befürchteten Ausschreitungen der Rechtsextremisten gerichtet sei. Die hohe Polizeipräsenz wurde vielmehr begründet mit dem Hinweis auf etwaige Auswüchse des stets überparteilichen und dankenswerterweise auch überregionalen Protests gegen die Aufmärsche. Es seien, hörten wir weiter, dazu diesmal auch Polizeikräfte aus anderen Bundesländern angefordert worden. Dies gibt uns Anlass, die ortsunkundigen Einsatzkräfte genauso wie die hier nun schon seit Jahren immer und immer wieder zu Wochenendeinsätzen gezwungenen Polizeibeamten über uns und unser Anliegen zu informieren.

Das Bürgerforum Gräfenberg ist ein überparteiliches Bündnis für Demokratie und Menschenrechte, zu dem sich engagierte Bürger, Vertreter von Vereinen, der Kirchen und alle im Stadtrat vertretenen demokratischen Parteien unter dem Motto „Gräfenberg ist bunt“ zusammengeschlossen haben. Mit vielfältigen, phantasiereichen und ausnahmslos gewaltfreien Aktionen gegen die ständigen Neonazi-Aufmärsche hat das Bürgerforum weit über die deutschen Grenzen hinaus Beachtung gefunden und honorige Auszeichnungen für beispielgebendes Bürgerengagement gegen Rechtsextremismus erhalten. Dieses unermüdliche Engagement hat Gräfenberg den bis Washington wahrgenommenen Ruf einer deutschen Modellstadt gegen Rassismus und Demokratiefeindlichkeit erworben. Die Reihe unserer Unterstützer reicht vom Bundespräsidenten, von Bischöfen beider Konfessionen, jüdischer Kultusgemeinden der Region, über Bürger- und Oberbürgermeister der Städte und Gemeinden in weitem Umfeld bis zu nahezu allen gewerkschaftlichen, religiösen und gesellschaftspolitischen Organisationen, die sich in Bayern gegen ein Wiedererstarken der rechtsextremistischen Kräfte engagieren.

Wir sind ob so breiter Unterstützung unseres Engagements gegen Rechtsextremismus ebenso stolz wie dankbar. Wir sehen deshalb auch nicht den geringsten Anlass, uns von irgendeiner unserer Unterstützergruppen zu distanzieren, die in der Zusammenarbeit mit uns, in der gemeinsamen Abwehr rechtsextremistischer Angriffe gegen die freiheitliche Grundordnung unseres Landes, alle gebotenen Spielregeln demokratischen Widerstands einhalten; dies gilt für den Bamberger Erz- oder den bayerischen Landesbischof genauso wie etwa für die Nürnberger oder Fürther Antifa. Aber wir sehen mit Besorgnis, dass unser Engagement für Demokratie, Toleranz und Menschenwürde in die Nähe von politischem Extremismus gerückt wird. Dies vor allem seit sich Bürgerinnen und Bürger in einer spontanen, absolut friedlichen Aktion dem 30. Aufmarsch der Neonazis in den Weg gestellt haben!

Wir richten dieses Schreiben an Sie, um einer im Zweifelsfall fatalen Fehleinschätzung vorzubauen: Nicht wir Bürger sind eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserer Stadt, sondern die Neonazis, die in SA-Manier grölend durch unsere Straßen ziehen, „N A T I O N A L E R S O Z I A L I S M U S J E T Z T !“ brüllen und sich selbst offen als „Nationalsozialisten“ rühmen. Nicht unsere Unterstützer sind eine Gefahr für die demokratische Grundordnung unseres Landes, sondern die Neonazis, die hier zum Hitlerwehrmacht-Heldenkult aufmarschieren, gegen Ausländer hetzen und menschenverachtende Parolen schwingen, die wir aufgrund ihrer Ekelhaftigkeit gar nicht zitieren wollen. Nicht von uns drohen Rechtsbrüche und Straftaten, sondern von den Neonazis, die in unserer Stadt und umliegenden Gemeinden Hakenkreuze schmieren, Plakate verbrennen und Bürger bedrohen.


Wir stehen gemeinsam mit unseren Unterstützern für Vielfalt und Toleranz in unserem Land und gegen rechtsextremistische Angriffe auf die Grundwerte unserer Gesellschaft. Nicht unser Protest ist eine Provokation für die Nazis, sondern der Aufmarsch der Neonazis ist eine Provokation für jeden demokratisch gesinnten Bürger. Wir verlangen nicht von der Polizei, dass sie uns vor solchen Provokationen schützt, die uns von Verwaltungsbehörden und Richtern als „rechtens“ zugemutet werden.

Aber wir verlangen: Schützen Sie nicht die Neonazis vor unserem Protest! Wir wollen, dass die Nazis genau so wie die Menschen im ganzen Land unseren Protest gegen ihre Aufmärsche sehr deutlich hören und sehen können. Helfen sie uns, unsere demokratischen Grundrechte gegen die rechtsextremistische Belagerung unserer Stadt so weit wahrzunehmen, wie es das Gesetz zulässt. Helfen Sie uns, dass Presse, Funk und Fernsehen unbehindert die Zumutung auswärtiger NPD-Marschierer in unserer Stadt und den Protest der Gräfenberger Bürger dokumentieren können. Nutzen Sie Ihre Ermessensspielräume in Gräfenberg nicht gegen, sondern für die Bürger, die sich für die Menschenrechte und gegen Rassismus, Antisemitismus und demokratiefeindliches Denken engagieren!
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