Ein virtueller Staat

Netz-User 11.11.2008 15:59 Themen: Netactivism
Seit mindestens zehn Jahren, solange gibt es nun schon die bekannteste "Mikronation", die "Demokratische Union", existieren virtuelle Staatensimulationen im Internet. Über ein Internetforum wird über Gesetze abgestimmt, Debatten durchgeführt - wenn man die spießige Variante spielen möchte.
Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten: So werden auch anarchistische Staaten simuliert, wirtschaftsyndikalistische libertäre Systeme werden ausprobiert, ebenso auch Anlehnungen an existierende Nationen wie das Vereinigte Königreich.

Doch wo es Leute gibt, die mit mehr oder weniger Phantasie Ideen entwickeln, die nur ein wenig von dem Existierenden abweichen, gibt es die, die gerne und maßlos übertreiben. Sie vergessen dabei, zu erkennen, was sie dort angerichtet haben und wen solche Modelle in Wirklichkeit anlocken. Anders kann man sich die Staatensimulation "Ratharia" nicht erklären.

Der Staat, in der die "die Idee des Rommelismus gelebt" wird, in der es (Quelle: LINK1) sogar fiktive Streitkräfte gibt, deren Protagonisten die Nachnamen von Papen, Manstein, Hess, Keitel und Ludendorff tragen. Staatsführer ist der Staats-Kaiser "Franz-Josef Rommel".

Es gibt sogar eine eigene Nationalhymne: Das Lied der Ratharier über zwei Strophen, die den beiden ersten Strophen des Deutschlandliedes ähneln. Die Melodie ist sogar die Gleiche.

Die Staatsfarben Schwarz-Weiß-Rot, die eigene Reichskriegsflagge, die Namen von Nazigrößen, die Erwähnung und Preisung des "Rommelismus" deuten daraufhin, daß dort nationalsozialistische und militaristische Legenden relativiert werden.

Befremdlich wirkt, dass die Seite anscheinend schon einmal entschärft wurde. Während die aktuelle Seite diesen Passus nicht erwähnt, stellt die ehemalige Seite "Ratharias", die unter LINK2 noch zu erreichen ist, folgendes fest: "Wir simulieren in der heutigen Zeit, einen fantastischen Staat, den unsere Uropa vielleicht mitaufgebaut haben, als wäre er nie zerstört worden."

Zwar wird dort auch die Zeit der Weimarer Republik von 1919-1933 in dem Kontext erwähnt, die Tatsache, dass die "Mikronation" das an Frankreich anlehnende "Verdon" annektierte und die Streitkräfte sogar über eine "Atomstreitkraft" verfügen, lässt keine Parallele in die Zeit des begrenzten Militärs vermuten, einen Kaiser gab es damals auch nicht.

Erschrecken lässt, daß die Seite auf dem gleichen Server gehostet ist wie die Seite der Jusos in Iserlohn, die man unter jusos.mn-web.net findet. Der Server ist auf den Vorsitzenden der Jusos Iserlohn, M.H., angemeldet.
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Ergänzungen

Na ja

... 11.11.2008 - 17:15
Ich würde das mal nicht überinterpretieren. Wenn man sich die ganze Geschichte so anschaut, scheint das ein kleiner Haufen Monarchisten zu sein, die sich überlegt haben, wie das Kaiserreich wohl heute aussähe. Von Nazipropaganda findet man (zumindest mal so beim groben Überfliegen) nichts. Nazis hätten ihrem "Staat" wohl auch keinen Bevölkerungsanteil von 5% gegeben (mehr als im Kaiserreich, wenn ich`s richtig erinnere).
Das mit den Namen ist auch so ne Sache. Im Allgemeinen beziehen sich die Nachnamen (die VOrnamen stimmen ja mit keinen historischen Personen überein) auf Personen des Kaiserreichs und vor allem des 1.WK.. In dem Gesamtbild bezweifle ich, ob bei den Namen, die auch "große Perönlichkeiten" des 3. Reichs trugen, auch tatsächlich diese gemeint sind. So kann bspw Hess nicht nur auf den Bruchpiloten Rudi anspielen, sondern statt dessen auf den gleichnamigen Feldmarschall.
Eindeutiger Bezug dürfte nur bei Rommel da sein (der allerdings auch schon im 1. WK als Kriegsheld galt), wobei der ja immernoch für viele als "sauberer" General gilt (dass das "zweifelhaft" (zum. nach Afrika) ist und es so was eh` wohl noch nie gab, ist klar, läßt aber eben nicht auf Verherrlichung des Nationalsozialismus schließen.)

Von daher: Monarchisten ja, Nazis wohl kaum. Natürlich ist Monarchismus jetzt auch nichts tolles, aber die paar Spinner, die es da noch gibt, sind wirklich nicht der Rede wert. Oder anders formuliert: Wenn mal Zeiten gekommen sind, wo das Nazi-Problem und sonstige Probleme so klein sind, dass man sich um Monarchisten kümmern kann, geht`s der Welt schon verdammt gut.

Sichtweisen...

Blender 11.11.2008 - 17:30
Man sollte vorsichtig sein in der vorschnellen Bewertung des Phänomens "Mikronation".
Diese bekennen sich im deutschsprachigen Raum stets zu Fiktionalität. Fakt ist auch, dass es einzig um das Spielprinzip der Simulation geht.
Mikronationen reihen sich oft in ein geografisches und politisches Umfled anderer Mikronationen ein, so leigt es auf der Hand, dass Nischen gesucht werden um dem Spiel Abechslung zu bieten.
Dass jemand eine monarchistische MN betreibt, muß nicht bedeuten, dass er sich dem ideoligisch nahe fühlt. Es geht eher um die Bereicherung der Szene, die sich durch hohe Vielfalt auszeichnet. Auf Mutter Erde gibts auch nicht nur Demokratien oder Blumenkinder.

Ich kenne übrigens mehr Brettspiele, die sich mit bedenklichen Themen befassen, als Mikronationen.

Schlussendlich will ich darauf hinweisen, dass man sich bitte selbst ein Bild von den Mikronationen als politisches und kulturelles Spiel machen möge, bevor man irgendwelche Fakten davon loslöst und sie fern davon politisch ausschlachtet.

Sowohl als auch...

Kobold 11.11.2008 - 18:19
Finde auch, dass das hier überspitzt dargestellt wird. Aber: Wenn es hier reine Fiktion und reine Simulation wären, hätte man doch dort auch Trennlinien gesetzt. Oder wird in einer anderen "Mikronation" eine Nationalhymne gespielt, die eindeutig der Melodie von Haydn entspricht und nur die leicht umgeänderten ersten zwei Strophen des Deutschlandlieds abspielt?

Die Personen Ludendorff (der zwar 1923 beim Hitler-Putsch mitgemacht hat, aber hinterher vor der Machtergreifung Hitlers warnte), von Papen (der die Machtergreifung erst möglich machte) und Keitel (verurteilter Kriegsverbrecher) haben trotzdem ein Geschmäckle.

Und die Beschreibungen der Simulation auf der Startseite sind nicht, wie in anderen Mikronationen, "sim on" (also fiktiv) gehalten, sie sprechen den Außenstehenden an (also "sim off") - da wird also zumindest nicht sauber simuliert.

Und ich bezweifle, dass man eine Reichskriegsflagge, die in Deutschland einfach nicht benutzt werden darf, eben in einer Mikronation, die auf einem deutschen Server gespielt wird, dann wegen der "Fiktionalität" darstellen darf.

Die anderen Nationen schaffen es doch auch, dort klar zu trennen. Hier befindet man sich in einer Grauzone. Die Protagonisten dort scheinen keine Rechten zu sein - solche Konzepte ziehen aber doch Rechte an und man gibt ihnen damit eine Spielwiese...

Ich bin mir unschlüssig, da eine Wertung vorzunehmen...

Danke...

I-330 11.11.2008 - 18:51
... für den Versuch, zum Thema Nazis im Internet zu sensibilisieren. Monarchistische Mikronationen sind aber, da Gedankenexperimente, mE gar nicht das größte Problem. Als viel problematischer betrachte ich z.B. rechtsextreme Clans bei Onlinespielen, die dann auch massiv um Mitglieder werben, wo es Querverbindungen zu faschistischen Internetforen u.ä. gibt. Was mir auf manchen Frage-Antwort-Communities sauer aufstieß, sind auch ganz unverhohlene Versuche von Neonazis, bei Fragen zu Politik, Geschichte und Gesellschaft z.B. für die NPD zu werben, rassistisch-nazistische Ideologien gesellschaftsfähig zu machen und durch das doch sehr polarisierende Thema Moscheebau massiv Stimmung gegen Muslime, Türken usw. zu machen. Da sollte man mE viel stärker versuchen, die breite Bevölkerung, Linke und auch die Mods und Admins solcher Communities zu sensibilisieren, damit Nazis im Netz keinen Fußbreit gewinnen können und ihnen starker Widerstand begegnet, wo auch immer sie gerade ihre braunen Kackhäufchen hinsetzen wollen.

Antifaschistische Grüße
I-330

Marcel H.

ultrá bal 11.11.2008 - 22:02
Ich kenne den Vorsitzenden der Jusos Iserlohn und würde ihn auch in dieser Hinsicht nicht für bedenklich halten. Man kann bei derartigen Mikronationsprojekten davon ausgehen, dass der Betreiber die ideologischen Ansichten seines virtuellen Staates nicht teilt und ich denke, hier ist es noch im Rahmen.

Micronations sind...

hat mal mitgespielt 11.11.2008 - 22:22
... nur Onlinespiele, in denen wirklich alles mögliche durchgespielt wird, vom klassischen BRD-Verschnitt über Kommunen, stalinistische Systeme und Kaiserreiche bis zum Faschismus (wobei den zu simulieren auch innerhalb der - vielleicht noch 20-30 Leute zählenden - deutschsprachigen Szene extrem umstritten ist). Mit realen politischen Einstellungen hat das nur in Ausnahmefällen was zu tun, obwohl es durchaus einige wenige Leute mit sehr rechtem bis nationalsozialistischem Gedankengut in den Foren gibt. Allerdings gibt es - abgesehen von Lust mitzuspielen oder Interesse am Freakigen - keinen ernsthaften Grund sich mit dem ganzen auseinanderzusetzen, schon gar nicht politisch. Außerdem erledigt es sich mit der Zeit von selbst, die MitspielerInnen werden aus irgendeinem Grund seit mindestens 4 Jahren ständig weniger.