[Jena] Campusumgestaltung, Guerilla Gardening

Estella Roja 09.11.2008 15:21 Themen: Bildung Freiräume
Jena – für politisch Aktive und kritische Geister ein recht trauriger Ort: die Strukturen sind relativ schwach, ein Großteil der Studierenden nehmen Modularisierung des Studiums, Ökonomisierung der Bildung und die Transformation des Bildungsbegriffs unhinterfragt hin. Und die Erstsemestler bekommen in ihren ersten Wochen gleich zig Mal die Gelegenheit den Leistungsethos, der in „regionaler Mission“ für den „Standort“ gepredigt wird zu verinnerlichen. Bereits in der Nacht zum vergangenen Dienstag fand eine Begrünung des Abbe-Campus statt.
Dabei wurde das Pflaster des „Campus“, welcher auch liebevoll „Betonwanne“ genannt wird an mehreren Stellen aufgebrochen und vielfältiges Grün gepflanzt. Begleitend dazu gab es einen Flyer. Konkret hieß es da:

„Ein blumiger Willkommensgruß für unsere „Erstis!“

Nach den ersten drei Wochen sollte Euch klar geworden sein: Ihr seid auf der Sonnenseite des Lebens angekommen, im „Studentenparadies“, in der „Lichtstadt Jena“, welche euer Dasein durch das konsequente Zusammenspiel von Wissenschaft und Kapital erhellt.

Das sinnentleerte Geschwätz von dringend benötigten „Exzellenzinitiativen“ und „Elite-Unis“ hat hier Hochkonjunktur und wird sowohl von der Universität und Stadt als auch der Wirtschaft mit einer gehörigen Menge Lokalpatriotismus angereichert, um uns alle auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Das gemeinschaftliche Ziel folgt der ewig gestrigen Logik des „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es den Menschen gut!“. Dass dem eben nicht so ist, wird beharrlich ignoriert. Doch auf die Frage, wie wir dieses hehre Ziel erreichen können, gibt es eine leichte Antwort: Wettbewerb ist der Schlüssel zum Glück! Konkurrenz ist das Mittel der Wahl. Der Beste wird es schaffen. Was das für uns heißt, erklärt Prof. Dr. Uwe Cantner vom Lehrstuhl für Mikroökonomik gerne gleich in der Ersten Vorlesung: „Dein Sitznachbar links und rechts wird es nicht schaffen.“ Survival of the fittest. Wie Du es schaffen kannst, bekommst Du dann auch von solchen Fratzen wie Dieter Bohlen im Fernsehen gebetsmühlenartig wiederholt: „Man muss einfach mal richtig Gas geben!“. Dann mal los! Hau deinem Kommilitonen lieber eins in die Fresse, als ihn in Eure Lerngruppe aufzunehmen. Wo das endet sieht man zum Beispiel an versteckten Büchern mit Prüfungsrelevanten Inhalten in der Universitätsbibliothek oder dem gescheiterten Boykott der Verwaltungsgebühr im vergangenen Jahr.
Aber zieht das durch! Ellenbogen raus, dann seid Ihr auf dem richtigen Weg zum Studierenden nach Norm - belastbar, flexibel, konkurrenzfähig und vor Allem: zu keiner kritischen Analyse der Zustände gewillt. Und wer sich dem geltenden Leistungsethos verweigert oder ihm gar nicht nachkommen kann? Hmm… Sorry, kein Platz. Da positioniert sich unsere Universität im 21. Jh. recht eindeutig: „Zutritt von Unbefugten untersagt – keine öffentliche Toilette“ ließt man dann an der Tür des Geographischen Instituts. Wenn man ehrlich ist, sind damit nicht gut gekleidete Geschäftsmänner oder die Durchschnittsbürgerin in Lohn und Brot gemeint. Das Schild richtet sich eindeutig gegen die Obdachlosen, welche vor dem Institut saufend halt auch ab und an mal ein Klo brauchen. Pech gehabt. Forschung und Lehre könnten sich ja in ihrem Elfenbeinturm der Wissenschaft von den Realitäten der Verhältnisse belästigt fühlen!?
Zusammengefasst: Man blendet irgendwann aus, denkt nicht mehr mit und Dinge, die einen eigentlich wundern sollten, verschwinden hinter dem hohlen Gelaber von Konkurrenz, Effektivität und Wachstum. Aktive, verstehende und mündige Kritik? Fehlanzeige!
Somit: Lasst euch keinen Scheiß andrehen! Ihr studiert für euch! Nicht für eine Wachstumsrate, nicht für einen Standort und schon gar nicht für eine Nation! Es gilt: Wenn Ihr kritische Wissenschaft erwartet, seid Ihr leider nicht erst seit Gestern an der Uni falsch. Das müssen wir dann schon selbst angehen… lasst uns den Campus zurückerobern. Als einen Raum zur Wahrung eines gesellschaftskritischen Diskurses, aus dem ein erfüllendes und selbstbestimmtes Handeln hervorgeht… lasst etwas wachsen!

Gruppe mitdenken ( mitdenken@gmx.net)“

Darüber hinaus fanden sich die heraus gebrochenen Steine eingewickelt in eine „Wurfsendung“ direkt vor den Türen der an den Campus direkt angrenzenden McDonalds – Fiale wieder. In den DIN A3 großen Zetteln, welche auch auf Bänken und Tischen des Campus’ lagen wurde die perverse Geschäftspraxis mit den Rahmenbedingungen im modernen Kapitalismus verknüpft:

„WURFSENDUNG

an: McDonalds, Leutragraben 8, 07743 Jena

McDonalds ist in den westlichen Industrienationen wohl das, was man einen erfolgreichen Konzern nennt: 30.000 Filialen verteilen sich in weltweit 118 Ländern, der Umsatz des Unternehmens belief sich 2002 auf 35,68 Milliarden Euro, Der Reingewinn beläuft sich jährlich auf etwa 1,27 Mrd. Dollar.
Doch wie bei allen erfolgreichen Unternehmen stellt sich natürlich auch hier die Frage, wie es zu diesem gewaltigen Erfolg und der enormen Anhäufung von Vermögen kommt. Nach kurzer Recherche stößt man recht schnell auf Quellen, welche die großzügigen Gewinne in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Besonders betrifft das die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben: so gehören in chinesischen Fabriken, in welchen Spielfiguren für die Happy–Meal–Menüs hergestellt werden, 15 Stunden-Arbeitstage (bei guter Auftragslage 7 Tage die Woche) zur Normalität, in denen die minderjährigen Beschäftigten – teilweise im Alter zwischen 12 und 13 Jahren - gerade mal 1,49 Euro für acht Stunden Arbeit erhalten. Nach vorläufigem Bestreiten dieser Vorwürfe, musste das Unternehmen sie schließlich doch einräumen. Doch anstatt sich für eine Verbesserung der Bedingungen einzusetzen, zog es der Konzern vor, die Aufträge an andere Zulieferer zu vergeben.
„1997 trat in einer „KeyHinge Toys“- Fabrik in Vietnam, die ebenfalls „Happy-Meals“-Figuren herstellte, eine Massenvergiftung mit dem Lösemittel Acetol auf. 220 der 1000 Beschäftigten waren davon betroffen. 25 Arbeiterinnen brachen zusammen, drei wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Die Fabrik weigerte sich, die Kosten zu übernehmen, obwohl die Arbeiterinnen nur magere 6 Cent pro Stunde verdienten. Und das bei einem durchschnittlichen Arbeitstag von zehn Stunden, an sieben Tagen in der Woche.“
Richtig problematisch wird’s beim Thema Nachhaltigkeit: zwar stammt das hier verarbeitete Fleisch aus Europa, womit sich das Unternehmen auch gerne rühmt. Das Futtermittel, welches hier verfüttert wird, kommt allerdings aus Ländern, in denen ein Großteil der Bevölkerung hungert. Die lokale Nahrungsmittelproduktion hat das nachsehen.
In Südamerika fielen wegen des gewaltigen Bedarfs an Weideflächen unzählige Hektar Regenwald dem Multi zum Opfer.
Wen das stört, sollte nicht dazu übergehen, seinen Burger über Burger King zu beziehen. Denn es wäre recht müßig, bei der Kritik am Geschäftsstil von Mc Donalds stehen zu bleiben, da sich wirkliche Alternativen beim Konsum bisweilen nicht anbieten, wenn man die selbst geernteten Kartoffeln mal außen vor lässt. Zu bedenken ist, dass diese Form der Wertschöpfung wie sie Mc Donalds betreibt sich so und in ähnlicher Form bei allen größeren Konzernen findet. Die bisweilen perversen Geschäftspraktiken diverser Firmen können natürlich nur in einem dafür geschaffenen institutionellen Rahmen und unter bestimmten systemischen Vorraussetzungen stattfinden. Und da steckt man schon unweigerlich in einer recht grundsätzlichen Debatte: Ist es möglich, in einer Gesellschaft, welche sich Wachstum und Konkurrenz als übergeordnetes Prinzip gesetzt hat, ökologisch und sozial gerecht zu wirtschaften, oder wird nicht viel eher das Versagen der „sozialen“ Marktwirtschaft an immer mehr Stellen offensichtlich?
So kann ein Boykott von Mc Donalds nur ein symbolischer Akt sein, genauso wie die Zustellung dieser Wurfsendung als eine Art „Protestschreiben mit durchschlagender Argumentationsweise“. Ein Anfang ist es allemal.

Gruppe mitdenken ( mitdenken@gmx.net)“

Obgleich ein Großteil der Flyer in den frühen Morgenstunden schon eingesammelt worden waren, und somit die Reichweite der Aktion erheblich beeinträchtigt wurde, bleibt trotzdem ein für Jena verhältnismäßig hohes Maß an Kreativität bemerken.

Unter

 http://www.campusradio-jena.de/newsdetails/article/guerilla-gardening-auf-dem-campus/05a6057669/66.html

findet sich bereits ein Beitrag von Campusradio zum Thema.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

oops

myid 09.11.2008 - 19:01
Ich habe die Pflanzen bereits am Mittwoch registriert:
Leider bin ich drüber gestolpert.
Kann ja auch keineR damit rechnen das dort etwas wächst :)

Zumindest sind einige der Pflanzen bereits dahin.
Vielleicht sind solche Aktionen eher für den Beginn des Sommersemesters geeignet.

Belibt zu Hoffen, dass aus dem Guerilla Gardening irgendwann soetwas wie Official Gardening wird.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 13 Kommentare an

war noch nie in jena — ericaceae

@Dein Name — what?

Gute Idee, aber... — Zappa

bla — blub

ich lach mich schlapp — schlapplacher

@ABC — =)

HaHa — ABC

bla — blub

bla bla — blub