Reflektionen zum "Klimacamp08"

Einer von Vielen 05.11.2008 20:49
Kritische Reflektionen zum Klimacamp08 in HH
Das Camp

Insgesamt lässt sich sagen: Die politischen Realitäten, die sich bereits im Vorbereitungsprozess angedeutet hatten und an deren Einschätzung sich die Geister schieden, prägten auch das Camp. Ein klarer Frontenverlauf, wenn vielleicht auch für viele nicht unmittelbar ersichtlich. Besonders
für jene, die die Vorbereitung nicht miterlebt hatten.

Das es kein nebeneinander verschiedener Politikformen geben konnte, die in einen kritischen Dialog treten, ist und bleibt schade. Dieser Umstand lag aber meiner Einschätzung nach darin begründet, dass die Politik der einen, nämlich derjenigen auf NGO und sogenannter "spektrenübergreifenden" Seite die der anderen Seite, der herrschaftskritischen, öko-anarchistischen Seite, ausschloss.

Hierfür seien einige Beispiele genannt:

Vereinnahmende Pressearbeit?

Im Vorhinein sowie auf dem Camp wurde nicht nur von öko-anarchistischer Seite sondern auch von Teilen des Antira-Camps die Pressearbeit des Klimacamps08 kritisch betrachtet:

Pressesprecher, die eine Kollektividentität des "Camps" herbei halluzinierten. Auf Nachfrage immer mit Bezug auf das "Mandat der Vorbereitungsgruppe" nie aber mit expliziter Legitimation des Camps für das sie sprachen. Presse-Gruppe-Treffen auf denen Vorschläge für alternative Presse-Konzepte konsequent abgelehnt oder gar nicht ernst genommen wurden. Ob dies von den Funktionären von attac und solid', die
trotz aller Bedenken in der Vorbereitung als Pressesprecher fungierten, so geplant war bleibt im Reich des Spekulativen. Dass sie trotz ihrer Funktion für das Camp sprachen, ist allerdings Fakt und eine altbekannte Realität der deutschen sogenannten "Linken". Lehren aus Heiligendamm? Fehlanzeige.

Der fulminante Höhepunkt dieser verfehlten Pressepolitik könnte folgender, zum Ende des Camps publizierter Artikel sein:  http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/der-importeur-des-klimacamps/. Klar waren laut Pressegruppe die Redakteure Schuld. Und nicht das Pressekonzept an sich. Klar, bringt uns hier auch keine personalisierte Kritik weiter, aber es ist schon erstaunlich, wie blind die Pressegruppe gegenüber der strukturellen Nachteile ihres Pressesprecher-Konzeptes war. Oder hat mensch die Augen bewusst zugekniffen? Wurde die mögliche Vereinnahmung einer neuen "Bewegung" wohlwollend in Kauf genommen und nur rhetorisch davor gewarnt?

Klassengesellschaft Camp?

Eine andere Ebene für diese sich scheinbar ausschließenden Arten Politik zu machen, war die manchmal offensichtliche, oft versteckte Klassengesellschaft auf dem Klimacamp09:

Infrastrukturelles Proletariat und intellektuelle Bürokratie statt Selbstorganisation aller Campteilnehmer mit möglichst wenig Arbeitsteilung.

Diejenigen denen es wichtig war, ein möglichst alltags-ökologisches Camp infrastrukturell zu wuppen, lieferten durch Kompostklos hämmern, Scheisse und Pisse schleppen, Photovoltaik warten, Duschen und Sonnenkollektoren schrauben, Feuer machen, Spülen, Kochen usw. die schönen Bilder und überhaupt ein funktionierendes Camp an sich, dass dann von der "intellektuellen" Bürokratie in Pressemitteilungen ausgenommen und ausgebeutet werden konnte.

Das von dieser "Oberschicht" für mehrere tausend Euro organisierte Zirkuszelt stand nicht nur unbenutzt rum. Nein: Auf einmal rollte für diesen Unfug eine "Caterpillar" Baumaschine auf dem Camp durch die
Gegend. Der Konzern demoliert für das israelische Militär palästinensische Häuser in Siedlungsgebieten. Was könnte mehr für die Unfähigkeit zur Selbstorganisation zeugen? Und doch waren es jene, die auf dem Camp diskursiv "das Sagen" hatten.

Event & Symbolik oder Alltagsalternativen und Interventionen?

Moorburg wird gebaut. Verwunderlich wäre nicht, wenn auch die Klage von Vattenvall durchkommen würde. Da drängt sich doch die Frage auf, wie effektiv angekündigte symbolische Massen-Events wie Gegenstrom08 sein können, wenn es eigentlich um eine konkrete Intervention zur Bau-Verzögerung gehen sollte. Vielleicht sollten statt toller Bilder für NGOs und kurzfristigem Medien-Hype eine Wissensvermittlung für Widerständigkeit im Alltag in den Vordergrund treten. Statt einem einmaligen Event würden dann im ganzen Land (auch längerfristige) Interventionen aufkeimen. Die Genfeld-Besetzungen im Frühjahr und die
aktuelle Waldbesetzung in Kelsterbach ( http://waldbesetzung.blogsport.de/) sind Beispiele für radikale Klima- und Umweltpolitik. Im aktionspolitischen Alltag wird sich nach dem Camp im Leben vieler Teilnehmer nix geändert haben.

Ähnlich steht es um radikale Alternativen im wirtschaftlichen Alltag der Camp-Teilnehmer. Auch hier wird sich wohl wenig ändern. Diskussionen über einen anti-kapitalistisch klimaneutralen Alltag fanden nur sehr begrenzt statt. Wissens- und Fähigkeitenaustausch "den es für diese Zukunft brauchen wird - zusammen leben und Sachzwänge ausser Kraft setzen, handwerken, gärtnern, bauen, kochen, lieben und streiten, ... ist ein anspruchsvoller Prozess aus einem Leben in Konsum und Konkurrenz", und fand leider auf dem Camp sehr wenig statt. Selbstermächtigung? Fehlanzeige.

Ob ein weiteres Event in Kopenhagen 2009 da weiterhelfen wird, bleibt abzuwarten, sollte aber bezweifelt werden.

Fazit: Konventionelle Politik-Macherei?

Abschließend sei provokant gefragt, ob sich die Politik-Macherei großer Teile der Klimacamp09-Vorbereitung so sehr von den konventionellen Mustern von Merkel & Co. unterscheidet und daher ähnlich entfremdend auf die "Normalbevölkerung" wirkt.

Ein Beispiel kann hier im Kontext mit dem heiß diskutierten Flyer "Die unendliche Geschichte..." ( http://de.indymedia.org/2008/08/224667.shtml) genannt werden. Während der Text in Teilen von Antira-Kreisen durchweg mit Zustimmung aufgenommen wurde, stieß er in den Klimacamp09-Vorbereitungskreisen nicht auf viel Gegenliebe. Da die Urheberschaft im öko-anarchistischen Barrio gesucht wurde kam es zu einem kuriosen Vorfall.

Während eines persönlichen Gesprächs zwischen einem Menschen aus der Klimacamp09-Vorbreitung und einem Öko-Anarcho bot der Klimacamp-Mensch überraschend an über den Flyer "zu verhandeln". Der Öko-Anarcho sollte dafür sorgen, dass der Flyer aus dem Verkehr gezogen wird, dafür könne er mehr Mitspracherecht in der Pressegruppe bekommen. Das Gespräch fand ein entsprechend jähes Ende.

Mit "Verhandeln", Politik zu machen spricht eigentlich schon Bände. Es geht nicht mehr um die Sache sondern um Macht. Der Bundestag lässt grüßen. Erstaunlich klar werden mit diesem Vorfall auch die
Machtverhältnisse: die Klimacamp-Vorbereitung möchte die Öko-Anarchos in der Hand haben. Und bietet dafür an, ein Stück ihres "Macht-Kuchens" abzugeben. Undurchschaubare Machtspielchen, fehlende Transparenz, Elitenbildung, konventionelle herrschaftsförmige Politik: Mit Emanzipation hat das nix mehr zu tun...

Links:

* Die unendliche Geschichte von NGO- und Bewegungs-Eliten im
Klima-Camp-Prozess:  http://de.indymedia.org/2008/08/224667.shtml

* Interview mit Menschen aus der Vorbereitung des Öko-Anarchistischen
Barrios auf dem Klima-Camp:  http://de.indymedia.org/2008/08/224669.shtml
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Ergänzungen

eigenreflektion?

tut nix zur sache 05.11.2008 - 22:27
ich kann einige der kritikpunkte gut nachfühlen und sehe ebenfalls sehr gefährliche tendenzen zu sehr starker protestvereinnahmung duch "bewegungseliten". auch das problem des inszenierens von widerstand mit aktionen, die lediglich schicke bilder liefern kenne ich. dennoch fehlt mir in diesem artikel eine kritische reflektion auch des öko-anarcho-barrios. sprüche wie "wenn alle so wären wie wir hier im barrio, dann wäre es ein cooles camp" haben mich nicht grade davon überzeugt, hier ofenere und dialogorientierte menschen vorzufinden. auch hier wurden menschen nach barriozugehörigkeit gefragt und in kategorien eingeteilt. wer nicht im ö-a-barrio war, hatte eigentlich ohnehin schon was falsch gemacht. damit will ich nicht das öabarrio als schlechter darstellen, dieses verhalten gab es auf dem ganzen camp. ich will nur vor einer glorifizierung dieses barrios warnen in dem es in sich auch einige probleme gab.

hier auch ein text

auf englisch 06.11.2008 - 13:17
Von Englaendern geschrieben im Vergleich mit ihrem Klimacamp
 http://www.shiftmag.co.uk/editorial%204.html

was für eine kritik?

antifa 06.11.2008 - 17:55
"Das von dieser "Oberschicht" für mehrere tausend Euro organisierte Zirkuszelt stand nicht nur unbenutzt rum. Nein: Auf einmal rollte für diesen Unfug eine "Caterpillar" Baumaschine auf dem Camp durch die Gegend. Der Konzern demoliert für das israelische Militär palästinensische Häuser in Siedlungsgebieten. Was könnte mehr für die Unfähigkeit zur Selbstorganisation zeugen? Und doch waren es jene, die auf dem Camp diskursiv "das Sagen" hatten."
mal abgesehen davon, dass es großer blödsinn ist den so komplexen konflikt in nhost mit diesem einen satz bewertend beschreiben zu wollen, drängt sich natürlich dir frage auf, was es geändert hätte, wenn diese eine baumaschiene nicht auf dem camp gewesen wäre. NICHTS? keine ende der selbsmordanschläge auf israelische zivilisten, kein ende der siedlungspolitik, kein frieden... vielleicht hättet ihr ein gutes gewissen gehabt, aber dann könnte man euch echt schnell zufrieden stellen.

Barrio Selbstkritik

Noch einer von Vielen 06.11.2008 - 19:37
@tut nix zur sache

Selbst während des Klima-Camps gab es im Barrio Selbstkritik. Auch im nachhinein gab es viele Menschen die informell miteinander gesprochen haben und über das öko-anarchistische Barrio und dessen Schwächen reflektiert haben. Eine Veröffentlichung der Debatte steht natürlich noch aus. Das mindert aber meiner Meinung nach nicht den Wert der Kritik die in diesem Artikel.

Problematische Dinge im öko-anarchistischen Barrio aus meiner Sicht: Identitäre Auffassung des Barrios, wenig Transparenz, die Orga-Clique hatte Wissensmonopol welches nicht ausreichend geteilt wurde, daher auch hier suboptimale Arbeitsteilung, keine regelmäßigen Austausch-Möglichkeiten, fehlende Kommunikationsstruktur.

Vieles dieser Mankos lag allerdings klar an Kapazitätsproblemen. Zu wenig Menschen die zu viel wuppen mussten / wollten. Von daher fand ich das Barrio im Rahmen der Möglichkeiten echt klasse.

erinnerungsschnipsel

ein mensch von was dagegen 07.11.2008 - 23:04
moin,

2002 ist ein wenig her, aber auch nicht äonen von zeitaltern.
ich habe mich nicht gebessert oder verändert, sondern nur meinen frustberg vergrößert und mich aus strukturen, die einmal mein ein und alles waren herausgezogen.
dies ein wenig zur selbstverortung und zur einsortierungsmöglichkeit der folgenden links.

das thema ist ja alt. nicht nur und auch nicht gerade in hamburg. aber hier halt auch.
tja, also ich habe den text hier nur an dem punkt, was die pressearbeit anging genauer gelesen. aber ich dachte, dass ein verweis auf bereits erlebtes dann doch mal ganz interessant wär.
ohne behaupten zu wollen, dass es das alles schonmal genauso gegeben hätte.

kleines zitatchen:
"denn ein camp ist doch alleine von der anzahl was
anderes, als eine kleine gruppe, die eine zeitung herausgibt. oder ist das
camp eine große redaktion? oder sind dann die camper/innen die zeitungsboten?
real ist das ja sogar genauso gewesen [fußvolk?].
um bei dem beispiel zu bleiben: was ist denn dann, wenn mensch mit den
inhalten der zeitung nicht zufrieden ist? die chefredaktion abwählen? oder
kündigen?
wir wollten zumindest nicht gehen [was ja eine alternative war, die
viele/einige gewählt haben]."

also hier das eine link:
 http://de.indymedia.org/2002/08/28442.shtml

und hier das andere zu derselben aktion:
 http://de.indymedia.org/2002/09/28664.shtml

viele grüße!
stay rude, stay rebel!

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