Slowakei: Nationalistische Ausschreitungen

Lisa László 03.11.2008 11:41
Bei einem Fußball-Meisterschaftsspiel zwischen Dunajska Streda und Slovan Bratislava kam es in der Slowakei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit nationalistischem Hintergrund. Nach den letzten Angaben wurden mehr als 50 Zuschauer verletzt, darunter sieben Personen schwer. Auf dem Fußballfeld gab es einem Hubschraubereinsatz, ein Schwerverletzter wurde abtransportiert und wurde in die 500 Kilometer entfernte Hauptstadt Bratislava geflogen. Die Verletzten wurden wenn möglich teilweise mitten auf dem Feld versorgt, einige befinden sich derzeit noch im Krankenhaus, ihr Zustand ist zum Teil sehr kritisch. Die slowakische Polizei nahm 31 Personen fest, alle wurden nach Polizeiangaben am Sonntag Abend wieder entlassen.
Über 1000 Polizisten für ein Fussballspiel

Schon im Vorfeld des Meisterschaftsspiels waren Krawalle befürchtet worden. Dunajska Streda ist eines der wichtigsten Zentren der ungarischen Minderheit in der Slowakei. Insgesamt leben in der Slowakei 9,5% Ungarn. Zuvor war auch bekannt geworden, dass mehrere hundert Hooligans und Neonazis aus Ungarn zu dem Spiel fahren wollten. Die Partie war bereits das erste Mal 17 Minuten nach Beginn vom Schiedsrichter wegen Steinwürfen für mehrere Minuten unterbrochen worden. Zur Sicherung der öffentlichen Ordnung waren laut offiziellen Angaben zunächst 760 Polizisten vorgesehen gewesen, die schließlich auf rund 1000 aufgestockt wurden. Die Konfrontation birgt seit jeher ein bekanntes Gefahrenpotential in sich. Regelmäßig wird die Veranstaltung für Ausschreitungen und nationale Gesinnung missbraucht.


Nationale Schmach als möglicher Grund für Gewaltexplosion

Wenn man die nationalen Ausschreitungen wenigstens im Ansatz nachvollziehen möchte, dann muss man in der Geschichte ein wenig zurückblättern. Ungarn verlor nach dem Ersten Weltkrieg 71 Prozent seines Gebiets und 64 Prozent seiner Bevölkerung. Ein Drittel der heute ca. 15 Millionen europäischen Magyaren lebt also nun außerhalb der Landesgrenzen, vorwiegend in Rumänien und der Slowakei, andere in Serbien, Ukraine, Slowenien, Kroatien und Österreich. Diese Teilung des Landes, die durch den Vertrag von Trianon 1920 bestätigt wurde, ist für viele Ungarn heute noch eine nationale Schmach. Vor allem seit dem Ende des Kommunismus treten verschiedene Gruppierungen und Parteien sowie auch Politiker der großen Parteien mit revisionistischen und nationalistischen und manchmal sogar antisemitischen Parolen gegen die Nachbarländer hervor. Das Land war in der 90-er Jahren neben Deutschland eine Hochburg rechtsradikalen Wirkens in Mitteleuropa. Dort wurden Waffen und illegales Propagandamaterial international gehandelt, es wurden Neonazikonzerte, Hundekämpfe und Wehrsportcamps abgehalten. Die wichtigste politisch anerkannte und zugelassene rechtsextremistische Partei war die MIÉP (Partei für ungarische Gerechtigkeit und Leben), die von 1998 bis 2002 im Parlament vertreten war. Bei der Wahl 2006 bekamen MIÉP und ihre Partnerpartei Jobbik (Der Name ist eine ungarische Polysemie und bedeutet gleichzeitig in etwa die Rechten und Besser) zusammen 2,9 % der Stimmen. Sie zogen somit nicht ins Parlament ein. Am 25. August 2007 wurde aus der Partei Jobbik heraus die paramilitärische Magyar Gárda (Ungarische Garde) gegründet. Diese gibt sich als nationaler, karitativer Verein. Ihr Auftreten in Uniform und Armbinde ist eindeutig nationalsozialistisch geprägt. Mit Uniformen, Fahnen und trommeln organisiert sie Aufmärsche gegen Minderheiten. Seit 2007 wird die Gay-Pride-Parade durch Budapest von Rechtsextremisten gewaltsam gestört ( http://de.indymedia.org/2008/07/221371.shtml), bei dem die ungarische Garde dieses Jahr bei einem Rechtsrockkonzert offiziell in Erscheinung getreten ist.


Unstimmigkeiten gibt es auf beiden Seiten

Aber auch in der Slowakei gibt es nationalistische Bestrebungen. So war beispielsweise auf der Internetseite der Slowakischen Nationalpartei Partei von Ján Slota (SNS), die über 20 Mandaten im Parlament verfügt über mehrere Tage lang eine Europa-Karte zu sehen, auf der Ungarn zwischen Österreich (westlich der Donau) und der Slowakei (östlich der Donau) aufgeteilt war. Nach ein paar Tagen wurde die Karte entfernt, die Partei hatte jedoch keine Stellungnahme abgegeben, wieso diese hochgeladen und veröffentlicht wurde. Zuletzt gab es nationalistische Spannungen, die von beiden Seiten mit provokanten öffentlichen Äußerungen aufgeheizt wurden. Unter anderem ging es dabei um slowakische Ortsnamen in einem Schulbuch für die ungarische Minderheit der Slowakei sowie derbe Äußerungen des Parteichefs der Slowakischen Nationalpartei gegen die ungarische Außenministerin. Slowakische Politiker wiederum werfen der ungarischen Regierung seit langem vor, zu wenig gegen rechtsextreme ungarische Gruppierungen zu unternehmen und ebenso offen die Staatsgrenze zwischen beiden Ländern in Frage stellen.


Polizeiliche Unterstützung aus Ungarn

Um für besseres Klima zu sorgen, hatte man extra fünf ungarische Polizeioffiziere zu dem Spiel anreisen lassen. Sie befanden sich nach Aussagen der ungarischen Nationalpolizei auf dem Spiel, um den Dialog zwischen Polizei und Fans zu unterstützen und um die Fanabsichten zu überwachen und wenn nötig Warnungen an die Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Doch die Situation eskalierte dermaßen, dass die Verletzten zum Teil nur mit Helmen und Schutzbrillen geborgen werden konnten. Bengalische Feuer wurden auf die Fußballspieler geworfen, Fans überstiegen die Absperrungen. Unter den Augen des Vizevorsitzenden der slowakischen Regierung nahm die Polizei etwa gleich viele Slowaken und Ungarn fest. Die ungarische Polizei fragte am Sonntag ihre slowakischen Kollegen um eine offizielle Version, anscheinend hatte sie auch die Übersicht verloren. Die Behörden wollten exakt wissen was passiert war und vor allem den Grund wissen warum die slowakische Polizei in den Bereich des Blocks eingedrungen war, in dem sich die ungarischen Fans aufhielten. Die Polizei verteidigte indessen das Vorgehen mit der Angabe, es hätten sich Verletzte im Block befunden, deshalb habe man in die Blöcke gehen müssen.


Martialisches Abfeiern der Szene

Die schwersten Verletzungen entstanden laut TV-Berichten durch ein Gedränge unter ungarischen Fans, das nach dem umstrittenen Einschreiten der Polizei entstanden war. Eine Polizeisprecherin erklärte, aus dem Sektor der einheimischen und ungarischen Fans des AC Dunajska Streda seien Steine geworfen worden. In Internetforen wurde der Polizei hingegen vorgeworfen, willkürlich gegen ungarische Fans vorgegangen zu sein. Allerdings gibt es bereits auch auf You Tube martialische Zusammenschnitte und Kommentare zu den Vorfällen, die das Spiel und die Ausschreitungen auf brutale Art und Weise heldenhaft erscheinen lassen. Am Samstagabend versammelten sich vor der slowakischen Botschaft in Budapest vorwiegend rechtsextreme ungarische Demonstranten, die unter anderem mit "Blutrache" drohten. Der slowakische Botschafter Juraj Migas erklärte noch am Abend slowakischen TV-Sendern, er schätze die Zahl der Demonstranten vor der Botschaft auf etwa 500 bis 600. Die ungarische Polizei habe die Lage jedoch unter Kontrolle. In Ungarn gab es eine Serie von Nachtdemonstrationen die gegen die Polizei Aktion demonstrierten. Eine davon wurde am Grenzübergang Vamosszabadi abgehalten, eine andere bereits erwähnte vor der slowakischen Botschaft in Budapest und eine dritte in der Innenstadt von Bekescsaba wo sich ein slowakisches Konsulat befindet. Bei allen Demonstrationen gab es keine Ausschreitungen, in Budapest wurden Kerzen entzündet allerdings versuchten einige Demonstranten dabei auch eine slowakische Fahne zu verbrennen.
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Ergänzungen

Searchlight-Artikel zu Jobbik & Magyar Garda:

Entdinglichung 03.11.2008 - 13:06
 http://www.searchlightmagazine.com/index.php?link=template&story=210 ... wichtig dazu ist, dass die konservativen Oppositionsparteien FIDESZ & KDNP mit Jobbik auf kommunaler Ebene teilweise gemeinsam kandidieren und eng zusammenarbeiten ... die Slowakische Nationalpartei (SNS) war von 1994-1998 und ist seit 2006 Teil der slowakischen Regierung

Krawalle in der Slowakei

FUSSBALLFANS GEGEN GEWALT UND RASSISMUS 03.11.2008 - 14:55
Über 50 Verletzte gab es bei Krawallen während des Spiels zwischen AC Dunajska Streda und Slovan Bratislava (0:4) in der ersten slowakischen Liga.

Sieben Anhänger mussten in ein Krankenhaus gebracht werden. 31 Anhänger, darunter 16 Ungarn, wurden festgenommen.

Dunajska Streda ist eines der Zentren der ungarischen Minderheit im Land. Der ethnische Konflikt wurde kürzlich wegen fehlender ungarischer Ortsbezeichnungen in einem Schulbuch angeheizt.

 http://www.sport1.de/de/fussball/fus_international/newspage_29792.html#RSS

 http://antifasozialbetrug.siteboard.de/antifasozialbetrug-post-3915.html#3915

FUSSBALLFANS GEGEN GEWALT UND RASSISMUS IM STADION
 http://www.myspace.com/fussballfansgegennazis

Ungarn: Doppelmord an Roma

http://www.taz.de 04.11.2008 - 21:24
Zwei Roma sind in der Nacht auf Montag in der ostungarischen Ortschaft Nagycsécs ermordet worden. Bisher unbekannte Täter hatten Häuser mit Molotow-Cocktails beworfen. Eines davon fing Feuer. Als die Bewohner, zwei Männer, eine Frau und ein Kind, aus dem brennenden Gebäude eilten, kamen sie unter Beschuss von Schrotflinten. Ein 43-jähriger Mann und die 40-jährige Frau starben, der andere Mann erlitt Schussverletzungen. So weit die Fakten, die Montagabend von einem Polizeisprecher in der Bezirkshauptstadt Miskolc bestätigt wurden.

Die liberale Europa-Abgeordnete Viktória Mohácsi forderte die Behörden auf, "rassistische Motive nicht von Vornherein auszuschließen". Mohácsi gehört selbst der Minderheit der Roma an und ist über zunehmende rassistische Ausschreitungen besorgt. Justiz- und Polizeiminister Tibor Draskovics versprach, den "Fall von außerordentlicher Bedeutung" ernst zu nehmen. Beweis dafür ist die Bildung einer Sonderermittlungsgruppe durch die Polizei.

Ein rassistischer Hintergrund für den Doppelmord drängt sich auf. Vor allem in Ostungarn, dem ärmsten Teil des Landes, haben sich Attacken mit Brandsätzen auf Ansiedlungen der Roma gehäuft. Bei den Ermittlungen zeigte die Polizei bisher wenig Eifer, denn in der Gesellschaft herrscht eine rassistische Grundstimmung, die einige rechte Tageszeitungen noch schüren.

Das Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén, wo sich das Verbrechen ereignete, gehört zu den ärmsten. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Regionalpolitiker lassen sich stets neue legale Tricks einfallen, wie sie den Roma die Arbeitslosenhilfe oder das Kindergeld streichen können. Die weitere Verelendung der ohnehin ausgegrenzten Minderheit ist die Folge. Viele Bauern können vom Ertrag ihrer Äcker kaum leben und reagieren aggressiv auf die Roma, die regelmäßig Feldfrüchte stehlen. Ein Bauer, der kürzlich seinen Zaun unter Strom setzte und damit einen Rom tötete, genießt hohe Popularität.

Mit zwischen 5 und 7 Prozent der zehn Millionen Einwohner hat Ungarn eine der größten Roma-Gemeinden Europas. Die mit dem EU-Beitritt verstärkten Programme zur Förderung der Roma greifen kaum und verstärken noch das aggressive Klima in der Bevölkerung. Im vergangenen Juni waren drei Roma-Häuser in Patka westlich der Hauptstadt Budapest Ziel eines Brandanschlags. Im Juli wurden drei Häuser von Roma im Dorf Galgagyork nahe Budapest beschossen, wie die Nachrichtenagentur MIT meldete. Menschen kamen nicht zu Schaden.

Für die Morde in Nagycsécs gibt es eine zweite Erklärung, die Medien verbreiteten. Es könnte die Tat skrupelloser Geldverleiher gewesen sein, die sich an zahlungsunfähigen Klienten gerächt hätten. In der Gegend sind auch die meisten Ungarn zu arm, um an einen Bankkredit zu kommen. Für die Roma sind die Wucherer die einzige Finanzierungsquelle. Jedoch nehmen sie Zinsen von bis zu 250 Prozent monatlich, was illegal ist.

Um sich gegenüber der Polizei zu tarnen, geben sich die Geldverleiher als Wohltäter humanitärer Organisationen aus. Sie vergeben keine Kredite, sondern strecken Nahrungsmittel vor und kassieren später dafür exorbitante Preise. Dass die Wucherer beim Eintreiben ihrer Außenstände nicht zimperlich sind, ist bekannt. Sollte der Doppelmord auf ihr Konto gehen, wäre das eine neue Qualität rassistischer Kriminalität in Ungarn.

Roma werden zu Ungarns Sündenböcken

http://www.welt.de 07.11.2008 - 13:22
Ende Oktober brach der Kurs der ungarischen Nationalwährung ein, als sei der Forint durch dünnes Eis gesackt. Für einen Euro bekam man plötzlich 280 statt 250 Forint, ein paar Wochen davor waren es 230 gewesen.

Judit Katalin Elek, eine erfolgreiche Budapester Designerin und Kunstfotografin, hatte gerade ihre Wohnung verkauft, als der Forint stark war. "Dann brach die Lawine los", erzählt sie. "Der Forint fiel, ich geriet in Panik und tauschte schnell alles in Euro um." Am nächsten Tag entschied sich die Nationalbank zu einem Gewaltakt und erhöhte den Leitzins um drei Prozent. Der Forint kletterte aus dem Keller und steht seither wieder bei 250 für einen Euro. Judit Eleks Paniktausch kostete sie umgerechnet 4000 Euro.

Viele Ungarn starren auf den Wechselkurs wie der Hase auf die Schlange. Zahlreiche Familien haben sogenannte Euro-Kredite aufgenommen, um Wohnungskäufe zu finanzieren. Die Zinsen sind so niedriger. Aber wenn der Kurs einbricht, reicht das Gehalt plötzlich nicht mehr für die Ratenzahlungen.

Der massive Eingriff der Nationalbank zeugte von Panik. Ungarn schiebt einen riesigen Schuldenberg vor sich her. Ein Kurssturz des Forint, kombiniert mit dem weltweiten Austrocknen der Kreditquellen, hätte den Schuldendienst gefährdet - Staatsbankrott.

Für die Wirtschaft ist die Zinserhöhung schmerzhaft. Viele Unternehmen, die es ohnehin immer schwerer haben, an Kredite zu kommen, können sich höhere Zinsen nicht leisten. Erste Fabriken müssen schließen, weil ihnen kein Kredit mehr gewährt wird. Die Regierung erwartet (optimistisch) nächstes Jahr als Folge der Krise 60 000 Arbeitslose mehr, regierungsfreundliche Experten rechnen mit 100 000, an 300 000 denkt die Opposition. Es ist so, als würden in Deutschland günstigstenfalls 500 000 Menschen ihre Arbeit verlieren, realistischer 800 000 und schlimmstenfalls 2,4 Millionen.

Der Staatsbankrott ist vorerst abgewendet, weil die EU-Finanzminister gestern einen Notkredit über 6,5 Milliarden Euro an Ungarn gebilligt haben, doch der Bedarf liegt bei weit über 20 Milliarden Euro. Ungarn ist das erste EU-Land, das verzweifelt nach Finanzhilfen greifen muss, aber die Osteuropabank schließt nicht aus, dass weitere Länder der Region mit milliardenschweren Rettungspaketen vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden müssen, Bulgarien und Rumänien etwa.

Die Große Depression der 30er-Jahre scheint fern, aber in Ungarn ist die Frage erlaubt: Wie lange noch? Die Designerin Judit Elek hält gesellschaftliche Umbrüche und sozialen Unfrieden für so real, dass sie nach Holland auswandern will. "Vor Kurzem wurde im jüdischen Kulturzentrum ein Stück vorgetragen, in dem die Ungarn schlechtgemacht wurden", erzählt sie. "Ich fand die Idee nicht sehr geschmackvoll, der Autor war selbst nicht jüdisch - aber da kamen Typen der "Ungarischen Garde" und schütteten dem Regisseur einen Kübel Fäkalien über den Kopf. Ein Freund von mir wollte ihn verteidigen, da verprügelten sie ihn."

Die Wirtschaftskrise verschärft eine gesellschaftliche Krise, die vor zwei Jahren aufbrach. Damals wurde eine Tonaufnahme von Ministerpräsident Gyurcsányi bekannt, in der er vor sozialistischen Parteifreunden zugab, man habe das Land angelogen "von morgens bis abends". Die Staatsfinanzen waren desolat, die Sozialleistungen, mit denen die Sozialisten Wähler lockten, nicht mehr bezahlbar.

Trotz gewaltsamer Proteste gegen seine "Lügenregierung" konnte er sich an der Macht halten. Seither wird der Staatshaushalt gesundgeschrumpft. Die Menschen ertragen es - mit wachsender Bitterkeit. Kindergärten werden zusammengelegt, Krankenhäuser geschlossen, Lehrstühle und ganze Universitäten eingespart. Im überfüllten Kindergarten des Budapester Diplomatenviertels müssen Eltern Seife spenden, wenn sie wollen, dass ihre Kinder sich die Hände waschen können, und Früchte, wenn ihnen an Vitaminen für die Kleinen liegt. Immer mehr erinnert der demokratische Sozialstaat an den einst kommunistischen - lieblos und bettelarm. Neueste Grausamkeit: Ein Teil des 13. Monatsgeldes für die ohnehin verarmenden Rentner und Staatsangestellten soll entfallen.

Mit der Krise von 2006 entstand eine neue Bewegung am rechten Rand der politischen Landschaft. Bis dahin hatten extreme Rechte, zur allgemeinen Langeweile, gegen Juden und Großkapital gewettert. Jetzt zielt eine neue Partei, die Jobbik Part, vor allem gegen Zigeuner (fast 10 Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend) und Korruption. Sie trifft damit einen Nerv, besonders in ländlichen Gebieten.

Der Staat hat kein Geld für Schulen, Krankenhäuser oder Kindergärten. Aber viele Roma-Familien leben ausschließlich von staatlichen Geldern - dieses Argument sticht bei den Ungarn in den Dörfern des Ostens und Südens, wo viele Roma leben. Der Sündenbock ist gefunden. Die Jobbik-Partei hat sich eine quasi paramilitärische Organisation zugelegt, die Ungarische Garde. Sie marschieren gerne in Uniform und singen patriotische Lieder. Alexandra Olah (15) aus dem kleinen Ort Galgagyörk erlebte sie in Aktion. "Plötzlich war um ein Uhr morgens alles voller Autos", erzählt sie. Ein ungarischer Nachbar hatte die Gardisten gerufen, um eine Roma-Familie nebenan loszuwerden. Zunächst flog ein Stein durchs Fenster, dann stürmten die Gardisten ins Haus. "Sie trieben die Eltern und ihre drei kleinen Kinder hinaus, sie schrien "Wir machen euch ein neues Auschwitz", erzählt die Schülerin. "Was im Haus war - Möbel, Kleider - wurde in den Garten geworfen und verbrannt."

Seither leben die Roma in Angst, die Familie ist bis heute nicht zurückgekehrt. "Wir können nachts nicht schlafen, erzählt Kalatin Olah (35), die Schwester des vertriebenen Familienvaters. "Wir halten immer die Ohren offen, ob wieder die Autos kommen." Sie kamen einige Wochen später tatsächlich. Da sammelten sich die Roma-Männer in Gegenwehr, "unsere Männer hatten schon Hacke und Knüppel in der Hand", sagt Katalin. Es waren diesmal aber auch Medien und Polizei dabei, und am Ende zog man sich auf allen Seiten zurück.

Die "Ungarn" in Galgagyörk sahen die Garde als willkommene Hilfe, genau wie die Ungarn in anderen Dörfern, wo die Garde gegen Roma auftrat. "Wir freuten uns, dass sie kamen", sagt János Nyikos (33). "Hier hat man genug von allen Versagerparteien, von der Armut, der Ausweglosigkeit. Die Roma stehlen, der Staat bezahlt sie dafür, arbeiten wollen sie nicht. Wo sie sich einnisten, sinken die Hauspreise, die Ungarn ziehen weg, und es kommen mehr Zigeuner, weil die Mieten gesunken sind. Wenn jemand etwas gegen sie sagt, muss er Angst haben. Die Gemeinde hat Geld für nichts, aber den Roma wird gegeben, was das Zeug hält." Viel ändern wird sich aber nicht, meint János: "Höchstens ein kleiner Bürgerkrieg, wenn die Ungarn sich etwas mehr aufregen."

So sehr die politische Klasse des Landes den neuen Trend kleinredet, so wenig macht man sich bei Roma-Organisationen Illusionen. "Ich fürchte, die Jobbik-Partei ist populärer, als man wahrhaben will", sagt Jozsef Ignac, Chefredakteur des Minderheiten-Senders Radio C. Das Thema "Zigeunerkriminalität" ziehe sehr. Ignac erwähnt einen Fall, als ein Bauer sein Gurkenfeld mit elektrischen Drähten versehen hatte, das ganze Dorf davon in Kenntnis setzte und "schon aus Trotz" dennoch wieder ein paar Roma versuchten, Gurken zu klauen. Einer starb am Stromschlag. Das Medienecho war enorm.

"Ich kann mir vorstellen, dass die Partei dank der jetzigen Wirtschaftskrise 2010 ins Parlament kommt", sagt Jozsef Ignac. "Wenn dann ihr Chef Innenminister wird, wie er fordert, dann Gnade uns."

Ungarische Neonazis festgenommen

http://www.20min.ch 08.11.2008 - 22:30
Die slowakische Polizei hat 28 ungarische Rechtsextremisten festgenommen. Sie waren in nachgemachten faschistischen Uniformen in die südslowakische Grenzgemeinde Kralovsky Chlmec gekommen.

Wie Innenminister Robert Kalinak vor den Medien sagte, wurde wegen Propagierung verbotener extremistischer Vereinigungen Anzeige erstattet.

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico forderte die ungarische Regierung auf, energisch gegen rechtsextremistische Gruppen vorzugehen, die immer häufiger auch in der Slowakei Unruhe stifteten.

SZ 11.11. Krise nach dem Abpfiff

Initiative Recherche 13.11.2008 - 02:52
Süddeutsche Zeitung, Di 11.11.2008 Seite 7

Krise nach dem Abpfiff
Einsatz gegen Hooligans entzweit Ungarn und Slowaken

Von Klaus Brill

Prag
- Mit einer Straßenblockade an der Grenze haben ungarische Rechtsradikale am Montag die jüngsten Spannungen zwischen Ungarn und der Slowakei weiter verschärft. Anhänger der nationalistischen Partei Jobbik besetzten nach Angaben von Nachrichtenagenturen mit mehreren Dutzend Autos jeweils eine Fahrspur an fünf Grenzübergängen auf ungarischer Seite. Ihre Sprecher erklärten, sie wollten damit auf die Konflikte zwischen den beiden mitteleuropäischen Nachbarländern aufmerksam machen und die Politiker der EU zu einer Lösung drängen.

Die Protestaktion folgt einer ganzen Serie von Auseinandersetzungen, die in den vergangenen Tagen das seit langem gestörte Verhältnis schwer belasteten. Sie hatten sich an einem Fußballspiel entzündet, bei dem es am 1. November in der slowakischen Stadt Dunajska Streda zu schweren Zusammenstößen gekommen war. Diese Stadt, von den Ungarn Dunaszerdahely genannt, ist eines der Zentren der ungarischen Minderheit, die im Süden der Slowakei siedelt. Bei einem Spiel gegen Slovan Bratislava hatten Anhänger des örtlichen Fußballclubs sowie zahlreiche aus Ungarn angereiste Hooligans die slowakische Polizei mit Steinen attackiert. Diese hatte daraufhin massiv eingegriffen. Am Ende wurden mehr als 50 Verletzte gezählt, 31 Personen wurden festgenommen.

Ungarische Politiker bis hin zum Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany in Budapest warfen die Frage auf, ob der Polizeieinsatz nicht übertrieben gewesen sei. Rechtsnationalistische Gruppen, die in Ungarn wiederholt mit Aufmärschen von sich reden gemacht hatten, versammelten sich vor der slowakischen Botschaft in Budapest und schworen "Blutrache". Dabei wurde auch eine slowakische Fahne verbrannt, was empörte Proteste in der Slowakei hervorrief. Das Außenministerium in Bratislava äußerte sein Bedauern darüber, dass Ungarns Regierung trotz verschiedenster Hinweise den extremistischen Aktivitäten der Jobbik-Partei und der sogenannten Ungarischen Garden nicht begegne.

Staatspräsident Ivan Gasparovic und Ministerpräsident Robert Fico erklärten, das Einschreiten der Polizei sei gerechtfertigt gewesen. Auf Antrag der Slowakischen Nationalen Partei, deren Anführer Jan Slota wegen verbaler Ausfälle gegen Ungarn berüchtigt ist, verabschiedete das Parlament in Bratislava mit der Mehrheit der Regierungskoalition ein Gesetz, wonach problematische Sportveranstaltungen künftig verboten werden können. Staatssymbole anderer Länder dürfen bei solchen Anlässen nicht mehr verwendet werden.

"Ihr habt keine Heimat"

Damit eskalierte die Lage weiter, und den Ministerpräsidenten beider Länder gelang bei einer Begegnung auf dem routinemäßigen Vierer-Gipfel mit ihren tschechischen und polnischen Kollegen in Warschau kürzlich keine Annäherung. Der Ungar Gyurscany verlangte erneut eine Untersuchung des umstrittenen Polizeieinsatzes, der Slowake Fico erklärte, er werde sich mit dieser Frage nicht weiter beschäftigen.

Beide Seiten sind offenbar gereizt. Dazu hatten auch andere Vorfälle der jüngsten Zeit beigetragen. Politiker der ungarischen Minderheit in der Slowakei übten scharfe Kritik daran, dass für den Schulunterricht im Land neue Heimatkundebücher vorbereitet werden, in denen die Städte und Dörfer im Gebiet der ungarischen Minderheit nur noch mit ihrem slowakischem Namen aufgeführt werden. Im Gegenzug hatte es bei slowakischen Politikern Empörung ausgelöst, dass die politischen Führer der ungarischen Minderheit an einem Treffen teilgenommen haben, das Abgeordnete aus Ungarn sowie den früher zu Ungarn gehörenden Gebieten der Slowakei, Rumäniens und anderer Länder vereinte.

Man sieht dahinter die Wiederbelebung der Idee des alten "Groß-Ungarn", das als Ergebnis des Ersten Weltkriegs 1920 im Vertrag von Trianon aufgelöst worden war. Bei den Unruhen der vergangenen Tage hatten rechtsradikale ungarische Fußballfans immer wieder auch Sprechchöre wie "Weg mit Trianon" gerufen oder skandiert: "Slowaken, ihr habt keine Heimat." Die Slowakei, die jahrhundertelang zu Ungarn gehörte, hatte erst mit dem Vertrag von Trianon ihre Selbständigkeit erlangt und wurde dann Teil der neuen Tschechoslowakei.


Fußballfans protestieren in Budapest gegen einen Polizeieinsatz in der Slowakei,
bei dem zahlreiche ungarische Fans und Hooligans verletzt worden waren.
Ungarische Rechtsnationalisten schworen nach dem Vorfall "Blutrache".

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