Börse FFM Erlebnisbericht

Tourist 28.10.2008 00:21 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Eine ganz normaler Besucherführung. Der Tag fing ruhig an. Nach Eintritt durch die Sicherheitsschleuse und Taschenkontrolle gab es erst mal einen fast 1-stündigen Vortrag einer Börsenangestellten über die spannenden und interessanten Seiten der Finanzmärkte. Was der Tag noch bringen sollte konnte da noch keiner ahnen.
Im Nachhinein wirkte ein Satz der jungen Dame wie eine Vorahnung. Sie kommentierte das scheitern des Börsengangs der Deutschen Bahn. "Fast hätten sie heute ein kleines Spektakel erleben dürfen. [Leider konnte die Bahn wegen der Turbulenzen der letzten Wochen heute nicht an die Börse gehen]". Nach dem etwas langatmigen, trockenen Vortrag ging es endlich auf die Besuchertribüne der Frankfurter Börse. Schon beeindruckend wenn man bedenkt, dass hier täglich Milliarden vollautomatisch, von einem "Xetra" genannten Computersystem in Millisekunden den Besitzer wecheln. Desweiteren lagern in den Gebäuden der Börse laut Aussage der jungen Dame 28 Billionen Euro in Aktien. Einfach unvorstellbar. Die Besucherplattform ist dicht gefüllt und die Menschen pressen neugierig ihre Nasen an die dicken Glasscheiben, die sie von einem der größten Börsenparkette der Welt trennt. Plötzlich kommt Bewegung in einen Teil der Anwesenden. Man sieht einen jungen Mann unter dem Sicherheitsnetz in ca. 3,5m Höhe hantieren und Sekunden später ist er auf der anderen Seite der Glasscheibe im Pressebereich der Börse, direkt oberhalb der DAX Anzeige. In weniger als einer Minute folgen weitere Menschen dem ersten nach. Auf der anderen Seite wird es laut. Ein Transparent mit der Aufschrift "Finanzmärkte entwaffnen - Menschen und Umwelt vor Shareholder Value!" wird entrollt und von 2 Aktivisten über der DAX Tafel plaziert. Danach passiert unglaubliches. Man könnte denken, dass die Menschen unten auf dem Parkett entweder a) einfach weiterarbeiten, b) Unverständnis zeigen oder c) ihrem Unmut über die Störung Luft machen. Aber nichts davon geschieht. APPLAUS ist die Reaktion! Erst von einzelnen dann von mehr. "Richtig so" "Super" "Wahnsinn" sind die verbalen Reaktionen die vom Parkett nach oben dringen.Es ist schon beeindruckend wie diese Aktion durchgezogen wurde. Und hier kann sich manche "Linksradikale" Aktion noch eine Scheibe abschneiden. Die ganze Aktion dauerte keine 10min + Abführen der Aktivisten über das Parkett. Niemand wurde verletzt. Eine maximal mögliche Aufmerksamkeint wurde erreicht und eine Protestaktion, die in der breiten Öffentlicheit auch auf Zustimmung oder zumindest Verständnis stoßen kann, durchgezogen. Es waren nur wenige Leute, soweit dies zu überblicken war, beteiligt, und diesen ist es gelungen ohne einen Verdacht zu erregen, ein riesiges Transparent, Fahnen und Unmengen Flugblätter in einen so heiklen Sicherheitsbereich wie die Börse zu bringen. Dann das Überwinden der Sicherheitseinrichtung und das alles zu Highnoon der bundesweiten Börsenberichte mit Liveschaltungen. Ich finde eine solche Aktion verdient Respekt. Schlechter als ein "Alles für alle und zwar umsonst" war die Forderung auf dem Transparent auch nicht. (Ich möchte hier keine Diskussion über Inhalte und Ziele starten.)Das Risiko das die Einzelnen Beteiligten hier eingegangen sind, ist nicht zu unterschätzen. Jeder Besucher musste seinen Namen angeben und Personalausweise wurden kontrolliert. Ebenso trugen die Beteiligten keine Masken oder Vermummung, sondern standen mit ihren Gesicht für ihr Anliegen ein. Mutig und offen. Nicht Vermummt, mit Steinwurf aus der 10. reihe, und dann abhauen.Die Leser verstehen sicher worauf ich hinaus will. In einem Kommentar des anderen "Berichts" http://de.indymedia.org/2008/10/230641.shtml heißt es "Attac ist nur so radikal wie seine Mitglieder". Das ist ein Punkt. Aber Attac ist auch so koordiniert und fachmännnisch wie seine Mitglieder, um mit frechen Aktionen bei minimalem Risiko die maximale Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese, wenn man das so nennen will, "Professionalität" fehlt bei vielen "linksradikalen" Aktionen. Und führt dann häufig zu Handlungsunfähigkeit und großen Verhaftungszahlen. Soweit ich das mitbekommen habe wurde kein einziger der Aktivisten festgesetzt.Ich würde mich hier auf Indymedia über mehr gegenseitigen Respekt freuen und kontruktive Kritik.
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Ergänzungen

Dünnhäutige Broker

res publica 28.10.2008 - 00:50
Ich habe mich im ersten Moment auch über den Beifall gewundert, als ich das im TV gesehen habe. Aber auf dem Parkett arbeiten keine Milliardäre. OK, viele von ihnen können sich ein schickes Leben leisten, aber in Zeiten wie diesen verfluchen viele ihren Job. Und diejenigen, die nicht Berufsoptimisten sind - und das werden immer weniger - kriegen natürlich viel früher als normal Sterbliche mit, wenn die "Scheiße in den Ventilator fliegt". Das geht an die Nerven, und bei manchen fängt da auch das Nachdenken an.

applaus

mein name 28.10.2008 - 08:40
Ich habe das Video, auf dem gezeigt wird, wie das Transpi entrollt wird, erst ein Mal gesehen. Aber so wie ich das verstanden habe applaudieren die Idioten erst, als so ein "Sicherheitstyp" die Leute abdrängt bzw. das Transpi entreißt.

Schulden? Zahlt der Staat!

meinereiner 28.10.2008 - 11:00
Ab jetzt ist das mit den Privatschulden auch kein Problem mehr. Es gibt einen Brief mit dem man unbürokratisch Hilfe vom Finanzminister einfordern kann, der ist jetzt nämlich einfach mal großzügig und tilgt auch Privatschulden.

Briefvorlage dafür unter  http://www.milliardenhilfe.de herunterladen, dann knicken und verschicken.

Oder noch besser: Geld persönlich abholen. Anlässlich der Kundgebung am Weltspartag am Donnerstag, 17 Uhr vor dem Finanzministerium, sollen schon mal die ersten Millionen für die Bürgerinnen und Bürger locker gemacht werden.

 http://www.casino-schliessen.de/aktionen/demo/

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@ realist — Anarchist

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oje der Finanzmarkt — @attac and friends

XETRA vs. Parkett — Zappa

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@ 17:52 — ich