[Italien] Interview mit Cossiga

ANDREA CANGINI (La Nazione) 27.10.2008 14:11 Themen: Bildung Medien Repression Weltweit
Uebersetzt von MEC.
Von ANDREA CANGINI (La Nazione):


Expräsident Cossiga (1), denken Sie, dass Berlusconi, beim Drohen mit dem Gebrauch von der staatlichen Gewalt gegen die Studenten nicht übertrieben hat?


Das hängt davon ab, wenn er meint, ein Ministerpräsident von einem starken Staat zu sein, hat er es auf jeden Fall gut gemacht. Da aber Italien ein schwacher Staat ist und in der Opposition keine
starke Pci [Partito Comunista Italiano], sondern die verschwindende Pd [Partito Democratico], glaube ich, dass den Worten keine Taten folgen werden, so dass Berlusconi sich blamieren wird.


Welche Taten sollten Folgen?


Maroni (2) sollte dies tun, was ich als Innenminister getan habe.


Und das wäre?


Erstens sollten man die Schüler der Oberschule in Ruhe lassen, stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn ein Jugendlicher getötet oder schwer verletzt wird...


Wie würden Sie mit den Studenten umgehen?


Ich würde sie agieren lassen. Die Polizeikräfte aus den Straßen und Universitäten zurückziehen, die [Protest-]Bewegungen mit provozierenden Agenten infiltrieren, die zu allem bereit sind, und die
Demonstranten zehn Tage lang wüten, Geschäfte auszuplündern, Autos anzünden und die Stadt verwüsten lassen.


Und dann?


Dann, mit dem nationalen Konsens, sollte der Lärm der Krankenwagensirenen den Lärm der Polizei- und Carabinierifahrzeuge übertönen.


Wie meinen Sie das?

Ich meine es so, dass die Polizeikräfte kein Erbarmen haben sollten und alle ins Krankenhaus schicken. Keine Verhaftungen, die Magistrate würden sie [die Studenten] sofort wieder auf freien
Fuß setzen, man sollte auf sie [auf die Studenten] einprügeln und auch auf die Dozente einprügeln, die sie anstiften.


Auch auf die Dozenten?


Besonders auf die Dozenten.


Präsident, das ist ein Paradox, oder etwas nicht?


Ich meine nicht die älteren, klar, aber die jungen Lehrerinnen schon. Sind Sie sich im Klaren, was zur Zeit vor sich geht? Es gibt Lehrer, die Kinder indoktrinieren und sie auf die Straßen bringen:
das ist ein kriminelles Verhalten.


Und sind Sie sich im Klaren, was nach dieser Handhabung in Europa über uns gesagt werden würde? “In Italien kehrt der Faschismus zurück”, das würden sie sagen.


Schwachsinn; das ist die demokratische Kur; die Flamme löschen bevor der Brand ausbricht.


Welcher Brand?


Ich übertreibe nicht, ich glaube ernsthaft, dass wegen dem Terrorismus wieder Blut auf die Straßen fließen wird. Ich möchte nicht, dass wir vergessen, dass die Brigate Rosse [eine linksextremistische
Terrororganisation in Italien] nicht in den Fabriken, sondern in den Universitäten geboren wurden. Und die Sprüche, die sie [die Brigate Rosse] verwendeten, sind der früheren Studentenbewegung
und der gewerkschaftlichen Linken zuzuordnen.


Ist es also möglich, dass die Geschichte sich wiederholt?


Nicht möglich, sondern wahrscheinlich. Darum sage ich: Vergessen wir nicht, dass die Brigate Rosse geboren wurden, weil das Feuer nicht sofort erloschen wurde.

Die Partito Democratico von Veltroni (3) ist auf der Seite der Demonstrierenden.


Hmm, wissen Sie, ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass Veltroni auf die Straße geht, mit der Gefahr, dass er Schläge kassiert. Ich kann ihn mir besser in einem exklusiven Club in Chicago vorstellen, um beim Obama zu applaudieren ...


Er wird nicht mit einem Stock auf die Straße gehen, klar, aber politisch...


Politisch macht er den gleichen Fehler, den auch die Pci [Partito Comunista Italiano] am Anfang der Anfechtungen machte: sie wurde zu Auffangbecken der Bewegung mit der Illusion, sie zu kontrollieren, aber als es klar wurde, dass sie [die Pci] gleichfalls ins Kreuzfeuer der Bewegung endeten, änderten sie ihre Meinung radikal. Die sogenannte harte Linie, angewendet von Andreotti (4), von Zaccagnini (5) und von mir, wurde von Berlinguer (6) gewollt... Aber heute gibt es die PD, ein Schatten von einem Schatten [Veltroni] angeführt. Auch aus diesem Grund sollte Berlusconi lieber vorsichtiger sein.


La Nazione, 23. Oktober 2008

 

 

 

1 Francesco Maurizio Cossiga (* 26. Juli 1928 in Sassari, Sardinien) ist ein italienischer Politiker der ehemaligen Democrazia Cristiana. Gegenwärtig ist Cossiga parteilos und Mitglied der Autonomiefraktion im Senat.


2 Roberto Maroni (* 15. März 1955 in Varese) ist ein italienischer Politiker der Lega Nord, Manager und Rechtsanwalt. In den Regierungen von Silvio Berlusconi war er italienischer Innenminister (Mai 1994 – Januar 1995) und Arbeitsminister (Juni 2001 – Mai 2006). Seit Mai 2008 bekleidet er erneut das Amt des Innenministers im vierten Kabinett Berlusconi.


3 Walter Veltroni (* 3. Juli 1955 in Rom) ist ein italienischer Politiker und Journalist. Von 2001 bis 2008 war er Bürgermeister von Rom. Seit 2007 ist er Vorsitzender der größten Mitte-Links-Partei Italiens, des Partito Democratico (PD) und war bei den Parlamentswahlen in Italien 2008 Spitzenkandidat.


4 http://de.wikipedia.org/wiki/Giulio_Andreotti


5 http://de.wikipedia.org/wiki/Benigno_Zaccagnini


6 http://de.wikipedia.or g/wiki/Enrico_Berlinguer

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Ergänzungen

entlarvendes Statement...

Rumpelstilzchen 27.10.2008 - 23:36
... eines "elder Statesman". Um eine für die Herrschenden tatsächlich unkontrollierbare Situation zu verhindern, schlägt Cossiga Berlusconi vor, gezielt zu eskalieren und dann im "nationalen Konsens" die Proteste niederzuschlagen. Cossiga gibt jetzt zu, daß dies in den frühen 80er Jahren so u.a. von ihm praktiziert wurde. Damals waren nicht nur die Brigate Rosse stark (was er zugibt), sondern auch die verschiedenen Gruppen der operaistischen Autonomia hatten Unterstützung in den Universitäten und Fabriken. Cossigas Aufstandsbekämpfungsstrategie ist als "Strategie der Spannung" in die Geschichte eingegangen. Ihm und seinem damaligen Kompagnon Andreotti werden Beteiligung an der NATO-weiten , paramilitärischen Geheimstruktur GLADIO nachgesagt. Diese sollte eine kommunistische, antikapitalistische Regierung in einem westlichen Land um jeden Preis verhindern. In Italien flog die Gladio-Gruppierung "P2" auf. Dieser Skandal war einer der wesentlichen Gründe, daß in den 90er Jahren das offizielle Parteienspektrum dieses Landes völlig umgekrempelt wurde. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik war unter null gesunken.

Roms Innenstadt wurde zum Schlachtfeld

http://www.kurier.at 29.10.2008 - 18:19
Trotz heftigen Studentendemonstrationen in allen größeren Städten Italiens hat die Regierung am Mittwoch eine umstrittene Schulreform verabschiedet, die die Streichung von 133.00 Stellen vorsieht. Die von Unterrichtsministerin Mariastella Gelmini verfasste Reform wurde wie erwartet vom Senat gebilligt. Da die Reform bereits am 9. Oktober von der Abgeordnetenkammer abgesegnet worden war, kann sie jetzt in Kraft treten.

Die umstrittene Reform sieht die Streichung von 87.000 Lehrerstellen und 44.500 Jobs im administrativen Schulbereich innerhalb der nächsten drei Jahre vor, was dem Staat Einsparungen im Wert von sieben Prozent der jährlichen Ausgaben für die Schulen bescheren soll. Berlusconi will außerdem das Budget der Universitäten kürzen. Zudem sollen Schüler künftig wegen schlechten Benehmens durchfallen können. Volksschüler sollen fünf Jahre lang vom gleichen Lehrer unterrichtet werden und Schuluniformen tragen.
Fleiß und Qualität

"Jetzt können wir die italienische Schule reformieren. Wir kehren zu einem Schulsystem zurück, in dem Ernsthaftigkeit, Fleiß und gutes Benehmen im Vordergrund stehen", betonte Unterrichtsministerin Gelmini. In wenigen Tagen werde sie auch einen Plan zur Reform des Universitätssystems vorlegen. Sie dankte der Mitte-Rechts-Allianz, die sie im Parlament unterstützt habe. "Das Problem der italienischen Schule ist, dass sie immer weniger erzieht und immer mehr zu einem Ort geworden ist, in dem man auch ohne viel zu tun ein Gehalt bezieht. Man muss wieder Fleiß und Qualität in den Vordergrund stellen, dafür muss man jedoch unnötige Ausgaben kürzen", meinte Gelmini.

Rechtsextreme lösten Krawalle aus

Gegen die Schulreform demonstrierten Studenten und Schüler in ganz Italien. Es kam zu regelrechten Krawallen. Eine Gruppe rechtsextremer Studenten versuchte die Führung eines Demonstrantenzugs zu übernehmen. Dabei kam es zu Krawallen mit linken Studenten, die die Piazza Navona, einen der schönsten Plätze Roms, in ein Schlachtfeld verwandelten. 20 Studenten wurden festgenommen.

Studenten warfen die Stühle und Tische einiger Lokale auf dem Platz gegen andere Jugendliche, die sich mit Knüppeln wehrten. Die Polizei versuchte, die rivalisierenden Studentengruppen zu trennen. Dabei wurden mehrere Jugendliche und ein Polizeibeamter verletzt. Nach Angaben der Studentenverbände versammelten sich über 50.000 Demonstranten auf der Piazza Navona. Bei einer Demonstration in Mailand kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei, nachdem einige Studenten Knallkörper auf die Sicherheitskräfte geworfen hatten.
Generalstreik

Am Donnerstag ist ein Generalstreik im italienischen Schulwesen gegen die Bildungsreform geplant. Mehrere Kundgebungen wurden in den Großstädten angekündigt. "Premierminister Berlusconi will mit seiner skandalösen Reform das öffentliche Schulsystem zugunsten des privaten Bildungswesens verarmen", so ein Studentensprecher. Laut einer Umfrage teilt die Hälfte der Italiener die Ansichten der demonstrierenden Studenten.

Unterrichtsboykott in Italien

http://www.net-tribune.de/ 30.10.2008 - 19:20
Aus Protest gegen eine umstrittene Bildungsreform haben am Donnerstag in Italien zehntausende Schüler, Lehrer und Studenten den Unterricht boykottiert. Schulen im ganzen Land blieben geschlossen, tausende Menschen fuhren nach Rom und demonstrierten gegen die Pläne der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

Kritiker haben erklärt, die Reform werde das Bildungsniveau in Italien sinken lassen und zu Entlassungen von Lehrern führen. Am Mittwoch war es in der Hauptstadt zu Schlägereien zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung gekommen, als der Senat die Reform verabschiedete. Vier Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden.

In Rom behinderten am Donnerstag tausende Demonstranten den Verkehr. In anderen Städten kam es zu ähnlichen Protestaktionen. So protestierten in Mailand Schüler vor der Börse und riefen, sie wollen nicht für die Finanzkrise bezahlen. In Florenz besetzten rund 100 Schüler Eisenbahnschienen und erzwangen so eine Umleitung zahlreicher Züge.

Die Reform sieht eine Rückkehr zum alten System vor, nach dem auch das Betragen der Schüler benotet wird. Außerdem sollen Grundschüler künftig fünf Jahre lang vom selben Lehrer unterrichtet werden und Schuluniformen tragen.

Die Studenten haben sich der Protestbewegung der Schüler angeschlossen. Sie befürchten eine Kürzung der Finanzmittel für die Universitäten.