Arme und Reiche

Wal Buchenberg 27.10.2008 09:40 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Die Statistiker der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD, ein Zusammenschluss der Regierungen reicher Länder, haben in einer neuen Studie herausgefunden, dass in Deutschland Armut und Einkommensungleichheit zugenommen haben.
Für wenige, war das eine neue Erkenntnis.
Ein Blick auf die Ergebnisse der OECD-Studie zeigt allerdings mehr noch als die offensichtlichen Fakten, die in den Medien aufgegriffen wurden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Armut zum kapitalistischen Alltag gehört und keineswegs nur eine vorübergehende Krisenerscheinung ist.

Hintergrundartikel zu diesem Thema:
Hungerrevolte und Ernährungskrise
Gefühlte Teuerung, berechnete Inflation
Kapitalistischer Reichtum in Deutschland
Bruttolohn und Sozialstaat

1. Arme und Reiche in den Metropolen


Folgende Grafik zeigt im Überblick die Ergebnisse des OECD-Vergleichs.




Die Länder sind von oben nach unten geordnet nach ihrem jeweiligen Durchschnittseinkommen (kleiner roter Balken). Die USA haben das höchste Durchschnittseinkommen, Italien (in dieser Auswahl) das niedrigste. Die jeweiligen nationalen Währungen wurden dabei nach Kaufkraftparitäten (Purchasing-Power Parity, PPP) umgerechnet.
In der Regel entspricht der nationale Reichtum (Bruttosozialprodukt pro Kopf) dem kapitalistischen Entwicklungsstand eines Landes. Länder mit entwickelteren kapitalistischen Produktionsverhältnissen haben in der Regel ein höheres BSP pro Kopf als andere.
Wir können also die Länderreihe der Grafik von oben nach unten auch als Zeitschiene lesen:Das fortgeschrittenste kapitalistische Land, die USA, zeigen dabei den weiter unten stehenden Ländern ihre Zukunft.
Betrachten wir nun die Einkommensverteilung in den USA:
Jeder blaue Kreis steht dabei für 10 Prozent der (Erwerbs)Bevölkerung. Das erste, ganz linke Zehntelsegment (Decile) der US-Bevölkerung steht ziemlich in der Mitte zwischen den ersten beiden schwarzen senkrechten Linien. Die erste schwarze Linie ist die Nulllinie, die zweite schwarze Linie zeigt ein Jahresnettoeinkommen von 10.000 US-Dollar (rund 8.000 Euro) an. Das unterste Einkommenszehntel in den USA liegt weit vor dieser Linie. Die ärmsten der Armen in den USA verfügen also über ein durchschnittliches Nettoeinkommen von rund 5000 Dollar im Jahr - das sind umgerechnet 4000 Euro im Jahr oder 333 Euro pro Monat. Dieses US-Nettoeinkommen liegt deutlich unter unserem Hartz-IV-Satz, weil da häufig noch Zusatzzahlungen für Miete etc. hinzukommen.
Verglichen mit Deutschland sind die US-Armen schlechter dran als die Hartzer in Deutschland. Das unterste Einkommenszehntel in Deutschland liegt bei ungefähr 8000 USD im Jahr oder 530 Euro im Monat.
Immer noch wird gerne die Mär vom "amerikanischen Traum" verbreitet, dass die Leute in den USA massenhaft vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen. "Bullshit" sagen die US-Amerikaner dazu.

Zwischen einem Jahreseinkommen von 12.000 Dollar bis 29.000 Dollar liegen 60 Prozent der US-Amerikaner . Diese Leute werden gerne als "Mittelschicht" bezeichnet. Diese "Mittelschicht" trennt aber von den Armen nur eine Papierwand. Wer aus dieser Mittelschicht krank, alt oder arbeitslos (oder gar alles zusammen), der stürzt in Armut ab. Traditionell hieß früher "Mittelschicht", wer mit eigenen Produktionsmitteln und hochqualifizierter Arbeitskraft arbeitete, der selbständige Handwerker, der Arzt, der Rechtsanwalt, der Bauer. Diese traditionellen Mittelschichten, die fast bis ins 20. Jahrhundert die Mehrzahl der Arbeitsbevölkerung stellte, wurden im modernen Kapitalismus weitgehend ruiniert und marginalisiert. Die moderne "Mittelschicht" stellt die besser qualifizierten Lohnarbeiter.
Erst jenseits dieser Mittelschicht beginnt der Wohlstand, der ein sorgloses Leben ermöglicht. Dieser Wohlstand ist dünn gesät. Die zehn Prozent US-Bürger, die in relativem Wohlstand leben, erreichen ein Netto-Jahreseinkommen von gut 50.000 Dollar (40.000 Euro).
Jenseits des Wohlstands der Eliten beginnt der kapitalistische Reichtum. Das ist der Reichtum, der sich nicht auf qualifizierte Ausbildung und eigene Arbeit, sondern auf den Besitz von Fabriken und kapitalistischem Vermögen gründet.
Wen wundert es, dass hier die USA Weltmeister sind: Die zehn Prozent Kapitalisten samt Anhang erreichen in den USA ein durchschnittliches Jahresnetto von rund 90.000 Dollar (72.000 Euro).
Großbritannien, das Mutterland des Kapitalismus, folgt hier mit deutlichem Abstand (80.000 Dollar/Jahr). Das Kapitaleinkommen in Deutschland scheint demgegenüber mit 58.000 Dollar netto noch bescheiden.
Ich darf noch einmal daran erinnern: Die USA waren und sind für unsere Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik das Vorbild. Insofern zeigen uns die US-Verhältnisse unsere eigene Zukunft.
Wer wissen will, wie unsere Zukunft voraussichtlich und nach dem Willen unserer Machthaber aussehen wird, der schaue in die USA.
Anders als es in unseren Schulbüchern steht, beweist die Einkommensverteilung der USA, dass der entwickelte Kapitalismus nur wenige Leute reich macht, die meisten so grade ihr Auskommen haben, die Armut aber keineswegs beseitigen kann.

Die Einkommensverteilung unserer Gesellschaft ist ungleich. Das ist keine neue Erkenntnis. Dass die Einkommensverteilung unserer Gesellschaft allerdings zwangsläufig und notwendigerweise ungleich ist, das ist nicht jedem klar.
Das möchte ich begründen: Wer auf das Einkommen schaut, betrachtet gleichsam nur die Höhe der Bankkonten, ohne zu fragen, von wo Geld auf die Konten fließt. Der ungleichen Einkommensverteilung liegt eine gesellschaftliche Arbeitsteilung zugrunde, bei der soziale Gruppen oder Klassen unterschiedliche Funktionen erfüllen. Mein Bild der sozialen Gliederung zeigt die folgende Pyramide:




Wer will, kann hier noch feinere oder zusätzliche Unterteilungen einfügen. Als erster Überblick über unsere Gesellschaft mag diese Darstellung ausreichen. Die jeweilige soziale Funktion, die wir ausüben, entscheidet darüber, ob wir Zugang zu hohen Einkommen haben oder nicht. Wer an unserer Gesellschaft die ungleiche Einkommensverteilung kritisiert, sollte nicht von der Ungleichheit der sozialen Aufgaben und Funktionen in unserer Gesellschaft schweigen.

2. Arme und Reiche im Weltvergleich


Das World Institute for Development Economics Research WIDER in Helsinki hatte im Jahr 2006 eine Untersuchung publiziert, wie im Jahr 2005 Wohlstand in der Welt verteilt war.
Zunächst zur Datenbasis:
Das Institut in Helsinki verfügte über Daten in 38 Ländern, für die 190 anderen Staaten der Welt wählte man die Pi-mal-Daumen-Methode. Es ergibt sich daraus nur ein grobes, vielleicht subjektives Bild.
Als Reichtum oder Wohlstand haben die Helsinkier gerechnet: Sparguthaben, Immobilienbesitz und langlebige Konsumgüter. Unsere ArGE-Behörden rechnen ganz genau so. "Sie haben einen Großfernseher, einen Mittelklassewagen oder eine Eigentumswohnung? Dann haben Sie Vermögen und nur verkürzten Anspruch auf Unterstützung!" Von Sachvermögen kann jedoch keiner Lebensmittel oder ein Busticket kaufen. Zum täglichen Überleben braucht mensch ein Einkommen, seine Gebrauchsgüter helfen ihm dabei wenig.
Mit solcher "Vermögensrechnung", die Gebrauchsgüter wie Produktivvermögen ansieht, das goldene Eier legt, wird vor allem die Armut in den Metropolen schöngerechnet. Vor allem in den USA besitzen viele ein eigenes Haus und sind dennoch arm, weil sie kaum laufenden Einkünfte haben. Daher zeigen die Daten der Helsinkier vor allem für Nordamerika teilweise ein anderes Bild als die Berechnungen der OECD.

Schauen uns nun die Ergebnisse an, die das WIDER-Institut liefert.



Die Grafik zeigt die aktuelle Verteilung des Lebensstandards in der Welt von links nach recht. Auf der Senkrechten sind die jeweiligen Anteile von der Weltbevölkerung abzulesen.

Die kapitalistischen Metropolen Nordamerika (orange), Japan (schwarz) und Europa (türkis) machen sich auf der reichen (rechten) Sonnenseite der Welt breit machen.
Fernost ohne China/Japan (taubengrau), Afrika (hellblau) und Indien (grau) bevölkern die arme linke Seite der Welt. Keine große Überraschung.
China (blau) zählt allerdings längst zur globalen "Mittelklasse". Das Land kann nicht mehr als "arm" oder als "Entwicklungsland" bezeichnet werden.
Auffällig ist weiter, dass Lateinamerika (dunkelgrün) sich über die ganze Breite von Arm bis Reich erstreckt - dort ist die Einkommensspreizung krass.
Auffällig ist weiterhin, dass Europa nicht nur eine breite "reiche" Hälfte besitzt, sondern auch einen langen "Armutsschwanz" hinter sich herzieht, der bis in die Elendsviertel der dritten und vierten Welt (am linken Rand der Grafik) hineinreicht.
Nur Japan (schwarz) ist nach diesen Daten eine Gesellschaft ohne sichtbare bzw. messbare Armut. Vielleicht ist es aber auch nur so, dass in Japan die Armut besser verborgen und verdrängt wird als anderswo.
Armut ist überall. Möglicherweise hat der Kapitalismus nicht alle diese Armut verursacht. Tatsache ist aber, dass Kapitalismus nirgends Armut beseitigt, er verändert nur ihr Aussehen.

Wal Buchenberg für Indymedia, 27.10.2008
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Ergänzungen

mal in der moderne ankommen

Radioactive Man 27.10.2008 - 16:20
Woraus leitet sich deine Klassenpyramide ab? Soziale Gewichtung oder ökonomisches Kapital? Im zweiten Falle kannst du viele Staatsdiener nämlich direkt mal unten einordnen. Gleichzeitig kannst du ganz ganz viele deiner Proletarier bei Mittelschicht einordnen. Zumindest wenn wir von der deutschen Gesellschaft reden, sind sehr viele "Arbeiter" nämlich fett und relativ vermögend. Der bürgerlichen Klassennivellierung sei Dank (ironisch)... Falls du es nicht gemerkt hast: Deutschland hat sich seit Herrn Marxens Zeiten in eine Dienstleistungsgesellschaft verwandelt und die dem heute unten stehenden Prekariat Angehörigen schuften nicht etwa überwiegend in Rauch-spuckenden Fabriken und düsteren Bergwerken, sondern machen die Betten in vornehmen Hotels, wischen Ärsche in Pflegeheimen und kochen Kaffee im Praktikum beim Mediendesigner.

interessante Statistik - seltsame Auslegung !

capitalist0815 27.10.2008 - 20:13
Irgendwie seltsam... wenn ich mir die Grafik anschaue:

80% der Deutschen haben bis 30.000$ aber nur 60% der Amis haben 30.000$ Einkommen.
--> Das heist doch in D sind 20% über dem "Mittelstand" während in USA 40% über dem "Mittelstands"-niveau sind!

Bei einer Grenze von 20.000% haben in den USA 40% weniger Einkommen und in D 50%!
In D und USA haben jeweils 10% unter 10.000$ Einkommen.

Also, im Grunde ist die Armut in D viel höher als in den USA. In den USA haben die schwächsten 10% etwas weniger als in D, und die Streunung ist viel grösser, aber der grössere Teil der Bevölkerung hat ein höheres Einkommen (inkl. Kaufkraft) als in D!!!

Mal ganz abgesehen von Italien, Spanien... die sind im Gegensatz zu den USA die reinsten Armenhäuser. Da gibt es 10% Oberschicht, und der Rest ist Mittel+Unterschicht (USA: 40% "Oberschicht")...

Ich würde mal sagen die Grafik passt nicht zum Text, oder der Text verleugnet die Zahlen!

Mit den Grenzen (10 und 30.000$): [%]

Deu USA Spa Ita
Oberschicht 30 40 20 10
Mittelschicht 60 50 60 60
Unterschicht 10 10 20 30

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Dipl. Pizzabäcker FH — Giovanni Müller

@ Radioactive Man — herr bla