Freiheitsberaubung auf der Buchmesse 2008 ?

Klaus Müller 23.10.2008 16:57 Themen: Bildung Kultur Medien Repression
Die Frankfurter Buchmesse 2007 wurde von einem Skandal erster Klasse eingeleitet. Die sogenannten Sicherheitskräfte („primitive Oberwichtigtuer“) ließen die Gäste nicht aus dem gefüllten Saal, weil die „Ehrengäste“ sich ansonsten „belästigt“ fühlen würden!!!
Klaus Müller war mittendrin und berichtet.
Freiheitsberaubung auf der Frankfurter Buchmesse von 2008 ?

„Feierliche Eröffnungsfeier“ der Frankfurter Buchmesse 2008* am Abend des Dienstag, 14. Oktober 2008 im Saal Harmonie (ausgerechnet!) des Congress Center der Messe. Der riesige Saal ist abgeteilt und mit Sicherheitstypen „garniert“, damit ja nur die Gäste der oberen Saalhälfte mit den sogenannten Ehrengästen weiter unten nicht in Kontakt kommen können. Schon hier zeichnete sich ab, daß die „Sicherheitskräfte“ der Firma Piepenbrock nicht nur extrem unfreundlich, sondern auch vollkommen überfordert waren:

Da wurde ein bekannter Filmer rigide aufgefordert, sich nicht auf die Treppe zu setzen; da wurde einem anderen Kameramann verboten, die eigenen Leute (!!!) zu filmen! Behinderung der „freien“ Presse! Und das in Frankfurt am Main!

Ja, die jungen, unerfahrenen und schlecht ausgebildeten „Sicherheitskräfte“ von Piepenbrock konnten endlich einmal zeigen und ausleben, was sie zu sagen haben. Wie man ältere Damen und Herren – oder einfach nur Menschen - behandelt, haben sie nie gelernt – wann auch? Wozu auch? Sie hätten sich vielleicht bestens als KZ-Aufseher geeignet, hier aber, wo Kultur und Bildung zu Hause sein sollten, haben sie absolut nichts zu suchen! So ist es kein Wunder, daß ein älterer Gast diese primitiven Oberwichtigtuer mit Recht als „Rotznasen“ titulierte.

Aber das Beste kommt erst noch! Die langweilige Pflichtveranstaltung ging langsam zu Ende. Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth, BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Hessen-Innenminister Volker Bouffier und u.a. Messechef Jürgen Boos brachten ihre einschläfernden und wenig aussagekräftigen Lobhudel-Reden endlich zu Ende, als Friedensnobelpreisträger Orhan Pamuk die Türkei bezichtigte**, daß dort Internetseiten gesperrt seien und Schriftsteller behindert würden (der türkische Staatspräsident Abdullah Gül grinste blöd dazu und faselte später was von einem guten Weg, auf welchem die Türkei sei. Wirklich ein guter Weg – seine Frau erschien mit Kopftuch!).

Einige Gäste begannen schon zu gehen, weil sie nicht weiter Zeuge dieses peinlichen Spektakels sein wollten, aber dann …:

DIE AUSGANGSTÜREN DER KONGRESSHALLE WURDEN ZUGEHALTEN!!!
Besucher, die gehen wollten, wurde dies verwehrt!
Niemand durfte mehr hinaus!

„Machen Sie die Tür auf!, war zu hören. Vergebens.

Ein bekannter aufgebrachter Journalist verschaffte sich Gehör mit den Worten:

„Hier sind wir in Deutschland, nicht in der Türkei. Hier kann jeder gehen, wenn er will!“

Da kam ein Türke mit weißem Hemd und Schlips auf ihn zugeschossen und schrie ihn an:

„Du Scheißdeutscher, Du!“ und boxte ihn auf die Brust!

Die überforderte und entsetzte Dame von der Messe versuchte noch, zu beschwichtigen: „Die Ehrengäste fühlen sich doch belästigt, wenn sie mit den normalen Gästen zusammentreffen.“

Hochinteressant! Da werden vorher in den Reden die Schlagworte der französischen Revolution hochgehalten (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), und dann soll man lernen, daß es zweierlei Menschenarten gibt.

„Das ist Freiheitsberaubung! Machen Sie sofort die Türen auf!“, rief ein bekannter Redakteur. Wiederum vergebens. Und ein betagter Gast, der schon Jahrzehnte die Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse besucht:

„So etwas habe ich hier noch nie erlebt. Ich werde nie mehr hierher kommen“.

Um ein Haar wäre es zur Panik gekommen, schließlich waren Tausende zugegen. Um ein Haar hätte es Tote und Verletzte gegeben! Ein Skandal ersten Ranges! Dieser „Sicherheitsdienst“ Piepenbrock darf keinen einzigen Auftrag mehr bekommen! Diese unfähige Unternehmung sollte sich überdies öffentlich für ihre praktizierte Freiheitsberaubung entschuldigen!

Wie sagte doch Prof. Dr. mult. Marcel Reich-Ranicki im Vorfeld der Buchmesse?

„Ich hasse die Buchmesse!“

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Oder doch?

Ach ja, nächstes Jahr ist nicht mehr die Türkei, sondern China das „Gastland“. Man darf schon jetzt darauf gespannt sein.


* Kommentierte Angaben seitens der Buchmesse:

Öffnungszeiten für Fachbesucher und Presse: 15.10. – 18.10., 9.00 – 18.30 Uhr;
für Privatbesucher: 19.10. – 20.10., 9.00 – 17.30 Uhr. Tageskarte an der Kasse: 36 Euro.
Was „Fachbesucher“ sein sollen, ist wohl nur der Messe selbst bekannt. Während der ersten Messetage wurden Kleinkinder im Kinderwagen durch die ohnehin verstopften Gänge geschoben. Und weil es so schön ist, war sogar ein Doppel-Kinderwagen dabei. Und viele Kinder sowieso. Immerhin wurde das strikte Rauchverbot fast immer eingehalten. Fast!
7373 Aussteller aus rund 100 Ländern, davon 3337 aus Deutschland.

** Originalton Orhan Pamuk:

„Daß in diesem Zeitraum (Pamuk meint die letzten 100 Jahre; die Red.) viele Bücher verboten oder verbrannt wurden, daß Schriftsteller ermordet oder ins Gefängnis gesteckt, als Vaterlandsverräter verschrien, ins Exil geschickt oder von der Presse systematisch niedergemacht wurden, das alles hat die türkische Kultur nicht bereichert, sondern sie ganz im Gegenteil verarmen lassen. Der Hang des türkischen Staates, Bücher zu verbieten und Schriftsteller zu bestrafen, hält leider immer noch an. Aufgrund des Paragraphen 301 des türkischen Strafrechts, mit dem man Schriftsteller wie mich einzuschüchtern versucht, werden Hunderte von Schriftstellern und Journalisten gerichtlich belangt und verurteilt.

Der Zugang zu YouTube und Hunderten von anderen in- und ausländischen Webseiten wird den Menschen in der Türkei nämlich aus politischen Gründen verwehrt.“


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Ergänzungen

Weitere Repressalien auf der Buchmesse !

Klaus Müller 23.10.2008 - 17:17
Gerade finde ich hier auf Indymedia einen Artikel, der meinen obigen Bericht zur Buchmesse Frankfurt ergänzt:
 http://de.indymedia.org/2008/10/229633.shtml
Weiteres auf der Website:
www.barth-engelbart.de.vu
Und daß der türkische Staatspräsident Abdullah Gül dazu grinste, als Orhan Pamuk türkische Repressalien formulierte, ist ein weiterer Beweis dafür, daß die Türkei für Europa längst noch nicht reif ist. Wie die Türkei hofiert wird, statt Klartext zu sprechen, ist schier unglaublich.

Zusammenfassung: 2008, NICHT 2007!

Klaus Müller 23.10.2008 - 17:19
In der Zusammenfassung nach der Überschrift muß es natürlich 2008 heißen, NICHT 2007!

@ Klaus Müller

ich wieder 23.10.2008 - 21:37
...den Zusammenhang von Security und KZ-Aufsehern bist du uns weiter schuldig. Wo waren die denn die Orte, an denen die Gäste der Buchmesse reihenweise ermordet wurden?

an den "Autor"

ein Linker 24.10.2008 - 11:18
Es ist eine absolute Unverschämtheit Sicherheitsleute mit KZ-Aufsehern zu vergleichen. Persönlich kann ich zu den Vorfällen an den Türen nichts sagen. Aber sie als Anlass zu nehmen, jeden als Nazi zu diffamieren, der in einem Security-Dienst arbeitet, geht gar nicht. Auf der Buchmesse wurden aus Kostengründen auch sehr viele nicht-ausgebildete Studenten eingesetzt. Das ist bekannt. Wer letztendlich die Order gab, niemanden herauszulassen und wer sie verfolgte (Piepenbrock ist grooooß) lässt sich wohl kaum noch nachvollziehen.

Nebenbei kleiner Fakt: 40% der ausgestellten Ware ist getohlen worden. Trotz der eingesetzten Sicherheitsbevollmächtigten...

Hirn einschalten! Auch viele Linke arbeiten in Sicherheitsfirmen und lassen sich von dahergelaufenen Schmalspur-Revoluzzern nicht beleidigen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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ajajaj — simon w.

@simon w. — ----

Friedensengel? — versa