GI: Feldbefreierprozess wird Justizthriller

K.O.B.R.A.-antirepressionsplattform 03.10.2008 16:07 Themen: Biopolitik Repression Ökologie

2. Juni 2006: Vier Personen stürmen ein Genversuchsfeld der Uni Gießen. Das Gerstefeld wird schwer beschädigt und eine Debatte angeheizt, die knapp zwei Jahre, zwei heimliche Feldbefreiungen und zwei spektakuläre Feldbesetzungen später das Aus aller Freilandversuche der Uni Gießen und in Hessen überhaupt bringt. Gegen zwei Beteiligte wird das Strafverfahren eingestellt - doch da bekommt Richter Frank Oehm, Vizepräsident des Amtsgerichts und Anwärter auf den Hessischen Staatsgerichtshof auf Vorschlag von CDU und FDP das Verfahren. Er will nicht einsehen, dass es die Gießener Justiz trotz übler Tricks seit Jahren nicht schafft, Oppositionelle als dem Umfeld der Projektwerkstatt hinter Gitter zu bringen. Also stellt er die beiden Verbliebenen vor Gericht. Was dann folgt, ist schrill: Er verbietet alle Fragen, beschimpft das Publikum, glänzt mit Rauswürfen und beendet den Prozess schließlich ohne Angeklagte und Verteidiger. Die waren ebenfalls rausgeflogen oder unter Protest gegangen.

Am 4.9.2008 verurteilte das Amtsgericht Gießen zwei Feldbefreier zu bis dato für solche Delikte unbekannten Strafhöhen. Waren bei vergleichbaren Prozessen bislang eher geringe Geldstrafen von 10 bis 30 Tagessätzen verhängt worden, verurteilte der Vizepräsident des Amtsgerichts, Dr. Frank Oehm, die Aktivisten zu sechs Monaten ohne Bewährung. Skandalöser als das Urteil aber war der Prozessverlauf. Richter Oehm verbot alle Fragen zum beschädigten Versuchsfeld der Uni Gießen und zur Gentechnik insgesamt. Ob der angegriffene Versuch rechtswidrig war oder ob von ihm Gefahren ausgehen, wollte er nicht untersuchen. Als eine Zuschauerin ob dieser Entscheidung mit dem Kopf schüttelte, ließ er sie aus dem Saal entfernen und beschimpfte immer häufiger ZuschauerInnen mit kinderfeindlichen Sprüchen. Am dritten Verhandlungstag dann würgte er die Beweiserhebung ganz ab. Damit ihm dabei ein kritischer Angeklagter nicht im Wege stand, schmiss er auch diesen kurzerhand aus dem Saal. Dem anderen und dem Verteidiger verbot er weiter alle Fragen zur Sache. Unter Protest verließen auch die das Verfahren, so dass der Prozess ohne Angeklagte und Verteidiger weiterlief. Ein Staatsschützer wurde zum zweiten Mal vorgeladen, weil der eine Falschaussage gemacht hatte. Das sollte ausgebügelt werden, um eine Anklage zu vermeiden - so schützen Robenträger halt ihre Helfer in Uniform. Schließlich gingen Plädoyers und das benannte Urteil über die Bühne - auch das vor leerer Angeklagtenbank. Für Rauswürfe von ZuschauerInnen hatte der Richter sich extra ein Ankreuzformular gebastelt.
Die massiven Rechtsbrüche durch Richter und Staatsanwältin sollten nun in einer direkten Rechtsüberprüfung (Sprungrevision) geklärt werden. Mitschriften, eine Tonbandaufzeichnung und das Gerichtsprotokoll belegen, dass in Beschlüssen und Urteil eine Lüge nach der anderen gereiht wurde. Doch die Staatsanwaltschaft will den Rechtsbeuger retten. Sie legte Berufung ein - obwohl das Urteil genau so ausfiel, wie sie es beantragt hatte. Ein mieser Trick: Durch die Berufung kann es zu keiner Revision über die Oehmschen Rechtsbeugungen kommen. Die Auseinandersetzungen vor Gießener Gerichten treiben immer seltsamere Blüten. Immerhin aber lässt sich bei allem Kopfschütteln feststellen: Die offensive Prozessführungstaktik in politischen Prozessen dieser Stadt zwingt die Justizmafia zu hoher krimineller Energie. Wie es weitergeht, ist offen. Prozessverlauf, Urteil und Auszüge aus dem Protokoll sowie etliche Skurilitäten sind zusammengestellt auf den Internetseiten von www.gendreck-giessen.de.vu.

Im Folgenden sind die wichtigsten Widersprüchlichkeiten benannt.

 

War das Versuchsfeld gefährlich oder gar rechtswidrig?

Den zwei Seiten im Urteil zum Feld selbst ist anzusehen, dass Richter Oehm die Fragen zum Feld weitgehend verboten hat. So sind wenig Information über das Feld hängengeblieben. Trotz des kurzen Textes waren einige Fehler enthalten (siehe Dokumentation des Urteils mit Kommentaren).

Spektakulärer aber war, das Richter Oehm im Urteil plötzlich doch auf die Frage einging, ob ein rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) bestanden haben könnte. Im Prozess hatte er nämlich alle Fragen dazu verboten und Anträge als unbedeutend für den Prozess abgelehnt. An mehreren Punkten weist das offizielle Gerichtsprotokoll auch aus, wie Richter Oehm das Thema verbot.

Offenbar hat der Richter nach dem Prozess nochmal nachgedacht und bemerkt, dass er rechtlich falsch lag. Darum hat er im Urteil doch zwei Seiten dazu geschrieben - voller Aussagen und Annahmen, über die im Prozess nie gesprochen wurde und nicht gesprochen werden durfte. Die Behauptungen über die möglichen milderen Mittel hatte Oehm nicht überprüft. Die Angeklagten hatten genau dazu umfangreiche Anträge vorbereitet, die beweisen sollten, dass diese Mittel eben gerade nicht zugänglich waren. Oehm verbot das Thema - präsentierte aber im Urteil trotzdem die vermeintlichen Ergebnisse einer nicht stattgefundenen Beweiserhebung einschließlich der Hauptaussage, es gäbe "weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe". Für eine Hauptverhandlung, in der das Reden und Fragen dazu verboten war, stellt das eine bemerkenswerte Feststellung im Urteil dar. Sämtliche dann folgenden Aussagen im Urteil sind folglich ebenso frei erfunden.

 

Warum Richter Oehm den Angeklagten aus dem Prozess warf und ihn in Abwesenheit verurteilte

Am dritten Verhandlungstag hatte Richter Oehm den Angeklagten Bergstedt aus dem Prozess geworfen und dann vor leerer Angeklagtenbank weiterverhandelt. In seinem Beschluss dazu hat er als Gründe ausschließlich die Kritik des Angeklagten am Richter aufgeführt, sonst nichts. Offenbar ist ihm später aufgefallen, dass das als Rauswurfgrund so nicht reicht. Also erfand er eine umfangreiche Story - die sich in seinem Beschluss aber so gar nicht findet. Diese letzten vier Seiten des Urteils sind der Höhepunkt der Inszenierung von Lügen, autoritären Machtspielchen und einer Mafia in Robe und Uniform, die alle Kriterien einer kriminellen Vereinigung erfüllt:

  • Zweimal (S. 39 und 41 des Urteils) formuliert Richter Oehm, dass der Angeklagte im Falle seiner Wiederzulassung die Verhandlung "erneut ... schwerwiegend" stören würde. Mit dem Begriff "erneut" stellt er die Behauptung auf, dieses wäre vorher bereits mindestens einmal geschehen. Das aber ist frei erfunden.
  • Völlig neu ist im schriftlichen Urteil der Trick, der Angeklagte sei für Verhaltensweisen des Publikums verantwortlich. Offensichtlich hat auch Oehm gemerkt, dass das Verhalten des Angeklagten selbst keinen Anlass für den Rauswurf bot. Also schob er ihm die Verantwortlichkeit  für das Verhalten anderer unter - mit den wirren Formulierungen, der Angeklagte "steuere" andere Menschen. Das ist schon ziemlich unverschämt, aber auch schnell zu wiederlegen.

Die Aussagen im Urteil sind wunderlich. Denn es kam auch zu Protestaktionen im Publikum und Beleidigungen plus Rauswürfen durch den Richter, als die Angeklagten gar nicht da waren. So zum Beispiel am dritten Verhandlungstag. Die Angeklagten waren noch gar nicht im Raum, als Richter Oehm seine neuerliche Rauswurforgie begann. Außerdem bei der Urteilsverkündung, wo beide Angeklagte aber schon lange weg waren. Wie aber soll da das Verhalten des Publikums gesteuert worden sein?

 

Rettet die Straftäter in Uniform

Wie üblich bei den politisch motivierten Prozessen in Gießen, glänzte auch diesmal wieder der als Zeuge geladene Staatsschützer mit einer prägnanten Falschaussage. KOK Schöller behauptete, dass die Polizei keinen Versuch unternommen hätte, bei der Versammlungsbehörde ein Verbot der am Genversuchsfeld ab dem 2.6.2006 beantragten Mahnwache zu erwirken. Das Gerichtsprotokoll hat diese Aussage sogar genau erfasst.

Ein Angeklagter recherchierte und präsentierte dem Gericht den Nachweis, dass das gelogen war. Er übergab ein Schreiben genau des KOK Schöller selbst. Dort forderte der von der Stadt Gießen (Versammlungsbehörde), die Mahnwache nicht zu genehmigen. Was aber machten Gericht und Staatsanwaltschaft? Sie luden den Lügner noch einmal und versuchten mit ihm zusammen, die glatte Falschaussage zu vertuschen. Das formulierte die Staatsanwältin sogar offen als Ziel - es gehe ihr um die Fürsorge ... der arme Staatsschützer. Hatte er doch gelogen, da musste ihm geholfen werden. Das taten Gericht und Staatsanwaltschaft auch, luden ihn nochmal vor und verkündeten im Urteil (!), dass jetzt alles okay sei.

Geradezu skandalös: Der Lügner und Straftäter in Diensten der Polizei Gießen (Falschaussage vor Gericht bedeutet eigentlich drei Monate Mindeststrafe!) ist mehrfach im Urteil als Quelle der Sachaufklärung benannt - darunter auch so wichtige Informationen wie die Rechtzeitigkeit des Strafantrags.

 

Wie hoch war der Schaden? Nie geklärt, weil der Hauptzeuge vor Fragen geschützt werden sollte

Bei dieser Schadenshöhe kann sich Richter Oehm nur auf die Aussagen der ZeugInnen berufen, die auch in der Verhandlung waren. Alle aber kannten, da sie nicht am Versuch beteiligt waren, die Schadenshöhe nur vom Hörensagen und bezogen sich als Quelle auf den Versuchsleiter Prof. Kogel. Der aber sollte ja nicht geladen werden. Daher verletzte Richter Oehm hier die Regel der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit, d.h. er verzichtete ohne Not auf die Sachaufklärung und stützte sich auf Aussagen vom Hörensagen. Zudem waren die Summen, die den ZeugInnen von Prof. Kogel übermittelt wurden, sehr unterschiedlich. So sagten zwei PolizeibeamtInnen aus, dass ihnen die Summe 500.000 Euro benannt wurde, während die Uni-ZeugInnen von 55.000 Euro sprachen. Eine Sachaufklärung fand nie statt, weil der Zeuge, von dem diese Aussagen stammten, nicht geladen wurde.

 

Warum läuft hier alles so komisch? Kreative Antirepression und die Folgen ...

Strafverfahren gegen Personen, die Genfelder beschädigt haben, hat es inzwischen einige gegeben, z.B. in den Amtsgerichten Nürtingen, Zehdenick und Bad Freienwalde. Meist wurde auch über den rechtfertigenden Notstand diskutiert, kein Gericht hatte bislang Fragen dazu verboten und die Urteilshöhen lagen meist zwischen 10 und 30 Tagessätzen. Und nun das: Frageverbote, Rauswurf eines Angeklagten, Beschimpfungen des Publikums, Verurteilung zu 6 Monaten ohne Bewährung. Danach schreibt der Richter das Urteil komplett um und die Staatsanwaltschaft blockiert eine Überprüfung der Rechtsfehler des Richters. Will heißen: Die Auseinandersetzungen vor Gießener Gerichten treiben immer seltsamere Blüten. Sachliche Auseinandersetzungen sind gar nicht mehr möglich. Hier läuft ein Machtkampf. Für Profit- und Machtinteressen sollten Störenfriede aus dem Weg geräumt werden - mit allen Mitteln. Doch die reichen offenbar - und das liegt vor allem an der Art, wie sich die Betroffenen wehren. Denn das lässt sich bei allem Kopfschütteln feststellen: Die offensive Prozessführungstaktik in politischen Prozessen dieser Stadt zwingt die Justizmafia zu dieser hohen kriminellen Energie. In den vergangenen Jahren haben Polizei und Innenministerium schon Anschläge ausgedacht, Beweismittel wie Fußspuren oder Brandsätze selbst gebastelt und ihren Widersachern untergeschoben. Doch immer wieder konnten die Betroffenen recherchieren und mit offensiven Mitteln die Fälschungen und Lügen beweisen.

Die besondere Härte, mit der die Gießener Justiz, Polizei, die antreibende Landesregierung, eine meist willfährige Presse und andere gegen Menschen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt vorgehen,

 

Wer mehr lesen will ...

Mehr Infos rund um den Prozess

Mitschriften der drei Verhandlungstage

Mitschnitte der Verhandlungstage (mp3)

Sachzusammenstellungen der Mitschriften

 

Insgesamt zu fiesen Tricks von Polizei und Justiz

Die Skandale in Gießen sind kein Einzelfall. Gießen wird auch kein Einzelfall sein - aber hier sind die Skandale seit Jahren genau untersucht worden. Wer mehr nachlesen will, hat mehrere Möglichkeiten:

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Ergänzungen

Presseinformation zu Urteil und Protokoll

feldbefreii 4.10.2008 04.10.2008 - 21:01

Will Gießener Justiz Skandal vertuschen?

Hohe Haftstrafen wegen zerstörtem Genfeld: Prüfung umfangreiche Rechtsbeugung soll offenbar verhindert werden!

2006 stürmten vier Personen nach öffentlicher Ankündigung ein Genversuchsfeld der Uni Gießen. Alle wurden noch auf der Fläche verhaftet, doch mit dem Strafverfahren taten sich Staatsanwaltschaft und Gerichte schwer. Zuerst sollte das Verfahren ganz eingestellt werden. Dann wurden in der Hauptverhandlung alle fachbezogenen Fragen, auch Anträge und Fragen zu Gefahren und Rechtsbrüchen beim umstrittenen Genversuch verboten. Schließlich wurde sogar ein Angeklagter aus dem Prozess ausgeschlossen, um Kritik an der Verhandlungsführung zu verhindern. Am Ende stand ein spektakuläres Urteil: Sechs Monate Haft ohne Bewährung. Was schon damals etliche BeobachterInnen mutmaßten, wird nun durch das schriftliche Urteil und das Gerichtsprotokoll bestätigt. Diese liegen seit wenigen Tagen vor und zeigen: Der Prozess war eine abgekartetes Spiel. Amtsrichter Frank Oehm, auf Karrierekurs Richtung Staatsgerichtshof – vorgeschlagen von FDP und CDU – wollte die Gentechnikkritiker abschrecken und gleichzeitig die Universität Gießen schützen. Denn Fragen zum Genversuch hätten gezeigt: Der Versuch ist illegal, bei der Versuchsdurchführung traten etliche Pannen auf, mehrere Sicherheitsauflagen wurden nicht eingehalten und der Zweck des Versuches war ein ganz anderer als angegeben.

Massive Rechtsbrüche im Prozessverlauf
Um unangenehme Enthüllungen über den Genversuch zu verhindern, verbot Richter Oehm nicht nur alle entsprechenden Fragen, sondern verzichtete auf alle Zeugen, die direkt am Versuch beteiligt waren. Projektleiter Prof. Kogel stand zwar auf dem Ladungsplan, wurde aber kurzfristig abgeladen. Die beiden vernommenen MitarbeiterInnen der Uni konnten sie sich bei vielen Fragen z.B. zur Schadenshöhe nur auf ein Hörensagen und Prof. Kogels Angaben beziehen. Nach Strafprozessordnung hätte das nicht gereicht. Doch Oehm wollte Kogel schützen und schrieb ins Urteil, dass jemand anders die Zahlen genannt hätte. Mitschriften und das offizielle Gerichtsprotokoll aber beweisen nun: Eine glatte Lüge. Ebenso verfasste Oehm im Urteil einen längeren Absatz, dass es keine Rechtfertigungen für das Handeln der Angeklagten gäbe. Nach § 34 StGB hätte er das in der Tat prüfen müssen. Doch das Gerichtsprotokoll weist klar nach: Im Prozessverlauf wurde nie darüber gesprochen. Den Höhepunkt an Rechtsbeugung bildeten jedoch die Rauswürfe vieler Zuschauerinnen und eines Angeklagten. Letzterer kannte sich bestens mit dem umstrittenen Genversuchsfeld aus – sein Rauswurf diente dem Ziel, jegliche Debatte über das heikle Experiment zu verhindern. Richter Oehm begründete seinen Rauswurf noch in der Verhandlung damit, dass der Angeklagte den Richter angeschrieen hätte. Doch die inzwischen vorliegende Tonbandaufzeichnung beweist sogar das Gegenteil. Nach dem vermeintlichen Anschreien und noch vor dem Rauswurf hatte der Richter alle Angeklagten und den Verteidiger gelobt für ihre sachliche Art. Das offizielle Gerichtsprotokoll vermerkt schlicht gar keinen solchen Vorgang. Der Rauswurf war also reine Willkür, politisch motiviert. Um einer sicheren Niederlage in der Revision zu entgehen, schrieb Oehm das Urteil um und behauptete nun, der Angeklagte sei für alle Störungen aus dem Publikum verantwortlich, weil er die Personen dort steuere. „Wie absurd – selbst für die Störungen lange nach meinem rechtswidrigen Rauswurf werde ich noch verantwortlich gemacht“, kritisiert der Betroffene den Richter. „Das ist pure Rechtsbeugung: Der Richter hat keine Gründe für seine Maßnahmen und denkt sich deshalb welche aus“. Pech auch für Richter Oehm, dass sein eigener Beschluss zum Rauswurf des Angeklagten das Urteil widerlegt. Dort ist das Publikum nämlich gar nicht erwähnt. Formal hätte das aber auch nichts mehr genützt, denn zulässig wäre es ohnehin nicht, für Handlungen von ZuschauerInnen den Angeklagten von der Verhandlung auszuschließen.

Rechtsbeugungen sollen gedeckt werden
Wahrscheinlich hätte sich das Amtsgericht Gießen auf eine Wiederholung der grotesken Veranstaltung einstellen müssen. Für den Oehm drohte ein Karriereknick. Die massiven Rechtsbrüche hätten nämlich in einer direkten Rechtsüberprüfung (Sprungrevision) vorgebracht werden können. „Es war unser Ziel gewesen, die Rechtsfehler dieser ersten Instanz anzugreifen, damit solche Willkürakte keine Schule machen. Oehm ist immer Vizepräsident des Amtsgerichts“, begründeten die Angeklagten diesen Plan. Doch diese Überprüfung will die Staatsanwaltschaft offenbar verhindern und so den rechtsbeugenden Richter retten. Sie legte Berufung ein - obwohl das Urteil genau so ausfiel, wie sie es beantragt hatte. Die Angeklagten dazu: „Das ist ein mieser Trick. Durch die Berufung kann es zu keiner Revision über die Oehmschen Rechtsbeugungen kommen.“ Zudem habe die Staatsanwaltschaft keine Gründe für ihre Berufung angegeben, was den eigenen Richtlinien nicht entspricht. So vertuscht sie nun Rechtsbeugungen mit erneuten Rechtsbrüchen.

Traurige Fortsetzung jahrelanger Gießener Skandaljustiz
Mit dem Geschehen rund um das Strafverfahren gegen die zwei der vier FeldbefreierInnen von 2006 treiben die Auseinandersetzungen vor Gießener Gerichten neue und immer seltsamere Blüten. Seit Jahren schon versuchen Strafverfolgungsbehörden von Polizei bis Gerichten und daran interessierte Kreise in Regierungen und Institutionen, die unbequemen AktivistInnen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt hinter Gitter zu bringen. Die aber haben sich inzwischen ein erhebliches Know-How im Umgang mit Strafrecht zugelegt und konnten in Gerichtsverhandlungen bereits mehrfach Lügen und Erfindungen von Polizei und Gerichten nachweisen. Darunter waren spektakuläre Polizeieinsätze und Verhaftungen, bei denen Straftaten völlig frei erfunden und Unbeteiligten untergeschoben wurden, obwohl die Polizei die Betroffenen an anderen Orten selbst observierte. Fast 30 Ermittlungsverfahren gegen PolizistInnen, RichterInnen aus Gießen und den bei vielen dieser teilweise fernsehreifen Einsätze im Hintergrund stehenden hessischen Innenminister Bouffier hat es inzwischen gegeben. Die meisten laufen inzwischen bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden, weil die Gießener Staatsanwaltschaft wegen der eigenen Verquickung in die Vorgänge als befangen gilt. „Das wiederholt sich hier“, sagt der vom Prozess ausgeschlossene und dann verurteilte Feldbefreier Jörg B.: „Eigentlich wäre es konsequent, auch hier das Verfahren an einen anderen Ort zu verlegen oder zumindest eine externe Staatsanwaltschaft zu beauftragen. Der Filz in Gießen ist zu krass.“
Immerhin eines aber hält die Verurteilten bei Laune: Sichtbar hatte ihre offensive Prozessführungstaktik die Justiz zu den Rechtsbrüchen gezwungen. „Es kommt jetzt darauf an, ob die das mit weiteren Rechtsbrüchen ausbügeln können oder ob irgendwann Schluss ist – allmählich wandelt sich der Laden ja zu einer einzigen kriminellen Vereinigung.“ Wie es weitergeht, ist offen.

rechtsbrüche ...

freddy 04.10.2008 - 23:45

Hallo

die Rechtsbruchpolitik im Verfahren wurde fortgesetzt: Da die StA Revision erhob, wird´s eine 2. Instanz beim Landgericht geben und k e i n e "Sprungrevision" beim Frankfurter Oberlandesgericht,

Gruß Freddy

Was soll dieser Satz bedeuten?

Lee 09.10.2008 - 09:33
In dem Text steht der Satz:

"Ein mieser Trick: Durch die Berufung kann es zu keiner Revision über die Oehmschen Rechtsbeugungen kommen."

Was soll das bedeuten?! Wenn es zu einer Berufung kommen sollte, dann braucht es doch auch gar keiner Revision mehr. In der Berufung werden die tatsächlichen und die rechtlichen Aspekte des Falles noch einmal überprüft. Wenn das Berufungsgericht also anderer Ansicht ist als das Amtsgericht, dann wird es auch ein anderes Urteil fällen. In der revision könnte höchstens festgestellt werden, dass der Amtsrichter rechtswidrig gehandelt hat. Das würde aber doch auch nicht zu einem Freispruch führen, sondern zu einer erneuten Verhandlung. Und die sit doch auch jetzt schon durch die Einlegung der Berufung durch die StA möglich.

@was soll dieser Satz bedeuten?

k.o.b.r.a. 09.10.2008 - 12:50
Eine Antwort: Offenbar geht es gar nicht darum, was der Satz bedeuten soll, denn er wurde ja richtig interpretiert. Auch der Rest ist richtig, nur ist die Berufung eben keine "Überprüfung", sondern eine Art Wiederholung. Wenn die Rechtsbrüche des Richters Oehm direkt angegriffen werden sollten, dann geht das über die Sprungrevision - und das eben nun nicht mehr. Der CDU/FDP-Karriererichter wird durch die taktive Berufung der StA geschützt, denn eine Revision zu verlieren, ist immer peinlich. Außerdem bedeutet es jetzt, dass der nächste Richter es genauso machen kann, nur aus den Fehlern von Oehm lernen kann. Eine Revision dann kann nicht mehr Oehm angreifen. Insofern ist die Sprungrevision ein (durchaus übliches) Mittel, um direkt gegen unverschämte Rechtsbeugungen in der ersten Instanz vorzugehen.

@k.o.b.r.a.

widerständler 09.10.2008 - 13:24
das erste stimmt (notwehr)
und es gibt auch noch mehr.
allerdings sind die widerstandsparagraphen ein falsches beispiel, da sie reine papier-paragraphen sind, die nie zur anwendung kommen können.
sie stellen ein paradoxon da, da sie erst dann angewendet werden dürfen (bzw. die notwendigen bedingungen erst dann erfüllt sind) wenn die rechtssprechung NICHT mehr funktioniert. heißt: erst wenn das recht selbst nicht mehr beachtet wird darf widerstand ausgeübt werden. in diesem fall muss allerdings davon ausgegangen werden, da ja die justiz auch nicht mehr funktioniert, dass dann das widerstandsrecht eh nicht mehr justiziell durchführbar ist - sonst würde die justiz ja funtionieren und damit die bedingung für den widerstandsparagraphen entfallen.

es gab schon etliche versuche, den widerstandsparagraphen auszunutzen, die alle an diesem paradoxon gescheitert sind bzw. die justiz es einfach nicht soweit kommen lässt, sich diesem paradoxon auszuliefern. siehe z.b. die resist-fälle von der blockade des army-flughafens frankfurt

@widerständler

k.o.b.r.a. 11.10.2008 - 20:37
Politisch hättest Du Recht. Praktisch aber nicht. Das Absurde ist, dass die Notstandsparagraphen häufiger angewendet werden - vor allem für Staatsbedienstete. Zum Beispiel im Deutschen Herbst ständig oder wenn in der Psychiatrie "fixiert" wird. Alles ungesetzlich ... die Schergen berufen sich auf den rechtfertigenden Notstand. In wenigen Fällen haben auch schon Privatpersonen davon profitiert, z.B. einen Verletzten ins Krankenhaus fahren ohne Führerschein.
Du hast politisch Recht: Dort werden sie es nicht anwenden. Das aufzuzeigen, ist ja gerade ein Ziel. Als rechtliche Auskunft ist Dein Text aber falsch.

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@Jüngerin — außerdem

Trolliges — noch jünger

es ist zum kotzen... — jörgili

lächerlich — peter hodenfuchs