Doppeleinstellung in Sachen §129

PE-Auswerter_in 01.10.2008 17:40 Themen: G8 Heiligendamm Repression
Die beiden mit den bundesweiten Durchsuchungen am 9. Mai 2007 bekannt gewordene §129a-Verfahren (Bildung einer terroristischen Vereinigung) sind am 22. und 24. September 2008 eingestellt worden.
Heute haben die Betroffenen in zwei Presseerklärungen die Einstellung veröffentlicht und bewertet. In beiden Presseerklärungen solidarisieren sich die Betroffenen mit den drei Angeklagten Axel, Oliver und Florian in Berlin und weisen einmal mehr darauf hin, dass viele Betroffen und alle gemeint sind.

„Das Ergebnis: Das Ermittlungsverfahren wurde am 22.9.2008 eingestellt, weil der Anfangsverdacht nicht erhärtet werden konnte. Der Anfangsverdacht, das waren die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes.
Für das aktuelle Gerichtsverfahren kann das nur bedeuten: Der Verfassungsschutz hat vor dem Kammergericht nichts zu suchen.
Die Bundesanwaltschaft hat bei der Verfolgung der linken Szene Rechtsbrüche begangen und musste Niederlagen hinnehmen. Sie steht unter Druck, zumindest ein Urteil gegen linke Aktivisten wegen eines Organisationsdelikts zu erzielen. Dazu ist die Anklagevertretung bereit, auf unüberprüfbare Berichte bezahlter Geheimdienstspitzel zurückzugreifen.“ heisst es hierzu von den betroffenen Mitgliedern der Initiative Libertad!, denen Mitglidschaft in der militanten gruppe (mg) vorgeworfen wurde.

„Solidarische Grüße an Axel, Florian und Oliver. Sie stehen zur Zeit mit der Anklage §129 STGB (kriminelle Vereinigung) – Mitgliedschaft in der mg (militante gruppe) – und versuchter Brandstiftung gegen Militärfahrzeuge in Berlin vor Gericht. Wegen Widerstand, der das Ziel hat, die Gewalt des Krieges, die Kriegswirtschaft, sowie das Militär anzugreifen, um eine Situation der Besatzung, der Ermordung von Zivilist_innen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu unterbinden.“ schreiben einige Betroffene des §129(a)-Verfahrens, denen Mitgliedschaft in einer „militanten Kampagne“ vorgeworfen wurde.

Beide Presseerklärungen gehen darüber hinaus auf die Repression während der Ermittlungen ein:

„Kein anderer Paragraf eröffnet dem Staatsschutz so viele Möglichkeiten an Überwachung und Ausforschung wie der § 129a oder b. Im Rahmen der aktuellen Verfahren hat er über einen langen Zeitraum seine ganzen technischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Flächendeckende Observationen, Telefonüberwachung, e-Mail Überwachung, Postüberwachung, Filmaufnahmen, Peilsender, Rasterfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler, Verwertung geheimdienstlich erlangter Informationen (nach dem G10-Gesetz), Aufhebung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, akustische Raumüberwachung, großer Lauschangriff usw.
Diese Überwachungsmaßnahmen haben weit mehr Leute getroffen als die unmittelbar Beschuldigten.“ berichten einige Betroffene.

„Seit dem 16.7.2001 hat das Bundeskriminalamt sieben Jahre lang gegen uns ermittelt: Unsere Wohnungen und Arbeitsstellen wurden Tag und Nacht gefilmt, unsere Telefone abgehört, unsere Autos verwanzt und mit Peilsendern versehen. Alle Banktransaktionen wurden kontrolliert. Wir wurden auf Schritt und Tritt von Zivilpolizisten verfolgt. Schließlich wurden unsere Wohnungen und Arbeitsstellen durchsucht, unsere Computer, Tagebücher, Fingerabdrücke und DNA analysiert.“ berichten die drei Betroffenen von Libertad.

Aber: „Der Stein, den sie gegen uns erhoben haben ist auf ihre eigenen Füße gefallen. Sorgen wir dafür, dass das so weitergeht.“ bilanzieren einige Betroffene und machen damit klar, dass sie sich nicht klein machen lassen.

Die Presseerklärungen im Wortlaut:

Presseerklärung:
Hamburg, den 1. Oktober 2008

Das mit den bundesweiten Durchsuchungen am 9. Mai 2007 bekannt gewordene §129a-Verfahren (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ist am 24. September 2008 eingestellt worden.
Es wurden 18 Personen beschuldigt einer „militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel“ anzugehören.

Der BGH hatte bereits mit Beschluss vom 20.12.07 entschieden, dass Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß §129a STGB schon aus rechtlichen Gründen ausscheide, aber auch keine hinreichende Verdachtslage hinsichtlich der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß §129 STGB gegeben sei. Daraufhin gab die BAW das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Hamburg ab. Diese zögerte die Einstellung nahezu 9 Monate hinaus. Erst mit Bescheid vom 24.9.08 wurde das Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung bei allen Betroffenen ohne jede Begründung eingestellt.
Das Rad der Geschichte lässt sich nicht so einfach zurückdrehen – und das ist auch gar nicht beabsichtigt. BAW, VS, BKA und LKA haben zumindest teilweise das erreicht, was sie vorhatten. Sie haben Daten gesammelt, Strukturen durchleuchtet, bundesweit ein Manöver durchgeführt, um ihre Apparate zu koordinieren und die Funktionsfähigkeit auszuprobieren, und sie haben die politische Konsensfähigkeit ihrer Strategien ausgetestet. Und sie haben versucht, eine Stimmung der totalen Kontrolle und Überwachung zu verbreiten.
Die Auswirkungen auf uns - die Verfolgten - und auf die gesamte Gesellschaft sind nicht zu ignorieren und sind durch den BGH-Beschluss und den der Staatsanwaltschaft Hamburg nicht rückgängig zu machen.

Der größte Teil der Ermittlungen ist vom Verfassungsschutz durchgeführt worden und Ergebnisse und Handlungsvorschläge wurden dem BKA zur Verfügung gestellt. Das ist aus den Akten ersichtlich. Hier wird eine sehr enge Zusammenarbeit von Geheimdienst und Polizei sichtbar. Nicht zufällig wurde nach dem zweiten Weltkrieg – als Reaktion auf den deutschen Faschismus und den unsäglichen Erfahrungen mit dem allmächtigen „Reichssicherheitshauptamt“ - die Arbeit von Geheimdienst und Polizei per Festlegung der Allliierten 1949 getrennt. Das scheint heute aber keine Rolle mehr zu spielen. (siehe  http://www.cilip.de/terror/vdj.htm )
Weiter wurden auch Ermittlungen des Staatssicherheitsdienstes der früheren DDR (STASI) herangezogen. Aus den Ermittlungs-Akten wird auch ersichtlich, dass das BKA unmittelbar mit Sozialamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Verkehrsamt, Ordnungsamt, Versicherungen, Ausländerbehörde und Banken usw. zusammenarbeitete.

Kein anderer Paragraf eröffnet dem Staatsschutz so viele Möglichkeiten an Überwachung und Ausforschung wie der § 129a oder b. Im Rahmen der aktuellen Verfahren hat er über einen langen Zeitraum seine ganzen technischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Flächendeckende Observationen, Telefonüberwachung, e-Mail Überwachung, Postüberwachung, Filmaufnahmen, Peilsender, Rasterfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler, Verwertung geheimdienstlich erlangter Informationen (nach dem G10-Gesetz), Aufhebung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, akustische Raumüberwachung, großer Lauschangriff usw.
Diese Überwachungsmaßnahmen haben weit mehr Leute getroffen als die unmittelbar Beschuldigten.

Aber uns scheint, dass zumindest ihr Konzept der Einschüchterung, Verunsicherung und Spaltung des Widerstandes nicht aufgegangen ist.
Große Teile der Öffentlichkeit reagierten mit Unverständnis und Protest. Wir haben viel Unterstützung erfahren. Ein Ausdruck davon sind die vielen Solidaritätserklärungen, Veranstaltungen und Demonstrationen, wie die Demonstration am 15. 12. 07 in Hamburg unter dem Motto: »gegen den kapitalistischen Normalzustand, gegen Überwachungsstaat und Repression«. Die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm bekam einen neuen Schub.
Der Stein, den sie gegen uns erhoben haben ist auf ihre eigenen Füße gefallen. Sorgen wir dafür, dass das so weitergeht.

Einer der Beschuldigten – unser Freund und Genosse Joachim T. – ist für uns alle vollkommen unerwartet gestorben. Er war der staatlichen Überwachung, wie Verwanzung der Wohnung, Videoüberwachung des Hauseinganges, besonders stark ausgesetzt. Wir fühlen uns mit seinen politischen Ideen und Aktivitäten weiterhin stark verbunden.

Solidarische Grüße an Axel, Florian und Oliver. Sie stehen zur Zeit mit der Anklage §129 STGB (kriminelle Vereinigung) – Mitgliedschaft in der mg (militante gruppe) – und versuchter Brandstiftung gegen Militärfahrzeuge in Berlin vor Gericht. Wegen Widerstand, der das Ziel hat, die Gewalt des Krieges, die Kriegswirtschaft, sowie das Militär anzugreifen, um eine Situation der Besatzung, der Ermordung von Zivilist_innen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zu unterbinden.

Einige Betroffene des nun eingestellten §129(a)-Verfahrens.

Mehr zu dem Verlauf des Verfahrens findet sich im Internet, u.a. auf folgender Seite:  http://www.Maus-Bremen.de (im Menü unter: „Zu den bundesweiten Razzien am 9.5.07“).

und

Pressemitteilung
Ermittlungen wegen Gründung der militanten gruppe eingestellt
Nach sieben Jahren wurde am 22.9.2008 ein Ermittlungsverfahren nach §129 gegen drei Mitglieder der Initiative Libertad! eingestellt. Wir dokumentieren eine persönliche Erklärung der drei Berliner, denen die Bundesanwaltschaft seit 2001 die Gründung der militanten gruppe vorwarf:
"Der Verfassungsschutz muss in die Schranken verwiesen werden
Seit dem 25.9.2008 wird vor dem Berliner Kammergericht gegen drei Männer verhandelt, denen die Bundesanwaltschaft neben einer versuchten Brandstiftung die Mitgliedschaft in der militanten gruppe vorwirft. Die Anklage stützt sich auf den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dieser habe mitgeteilt, bei den Angeklagten handele es sich nach einer „im allgemeinen zuverlässig berichtenden und nachrichtenehrlichen“ Quelle um Mitglieder der militanten gruppe.
Schon einmal hat der Verfassungsschutz behauptet, Mitglieder der militanten gruppe zu kennen:
Am 3.7.2001 teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz der Bundesanwaltschaft mit, wir – drei Mitglieder der Initiative Libertad! – seien die Gründer und Mitglieder der militanten gruppe. Es ging nicht um einen zu prüfenden Verdacht, es wurde eine Feststellung getroffen. Der Verfassungsschutz forderte die Bundesanwaltschaft auf, uns strafrechtlich zu verfolgen.
Seit dem 16.7.2001 hat das Bundeskriminalamt sieben Jahre lang gegen uns ermittelt: Unsere Wohnungen und Arbeitsstellen wurden Tag und Nacht gefilmt, unsere Telefone abgehört, unsere Autos verwanzt und mit Peilsendern versehen. Alle Banktransaktionen wurden kontrolliert. Wir wurden auf Schritt und Tritt von Zivilpolizisten verfolgt. Schließlich wurden unsere Wohnungen und Arbeitsstellen durchsucht, unsere Computer, Tagebücher, Fingerabdrücke und DNA analysiert.
Das Ergebnis: Das Ermittlungsverfahren wurde am 22.9.2008 eingestellt, weil der Anfangsverdacht nicht erhärtet werden konnte. Der Anfangsverdacht, das waren die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes.
Für das aktuelle Gerichtsverfahren kann das nur bedeuten: Der Verfassungsschutz hat vor dem Kammergericht nichts zu suchen.
Die Bundesanwaltschaft hat bei der Verfolgung der linken Szene Rechtsbrüche begangen und musste Niederlagen hinnehmen. Sie steht unter Druck, zumindest ein Urteil gegen linke Aktivisten wegen eines Organisationsdelikts zu erzielen. Dazu ist die Anklagevertretung bereit, auf unüberprüfbare Berichte bezahlter Geheimdienstspitzel zurückzugreifen.
Wir selbst werden alle verfügbaren Mittel nutzen, um gegen die Verletzung unserer Grundrechte und insbesondere gegen die Steuerung der Polizei durch den Geheimdienst vorzugehen.
Berlin, 1.10.2008
Jochen U., Jonas F., Markus H."
Für weitere Informationen:
Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren
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Ergänzungen

Freiheit statt Angst! Aber ohne AKV!

jawuc.blogsport.de 01.10.2008 - 18:54
Die Veranstalter der "Freiheit statt Angst"-Demo sind die Leute vom Aktionskreis Vorratsdatenspeicherung, welche nicht (mehr)mit Gruppierungen "links von die Linke" zusammenarbeiten.

Dies ist aber nur ein Grund, wieso Mensch nicht diese Demo besuchen sollte, alles was letztes Jahr passiert ist, kann man hier nachlesen:

 http://de.indymedia.org/2007/09/195364.shtml



Solidarische Grüße Alex,Oliver und Florian.
Wir sind alle 129(a)!

Jawuc

Verfahren gegen G8-Gegner eingestellt

http://www1.ndr.de/ 02.10.2008 - 21:36
Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen alle 18 Globalisierungsgegner eingestellt, die vor rund anderthalb Jahren im Zusammenhang mit einer Großrazzia ins Visier der Justiz geraten waren. Die Behörde begründete die Entscheidung am Donnerstag mit einem Mangel an Tatverdacht. Zuletzt war wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt worden. Die Aktivisten waren von länderübergreifenden Durchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm betroffen. Diese Aktion habe dazu gedient, seine Mandanten einzuschüchtern, sagte der Anwalt der Beschuldigten, Andreas Beuth.

Gegen Teilnehmer an Demonstrationen in Rostock während des Gipfels selbst wird hingegen weiter ermittelt. Bei den laufenden Verfahren sei wohl noch mit Anklagen zu rechnen, sagte ein Sprecher der Rostocker Staatsanwaltschaft.


Durchsuchungen als Reaktion auf Brandanschläge

Etwa 900 Polizisten durchsuchten am 9. Mai 2007 insgesamt 40 Objekte in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Dazu gehörte auch der Szenetreff "Rote Flora" im Hamburger Schanzenviertel. Zwei Gruppen von G8-Gegnern aus dem linksextremistischen Umfeld standen damals im Zentrum der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Vorher hatte es zahlreiche Brandanschläge, etwa auf Autos von Managern oder Politikern, gegeben. Die Taten wurden der linken Szene zugeschrieben.


Kritik an Ermittlungsmethoden

Im vergangenen Dezember gab die Bundesanwaltschaft das Verfahren an die Hamburger Staatsanwaltschaft ab, weil der Bundesgerichtshof (BGH) keinen Terrorverdacht gegen die Beschuldigten sah. Im Januar erklärte der BGH die Durchsuchungen für rechtswidrig. Als "Stasi-Methode" kritisierten Politiker, dass im Zuge der Ermittlungen auch Geruchsproben von Verdächtigen genommen worden waren.

 http://www1.ndr.de/nachrichten/hamburg/globalisierung100.html

weitere Informationen

grauwacker 03.10.2008 - 01:13
zum Verfahren "militante G8-Kampagne" auf der Webseite der AG Grauwacke

Gerüchte und Unwahrheiten über den AK Vorrat

Ralf Bendrath 06.10.2008 - 02:38
Ich habe darauf bereits an anderer Stelle geantwortet:
 http://de.indymedia.org/2008/09/227189.shtml

Unter "Ergänzungen", Unterüberschrift "Gerüchte und Unwahrheiten über den AK Vorrat".

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@jawuc — ak-vorratler

MitAKler — Zipf