Malmö im September

luna 21.09.2008 12:23 Themen: Weltweit
"Ein anderes Europa möglich machen - Bündnisse für Kämpfe und Alternativen schließen" - vom 17. bis 21.9. durchzog dieses Motto die schwedische Stadt Malmö, wo das diesjährige Europäische Sozialforum und parallel ein "Autonomes ESF" stattfanden.
Das 5. ESF war in vielerlei Hinsicht anders: nach Florenz 2001, Paris 2003, London 2004 und Athen 2006 begrüßte eine eher kleinere Stadt in weiträumig über die Stadt verteilten Veranstaltungsorten die Engagierten aus aller Welt. Erst am Samstag, im Rahmen der ESF-Demonstration konnte man sich einen Begriff von der Anzahl der BesucherInnen machen. Die Angaben variieren, zwischen 10.000 und 20.000 sollen es gewesen sein, auf jeden fall weniger als erwartet und von den vorigen Treffen der europäischen sozialen Bewegungen gewohnt, was der gesamten Veranstaltung keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: frischer, jünger und offener - so erschien das 5. ESF in Malmö.

Soziale Rechte und Strategien im Kampf gegen Prekarisierung und Privatisierung in Europa standen im Mittelpunkt der 250 Seminare, Workshops und Versammlungen, ebenso wie die radikale Wende hin zu einer ökologisch nachhaltigen und an den Bedürfnissen der Menschen weltweit orientierten Wirtschaftsweise als Pfeiler einer emanzipatorischen europäischen Politik bekräftigt wurden. Als Teil der globalen Sozialforumsbewegung endet der Anspruch auf gesellschaftliche Veränderungen allerdings nicht an politisch bestimmten Grenzen der Europäischen Union. Die inhumane und technologisch immer ausgefeiltere Abschottungspraxis der EU, legalisiert beispielsweise durch die erst jüngst verabschiedete „Rückführungsrichtlinie“ und Tag für Tag praktiziert durch die so genannte Grenzschutzagentur Frontex, war ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt und Anlass für eine eigene Demonstration.

Mit einem fulminanten Kulturprogramm mit 400 Ausstellungen, Filmen, Straßenpartys oder Open-Air-Konzerten legte das Nordische Vorbereitungskomittee nicht nur eine Meisterleistung hin, sondern erleichterte der Malmöer Bevölkerung den ideellen Zugang zum ESF und öffnete den Horizont für eine zu oft vernachlässigte politische Praxis.

Parallel zum offiziellen ESF fand das vom ESF 2008 Action network organisierte Autonome Europäische Sozialforum statt. Dieses versteht sich als antikapitalistisches, radikales, autonomes Pendant zum ESF. Die Kritik an letzterem richtet sich u.a. auf den Ausschluss von Gruppen, die Militanz als politisches Mittel befürworten sowie auf die bürokratischen,
institutionalisierten Strukturen.
In so genannten „radical assemblys“ zu den Themen Feminismus, Prekarisierung und Freiräume und Seminaren zu kommenden internationalen Mobilisierungen (Klimagipfel 2009 Kopenhagen, Nato Gipfel 2009 in Kehl etc) wurde den hunderten Linksradikalen und –alternativen im Convergence Center Utkanten die Möglichkeit zu Debatte und Vernetzung gegeben. Auch Intervention in den öffentlichen Raum ging vor allem vom ESF 2008 Action network aus. So fand am Donnerstag eine Demonstration für Bewegungsfreiheit und Bleiberechte für MigrantInnen statt. Die Streetparty am Freitag 19.9. zog um die 700 Menschen an – mehrere Stunden wurde eine zentrale Straße in Malmö mit tanzenden Menschen besetzt. Die Situation eskalierte nach Mitternacht – bei Auseinandersetzungen zwischen der massive präsenten Polizei und Autonomen wurde mindestens ein Mensch festgenommen.
In der das Autonome ESF begleitenden Zeitung wurde das Polizeiaufgebot kritisiert, dass während der fünf Tage in Malmö stationiert war und damit eine Parallele zu den Protesten gegen den EU-Gipfel 2001 im schwedischen Göteborg gezogen, als die Polizei Schusswaffen gegen DemonstrantInnen einsetzte. Diese Szenerie sei gleichsam exemplarisch für die Proteste gegen den UN-Klimagipfel, der Ende November 2009 im dänischen Kopenhagen stattfinden wird.

Die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Friedensinitiativen und auch die linksradikalen Zusammenhänge, die in Malmö zusammengekommen sind, stehen vor neuen Herausforderungen: eine soziale, demokratische und ökologische Wende in Europa ist nötiger denn je. Der neoliberale Kapitalismus prägt die europäische Integration und produziert mehr und mehr Armut. Auch im als Vorzeige-Wohlfahrtsstaat bekannten Schweden, haben Lohndumping und die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge längst Einzug gehalten.

Der globalisierungskritische Leitspruch "Think global, act local" müsse modifiziert werden, forderte der finnische Politikwissenschaftler Lauri Holappa. Die vielfältige Bewegung, die die kapitalistische Globalisierung kritisiert, dürfe sich eben nicht nur auf die lokale, nationalstaatliche Praxis reduzieren. Alternativen zum Kapitalismus müssen global gedacht und vor allem praktisch werden. Finale Antworten auf die gerade aktuell offensichtlichen drastischen Folgen dieser hegemonialen Wirtschaftsweise und Politik – Finanzmarktkrise, Verarmung oder Klimakollaps – wurden auch auf dem Europäischen Sozialforum nicht gegeben.
Doch Bündnisse für Kämpfe und Alternativen sind enger und konkreter geworden. Der wind von Malmö weht weiter nach Poznan führen, wo der Weltklimagipfel im Dezember 2008 den Weg für einen fadenscheinigen „grünen Kapitalismus“ weiter bereiten will, im nächsten Jahr nach Italien, wo Silvio Berlusconi im nächsten Jahr erneut Gastgeber des G8-Gipfel sein wird, zum internationalen Klimagipfel in Kopenhagen 2009 und schließlich nach Istanbul, Gastgeberin des ESF in zwei Jahren.

 http://www.esf2008.org
 http://www.esf2008action.net/
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