Schweiz: Proteste gegen Asylpolitik

Gräfin von Lichtenschein 16.09.2008 20:28 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe
An die 3000 Personen haben am 13. September in Bern unter dem Motto "Bleiberecht für alle" für Menschen ohne legalen Aufenthalt demonstriert. Sie verlangten die kollektive Regelung und einen sofortigen Abschiebungsstopp. Eine Aktionswoche zu diesem Thema begann bereits am 8. September und endete am 14. September. Über 80 Veranstaltungen sollten die Vielfalt der MigrantInnen in der Schweiz aufzeigen und die Türen für eine offenere Migrationspolitik aufstoßen. Einen gemeinsamen politischen Schwerpunkt bildete die gesamtschweizerische Demo in Bern...
Demonstration bei schlechtem Wetter trotzdem ein voller Erfolg

Die Kundgebung begann auf der Schützenmatte bei der Reithalle und führte über den Breitenrainplatz und Bundesplatz zum Waisenhausplatz. Auf Transparenten in verschiedenen Sprachen forderten die Menschen bei Regenwetter, respektiert und anerkannt zu werden und arbeiten zu dürfen. Die Forderungen wurden im Laufe des Demozugs, an dem Papierlose aus allen Teilen der Schweiz teilnahmen, in Referaten und musikalischen Darbietungen bekräftigt. Laut der Kantonspolizei verlief die Kundgebung ohne Zwischenfälle. Sie schätzte die Zahl der Demonstrierenden auf gegen 2000, die Organisatoren sprachen dagegen von 3000 Teilnehmenden. Die nationale Kundgebung wurde durch die Bleiberechtkollektive aus Zürich, Bern, Freiburg und Waadt organisiert. Der Aufruf wurde desweiteren von vielen Gruppen und Organisationen unterstützt.


"...laufend neue Probleme..."

Die aktuelle Migrationspolitik schaffe laufend neue Probleme, statt welche zu lösen, heißt es in einer Medienmitteilung der Organisatoren. Abgewiesene Asylsuchende und solche, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde, dürften in der Schweiz nicht arbeiten und wohnten in Notunterkünften mit minimaler Nothilfe. Menschen mit vorläufiger Aufnahme lebten in einem Dauerprovisorium mit geringen Chancen auf Arbeit, Wohnung oder eine Lehrstelle. Sans-Papiers führten ein Schattendasein ohne Rechtsschutz. Sie alle lebten mit der ständigen Furcht, abgeschoben zu werden.


Forderung von Standards in der Gesundheitsversorgung

Die vom Schweizerischen Roten Kreuz geleitete Nationale Plattform Gesundheitsversorgung für Sans-Papiers forderte an ihrer Fachtagung vom 12. September in Bern Standards in der Gesundheitsversorgung von Personen ohne Aufenthaltsrecht. Die medizinische Behandlung von Sans-Papiers stelle eine Herausforderung für die Praxis dar. Personen ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz leben und arbeiten in prekären Verhältnissen und unter Bedingungen, welche die Gesundheit stark belasten. Sie haben mehrheitlich (80 bis 90 Prozent) keine Krankenversicherung. Aus Angst vor Entdeckung nehmen sie Dienstleistungen des Gesundheitswesens oft nicht rechtzeitig oder nur im Notfall in Anspruch. Gesundheit und medizinische Versorgung sind universelle Menschenrechte, sie gelten immer und überall, ungeklärt seien aber die Rechtslage in Bezug auf die allgemeine Grundversorgung von Sans-Papiers. Verschiedene Angebote außerhalb der Regelversorgung versuchen diese Lücke zu schließen. In der vom Schweizerischen Roten Kreuz geleiteten Nationalen Plattform Gesundheitsversorgung für Sans-Papiers sind rund 20 Stellen zusammengeschlossen, die sich um die Gesundheitsversorgung von Sans-Papiers kümmern. Die Plattform wird im Rahmen der Strategie "Migration und Gesundheit 2008 - 2013" vom Bund unterstützt. Die erste Fachtagung der Nationalen Plattform Gesundheitsversorgung für Sans-Papiers vermittelte einen Einblick in die aktuelle Situation von Sans-Papiers in der Schweiz.


Thema auch in anderen Ländern aktuell

Mit verschiedenen Aktionstagen wurde am 30. August auch in Deutschland zum Tag ohne Abschiebungen gegen die rassistische Politik der Abschottung protestiert. Am 10. Oktober 2008 gibt es dann einen dezentralen Aktionstag für Bewegungsfreiheit bzw. Bleiberechtin Österreich. So soll es am Fr, 10. Oktober 2008 in allen Landeshauptstädten ein sogenanntes Sesselmeer geben, mit dem vor allem Vertreter_innen größerer Organisationen darauf hinweisen wollen, dass genug Platz in Österreich ist - und vor allem die Rahmenbedingungen das Problem darstellen. In den Bundeshauptstädten sollen zeitgleich Sesseln an öffentlichen Plätzen aufgestellt werden. Auch die Bevölkerung ist aufgerufen, Sitzmöbel zu bringen, oder am eigenen Wohnort ein paar Sessel an öffentlichen Plätzen aufzustellen.



Video:
Bleiberecht - was bisher geschah
 http://www.youtube.com/watch?v=gtq6QfMddNQ

Radiosendungen und Zeitungsartikel zum Thema:
 http://www.sosf.ch/cms/front_content.php?idcat=613
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Ergänzungen

Buch gegen Diskriminierung

http://www.presseportal.ch/ 18.09.2008 - 17:36
Die nationale Fachtagung des Schweizerischen Roten Kreuzes vom 17. September in Bern griff ein ebenso heikles wie komplexes Thema auf.

In Institutionen des Sozial- und Gesundheitswesens wird nicht nur professionelle Hilfe geleistet, es kommt auch regelmässig und alltäglich zu rassistischen Vorfällen. Betroffen sind sowohl Patientinnen und Klienten als auch Mitarbeitende, die aufgrund ihres als «fremd» wahrgenommenen Äusseren, ihrer Sprache, ihrer Nationalität, ihres Alters, Geschlechts oder ihrer Religionszugehörigkeit Ablehnung erfahren oder nachteilig behandelt werden. Die Urheber sind sich ihrer Handlungen oft nicht bewusst oder die Betroffenen wagen nicht, darüber zu sprechen. Häufig wird zudem Diskriminierung von den Betroffenen nicht als solche erkannt - etwa dann, wenn sie durch betriebliche Praktiken, wie etwa Informationswege, zu denen nicht alle Zugang haben, verursacht wird.

An der Tagung wurde das vom Schweizerischen Roten Kreuz entwickelte Handbuch «Rassistische Diskriminierung im Spital verhindern» vorgestellt. Es ist die erste Publikation in der Schweiz, die die Problematik rassistischer Diskriminierung am Arbeitsplatz Spital offen anspricht und konkrete Handlungsmöglichkeiten bietet. Der praxisgeprüfte Umsetzungsleitfaden hilft Arbeitgebern und Mitarbeitenden die Problematik rassistischer Diskriminierung im eigenen Betrieb zu erkennen und zu verhindern.

Ausser Menschen mit einer Migrationsbiographie sind Ältere und Menschen mit einer Behinderung dem Risiko von Diskriminierung ausgesetzt. So findet bei älteren Patienten oder solchen, die sozial verletzlich sind bzw. unter psychischen Störungen leiden, eine verdeckte Rationierung statt. Auch der erschwerte Zugang zu Gesundheitsversorgung - etwa für Sans-Papiers - ist eine Form der Diskriminierung, wie an der Tagung betont wurde.

Eine weitere Gruppe, die mit Diskriminierung konfrontiert ist, sind Jugendliche. Junge Menschen sind aber nicht nur Opfer bzw. Täter. Ein Beitrag beschäftigte sich mit ihrem speziellen Potenzial in der Rassismusbekämpfung. Das Jugendrotkreuz hat zusammen mit dem Integrationsbeauftragten des Kantons Freiburg und den Freiburger Schulen eine Initiative von Jugendlichen für Jugendliche entwickelt. Über 15-jährige Jugendliche sprechen Gleichaltrige in Berufsschulen und Gymnasien mittels eines Comics mit dem Titel «Ich, Rassist!?» zum Thema Rassismus an. Der Comic thematisiert Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, der ethnischen Herkunft, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.

Fazit der Tagung: Bei Angehörigen von gesellschaftlich exponierten Gruppen muss besonders darauf geachtet werden, dass ihre Menschenrechte gewahrt bleiben. Nationalrätin Maria Roth-Bernasconi brachte es auf den Punkt: «Die Gesundheits- und Sozialpolitik soll im Dienst der Menschen und zwar ALLER Menschen stehen. Dieses Anliegen entspricht vollumfänglich dem humanitären Auftrag des Roten Kreuzes.»

Kontakt: Heinz Heer, Verantwortlicher Kommunikation Gesundheit und Integration SRK (Tel. 079 689 69 00)

Hildegard Hungerbühler, Leiterin Grundlagen und Entwicklung, Departement Gesundheit und Integration SRK (Tel. 079 546 18 30)