Vicenza: Berlusconis Polizei schlaegt zu!

Aug und Ohr 14.09.2008 01:17 Themen: Militarismus Repression Weltweit
Polizeirepression auf hoeherer Stufe in Vicenza.
Vicenza: Berlusconis Polizei schlaegt zu!


Mit ausserordentlicher Brutalitaet ist die Polizei in Vicenza am Samstag den 6. September gegen junge und alte AktivistInnen vorgegangen, die gegen die geplante Erweiterung des US-Stuetzpunktes in der Stadt demonstrierten. Leute, die im Rahmen einer groesseren Kundgebung einen Sitzstreik durchfuehrten, wurden geschlagen, mehrere Frauen wurden an den Haaren am Boden entlanggeschleift, alte Menschen wurden verpruegelt, eine Frau im Rollstuhl wurde mit Schilden und Polizeistiefeln so sehr gestossen, dass sie mitsamt ihrem Rollstuhl umfiel. Auf einen Demonstranten fielen 5 Polizisten gleichzeitig her, einem Demonstranten wurde von einem Polizisten der Autoschluessel aus der Hose gezerrt: auf einem Video sieht man, wie ihn sich der Ordnungshueter in die Brusttasche steckt. Dann wurde Jagd auf den Photographen gemacht, der die Szene aufgenommen hatte. Ein Freiraum fuer Schlaeger.

Einem aelteren Demonstranten gegenueber hiess es: “Ich bring dich um, du dreckiger Pazifist!”

Es gab ueber 20 Verletzte, 6 Leute wurden festgenommen.

Vicenza ist derzeit der Hauptbrennpunkt der italienischen Bewegung gegen Militaerbasen und gegen die NATO, in Vicenza existiert seit zwei Jahren eine Massenbewegung, Die Bewegung No dal Molin, die sich auf breiteste Teile der Bevoelkerung stuetzen kann, Italien ist das Land in Europa, in dem seit mehr als dreissig Jahren, mit Unterbrechungen und wechselnden Akteuren, Kaempfe gegen NATO und NATO-/US-Stuetzpunkte gefuehrt werden. Die Bewegung, die sich in Vicenza kristallisiert, ist die einer neuen Generation, an deren Kampf aber die politisch bewusssten Schichten der aelteren Generationen aktiv teilnehmen.

Bisher bestand im Brennpunkt Vicenza eine Art ruhiggestellter Krieg, ein implizites Stillhalteabkommen zwischen Polizei, Carabinieri und den politischen Institutionen des Kapitals auf der einen Seite und der sehr breiten Bewegung, die mit einer Sprache zu sprechen versteht, die von der gesamten Bevoelkerung verstanden wird,. Mit dem Ueberfall vom .6. 9. wurde die bisherige Stillhaltepolitik jaeh zerschlagen, und das gibt dem Konflikt eine neue Qualitaet. Bisher war ein solches Verhalten gegenueber der Bewegung, die sich selbst mit auesserster Striktheit an Gewaltfreiheit haelt, undenkbar gewesen.

Dies ereignet sich in einem Gesamtkontext von immer haeufiger und intensiver auftretenden Strafexpeditionen und Strafmassnahmen des italienischen Staates und parallel dazu faschistischer Gruppierungen, die gegen die gesellschaftliche Opposition, gegen die Linke, gegen das Andere, das Abweichende, die ImmigrantInnen gerichtet sind.. Die italienische Gesellschaft ist derzeit von einer Art Strafhysterie gepraegt, die auch vor den Touristen nicht haltmacht, die wegen kleinster Kleinigkeiten von der Polizei drangsaliert oder zur Kasse gebeten werden. Es ist eine Synergie von (teilweise faschistisch gepraegtem) Staat und faschistischen Organsiationen. Staatsmorde und faschistische Morde geben sich die Klinke in die Hand.

Nach einer Veranstaltung, die an die Ermordung eines Genossen durch Faschisten in Ostia vor einem Jahr erinnerte, wurden Teilnehmer dieser Gedenkveranstaltung von einer faschistischen Schlaegerbande krankenhausreif gepruegelt. Diese zumeist mit Kettern und Stangen bewaffneten poltischen Banden ziehen jetzt ueberall in Italien auf, und wenn es einige Zeit lang schien, als wuerde sich Verona zur Hauptstadt des italienischen Faschimus – in Zusammenarbeit mit dem Leghismus!- entwickeln, so duerfte ihm Rom jetzt doch den Rang ablaufen. Homosexuelle Paare in Rom werden auf offener Strasse angegriffen und dies mit der Begruendung “Ja die Zeiten sind jetzt andere!, und die Polizei geht gegen alles Linke vor, gedeckt von der neuen Berlusconi-Regierung, die, abgesehen von der Alleanza Nazionale, die man selbst als faschistisch bezeichnen muss, zahlreiche dokumentierbare Querverbindungen zu neofaschistischen Organisationen aufweist.

Nicht nur eine Neu-Faschisierung von Staat und Gesellschaft greift Platz, es fallen auch fuer die offizielle Politik die letzten Barrieren, sich zum historischen Faschismus zu bekennen. Der neue italienische Verteidigungsminister Ignazio La Russa (Alleanza Nazionale) lobte am Jahrestag der Befreiung Roms ausdruecklich die Soldaten des von Mussolini im Jahre 1943 in Norditalien neugegruendeten faschistischen Regimes, der Republik von Salò, und deutete deren Option fuer den Faschismus in patriotischen Widerstand um, stellte sie revisionistisch und zynisch dem Widerstand der Partisanen gleich.

Neofaschistische Bandentaetigkeit, offene Apologie des Faschismus durch Regrieungsangehoerige und, damit organisch verbunden, die verstaerkte Kriegspartnerschaft mit den US-Amerikanern: in diesem Rahmen ist der Vorstoss der Polizei in Vicenza eindeutig als Vorzeichen einer “Chilenisierung” Italiens zu sehen, die in politischen Reden bereits oft an dei Wand gemalt wird.

Abgesehen von der konkreten Auswirkung dieser Gesamtfaschisierung hat Berlusconi selbst durch eine Intervention beim Buergermeister von Vincenza Gruenes Licht gegeben fuer beginnende Polizeioperationen im Stile Genuas. Er versuchte, in einem Schreiben an den Buergermeister Vicenzas, Achille Variati, ganz offem auf die lokale Politik Einfluss zu nehmen. Dies geschah genau einen Tag vor den Polizeiuebergriffen!

Variati, von der Demokratischen Partei, stellt sich hinter eine Volksbefragung zum Thema Dal Molin, die in Vicenza am 5. Oktober stattfinden wird. Das Projekt ist seit langem eingeleitet und abgsprochen. Berlusconi besteht jedoch schwarz und weiss darauf, dass eine solche Volksbefragung nicht das geeignete Mittel waere. “Ich moechte Sie noch einmal daran erinnern, dass die Volksbefragung, die Sie eingeleitet haben, ein falsches Mittel am falschen Ort ist.” heisst es im eingebildeten Jargon der italienischen Amtssprache..Schliessslich sei das Grundstueck ja den Amerikanern ueberantwortet worden. Die Volksbefragung stelle sich hiemit gegen eine Entscheidung der Regierung. Damit versucht er, der lokalen Meinungsbildung zu Dal Molin die Legitimiatet abzusprechen. Davon sind offensichtlich auch lokale Entscheidungsfindungsmechanismen betroffen. Von der hoechsten Regierungsspitze wird also ein jeglicher Protest vor Ort delegitimiert, das heisst freie Bahn fuer die Polizei

“Da gibt es Kraefte, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass eine Volksbefragung stattfindet”, gibt Variati seine Einschaetzung zu den Vorfaellen.

Als Reaktion auf die Uebergiffe fordert die Bewegung den Ruecktritt des Polizeipraesidenten. Auch der von der Regierung Prodi eingesetzte Sonderkomissaer Paolo Costa, der zu Beginn als Vermittler angedient wurde, sich aber immer mehr als Scharfmacher erwiesen hat, wird nicht verschont Von ihm stammt der Spruch: “Jeglicher lokale Widerstand muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden! “

Vicenza als derzeit staerkstes Mobilisierungszentrum steht fuer den Widerstand gegen NATO, USA und Krieg ueberhaupt. Steht fuer den gesamteuropaeischen Widerstand, der in Tschechien und Polen weitere Mobilisierungszentren geschaffen hat. Nachdem sich im vergangenen Jahr Rifondazione nicht gegen den Afghanistan-Einsatz Italiens ausgesprochen hat und sich grosse Teile der Basis- und Bewegungslinken daraufhin definitiv und hart von jeglicher Zusammenarbeit mit Rifondazione getrennt haben, also de facto vom Standpunkt der Bewegungen keine Parteien mehr existieren, die Traeger einer antimilitaristsichen Politik waeren, bleiben nur mehr die Bewegungen selbst uebrig.

Wenn “Vicenza” faellt, faellt der Widerstand der Bewegungen, der einzige legitime Widerstand gegen Staat, Kapital und Krieg. Da in Vicenza stellvertretend ein Krieg der Basis gegen das europaeische Kapital, gegen den EU-US-.Krieg gefuehrt wird, ist die Unterstuetzung der Bewegung der No dal Molin eine ureigenste Angelegenheit aller KriegsgegnerInnen Europas. Eine Solidaritaetsadresse aus Anlass der Repression sollte ein Minimum an internationalistischer Kultur bedeuten:  nodalmolin@libero.it
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Ergänzungen

einen kommentar ...

bikepunk 089 14.09.2008 - 15:16
... dazu gibts bei mir im blog.
 http://bkpnk089.blogsport.de/2008/09/14/ich-bring-dich-um-du-dreckiger-pazifist/

Solidarische Grüsse an die betroffenen Genoss_innen!

Video

http://de.youtube.com/user/kostjadan 16.09.2008 - 08:55
Hier gibt es ein Video

 http://de.youtube.com/user/kostjadan

diskussion um disubedienti

bikepunk 089 17.09.2008 - 13:03
In dem oben verlinktem Kommentar schreibe ich:
"Was in dem Artikel nicht erwähnt wird, ist das die “strikeste Gewaltfreiheit” gegenüber denen in der Bewegung, die direkte Aktionen gegenüber symbolischen bevorzugen, durch Disobedienti und ähnliche Kräfte durchgesetzt wurde. Der Vorfall vom 6.9 zeigt, dass die Bullen ihren Hilfskräften in der Bewegung keine Dankbarkeit zollen."

Aug und Ohr widerspricht dem:
Unter den disubbidienti gibt es Kräfte (es ist die Mehrzahl), die ihrer Überzeugung nach keinesfalls biedere Gewaltfreiheit als das Non-Plus-Ultra ansehen - sie kommen ja schliesslich von den Paduaner marxistischen Autonomen, die durchaus einen positiven Bezug zum bewaffneten Kampf hatten. Sie wissen allerdings genau, daß heute, und noch dazu in Vicenza, einer an sich sehr konservativen Stadt, jeder strategische Einsatz von offensiver Gewalt auf völliges Unverständnis stoßen würde.

Daher gehen sie taktisch immer an die äußerste Grenze der Gewaltfreiheit - indem sie, im Straßenkampf erfahren, sich zum Beispiel mit Plastikschilden bewaffnen, durch die sie einerseits geschützt sind, mit denen sie allerdings auch, ohne direkte zuschlagende Gewalt zu verwenden, in einer geschlossenen Phalanx gegen die Bullen vorrücken und letztere zurückdrängen können.

Diese Technik wurde zum Beispiel beim Besuch Haiders in Bibione vor drei Jahren, gegen den stark mobilisiert wurde, verwendet.

Nein, es wird gerade vom presidio, der permanenten Plenum, das die de-facto-Leitung darstellt - mit dem aber die ex-autonomi eng zusammenarbeiten - und einigen maßgeblichen feministischen pazifistischen Theoretikerinnen der Bewegung diese Gewaltfreiheit propagiert, recht dogmatisch propagiert. Nicht in erster Linie von den disubbidienti, von denen es nach wie vor zahlreiche Querverbindungen zur scharfen radikalen Linken gibt.

Die disubbidienti sprechen zum Beispiel selbstverständlich ihre Solidarität einem Genossen aus, der vor Jahren ein Molli in den Stützpunkt Aviano warf und dafür - ich glaube - 13 Jahre bekam.

Für die post-autonomi ist, trotz ihres Hinrückens zu den Institutionen, eine solche Solidarität eine Selbstverständlichkeit.

Vom presidio würden die meisten Leute bei einer vergleichbaren Knast- und Solidaritätsarbeit nicht mitmachen. Ein Molliwerfer in Vicenza hätte ihr wunderbar aufgebautes Friedenswerk zerstört.