ECUADOR: Schönes Leben statt Neoliberalismus?

Boris Siebert 05.09.2008 23:11 Themen: Globalisierung Weltweit
Ecuador vor der Abstimmung über die neue Verfassung.

Am 28 September ist es soweit. Zum fünften Mal in nur 2 Jahren werden in Ecuador 9,6 Millionen Wahlberechtigte zu den Urnen gerufen, diesmal um über das Inkrafttreten der neuen Verfassung abzustimmen. Laut Präsident Rafael Correa ist diese alles entscheidende Wahl „der höchste Berg den wir auf dem Weg hin zu einer gerechteren Gesellschaft bezwingen müssen“. Das seit seinem Amtsantritt im Januar 2007 verkündetet „Ende der langen und traurigen neoliberalen Nacht“ hängt nun vom Ausgang dieses Referendums ab, das den sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts ermöglichen soll. Obwohl die meisten Umfragen der Zustimmung zur neuen Verfassung eine knappe Mehrheit prognostizieren, gibt sich die rechte Oposition noch lange nicht geschlagen und versucht mit allen Mitteln für den Triumph der Regierung zu verhindern.
Der in acht Monaten von einer asoluten Mehrheit der Regierungspartei Alianza País in der Verfassungsgebenden Versammlung erabeitete Text umfasst 444 Artikel, die mehr Rechte und eine erweiterte Partizipation der Bevölkerung im Sinne direkter Demokratie vorschreiben. So ist zum Beipiel jedes gewählte Staatsamt durch Volksbegehren widerrufbar, Gesetzesvorschläge können per Unterschriftensammlung in die Nationalversammlung, welche an die Stelle des Parlaments treten soll, eingereicht werden. Das Recht auf kostenlose Gesundheitsversorgung die mit einer universellen Pflichtversicherung gesichert werden soll, ist ebenso Teil der neuen Carta Magna wie das Recht auf Bildung, die einschliesslich der staatlichen Universität gratis garantiert sein soll. Besondere Erwähnung und Rechte bekommen Gruppen die in der noch gültigen Verfassung von 1998 praktisch nicht vorkommen: Behinderte, Gefangene, Hausfrauen, Schwangere, und im Ausland lebenden MigrantInnen. Diese Rechte und viele mehr sind Bestandteil des vom Verfassungsvorschlag aufgegriffenen indigenen Konzeptes des Sumak Kawsai, des „schönen Lebens“, so der Titel des zweiten Kapitels das mehr als ein siebtel der gesamten Textes ausmacht. Weitere von der indigenen Bewegung und ihrer Organisationen wie der CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador) geforderte Elemente sind ebenfalls mit aufgenommen worden. So definiert sich Ecuador als plurinationaler Staat, Kichwa und Shuar sollen neben spanisch nun offizielle Landessprachen sein. Die traditionelle Rechtssprechung die in den Dorfgemeinschaften nachwievor angewandt wird, soll zukünftig offiziell vom Staat anerkannt werden, solange sie nicht gegen andere Grundsätze der Verfassung, wie zum Beispiel gegen das Verbot der Todesstrafe verstösst. Das von den Indigenen geforderte Vetorecht beim Rohstoffabbau und der Erdölförderung in ihren Gebieten wurde von der Verfassungsgebenden Versammlung allerdings nur in ein Mitspracherecht umgewandelt. Dennoch unterstützen die tragenden Indigenaorganisationen wie die ECUARUNARI und die FENOCIN das neue Verfassungsprojekt auch wenn sich der Dachverband CONAIE bilslang in Schweigen hüllt.

Weiterhin erwähnenswert ist das Kapitel über territoriale Souverenität, in dem ausdrücklich die Stationierung ausländischer Miltärs im Land verboten wird, was das bereits angekündigte Ende der US Lufwaffen Militärbasis in der ecuatorianischen Hafenstadt Manta ab nächstem Jahr untermauert. Ecuador definiert sich als Territorium des Friedens, Polizei und Miltärs sollen zivilen Gerichten unterstehen, bekommen das Wahlrecht zugesprochen, der obligatorische Militärdienst wird abgeschafft. Die von Correa und seiner Partei Alianza País angestrebte Stärkung des Nationalstaates hinsichtlich seiner sozialen Verantwortung und der Kontrolle der natürlichen Ressoursen ist allerdings im Kontext der regionalen Integration Lateinamerikas zu verstehen. Diese ist laut Verfassungstext „ein strategisches Ziel des ecuatorianischen Staates“. Ein anderes Kapitel handelt vom Umweltschutz, den Nationalparks und Reservaten, dem Recht auf saubere Luft und Wasser, dem Verbot genmanipulierter Samen. Interessant und neu ist hierbei das die Umwelt an sich, als Subjekt dem Rechte zustehen in der Verfassung auftauchen wird.

Während der Optimismus der Regierung bei der Wahlkampfauftaktveranstaltung am 23. August in Quito von mehr als 200 tausend Teilnehmern, (laut Angaben der Veranstalter, mehr als 100 tausend waren es in jedem Fall schon) gefestigt wurde, hat die Oposition, die sich aus Unternehmerverbänden, Banken, den traditionellen Rechtsparteien, und der Spitze der katholischen Kirche zusammensetzt, und vom Bürgermeister Guayaquils Jaime Nebot (Partido Social Cristiano) angeführt wird, zu einem „Kampf mit allen Mitteln“ aufgerufen. Einen grossen Vorteil haben die Nein Sager durch ihren Einfluss und die Kontrolle der überwiegenden Mehrheit der Medien. Zwar hat die Regierung zwei neue staatliche Fernsehsender aufgebaut, aber deren Problem ist nicht nur die bislang eher mangelhafte Produktion, sondern vor allem die Tatsache das sie in vielen Landesteilen nicht, oder nur sehr schlecht empfangen werden. Im Medienkampf um die Meinungsbildung haben vor allem die privaten Fernsehkanale mittlerweile jede Spur von Objetivität aufgegeben. Seit seinem Amtsantritt steht Correa in einem ständigen Disput mit den Medien, die er schon des öfteren als „manipulierte Lügner“ bezeichnet hat. Zu Recht stellt Correa öffentlich die Frage wie es denn sein kann das sich die Fernsehkanale im Privatbesitz der Banken befinden. Auch dies soll die neue Verfassung ändern denn der Komunikationssektor wird als strategischer Sektor verstanden und untersteht somit der staatlichen Kontrolle und Administration. Dagegen protestieren nun alle privaten Fernsehanstalten aufs energischste, auch wenn die Regierung verlauten liess das es nicht zur Verstaatlichung der Privaten kommen werde. Täglich hetzen Nachrichtensprecher direkt und indirekt gegen die neue Verfassung und gegen Correa, fast 80 % aller Interviews geben der Opposition Gelegenheit zu protestieren. Die Regierung antwortet mit Werbespots, „la Patria ya es de todos“ (das Vaterland gehört jetzt allen). Aber auch die Mehrheit der Tageszeitungen hat sich gegen den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ verschworen. So titelte die Tageszeitung „La Hora“ am 24.8., dem Tag nach der Grossdemonstration für das Ja, mit einem Foto von Demoteilnehmern im Hintergrund und am Boden liegenden Plastikbächern im Vordergrund: „Unordnung und Müll in der (Avenida) Shyris“.

Die traditionellen politischen Parteien, die allesamt immer mehr von der Bildfläche verschwinden, haben die Führungsspitze der katholischen Kirche zu ihrem Steckenpferd gemacht. Da Gott in der neuen Verfassung nicht vorkommt, eine Gleichberechtigung für homosexuelle Paare garantiert werden soll, und die Erweiterung der Rechte für Frauen von der Oposition als Abtreibungserlaubnis interpretiert wird, rufen die Bischhöfe offen zum Nein Wählen auf. Auch die nur eine Minderheit repräsentierenden evangelischen Fundamentalisten sehen in Correa den Teufel in Person und propagieren das Nein. In Guayaquil hängen schon an vielen Kirchen Transparente mit Aufschriften wie „Nein zur Abtreibung“ und „Nein zur Homoehe“. Der sich als praktizierender Katholik verstehende Correa fühlt sich von der Kirchenspitze hintergangen, der Dialog zwischen Kirche und Regierung ist bis auf weiteres ausgesetzt. In einem zu über 90% katholischen Land wie Ecuador fürchtet die Regierung den Einfluss der reaktionären Bischhöfe und antwortet mit langen Werbespots, die klarstellen sollen das die neue Verfassung „das Leben ab der Zeugung schützt (...) gleichgeschlechtliche Paare nicht heiraten können (...) und auch keine Kinder adoptiern dürfen.“ Homosexualität und Abtreibung sind somit zu den Hauptwahlkampfthemen geworden. Progressive Priester der Basisgemeinden werben in den Regierungsspots nun für die neue Verfassung. Selbst unabhängige Frauenorganisationen wie die Casa Feminista de Rosa, die mit ihrer Forderung für eine Entkriminalisierung der Abtreibung bei der Verfassungsgebenden Versammlung nur ansatzweise durchkam, haben sich der neu gegründeten „Unabhängigen Bewegung für das Ja“ angeschlossen. Auch führende Vertreter der Gay und Lesbenbewegung sprechen sich „trotz der Homophobie Correas“ für die neue Verfassung aus.

Als Correa am 16. August seine allsamstagliche Radioansprache in der Katholischen Universität in Guayaquil hielt, kam es vor dem Universitätsgelände zu gewaltsamen Ausschreitungen. Etwas mehr als 50 StudentInnen wollten die Abfahrt des Präsidenten blockieren, auf Sprechchöre wie „Correa homosexual“ folgten Steinwürfe gegen die Präsidentenlimosine. Die Polizei schritt ein und es kam zum Gerangel wobei eine Studentin eine Platzwunde am Kopf abbekam. Mehr als eine Woche lang wurde das Thema von den Medien ausgeschlachtet und die „brutale Repression gegen friedliche Studenten“ lautstark angeprangert. Wieder reagierte die Regierung mit detaillierten Gegendarstellungen, die den Verlauf der Ereignisse richtig stellen sollen, und die Beteiligten, von Correa als „Söhne und Töchter der Oligarchie“ bezeichneten StudentInnen namentlich vorführt. Auch Funktionäre der Bürgermeisteramtes Guayaquils waren bei der Protestaktion vor Ort und gaben Anweisungen, wie auf den von Regierungsseite vorgeführten Videoaufnahmen deutlich zu erkennen ist. Doch nicht nur die lokale politische Oposition steckt hinter der Protestaktion. Staatsminister für politische Koordination Ricardo Patiño gab bekannt, das rechte Studentenführer aus Venezuela Tage zuvor in Guayaquil zu Besuch waren, und Strategien und Tips zur Organisierung von Ausschreitungen an die ecuatorianischen opositionellen StudentInnen weitergegeben haben. Während die meisten Medien noch immer über die „schlimme Repression vom 16. August“ klagen, bei der es zu keinen Verhaftungen kam, werden zwei Graffitisprüher die für ihr „Ja“ an einigen Wänden des Zentrums Guayaquils von der städtischen Polizei für acht Tage eingekerkert wurden, praktisch nicht erwähnt. Der sich im Besitz der grössten Bank des Landes, der Banco del Pichincha, befindende Fersehkanal Teleamazonas, geht sogar so weit falsche Studentenführer vorzustellen. So wurde ein Jugendlicher mit seinem Nein T-Shirt als Präsident der FEUE (Federación de Estudiantes Universitarios del Ecuador) präsentiert, obwohl die FEUE und ihr wirklicher Präsident, ebenso wie die meisten Studentenvertretungen von Universitäten, Schulen und Fachhochschulen geschlossen für die neue Verfassung eintreten.

Auch in der Hauptstadt Quito ist es schon zu gewaltsamen Vorfällen gekommen. So wurden bereits mehrere Fahrzeuge beschädigt die einen „Si“ Aukleber zeigen. Einem Taxifahrer zum Beispiel wurde von einer Gruppe junger Männer die Windschutzscheibe eingeschlagen weil er für die neue Verfassung warb, und als er daraufhin protestierte sah er gezogenen Revolvern entgegen. Die Regierung ruft dazu auf sich nicht provozieren zu lassen. Maasenkundgebungen gegen die neue Verfassung wird es zumindest in Quito wohl nicht geben. Zu peinlich wäre die geringe Anzahl der Gegner Correas in der Hauptstadt, die sich mittlerweile auf motorisierte Karavanen festgelegt haben. So zieht beispielsweise der im April 2004 gestürtzte Ex-Präsident Lucio Gutierrez mit nicht mehr als 20 Autos durch die Stadt und verteilt Flugblätter mit den absurdesten Warnungen. Mit der neuen Verfassung werde allen EcuatorianerInnen „die Hälfte all ihrer Besitztümer weggenommen“, (...) „schwule Generale werden schon bald die glorreichen ecuatorianischen Streitkräfte anführen“, Correa wird „eine faschistische Dikdatur einführen“, usw usf. Fünf Dollar am Tag zahlt die konservative UDC (Unión Demócrata Cristiana) arbeitslosen Menschen die sich mit „No“ Transparenten an Verkehrskreuzungen hinstellen, hat dabei aber offensichtlich vergessen diese Leute auch ein bischen zu schulen, denn im Gespräch verraten sie das sie garnicht richtig wissen worum es geht. Einige werden sogar mit Ja stimmen oder sich der Wahl enthalten.

So oder ähnlich geht es einem hohen Prozentanteil der Wahlberechtigten, die sich noch nicht entschieden haben. Am 28. September muss das Ja allerdings die absolute Mehrheit erreichen, denn ungültige und leere Wahlzettel werden dem „No“ zugerechnet. Bleibt zu hoffen das die nachwievor grosse Beliebtheit der zentralen Person dieser Wahl, Präsident Correa, ausreicht um Ecuador eine neue Verfassung zu geben, die zwar mit Sozialismus nicht viel zu tun hat, aber der in den letzten Jahrzehnten praktizierten Höhrigkeit gegenüber Organismen wie Weltbank und IWF und deren neoliberalen Privatisierungsrezepten ein für alle Mal einen Riegel vorschiebt. Sollte wie zu erwarten das Ja gewinnen, tritt ein vorläufiges, aus Vertretern der Verfassungsgebenden Versammlung bestehenes Übergangsparlament zusammen, dessen Aufgabe unter anderm die Neubesetzung der Obersten Gerichtshofes und anderer staatlicher Instanzen sein wird. Im Februar 2009 kommt es dann zu generellen Neuwahlen, nicht nur der Regierung und des Parlamentes, sondern aller wählbaren Posten wie von Bürgermeistern, Prefekturen, und Provinzräten. Correa könnte mit seiner Wiederwahl dann bis maximal 2013 im Amt bleiben, und muss versuchen in einer deutlich polarisierten Gesellschaft die erweiterten Rechte der Bevölkerung, anstehende Steuer- und Agrarreformen, sowie die im Sinne des wiederbelebten Führers der Unabhängigkeitskriege Simón Bolívars angekündigte lateinamerikanische Integration vorranzutreiben und umzusetzten. Auf diesem Weg wird allerdings die aktive Beteiligung der sozialen Bewegungen, der Indígenas, Gewerkschaften, Studenten- und Frauenorganisationen, weitaus wichtiger sein als ein populistisch stets lächelnder, meist sympathischer und oft arroganter guter Caudillo.
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Adelante Camilo! — Nico