Baustellenbesetzung nur knapp gescheitert

Zuspätkommerin 04.09.2008 02:00 Themen: Antirassismus Repression Ökologie
Bereits am 23. August unternahmen fast 1.000 Menschen den Sturm auf die Baustelle des Kohlekraftwerks des Energiekonzerns Vattenfall in Hamburg-Moorburg. Nur mit einem massiven Aufgebot und unverhältnismäßiger Gewalt konnte die Polizei verhindern, dass die Menschen das Baugelände besetzten. Die OrganisatorInnen werteten die Aktion dennoch als Erfolg, denn Gegenstrom08 hätte gezeigt, dass künftig nicht nur Atom- sondern auch Kohlekraftwerke von einem Großaufgebot der Polizei geschützt werden müssten.
Da ich hier noch keinen schriftlichen Bericht der Aktion am vorvergangenen Samstag in Hamburg-Moorburg gelesen habe, möchte ich hier noch einmal etwas dazu schreiben.

Nachdem es rund dreißig Menschen bereits am Mittwoch, den 20.8., gelungen war, die Kraftwerksbaustelle in Hamburg-Moorburg zu besetzen, setzten am Samstag, 23.8., noch einmal mehrere hundert Menschen nach. Sie wollten dagegen protestieren, dass der Energiekonzern Vattenfall gegen den erklärten Willen einer großen Mehrheit der HamburgerInnen in Moorburg ein neues Kohlekraftwerk baut, das nicht nur den CO2-Ausstoß von Hamburg auf einen Schlag um 40% erhöhen würde und vor allem den finanziell benachteiligten Stadtteil Wilhelmsburg massiv mit Feinstaub und Schwermetallen belasten würde, sondern das auch eine fossile Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte festschreiben würde. Kritisch daran: Steinkohle kommt häufig aus Ländern, in denen Menschen unter schwierigsten und unwürdigsten Bedingungen ausgebeutet werden, damit hierzulande weiter fröhlich Energie verschwendet werden kann.

Das ganze Aktionskonzept war angelehnt an die massenhafte Blockade des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm: Die Menschen bereiteten sich mit Aktionstrainings vor, wie sie Zäune und Polizeiketten überwinden können, und die ganze Aktion war groß öffentlich angekündigt. Es war auch keine Überraschung für die Polizei, dass die Menschen sich nicht auf Eskalationsversuche einlassen, aber dennoch entschlossen ihr Ziel verfolgen würden. So setzte die Polizei an diesem Tag auch alles ein, was sie zur Verfügung hatte: Sechs Wasserwerfer, 1.200 BeamtInnen und Hundertschaften auch aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

In einem Demonstrationszug von fast 1.000 Menschen gingen die AktivistInnen zunächst mehrere Kilometer von der S-Bahn-Station in Neuwiedental bis zum Ort Moorburg. Nach der Unterquerung der Autobahn A7, schlugen sich mehrere hundert Menschen, in so genannten Fingern organisiert, in die Büsche und durch das Unterholz in Richtung Baustellengelände vor. Eine einzelne Gruppe von rund 20 PolizistInnen versuchte vergeblich die Menschen in dem unwegsamen Gelände aufzuhalten - das Vorgehen wirkte mitunter komisch.

Nahezu zeitgleich kamen die DemonstrantInnen an einem Bahndamm an, der nur noch wenige Meter vom Bauzaun des Geländes entfernt liegt. Auf der darauf angrenzenden Straße standen bereits die Wasserwerfer bereit und schossen auf die AktivistInnen, die aus dem Gebüsch kamen. Auch die Polizeikräfte auf der Straße gingen sofort massiv mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Menschen vor. Dennoch gelang es mehreren Gruppen, bis direkt an den Zaun des Kraftwerksgeländes vorzustoßen und diesen zu öffnen - eine Besetzung der Baustelle gelang aber nicht. Von der Rest-Kundgebung auf einer nahe gelegenen Straße aus beobachteten auch die Medien das brutale Vorgehen der Polizei. Ein Kamerateam des unabhängigen Internet-Senders Graswurzel.TV wurde von schwarzen Polizeieinheiten tätlich angegriffen, ein Umstand, der inzwischen auch in der Hamburger Innenpolitik für Furore sorgt (siehe zum Beispiel:  http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/ruede-polizei-einsaetze-haben-folgen/). Auch ein Sanitäter wurde von der Polizei durch Stockhiebe verletzt.

Nachdem klar war, dass von der Westseite auch nach einem zweiten und dritten Anlauf kein Vordringen auf das Gelände möglich war, reorganisierten sich die "Finger" und zogen an den verdutzten PolizistInnen vorbei, in Richtung Südseite des Geländes. Ein Wasserwerfer bahnte sich ohne Vorwarnung seinen Weg durch die mehrheitlich bürgerliche Kundgebung auf der Kreuzung und versuchte dann, die mindestens 500 Menschen von einem Überqueren der Straße abzuhalten. Dabei kam es zu komischen Szenen, als der Wasserwerfer scheinbar unkontrolliert in alle Richtungen um sich schoss und teilweise die Menschen noch in die richtige Richtung weitertrieb.

Von den Spülfeldern im Süden der Baustelle aus, versuchten die AktivistInnen einen weiteren Anlauf auf die Kraftwerksaustelle. Hier war jedoch das Gelände äußerst ungünstig: Am Ende der Spülfelder befand sich ein Zaun, darauf folgte eine massiv mit Polizei besetzte Straße und auf der anderen Straßenseite der Kraftwerkszaun. Dennoch gelang es mindestens 20 Menschen, bis an den Kraftwerkszaun zu gelangen, wo sie aber brutal von der Polizei überwältigt wurden.

Nachdem die Polizei die "bürgerliche" Kundgebung auf der Kreuzung am Kraftwerk willkürlich mit Wasserwerfern geräumt hatte - diese Strategie wird sicherlich nicht zu einer breiten Unterstützung für das Polizeivorgehen geführt haben - zogen die AktivistInnen gemeinsam mit den Menschen von der Kundgebung in einem Demozug zurück zur S-Bahn - diesmal nach Heimfeld. Im Heimfeld selbst wurde mit lauter Musik und den Hinweisen auf die Löcher im Zaun gute Stimmung verbreitet, bis Greiftrupps der Polizei zwei Menschen aus der Menge griffen und festnahmen.

Fazit: Nur mit massiver Gewaltanwendung war er der Polizei gelungen zu verhindern, dass hunderte Menschen die Energiepolitik selbst in die Hand nehmen und den rückwärtsgewandten, fossilen Energiekonzernen massiv Schaden zufügen. Hier waren die ersten Ansätze dessen zu erkennen, was früher die Anti-Atom-Bewegung auf die Beine gestellt hat. Klima- und Energiepolitik wird auch wieder für eine Linke interessant und Menschen, die Spaß an Aktionen haben.

Weitere Bilder zum Beispiel hier:  http://www.attenzione-photo.com/latest_show.php?id=115
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Ergänzungen

Polizeiaufgebot

mensch 04.09.2008 - 13:22
Laut Senatantwort auf eine Anfrage der SPD waren im Rahmen der Camps insgesammt 6430 Polizisten im Einsatz. Am 23.8. währen der Moorburg Aktion waren es alleine 1614. Allein für die Demonstrationen waren die Polizisten 50 000 Arbeitsstunden im Einsatz.

Quelle:
 http://www.welt.de/welt_print/article2393185/Buergerschaft-streitet-ueber-Auswirkungen-des-Klimacamps.html

Währenddessen geht die Auseinandersetzung um Polizeigewalt und Antira-/Klima-Camp in der Hamburger Presse noch 11/2 Wochen nach dem Camp täglich weiter. Artikel finden sich unter:
 http://klimacamp08.net/presseblog

Polizeigewalt als Zeichen für Überforderung?

Jemensch 04.09.2008 - 13:53
Meine Einschätzung ist auch, dass die Polizei sehr gewalttätig vorgegangen ist, insbesondere immer dann, wenn wir in die Nähe der Zäune gekommen sind. Hier wurde wirklich sofort der Schlagstock eingesetzt, so dass ich auch zwei blaue Flecken hatte, obwohl mir in der Aktion gar nicht wirklich aufgefallen war, dass ich getroffen wurde. Es freut mich aber, dass es da nun ein juristisches Nachspiel gibt, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass dabei wirklich etwas herauskommt. Brutal muss auch der Wasserwerfereinsatz ohne Ankündigung gegen die Demo auf der Kreuzung gewesen sein. Das macht schon stark den Eindruck, dass selbst die 1614 Polizist_innen ordentlich überfordert gewesen sein müssen, die gut vorbereiteten Aktionist_innen unter Kontrolle zu halten. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die WaWes einfach so eine relativ bürgerliche Kundgebung angreifen? Die diversen Bilder im Netz zeigen ja auch nahezu ausschließlich Polizeigewalt.

Gut in Erinnerung ist mich auch, dass die Leute alle sehr motiviert waren. Bei dem Schietwetter war es ja nicht unbedingt zu erwarten, dass die große Mehrheit weitergeht, wenn sie von WaWes und Regen völlig durch war. Wir haben es jedenfalls geschafft, auch beim zweiten Versuch von Süden noch einmal an den Kraftwerkszaun zu kommen - das ist schon noch einmal ein Erfolgserlebnis gewesen und hat gezeigt, dass die hierarchische Polizei deutlich länger braucht, um zu reagieren, als wir als "Bewegung" das können.

Fazit: Hat Spaß gemacht und Energiepolitik wird wieder spannend!

Woher kommt der Strom? Aus der Steckdose...

HansWurst 04.09.2008 - 14:36
Wenn ihr gegen Atom- UND Kohlekraftwerke seid woher bitteschön soll dann der Strom kommen mit dem ihr eure Computer versorgt mit denen ihr so tolle Artikel schreibt.
Aus erneuerbaren Energien? So weit sind die noch lange nicht fortgeschritten, sie decken gerade mal 10% des deutschen Stromverbrauchs.
Oder einfach Strom sparen? In dem Umfang ist das gar nicht möglich. Kohle- und Atomkraftwerke zusammen erzeugen 80% der Energie in D, also wenn wir auf Atomstrom und Kohlestrom verzichten sollen dann müssten wir uns schon freiwillig zurück ins Mittelalter versetzen lassen...
Wer also selbst Stromverbraucher ist und Güter konsumiert die massiv Strom verbrauchen, also 99% der deutschen Bevölkerung und 97% der Linken in Deutschland, der kann nicht scheinheilig gegen die bösen Kohlekraftwerke protestieren.

Oder gehts nur darum, dass das neue Kraftwerk nicht vor der eigenen Haustür steht? Das wäre sehr scheinheilig. Kohlestrom ja bitte, aber nur nicht vor der eigenen Haustür...

Also liebe Leute/Ökos/wasauchimmer das nächste mal vor dem protestieren bitte mitdenken.
Danke.

@HansWurst

Käsebrot 04.09.2008 - 15:16
Du glaubst bestimmt auch, es gäbe bald eine "Stromlücke", oder?

Dtl. exportiert immer noch massenhaft Strom, durch die erneuerbaren erzeugte Energie ist in dne letzten Jahren rapide gewachsen (und tut es immer noch), gleichzeitig hatsich der Zuwachs am Energiebedarf deutlich verlangsamt. und so weiter...

Primärenergieverbrauch und Stromverbauch sind übrigens zwei völlig verschiedene Sachen, wesewegen dein Vergleich mit der Steckdose völlig banane ist.

Bitte mal ein bisschen lesen:
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28070/1.html
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28315/1.html

und wenn es ausfhrlicher sein soll:
 http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/jahresbericht_forschung_ee_2007.pdf

Re: Wher kommt der Strom

treba 04.09.2008 - 15:19
Es ist ein unterschied, ob ich alte kohle- oder atomkraftwerke weiter nutze, sie aber stück für stück durch windräder und co ersetze, oder ob im jahre 2008 noch neue kohlekraftwerke auf technisch unterstem niveau (wirkungsgrade um die 50% herum) baue, obwohl es in form von gaskraftwerken mit kraft-wärme-kopplung oder minikraftwerken neben den erneuerbaren energien genug alternativen gibt, die durchaus in der lage sind, konventionelle energien zu ersetzen. Und das wir strom sparen müssen, sehe ich persönlich schlicht als gegeben.
Weiter ist derDiejenige die/der glaubt, dass dieser strom, der dort demnächst vielleicht produziert werden wird, wirklich billiger als ökostrom ist, meiner meinung nach schlicht kurzsichtig. Ärzte von überall warnen nicht grundlos vor den auswirkungen von kohlekraftwerken. Das geld für die gesundheit kommt nur aus einem anderen topf. Und ob die gesundheit und das leben der betroffenen durch minimal tiefere strompreise aufgewogen werden kann bezweifle ich aus philosophischer sicht einfach mal.

jetzt schlagen sie zurück

Mordburg 05.09.2008 - 13:03
die taz schreibt:

"Protest pro Klimakiller
Moorburg macht mobil

Rund 600 Vattenfall-Mitarbeiter demonstrieren in Hamburg für den Bau des umstrittenen Kohlekraftwerks in Moorburg. Bürgermeister Ole von Beust allerdings trafen sie nicht im Rathaus an"

 http://www.taz.de/regional/nord/nord-aktuell/artikel/1/moorburg-macht-mobil/

TAZ Artikel

Jono 06.09.2008 - 14:16
 http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/ruede-polizei-einsaetze-haben-folgen/

Rüde Polizei-Einsätze haben Folgen

Nach den Übergriffen auf Teilnehmer des Hamburger Klima-Camps ermittelt die Polizei intern gegen Beamte. VON KAI VON APPEN

Polizeiaktion gegen Proteste gegen das geplante Kohlekraftwerk in Moorburg.

HAMBURG taz Beim Klima- und Antirassismus-Camp in Hamburg ist es zu Rechtsverstößen und Polizeiübergriffen gekommen. Das haben die Veranstalter am Dienstag dem schwarz-grünen Senat in einer ersten Bilanz vorgeworfen.

Nach anfänglicher Zusammenarbeit von Polizei und Veranstaltern sei plötzlich "eine Veränderung im Polizeiverhalten eingetreten", sagt Antira-Camp-Organisator Reimer Dohrn. Er macht dafür den SPD-Abgeordneten Andreas Dressel verantwortlich, der mit seinen Verbotsforderungen "den Senat rechts überholen wollte".

Dies habe Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) wohl zur Erklärung veranlasst, in Hamburg gebe es für "Chaoten kein Pardon". Noch am selben Abend sei ein Stadtteilrundgang des "Netzwerks Gentification", der drei Stunden lang in Begleitung von Beamten der berühmten Davidwache unbehelligt durch den St.-Pauli-Kiez gezogen war, von Bereitschaftspolizei attackiert worden. "Das war ein regelrechter Überfall", berichtet Teilnehmerin Ute Dettermann. Es gab Verletzte und Festnahmen.

Zwei Tage später, als gegen die Mitwirkung des Fuhlsbüttler Flughafens bei Abschiebungen protestiert wurde, sei der gerichtlich genehmigte Protest vor dem "Terminal Tango" der Bundespolizei ohne Vorwarnung vorzeitig aufgelöst worden. Bei Protesten gegen das geplante Kohlekraftwerk in Moorburg, wo ebenfalls die genehmigte Demo ohne Vorwarnung aufgelöst wurde, waren neben Protestlern auch Journalisten Ziel von Polizeiaktionen.

Die GAL-Innenpolitikerin Antje Möller hat es durch ihr Wirken vor Ort und auf der politischen Bühne verstanden, sich aus der Affäre zu ziehen. Im Gespräch mit Innensenator Ahlhaus konnte sie durchsetzen, dass allen Körperverletzungsvorwürfen gegen Polizisten nachgegangen wird. Beim Dezernat Interne Ermittlungen werden zurzeit in drei Verfahren Ermittlungen geführt.

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