Gewerkschaft für Schwarzfahrer in Stockholm

Wladek Flakin 30.08.2008 12:48 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit

Billiger als eine Monatskarte: Stockholmer SchwarzfahrerInnen haben eine Versicherung, die Bußgelder bezahlt. Ein Gespräch mit Christian Tengblad


Christian Tengblad ist Aktivist bei der Kampagagne "Planka" in Stockholm – einer Art Gewerkschaft oder Versicherung für Schwarzfahrer. Auf deutsch heißt "Planka" soviel wie "Schwarzfahren"

- Der Vertrag für den Betrieb der Stockholmer U-Bahn wird jetzt neu ausgeschrieben – unter anderem bewirbt sich die Deutsche Bahn AG. Wem gehört die U-Bahn und wer betreibt sie zur Zeit?

- Sie ist zwar im Besitz der Provinzregierung, aber alle Aufgaben werden an private Unternehmen vergeben. Die U-Bahn wird jetzt seit fast neun Jahren von Veolia betrieben, einem französischen Konzern. Die Busse dagegen werden von neun verschiedene Firmen betrieben.

Die StockholmerInnen sind mit Veolia zwar unzufrieden, stellen aber nicht das System der Privatisierung öffentlicher Aufgaben in Frage. Die meisten denken, man habe bloß den falschen Betreiber ausgewählt.

- Habt ihr die Befürchtung, dass ein deutsches Unternehmen härtere Repressionsmaßnahmen gegen SchwarzfahrerInnen einführt?

- Sie können nicht schlimmer als Veolia sein, und sie werden im gleichen juristischen Rahmen arbeiten müssen.

- In Stockholm kann man eine Versicherung kaufen für den Fall, daß man beim Schwarzfahren erwischt wird. Wie hat das Projekt angefangen?

- Es war im Anschluß an den "heißen Sommer" im Jahr 2001. Damals gab es eine riesige Mobilisierung gegen den EU-Gipfel in Göteborg und auch viel Repression durch die Polizei. Danach haben viele Aktivisten darüber nachgedacht, wo sie ihre Energie künftig investieren wollen. Es gab eine zunehmende Ausrichtung auf Aktivismus am Arbeitsplatz und am Wohnort.

Im Herbst jenes Jahres wurde in Stockholm der Preis für die Monatskarte von 450 auf 500 Kronen (48 auf 53 Euro) angehoben. Im Syndikalistischen Jugendverband (SUF) begannen die Überlegungen für eine Kampagne, denn das war für viele Mitglieder damals schon unbezahlbar.

Das Schwarzfahren war ohnehin schon weit verbreitet. Wir gründeten also "Planka" und organisierten Proteste: Massenschwarzfahren oder Demonstrationen in den U-Bahn-Zugängen. Wir richteten sogar ein Frühwarnsystem ein, mit dem wir per SMS vor Kontrollen in den Bahnhöfen warnten. Aber die Aktionen erreichten eigentlich nur politische AktivistInnen, und die SMS-Ketten wurden mit der wachsenden Größe der Kampagne schwer zu verwalten. Was die Kampagne am Laufen hielt, war dann die "Ticketkasse".

Die meisten politischen Kampagnen laufen weniger als ein Jahr, aber diese Kasse gab den Leuten einen wirtschaftlichen Grund, um weiterzumachen - sie gab uns auch eine feste finanzielle Grundlage für die politische Arbeit. Das wäre vielleicht eine Lehre für andere Kampagnen...

- Wie funktioniert die Ticketkasse?

- Jedes Mitglied zahlt 100 Kronen (etwa zehn Euro) im Monat ein. Falls es beim Schwarzfahren erwischt wird, schickt es den Strafzettel (in Höhe von 1200 Kronen) an uns – wir bezahlen ihn dann. Wie bei einer normalen Versicherung gibt es auch bei uns eine Selbstbeteiligung, das sind jeweils 100 Kronen. Unter dem Strich ist das für den einzelnen weit günstiger als die 690 Kronen, die heute für eine Monatskarte in Stockholm fällig sind.

- Wie viele Menschen beteiligen sich?

- Die Zahlen gehen rauf und runter. Momentan zahlen etwa 500 Menschen ihre Beiträge, es waren aber schon fast 1000. Die Verwaltungsarbeit wird abwechselnd durch Freiwillige erledigt – nach sieben Jahren haben wir die Routine ziemlich gut drauf. Geld, das übrig bleibt, wird für politische Zwecke ausgegeben, z.B. für den Kauf von Monatskarten für sogenannte Illegale.

- Aber gehen die Verkehrsbetriebe nicht offensiv gegen "Planka" vor?

- "Planka" bewegt sich mit seinen Aktionen in einer juristischen Grauzone. Die WächterInnen mit den gelben Westen an den Eingangsschaltern können manchmal ziemlich aggressiv sein, aber dürfen niemanden festnehmen. Sie werden in der Regel ignoriert, und dadurch sinkt ihre Arbeitsmoral. Die UnternehmerInnen versuchen, sie unter Druck zu setzen, aber im Endeffekt haben sie keine persönliche Motivation, gegen "SpringerInnen" vorzugehen.

- Gibt es aber nicht WächterInnen, die quasi "aus Spaß" besonders aggressiv sind?

- Die meisten WächterInnen machen - wie gesagt - nur einen Billigjob und sind entsprechend unmotiviert. Aber es gibt auch WächterInnen mit Uniformen und Dienstmarken, und sie leben für den Job.

- Finden viele Kontrollen in den U-Bahnen statt?

- Früher waren es mehr. Die Betriebe setzen vor allem auf die "gelben Westen" an den Eingängen, um die Leute einzuschüchtern. JedeR muß an ihnen vorbeilaufen, aber wie gesagt, sie können nichts machen. In den Zügen selbst gibt es sehr selten Kontrollen.

- Welchen Konktakt hat "Planka" zu ArbeiterInnen in den Verkehrsbetrieben?

- Wir glauben, dass wir gemeinsame Interessen mit den ArbeiterInnen des öffentlichen Verkehrs haben, besonders mit den BusfahrerInnen. In letzter Zeit waren BusfahrerInnen immer wieder Opfer von Raubüberfällen, weswegen keine Fahrkarten mehr in Bussen verkauft werden. Trotzdem sollen die FahrerInnen jede Fahrkarte am Eingang kontrollieren, was die Fahrtzeiten massiv erhöht.

- Welche anderen BündnispartnerInnen hat "Planka"?

- Die schwedische Linkspartei hat auf ihrem letzten Parteitag einen Antrag beschlossen, der unsere Forderung nach einem kostenlosem öffentlichen Verkehrssystem unterstützt. Aber sie arbeiten selber nicht an der Umsetzung.

Wir machen in letzter Zeit professionellere Lobbyarbeit, z.B. haben wir einen Bericht über die Kosten und Auswirkungen einer neuen Stadtautobahn in Stockholm ausgearbeitet, zusammen mit Umweltverbänden. Auch große Organisationen wie die Schwedische Naturstiftung, die sonst Probleme mit der außerparlamentarischen Linken haben, haben hier mit uns kollaboriert.

- Was sind eure Forderungen?

- Wir wollen das Konzept der Finanzierung durch Fahrkarten in Frage stellen. Denn selten wird gefragt, wieviel dieses System kostet: der Druck und der Verkauf der Fahrkarten, die Installation und Wartung der Eingangsschalter, das ganze Personal, das die Eingänge überwacht, die längere Fahrtzeiten für Busse usw. usf. - das alle kostet Geld. Es scheint irgendwie "natürlich", Fahrkarten zu verwenden, aber wir wollen die Frage umdrehen.

Zum Beispiel kostet einer von diesen neuen Eingangsschaltern mit Glastüren 110.000 Kronen. Diese neue Technik sollte Schwarzfahren eigentlich unmöglich machen, aber sie ist leicht zu umgehen. Jetzt müssen daher auch an diesen Türen WächterInnen eingesetzt werden.

Es geht sogar so weit, dass die Verkehrsbetriebe sogenannte "GeheimeinkäuferInnen" einsetzen, die das Verhalten der BusfahrerInnen kontrollieren. Durch diesen Druck sind sie so streng geworden, dass sie sogar kleine Kinder auf dem Weg von der Schule nach Hause, die ihre Brieftaschen verloren haben, aus dem Bus rauswerfen.

Durch all das wird der öffentliche Verkehr immer teurer. Wir aber sagen: öffentlicher Verkehr muß ein Recht für alle sein. Man muß ja auch kein Ticket kaufen, um den Bürgersteig benutzen zu können!

 

Interview von Wladek Flakin, von der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION: http://www.revolution.de.com

eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt vom 27.8.: http://www.jungewelt.de/2008/08-27/037.php

eine kurze Selbstdarstellung auf Deutsch: http://www.planka.nu/international/auf-deutsch

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Ergänzungen

so blabla

laberfranz 30.08.2008 - 19:24
glaub mir. so etwas gibt es auch im kleineren, persönlichen bereich in deutschland oder österreich. macht auf jeden fall sinn, wenn sich da ein paar freunde zusammenschließen. in hh ist es jedenfalls so, dass es nach dem 3. mal anzeige gibt. außerdem sind solche vereien wegen stgb 129a nicht möglich, da es sich um eine kriminelle vereinigung handeln würde.

für hamburg kann ich auf jeden fall sagen, dass es in den bussen eher selten zivile kontrollen gibt. meistens lassen sie noch ein bisschen zeit, wenn du dich hingesetzt hast. schau dich also um, wenn du dich in den bus setzt, falls jemand verdächtig aufsteht gehe zur busfahrerin und tu so als ob du es versäumt hättest eine karte zu kaufen. in den ubahnen wird fast nur uniformiert kontrolliert.

@Schwarzfahrer

Berliner 30.08.2008 - 20:36
Falsch! Das ganze ist genauso auch in Deutschland möglich.
Für Berlin weiß ich, dass es das vor ein paar Jahren auch schon mal gab (nicht im allzu großen Kreis; aber schon mit so 100 Leuten - aber halt viel klandestiner organisiert als in Schweden).
Damals musste mensch pro Monat 15€ einzahlen (normale Monatskarte kostet über 60€). Der Trick war/ist(?) dass jeder der diese "Schwarzfahrer-Versicherung" hat, immer 40€ (Bußgeld fürs Schwarzfahren in Berlin) in Bar dabei hat, wenn er U-Bahn fährt. Wenn derjenige dann erwischt wird, zahlt er bar auf die Kralle und wird somit nicht einmal aufgeschrieben (Die Kontrolettis wollen dann nicht mal deine Personalien überprüfen - wozu auch: sie haben ja die 40€). Ergo bekommt mensch bei mehrmaligem Erwischen auch keine Anzeige. Anschließend an das Bar-Bezahlen muss mensch sich nur noch ne Quittung ausstellen lassen (mit Datum etc), mit der mensch dann zur "Schwarzfahrer-Versicherung" geht, und sich die 40€ zurückholt. Der Preis (früher wie gesagt 15€) errechnet sich dabei danach, wie viele "Versicherte" erwischt werden; ist also von Monat zu Monat variabel.

Ich kann hierbei nur noch anregen, dass Berlin (von HH weiß ichs nicht) eigentlich ideal für diese Art Schwarzfahrer-Versicherung ist. Man könnte die Geschichte zum Beispiel über die ganzen linken Infoläden laufen lassen (da gibts dann halt erstmal keinen Verantwortlichen - so ähnlich wie Produktion und Verkauf der "Interim"). Jedoch sollte mensch das alles nicht allzu offensiv bewerben - alles andere sollte kein Problem sein.

Dann könnte mensch es noch so machen, dass jeder zu den 15€ (oder so) halt noch einen Euro draufzahlt, der dann in linke Strukturen fliesst. Ich sehe auf jedenfall kein Problem, warum das nicht funktionieren sollte - muss halt einfach wer organisieren (ich hab keine zeit und kein bock).


Achso:
EHER BRENNT DIE BVG! (TSS, 1972)
und
FICK DIE BVG! (KIZ, 2008)
;)

legales Schwarzfahren

KJ 30.08.2008 - 21:31
Wie man ohne Ticket aber NICHT Schwarzfährt, findet sich hier:

 http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/tipps/alltag.html#schwarz

@ Berliner

Hamburger 01.09.2008 - 18:33
Auch falsch! Das Ganze funktioniert halt nicht generell in Deutschland!
In Hamburg z.B. ist das schon lange nicht mehr möglich.
Oder weiß jemand eine praktikable Lösung, wie man auch darum herum kommt?

Pressemitteilung HVV und seither Praxis:
 http://www.hvv.de/aktuelles/presse/archiv/2006/PM061004_kein_anonymes_schwarzfahren.php

Finanzierbar in Berlin?

Peter Lustig 01.09.2008 - 19:47
Das Versicherungsmodell kann aber nur funktionieren, wenn die Höhe der Bußgelder/Versichertem nicht grösser als eine Monatskarte ist. Das ist die Rechnung, die auch jeder Schwarzfahrer für sich allein ausmacht. In Berlin finde ich subjektiv den Verfolgungsdruck extrem hoch, so dass individuell und auch in grösserer Gruppe das Schwarzfahren unrentabel ist. In Berlin wird mensch im Monat mindestens zwei mal kontrolliert. Eine Versicherung für diesen Fall wäre unrentabel. Ich bin auf jeden Fall vermehrt mit Fahrrad unterwegs. Die einzige Lösung sehe ich in einer Kampagne für den Nulltarif. Die Argumente dafür sind eigentlich schlagend (betriebswirtschaftlich, volkswirtschaftlich, ökologisch, sozial). Allerdings sind in Berlin selbst die Grünen Obermacker (Kramer) gegen einen Nulltarif. Die Basis siehts vielleicht anders.

@ Hamburger ...

Black Cat 02.09.2008 - 15:48
wird das denn so gehandhabt,wie es vom hvv im link angesagt wird ???
ich komm so selten in die verlegenheit 40€ dafür dabei zu haben.
was machen die kontros den du kein ausweiss dabei hast od. nich
findest,aber brav zahlst???

@ Black Cat

Hamburger 03.09.2008 - 01:30
Ja, genauso findet das statt!
Ob Du gleich bezahlen kannst oder nicht interessiert dabei relativ wenig, sondern eher Deine Personalien.
Für den Fall, dass Du Dich nicht ausweisen kannst, findet genauso eine Überprüfung wie in jeder anderen ausweispflichtigen Situation statt, nämlich das Hinzuziehen der Bundespolizei, die an einigen Bahnhöfen stationiert ist.
Bin schon öfter in diese Verlegenheit gekommen.
Was oben schon "Peter Lustig" geschrieben hat, trifft meinem (absolut subjektiven!) Eindruck nach auch auf Hamburg zu.
Die Kontrollen sind mitunter so häufig (auch in Bussen, bzw. Großkontrollen nach dem Aussteigen in den Bahnhöfen), dass man das sher gut durchrechnen müßte, ob/wie sich das lohnen könnte...

@ Hamburger

Black Cat 03.09.2008 - 03:43
Yoo,danke für deine antwort.

denke auch das der kontro-druck in HH
ziehmlich gross ist.(rein subjektiv jetzt:)

auch wenn INDY nich der geeignete ort für
solche diskusionen ist ...

bleibt die frage nach der machbarkeit eines
SMS-warnsystems bzw dessen strafbarkeit ...

ein SMS-warnsystem läßt sich kaum klandestin
aufbauen,allein schon weil der gegenseite
früher oder später die info nr. in die hände fällt ...

meine frage is also:welchen straftatsbestand erfüllt ein
kontrol-warnsystem evtl. od eher wahrscheinlich ???

denk da auch an radarfallen warnung im radio / blitzer im
stadtplan ...

weil im prinzip wär´s ja ne geile idee !!!



P S : klandestin nicht weil ...

Black Cat 03.09.2008 - 05:28
... es müßen sich schon viele leute an sowas beteiligen
damit so ein system erfolgreich arbeitet ... also mit
100 leuten oder so hat das keinen sinn,müßen schon paar 1000 sein...
wir stehn ja auch ´nen haufen kontro´s gegenüber.
brauch also ne breite plattform ...

Richtiger Ansatz

Peter Lustig 03.09.2008 - 09:28
Es ist richtig, dass indy nicht das ideale Forum ist, um "klandestine" Aktionen zu diskutieren, wohl aber öffentliche! Letztendlich kann dem Reich des Bösen nur die Macht der Masse entgegengesetzt werden. "Klandestines" Vorgehen nutzt im besten Falle nur wenigen, im schlimmsten Fall schadet es vielen. Ich stelle noch einmal die Frage nach dem Nulltarif für alle. Kurz umrissen die Vorteile: Keine Automaten, Marketingabteilung, Kontrolletis, Bullen, Richter, Staatsanwälte, Knäste etc. mehr = viel weniger Kosten (teils betriebswirtschaftliche, teils gesellschaftlich) = weniger Kosten pro Fahrt. Weiter Anstieg der Fahrgastzahlen = höhere Auslastung = höhere Effizienz (da grosser Fixkostenblock) = weniger Kosten pro Fahrt. Weiter viel effienzientere Methode gegen Abgase und Feinstaub als Umweltplakette. Weiter endlich hätte jeder Mensch den gleichberechtigten Zugang zum ÖPNV = soziale Gerechtigkeit u.a. . Es gibt keine schlagenden Argumente gegen den Nulltarif. Das Thema wäre massentauglich, da viele betroffen. Wer packt das an, statt "klandestin" seine Kraft zu vergeuden.

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interessanter Artikel — Zugbegleiter

Anzeige? — Schwarzfahrer

juhu — Es gibt nch hoffnung