Interview: Repression gegen Animal Liberation

Susann Witt-Stahl 29.08.2008 19:14
Die Solidarisierung mit Tieren stört die gesamte herrschende Ordnung

Staat und Kapital laufen Amok gegen die Tierbefreiungsbewegung
Melanie Bujok (35) ist Sozialwissenschaftlerin und seit 20 Jahren in der Tierbefreiungsbewegung aktiv. Vor einigen Wochen hat sie auf dem „Antispeziesistischen Kongress“ in Hannover einen Vortrag über die staatliche Repression gegen Animal-Liberation-Aktivisten und Angriffe auf die Freiheit im Zeitalter totalitärer Ökonomie gehalten.

Sie sprechen von „einer gezielten politischen Verfolgung“ Ihrer Bewegung. Können Sie Beispiele nennen?

In den USA wurde bereits 1992 ein exklusives Wirtschaftsschutzgesetz für Tierausbeutungsunternehmen, das „Animal Enterprise Protection Act“ erlassen und 2006 in „Animal Enterprise Terrorism“ umbenannt. Mit dieser Gesetzesnovelle wurden die behördlichen Handlungsspielräume für gezielte Repressionsmaßnahmen gegen die Tierbefreiungsbewegung erweitert. In England wurde in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Gesetzesänderungen vorgenommen, um ihre Aktionen zu kriminalisieren. In Österreich sitzen seit 21. Mai zehn Aktivisten ohne konkreten Tatverdacht in Untersuchungshaft, angeblich wegen Bildung einer kriminellen Organisation und so fort. In den USA wird bereits – in Anlehnung an die damals als „Red Scare“ bezeichnete Kommunistenhatz während der McCarthy-Ära – von „Green Scare“ gesprochen. Denn es wurde hier unter Anwendung eines Feindstrafrechts eine Sondergruppe „Tierbefreiungs- und Umweltaktivisten“ gebildet, zu deren Nachteil Gesetze verschärft, gebeugt oder neu erlassen und Freiheiten und Rechte eingeschränkt wurden – mit bedenklichen Auswirkungen auf die Möglichkeiten gesellschaftlichen Protests.


Welche sind das?

Indem jede politische Intervention, die über rein informative Aktionen hinausgeht, unter die Sprachgewalt des Terrorismusvorwurfs gebracht wird, findet eine Skandalisierung legitimer und – angesichts der unfassbaren Gewalt gegen Tiere – dringend gebotener widerständiger Aktionsformen statt. Jede Aktion des sozialen Ungehorsams, jedes Öffnen von Käfigen, selbst die Dokumentation der Tierverwertungsmaschinerie auf Film oder Foto wird dann zu einem „terroristischen Akt“. Indem das Repertoire politischer Ausdrucksformen auf Muster reduziert wird, die faktisch keinerlei Potential haben, an den Schlüsselpunkten des kritisierten sozialen Sachverhalts anzusetzen, wird jede Gewaltinstitution dann gegen ihre Abschaffung immunisiert.


Welche Funktion hat die Repression?

Der ursprüngliche Titel des Gesetzes in den USA „Animal Enterprise Protection“ sagt es ganz ungeschminkt: es geht um den Schutz von Tierausbeutungsbetrieben vor Protesten, die ökonomischen Schaden, wie es im Gesetz heißt, verursachen können oder herbeizuführen beabsichtigen. Die Schädigung einer Ökonomie, die wiederum Tiere schädigt, sie zur Ware macht, resultiert jedoch aus logischen Gründen aus dem Versuch, die unternehmerisch betriebene Verletzung und Tötung von Tieren zu beenden. Zudem ist sie die Bedingung erfolgreicher Bemühungen einer aufgeklärten und solidarischen Gesellschaft, befriedete Verhältnisse herzustellen. Von der Repression betroffen sind am Ende alle Versuche, institutionalisierte Gewalt gegen Tiere zu stoppen, ungeachtet der gewählten Aktionsform. Da die Hauptursache der radikalisierten Unterwerfung von Tieren in ihrer Verdinglichung und Zur-Ware-Machung liegt, bedeutet Tierbefreiung selbstredend, alle Angriffshandlungen der Ökonomie gegen Tiere abzuwehren und die Tierausbeutungsindustrie stillzulegen.


Was macht Tierbefreier für die Wirtschaft so gefährlich?

Sie geben einem zum Eigentum gemachten tierlichen Individuum seine Eigenständigkeit, seine Freiheit und heben seine Warenförmigkeit auf. Im Grunde befreien sie den Idealtyp einer Ware. Schließlich kann der Profit durch die Ausbeutung von Tieren fast unendlich vermehrt werden, indem die biologische Reproduktion von Tieren direkt in die materielle Produktion der Gesellschaft überführt wird: Indem der Körper von Tieren besetzt wird, können diese als Produktivkräfte und Produkte vernutzt werden. Wenn man analysiert, wie viele Unternehmen an der Ausbeutung von Tieren beteiligt sind und diese immer wieder erzeugen und stabilisieren, werden die Interessen klar, Tierbefreier zu verfolgen.


Die Tierbefreiungsbewegung mausert sich also in Teilen der kapitalistischen Volkswirtschaft zum Profitkiller

Gewissermaßen. Aber dies allein erklärt noch nicht die Härte der Repression. Die Versklavung von Tieren ist fundamental in die Symbol- und Ideenwelt unserer Gesellschaft eingegangen. Das Ausbeutungssystem arbeitet mit der Konstruktion und Differenzierung des Eigenen als das Normale und des Fremden als Abweichung. Sodann weist es den nach diesen Kriterien gebildeten verschiedenen sozialen Gruppen Vor- und Nachteile zu. Als die ganz Anderen, die Fremden schlechthin stigmatisiert, bildeten Tiere bisher die Vorlage auch für zwischenmenschliche Einschließungs- und Ausschließungsschemata, von denen unterschiedliche Praxen der Kooperation oder Bekämpfung abgeleitet werden. Die Solidarisierung mit Tieren stört folglich die gesamte herrschende kulturelle Ordnung und Praxis der Unterdrückung und Ausbeutung.

Fragen: Susann Witt-Stahl
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