Berlin: Nazis auf der Biermeile

Anti-Alkoholikerin 04.08.2008 14:31 Themen: Antifa Antirassismus Kultur Repression
Zum 12. Mal fand am Wochenende in Friedrichshain das Internationale Bierfestival zwischen U-Bhf. Frankfurter Tor und Strausberger Platz entlang der Karl-Marx-Allee statt. Jährlich ziehen die tausend verschiedenen Biersorten und Baumblütenfest-Stimmung (Saufen-Schunkeln-Schlägereien) knapp 500.000 BesucherInnen an. Das Lieblingskind der lokalen Wirtschaftsförderung wird von den AnwohnerInnen als Massenbesäufnis kritisiert und wenn möglich gemieden. Grund dafür sind auch die zahlreichen Nazis, die mitfeiern und sich nach dem Fest im alternativen Friedrichshain ihre Opfer suchen. Trotz einiger Vorkehrungen des Veranstalters kam es auch dieses Jahr traditionsgemäß zu Angriffen auf Menschen, die irgendwie links aussehen. Höhepunkt war ein versuchter Angriff auf den Veranstaltungsraum XB-Liebig am Samstagnachmittag. Diskussionswürdig ist, wie diesem Fest in Zukunft begegnet werden soll. Eine kleine Zusammenstellung was passiert ist – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Während sich die Polizei hauptsächlich mit dem Schutz der Biermeile vor linken StörerInnen beschäftigte, kam es schon am Freitag Abend im Umfeld zu Angriffen durch BesucherInnen der Biermeile. Kurz vor neun wird ein Mann an der Grünbergerstraße grundlos von einer Gruppe Hools mit Faustschlägen traktiert. Eine Ecke weiter am McDonalds werden sie kontrolliert, können aber ihren Weg zur Biermeile weiter fortsetzen. Gegen 21.30 Uhr wurden vier Grufities, die auf dem Weg ins K17 waren von zwei sog. Glatzen am S-Bhf. Frankfurter Allee angegriffen und verletzt. Die eintreffende Polizei nahm hier zwar den Vorgang auf, ließ die umstehenden Träger von Nazisymbolen (z.B. Nationale Opposition, Thor Steinar, Skrewdriver) aber unbehelligt. Der S/U-Bahnhof Frankfurter Allee ist Umsteigebahnhof für alle die nach Friedrichshain wollen – klar dass es hier öfters zu solchen Szenen kam.

Sammelpunkt der Nazis auf der Biermeile am Freitag war zwischen Straße der Pariser Kommune und Koppenstraße. Die Kameradschaft Spreewacht verharrte Stundenlang am Kuscheltiergreifer. Schräg gegenüber trafen sich ab 23 Uhr knapp 20 stadtbekannte autonome NationalistInnen um Alexander Basil, David Gudra und Patrick Weiß. Aus der Gruppe wird gerufen „Hier beginnt der Nationale Widerstand“. Das Berliner LKA hat die Situation vermeintlich erkannt und besorgt die Abschirmung der Gruppe. In den Seitenstraßen werden Platzverweise gegen Antifas ausgesprochen, während ein Neonazi irgendwen im Getümmel mit einem Schlagstock verletzt. Der Täter flüchtet, wird festgenommen und in die Wedekindwache zur Alkoholmessung gebracht. Bis halb zwei Uhr nachts hat sich die Meile gelehrt, die Polizei sammelt noch einige Bewusstlose ein und lässt zwei Einheiten zur Nachtwache dort. Der Presse wird gemeldet, dass alles ruhig war.

Samstag war der größte BesucherInnenansturm. Auf zahlreichen Bühnen bot sich ein relativ ausgewogenes Kulturprogramm, bei dem wesentlich weniger Deutschrock gespielt wurde als im letzten Jahr. Selbst eine feministische Punkband durfte spielen. Die Brauereien hatte außerdem darauf geachtet zumindest keine Nazis hinter dem Tresen zu beschäftigen. Hier scheint die Kritik der letzten Jahre angekommen zu sein. Sogar Informationsstände einer lokalen Initiative gegen Rechts und zu Alkoholmissbrauch hatten Platz auf der Meile. Die vielen Touris, Verkleidungen und bewusst internationalistisch gehaltene Deko lockerten das früher sehr einheitliche deutsche Bild auf. Einige Nazis aus dem Umland (angeblich Freie Kräfte Teltow-Fläming), die eigens für das Bierfestival T-Shirts gedruckt haben (88 Promille), verteilten Nazi-Sticker an den Ständen, waren aber insgesamt wenig dominant. Doch spätestens nach 18 Uhr war die Meile wieder in der Hand besoffen grölender deutscher Männerhorden und einem großen Polizeiaufgebot.

Gegen 19:45 kommt es dann zu einem Angriff durch Hools auf das XB-Liebig (Liebigstraße 34, nahe Frankfurter Tor). Knapp zehn unvermummte, sportlich gekleidete Männer, stürmten brüllend und wild gestikulierend auf die Ecke Liebigstr./Rigaerstraße zu. Seltsamerweise waren trotz der bekannten Gefahrenprognose zu diesem Zeitpunkt sehr wenige Personen auf der Ecke, welche sich fix in den Häusern verbarrikadierten und keine Angriffsfläche boten. Ein Stein zerstörte eine Scheibe des alternativen Veranstaltungsraums XB-Liebig. In einer Pfefferwolke, unter einigem Brunst-Geschrei, teilten sich die Hools und flüchteten Richtung Bersarinplatz und zurück zum Frankfurter Tor. Am Ende der Liebigstraße werden sie von der Polizei gestellt und kontrolliert. Der Angreifer Kunkel stellt eine Strafanzeigen gegen Unbekannt weil seine Augen etwas brennen.
Mittlerweile haben sich rund 50 Personen aus den Hausprojekten zum Schutz vor das XB gestellt und erwarten die nächste Angriffswelle. Doch nur die Polizei lässt sich blicken und möchte wegen einer Körperverletzung linke TäterInnen ermitteln. Dafür postieren sich unzählige Einheiten am Bersarinplatz und am Ende der Liebigstr. Das LKA parkt direkt vor dem XB.
Während sich die AnwohnerInnen der Ecke mit Erfrischungsgetränken versorgen und über die Sicherheit der Hausprojekte philosophieren, stellt sich auch die Frage, wie es denn dazu kommen konnte, dass ein paar gewaltgeile Biermeilen-Besucher die wochendliche Ruhe stören konnten. Die Gefahr wurde schlichtweg nicht ernstgenommen. Kurz vor sechs kam die Information, dass sich knapp 20 Autonome Nationalisten am S/U-Bahnhof Frankfurter Allee sammeln – aber daran hatte mensch sich schon gewöhnt. Irgendwann hieß es, einige würden sich in der Samariterstraße rumtreiben – auch das ist noch kein Skandal. Auch nachdem sich am Frankfurter Tor, gerade mal 100 Meter vom XB-Liebig entfernt, Hools sammelten und sich aufputschten, klingelten die Alarmglocken in der Rigaerstraße nur leise. Ärgerlich, aber auch verständlich: Wer permanent von HausbesitzerInnen und Polizei genervt wird, gewöhnt sich an einiges. Vor allem daran, dass es manchmal gar nicht so falsch ist die Türen fest zu verschließen und die AngreiferInnen ins Leere laufen zu lassen.
Zumindest auf dieser Ecke war der Samstagabend gelaufen. Allerlei Leute, die sich vom XB entfernten wurden kontrolliert und verdächtigt die Körperverletzung am Angreifer Kunkel begangen zu haben.

Da sich die Polizei ab 20 Uhr ausschließlich mit der räumlichen Trennung der Biermeile von der Rigaerstraße beschäftigte, fehlten Ordnungskräfte an allen anderen Ecken. Am Ende der Richard-Sorge-Straße kommt es gwegen halb neun zu einer Schlägerei, eine Ecke weiter an der Löwestraße werden von Betrunken Stühle eines Lokals zertrümmert. Nur am Frankfurter Tor wird der Stand des Ambrosius, einer Bierbar aus der Warschauerstraße, die bis Mitte 2007 rechtes Publikum duldete, vom LKA aktiv überwacht. Hier sammeln sich wieder 20 bekannte Neonazis aus Lichtenberg und Neukölln. Ein Mann wird dort angegriffen und verletzt. Ein Täter wird später festgenommen.
Irgendwo auf der Biermeile gab es gegen 22.30 Uhr gerüchteweise einen Angriff von zehn Hools auf Polizeikräfte. An der Straße der Pariser Kommune wird auch eine Person umgeschlagen. Im Cafe Toskana auf der Karl-Marx-Allee 67 wird gegen halb zwölf eine Angestellte geschlagen, weil sie kein Bier mehr ausschenken will. Die Polizei lässt sich Zeit bis sie dort den Täter festnimmt, weil noch drei Linke verfolgt werden müssen, die sich auf der Meile rumtreiben. Zeitgleich verlassen die Neonazis den Ambrosius-Bierstand und laufen, begleitet vom LKA, die Frankfurter Allee in Richtung Lichtenberg. Auf Höhe Samariterstraße versuchen sie in den Friedrichshainer Nordkiez zu gelangen, um doch noch mal auf Linke zu treffen. Die Polizei hat das Gebiet weiträumig abgesperrt und drängt die Nazis zurück auf die Frankfurter Allee. Dabei wird ein Nazi wegen Widerstand festgesetzt. Vier weitere bekommen Platzverweise. Halb eins ist auch auf dem Rest der Biermeile der Flow raus.

Was gabs noch zu Nazis auf der Biermeile? Die lokale Antifa ( http://www.antifa-fh.de.vu) meldet auf ihrer Seite einige Modeartikel mit interessanter Symbolik und eindeutigen Sprüchen: Keine Gnade für Kinderschänder; Toderstrafe für Kinderschänder; Spreegeschwader; Berserker – stay brutal; Thor-Steinar (neues Logo, Hausbesuche); SS-Rune; Weißes Fleisch; Berlin meine Reichshauptstadt; 88 Promille; Skrewdriver; Bloody-Devil-Supporter; Mein Schwert für Odin - Mein Leben für Odin - Mein Blut für Odin; Kategorie-C; Good-Night-Left-Side; H8-Wear; Keine Gnade für Kinderschänder; Toderstrafe für Kinderschänder; Anti-Antifa.

Und jetzt noch ein abschließendes Statement zu Nazis auf der Biermeile, das einigen nicht schmecken wird: Antifas, wie auch das LKA, haben sich zu sehr auf die organisierten Neonazis eingeschossen und nehmen andere Potentiale gar nicht mehr wahr. Die aktiven GewalttäterInnen auf der Biermeile sind einerseits Neonazis, aber auch rechtoffene Hools, Rocker oder Angehörige anderer gewaltförmiger Subkulturen, die ohne geschlossenes rechtes Weltbild, offensichtlich nicht nur aus einer Bierlaune heraus, sondern mit einer diffusen Anti-Links-Haltung zuschlagen. Dieses Potential ist weitaus größer als die Neonaziszene Berlins allein aufstellen könnte. Die Biermeile bietet diesem Potential einen Ort zum Feiern und ist deshalb ein Problem in diesem Stadtbezirk, mit all den Möglichkeiten sich an den linken Projekten auszutoben.
Die personenbezogene Anti-Nazi-Arbeit greift bei der Biermeile nur bedingt. Vielmehr führt sie zu einigen Fehleinschätzungen, deren Folge z.B. der glücklicherweise relativ unerfolgreiche Angriff auf das XB-Liebig sind. Wir müssen uns eindeutig mehr mit Gesellschaft, mit rassistischen Einstellungsmustern und anti-humanistischen Verhärtungen bei den (noch) nicht organisierten Nazis beschäftigen, um eine Besserung der Situation zu erreichen. Sicherlich müssen die organisierten Nazistrukturen weiter bekämpft werden; doch sind sie bei weitem nicht die einzigen Akteure auf diesem Gebiet.

Unerhört ist sicherlich, dass die Polizei bei einem 500.000-BesucherInnen zählenden Festes 50 Linke in der Rigaerstraße als wesentliche Bedrohung einschätzt und alle Kräfte dort bündelt. Letztlich hat diese Einsatzführung, die vom LKA-Berlin angestoßen wurde, dramatische Konsequenzen für die Betroffenen von Angriffen auf der Biermeile selbst. Doch diese Debatte soll unsere nicht sein – damit sollen sich die Präsenta AG, die bezirkliche Wirtschaftsförderung und das Abgeordnetenhaus beschäftigen.
Wir als AnwohnerInnen dieses Kiezes dürfen nicht ständig die Türen verschließen, sondern müssen auf unseren Ebenen und mit unseren Methoden tätig werden. Bis zum nächsten Jahr.

Veranstalter-Seite:  http://www.bierfestival-berlin.de/

Tagesspiegelartikel, Festival der Flaschen:  http://www.tagesspiegel.de/berlin/Stadtleben-Biermeile-Friedrichshain;art125,2584933
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Ergänzungen

Pfeiffer

Dein Name 04.08.2008 - 16:21
Auf dem Foto mit der Bildunterschrift "Lichteberger Neonazis am Freitagabend" sieht man den bekannten Pankower Neonazi Diego Uwe Pfeiffer im Hintergrund.
(zum Vergleich:  http://media.de.indymedia.org/images/2007/08/191443.jpg)

Zum Thema Kontrollen...

Bierheini 05.08.2008 - 09:12
An besagtem Samstag verließen wir in einer kleinen Gruppe gegen 12:00 Uhr die Rigaer Straße in Richtung der Straßenbahnhaltestelle am Bersarinplatz. Auf dem Platz standen noch recht viele Bullen, diese haben uns aber unbehelligt in die Straßenbahn einsteigen lassen. Als wir dann an der nächsten Haltestelle stoppten, betraten 5 Bereitschaftspolizisten das Fahrzeug am von uns aus gesehen anderen Ende. Zielstrebig bewegten sich die Cops durch die zum Bersten gefüllte Bahn auf unsere Gruppe zu und forderten uns auf auszusteigen. In freudiger Erwartung der Kontrolle und voller Spannung darüber, was nun passieren würde, fanden wir uns wenig später von mehreren unfreundlichen Cops umstellt am Straßenrand. Nach einigen Minuten Personalienkontrolle und anregenden Gesprächen mit der Bullerei ("Werfen Sie ruhig die Flasche! Dann gehe ich eventuell zu Boden, aber meine Kollegen..." oder "Hey, du da in dem roten Pulli, dich kenn ich doch vom 01. Mai! Da haben wir schon die Richtigen rausgezogen!") durften wir dann auch unseres Weges ziehen. Alles in allem keine schlimme Sache. Dennoch ein bemerkenswert gut koordinierter "Zugriff" der Cops wenn man bedenkt, dass tatsächlich nur die Personalien überprüft wurden.

Rassistischer Übergriff

Verlinker 05.08.2008 - 10:40
Offensichtlich ist noch mehr passiert. Unter  http://de.indymedia.org/2008/08/223884.shtml wird von einem rassistischen Übergriff am Samstag Nachmittag berichtet. Das würde mit der oben beschriebenen Beobachtung der Neonazis gegen 18 Uhr am S-Bhf. Frankfurter Allee passen.

Leute meldet was ihr erlebt habt am besten hier als Ergänzung. So wird das wenigstens dokumentiert. Die Bullen haben daran kein Interesse!

siehe auch

Beobachter 05.08.2008 - 10:44

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Jup — jop

@ein Name — (muss ausgefüllt werden)

@bert — erni