Gerichte in USA bereiten Mord an Mumia vor

Mumia-Hörbuchgruppe 30.07.2008 20:42 Themen: Antirassismus Repression Weltweit
Als im Juli der schwarze US-Präsidentschaftsbewerber Barack Obama Berlin besuchte, ging im Medientaumel ein ansonsten in Deutschland seit Jahren beachteter Prozess in den USA in der Wahrnehmung unter. Der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal, seit 1982 in der Todeszelle, verlor einen "En Banc" Antrag vor dem 3. Bundesberufungsgericht der USA. Mumia, der als politischer Gefangener seit Jahrzehnten weltweite Unterstützung erfährt, versucht seit vielen Jahren, einen neuen und diesmal fairen Prozess zu erkämpfen. Die vorletzte juristische Möglichkeit dafür wurde ihm am 22.Juli verbaut. Ohne weitere Beratung und vor allem Begründung wies das 3. Bundesberufungsgericht seinen Antrag ab.
Dem war bereits im März diesen Jahres eine ähnliche Entscheidung vorausgegangen (  http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#dayafterX ). Juristisch geht es um die Fragen, inwieweit Rassismus bei Juryauswahl eine Rolle spielte sowie die illegale Beeinflussung der Jury durch den Staatsanwalt während der Schuldfindungsphase. Staatsanwalt McGill hatte im ursprünglichen Verfahren 1982 der Jury empfohlen, Mumia "im Zweifel" ruhig erstmal schuldig zu sprechen, schließlich "hebe er noch Berufung nach Berufung". Dieser komplett illegale Rat wurde damals auch nicht vom vorsitzenden Richter A. Sabo verhindert, selbst Mitglied der rechten Polizeibruderschaft F.O.P. (  http://www.phillyimc.org/en/node/59018 ) .
Zwar gibt es inzwischen etliche Untersuchungen, die sich nicht nur mit den Fragen der Fairness in Mumias damaligen Verfahren auseinandersetzen, sondern deutlich herausarbeiten, dass Mumia nicht der Mörder des damals erschossenen Polizisten Daniel Faulkner gewesen ist. (1)
Es geht aber vor Gericht seit vielen Jahren ausschließlich darum, ob aufgrund von Gesetzesbrüchen ein komplett neues Verfahren angeordnet wird, damit dort dann auch die Erkenntnisse aus 20 Jahren Recherche endlich einmal verhandelt werden könnten.
Auf dieser Frage lastet ein unheimlich starker politischer Druck. Schließlich geht es um hier vieles: sei es das gezielte Aussieben von schwarzen Jurymitgliedern im Pennsylvenmia der 80er (  http://video.google.com/videoplay?docid=-5102834972975877286 ), das Einführen eines von der Polizei gefälschten Geständnisses (2), die bewusste Vereitelung forensischer Untersuchungen durch Polizisten (  http://www.abu-jamal-news.com/ ), die politische begründete Verurteilung zum Tode (3) oder auch die Rolle des jetzigen Governeurs von Pennsylvenia, Ed Rendell. Dieser war damals Oberstaatsanwalt und hätte nach einem neuen Verfahren für Mumia die Verantwortung für alle von der Anklageseite durchgeführten Manipulationen zu tragen. Gleichzeitig ist er heute als Governeur derjenige, der einen möglichen Hinrichtungsbefehl unterschreiben würde.

Da das 3. Bundesberufungsgericht jetzt selbst geltendes US-Recht gebrochen hat (  http://mumia-hoerbuch.de/bundnis.htm#presseerkl240708 ), indem es entgegen seiner eigenen Rechtssprechung ("stare decisis"  http://de.wikipedia.org/wiki/Stare_decisis )entschied, kommt es zusätzlich noch mit der US-Verfassung in Konflikt. Grundsätzlich gilt, dass die Urteile höher liegender Gerichte zu respektieren seien. Bei der im März in Mumias Fall festgestellten rassistischen Beeinflussung der Juryauswahl muss laut der "Batson-Regel" (  http://en.wikipedia.org/wiki/Batson_v._Kentucky ) sofort ein neues Verfahren angeordnet werden. Das wurde am 19.März 2008 erneut vom US-Supreme Court im Fall von Alan Snyder bestätigt (  http://de.indymedia.org/2008/03/211165.shtml ). Die Richter des 3. Bundesberufungsgerichtes hatten im März zwar erkannt, dass es bei Mumias Verfahren rassistische Momente in mehreren Fällen bei der Juryauswahl gegeben haben könnte, stellten zu dieser Klärung aber eigenhändig weitere Hürden für die Verteidigung auf. Sollte diese Entscheidung in Zukunft Bestand haben, stellt das dann einen neuen Präzidensfall dar, der Rechte von Todeszelleninsass_innen noch weiter einschränken würde, als sie seit der unter Bill Clinton 1996 durchgeführten Rechtsverschärfung ohnehin schon sind.
(  http://en.wikipedia.org/wiki/Antiterrorism_and_Effective_Death_Penalty_Act_of_1996 )

Die Verteidigung von Mumia Abu-Jamal erklärte dazu, dass sie von diesem neuerlichen Beweis der politischen Justiz schockiert sei, dennoch aber nicht aufgeben werde (  http://mumia-hoerbuch.de/mumiadeutsch.htm#legalupdatedt220708 ). Ihr sei jetzt bis zum 20.Oktober 2008 Zeit eingeräumt worden, einen Antrag auf Überprüfung derselben Fragen vor den US-Supreme Court einzureichen. Das ist die höchste und letzte juristische Instanz der USA.
Es ist jedoch äußerst fraglich, ob sich dieses Gericht überhaupt mit der Frage befassen wird. Schließlich lehnt es sowieso 95% aller Anträge ab und behandelt lediglich jene, die es für "verfassungsrechtlich relevant" hält. Und das ist letztendlich eine Frage des Standpunktes. Sicherlich werden alle unvoreingenommenen Beobachter_innen anerkennen, dass ein Eingriff in die letzten Rechte von zum Tode Verurteilter eine "verfassungsrechtlich relevante" Frage ist, aber ob dieses seit der Bush-Regierung äußerst rechts-konservativ besetzte Gericht diese Meinung teilt, ist unklar. Schließlich hatten sie erst im April diesen Jahres grundsätzlich festgestellt, dass die in den USA angewandte Hinrichtungsmethode der Giftspritze mit dem daraus resultierenden langsamen Erstickungstod "keine unnötigen Schmerzen" bereite und damit keinen Eingriff in die Grundrechte von Gefangenen darstelle (  http://mumia-hoerbuch.de/stopptodesstrafe.htm#todesstrafeusa0508 ).
Das war von vielen Beobachter_innen als eindeutige Ansage aufgefasst worden, dass dieses Gericht sich lediglich um die Erhaltung der Macht, nicht jedoch um die Belange Einzelner kümmert.

Zusätzliche Spannung für Mumia Abu-Jamal stammt aus der Tatsache, dass nun die Staatsanwaltschaft 180 Tage Zeit hat, ein abgetrenntes Juryverfahren über das Urteil an sich zu beantragen. Es würde in so einem Verfahren dann lediglich um Lebenslänglich (in den USA bis zum tatsächlichen Tod) oder aber die Todesstrafe gehen. Die Staatsanwaltschaft hat sich bisher nicht dazu geäußert. Es ist davon auszugehen, dass sie bis zu einer Entscheidung des Supreme Courts warten werden. Rechnerisch haben sie die Zeit dafür.

Es ist also durchaus möglich, dass Mumia auch seine letzte Möglichkeit genommen wird, ein neues Verfahren zu erlangen, in der seine Unschuld bewiesen werden könnte. Im Anschluss könne er sich zum ersten Mal seit 1998 wieder in einem Gerichtssaal wieder finden. Dann jedoch im Kampf um sein Leben.

Während Mumias Verteidigung natürlich alles versucht, damit dies nicht eintritt, scheint jetzt deutlich zu werden, dass auf juristischer Ebene nicht mehr viel Bewegung zu erwarten ist.

Mumias Unterstützer_innen in den USA rufen für den 8.August zu einem US-weiten Vernetzungstreffen nach Philadelphia auf. Es scheint den Mumia-Unterstützer_innen aber auch in Europa klargeworden zu sein, dass jetzt nur noch mit starken Proteste in der Öffentlichkeit neue Türen aufgestossen werden können.
Anton Mestin, Sprecher des "Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal": "Wir sind wieder da, wo es vor vielen Jahren angefangen hat. Die politisch Verantwortlichen scheinen Mumia immer noch ermorden zu wollen. The voice of the voiceless - die Stimme der Unterdrückten, soll endgültig zum Schweigen gebracht werden. Als weltweit unser aller Proteste in den 90ern zweimal erfolgreich die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal verhindern konnten, öffneten sich juristische Korridore, durch die Mumia und seine Verteidigung seit 2001 relativ erfolglos gegangen sind. Jetzt liegt es wieder an uns, aufzustehen. Lasst uns alle den Fall wieder aufgreifen und dorthin zurückgehen, wo wir 2001 stehen geblieben sind. Ein politisches Verfahren ist im Gerichtssaal alleine nicht zu gewinnen, dass sagt auch Mumias Verteidigung. Wir alle können den politisch Verantwortlichen in den USA klarmachen, dass wir Rassismus, politische Repression und Lynchjustiz nicht hinnehmen werden."

Darauf angesprochen, wie sich die Solidaritätsgruppen das denn im laufenden Wahlkampf in den USA vorstellen, sagte der Sprecher ferner: "Medial wird es sehr schwierig werden. Wir denken, dass es jetzt wirklich an allen Interessierten liegt, selbst aktiv zu werden. Die Kampagne ist in den letzten Jahren nur von sehr wenigen Gruppen getragen worden. Mumia sagte in einem Interview dieses Frühjahr, dass er fest daran glaubt, dass die Bewegung ihn befreit. Viele von uns haben lange nur beobachtet, jetzt ist es Zeit, die Handschuhe überzustreifen..."

Sowohl in den USA als auch in Europa seien Aktionstage in Vorbereitung. In Berlin z.B. arbeiten Mumias Unterstützer_innen fieberhaft an der Vorbereitung öffentlicher Aktionen.

Das kommende zweite Halbjahr 2008 wird wahrscheinlich die Zuspitzung von Mumia Abu-Jamals beinahe schon 27 jährigem Kampf, lebendig die Todeszelle zu verlassen.
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Fußnoten

(1) siehe dazu "Wettlauf gegebn den Tod- ein schwarzer Revolutionär im weissen Amerika", Michael Schiffmann, promedia 2006 (  http://mumia-hoerbuch.de/wettlauf.htm )

oder auch

"The Framing Of Mumia Abu-Jamal" von J.Patrick O'Connor, Lawrence Hill Books, 2008
Review in der New York Times  http://www.nytimes.com/2008/05/02/us/02philadelphia.html?_r=1&ref=us&oref=slogin

(2) siehe dazu u.a. "In Prison My Whole Life", Film 2007 (  http://www.inprisonmywholelife.com/intro.seam )

(3) siehe hierzu Hörbuch CD "FREE MUMIA - Wettlauf gegen den Tod", Ausnahms-Weise e.V., 2007, Kapitel 7 und 8
 http://www.mumia-hoerbuch.de

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weiterer Artikel hierzu auf der indymedia Startseite der USA, hier in der deutschen Übersetzung
 http://www.indymedia.org/de/
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Ergänzungen

FREE MUMIA NOW!

Berliner Mumia-Bündnis 30.07.2008 - 20:46
Kommt zum FREE MUMIA-Wagen auf die FUCK PARADE!!!

übernächsten Samstag, den 9.08.08
Start: 14 Uhr Michaelkirchbrücke, vor der Wagenburg Schwarzer Kanal

Infos zur FUCK PARADE 2008  http://www.fuckparade.org/presse/2008-07-25/

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Jeden Montag um 18 Uhr FREE MUMIA News im Jugendradio des OKB auf 97,2 UKW
oder fast die ganze Woche als live stream  http://85.214.123.163:8000/metropolis.m3u

Themen diese Woche:

* En Banc Antrag abgelehnt, erste juristische und politische Einschätzungen
* Gedanken zu Barack Obama
* Mumias letzte Kolumne über Obama
* Oury Jalloh, praktischer Anti-Rassismus und Mumia
* Brief von abc über Hungerstreik in deutschen Knästen ab 1. August
* Aktuelles zum inhaftierten Berliner Antifa Christian S.
* Termine der FREE MUMIA Kampagne in Berlin

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Internationaler Aktionstag für Mumia in Vorbereitung. Näheres demnächst unter  http://mumia-hoerbuch.de/termine.htm

Begnadigung wäre nur durch Governeur möglich

Kurt Sonntag 01.08.2008 - 23:50
Eine Begnadigung Mumias durch Obama ist rechtlich nicht möglich, da Mumia kein Bundesgefangener sondern Häftling vom Bundesstaat Pennsylvenia ist.
Da könnte theoretisch der Governeur eine Begnadigung aussprechen. Aber im Artikel ist schon angedeutet, warum das bestimmt nicht passieren wird. Der jetzige Governeur Ed Rendell ist erklärter Mumia-Gegner und lauert bereits seit Jahren darauf, einen Hinrichtungsbefehl für Mumia unterschreiben zu können. Das hat er genauso öffentlich gesagt.
Diese geschmacklose Philadelphia-Provinz-Posse hat ihren Ursprung in der Tatsache, dass Ed Rendell der Oberstaatsanwalt zu Zeiten von Mumias Prozeß war. Er war der Dienstherr von DA Josef McGill, der falsche Zeugen Auffuhr, Beweise erfand und entlastende unterschlug und die Jury manipulierte.
Sollte Mumia doch noch ein neues Verfahren vom Supreme Court zugesprochen bekommen, wäre er vermutlich schnell frei, da es ja bekanntermassen keine Beweise für Mumias Täterschaft mehr gibt.
Danach würde jedoch unweigerlich die Frage gestellt werden, wieso eigentlich jemand deshalb 27 Jahre in der Todeszelle verbringen muss und wer dafür die Verantwortunmg trägt.
Das wäre ganz klar Ed Rendell. Der Mann hat ein starkes Motiv, Mumia umzubringen. Der wird ihn bestimmt nicht begnadigen, weil ein lebender Mumia die Gefahr für ihn birgt, einen Karriereknick zu erleiden.
Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich nicht bglaube, dass Mumia begnadigt wird. gemeinhin müssen Häftlinge für sowas ihre "Schuld" eingestehen. Mumia sagt seit dem ersten Tag seiner Ankalge, dass er unschuldig ist und den ihm vorgeworfenen Mord nicht begangen hat. Er würde bestimmt nicht sich zu etwas bekennen, was er nicht getan hat.

Ich hoffe, dass beantwortet die Frage nach Begnadigung.

Dass Barack Obama nicht jemand ist, in den Mumia große Hoffnungen setzt, machen seine zahlreichen Kolumnen zur Präsidentschaftswahl im Herbst deutlich. Einige davon finden sich in diesem Indy-artikel  http://de.indymedia.org/2008/07/222110.shtml
oder auch vor zwei Wochen in der Tageszeitung Junge Welt  http://www.jungewelt.de/2008/07-26/047.php?sstr=Napoleon

Naja, also bei Aller Liebe

Rachel 02.08.2008 - 14:16
Mumia ist anhand von Beweisen unteranderem nachtreglich GEN-Material schuldig gesprochen worden. Man kann für MORD nunj mal keinen Freispruch verlangen. zudem wird hier alles sehr subjektiv und verzert dargestellt das der ach so verteufelte "Rassist " und "Faschist" Ed Rendell Mitglied der Demokratischen Patei ist, sich für Minderheiten stark macht und selbst das Waffenrecht einschränken möchte und zudem Jahrelang für das Simon Wiesenthal Zentrum tätig war und dort gegen Rassismus und Altnazis tätig war wird hier verschwiegen. Man versucht halt mal ganz Subjektiv aus dem Bauch heraus das Bild des weissen rassistisch-konservativen Hardliners zu zeichnen weils einem grade in den Kram passt. Ich bin Seit 12 Jahren mit einem schwarzen US-Amerikaner verheiratet und wir verbringen fast Jedes Jahr mehrere Wochen unseres Urlaubs in den USA bei meinen Schwiegereltern in Detroit. Ich sag Euch von seinen über 30 schwarzen Verwandten die sich mal über die Thematik unterhalten haben ist KEINER aber auch NICHT EINER für Mumia. Die sagen grösstenteils "Give him the Chair". Also wacht mal auf. Das Mumia Problem ist nix rassistisches, der Mann hat nen Bullen umgelegt, obwohl ich gwgen die Todestrafe allgemein bin muss ich sagen PECH. Mord ist Mord, was diese ganze Solsache soll an der sich manche hochziehen verstehe ich nicht. Über 90% der Schwarzen US-Amerikaner sind dasfür das er bestraft wird. Was meint ihr wohl warum? Selbst ehemalige Black Panther Aktivisten wie Condoleza Rice sind dafür das er bestraft wird. Ich finds eher rassistisch zu denken Schwarzer--->Killt Bullen---->Ist Schwarzenrechtler---->Alle Schwarzen sehen ihn als BRUDER aus Solidatität. So is das aber nun mal nicht, und selbst wenn Obama es könnte würde er nem nem Bullenmörder was husten statt ihn freizulassen. Mumia hätte genau so die Kelle bekommen wenn er nen schwarzen Bullen ermordet hätte, ok vielleicht is einiges unfair gelaufen, aber Mord ist Mord, vielleicht sollte man nachdenken bevor man sich mit einem Mörder solidarisiert und Tatsachen verdreht. Naja vermutlich wird dieser unliebsame Text eh gelöscht............

Mumia ist der Mord nie bewiesen worden

Kurt Sonntag 02.08.2008 - 19:29
Öfter wird aufgrund merkwürdiger Wikipädia-Artikel behauptet, Mumia Abu-Jamal sei der Mord an dem Polizisten daniel Faulkner bewiesen worden, so auch in der Ergänzung von Rachel.

Das steht zwar oft irgendwo im Internet, ist aber komplett falsch.

Es hat z.B. nie einen "Gentest" gegeben, sowie das Rachel behauptet. Ganz im Gegenteil: die Polizei von Philadelphia hat sich alle Mühe gegeben, jegliche Form forensischer spurensicherung zu vermeiden und den Tatort zu verändern. Mal abgesehen davon, dass es 1982 noch gar keine Genanalyse gab, lief ein Polizist ca. 1,5 Stunden (so die eigene Aussage im Prozeß) mit der vermeintlichen Tatwaffe herum, bevor er sie zur Spuerensicherung abgab. In einem log der Polizist eindeutig: er hat sie nicht "fachgerecht" gesichert sondern mit bloßen Händen an verschiedenen Stellen angefasst. Es existieren Fotos (eines ist hier abgebildet) aus jener Nacht, genmacht von dem unabhängigen Pressefotografen Pedro Polakoff, der bestimmt kein Mumia-Unterstützer ist. Hier sind einige der Fotos zu sehen  http://www.abu-jamal-news.com/

Aber auch ansonsten geht aus den Fotos hervor, dass die Polizei den Tatort mehrfach umräumte.
(siehe z.B. den Hut des erschossenen Polizisten. Sein Fundort sollte später im Verfahren die Position des Polizisten markieren - ein wichtiges Detail bei dem von der Staatsanwaltschaft erdachten "Tatablauf". Auf den Fotos liegt sie mal auf einem Autodach, später auf dem Gehweg...

Mumia wurde (von wie wir heute wissen, manipulierten) Zeugen angeblich dabei beobachtet, wie er aus ca. 90 Zentimetern 3-5 Schüsse auf den den angeblich am Boden liegenden Polizisten abgefeuert haben soll. Es wurde damals im Prozeß gesagt, dass nur 1-2 den Polizisten getroffen hätten. Wo sind die Spuren der anderen Kugeln? Auf den Fotos, die ca. 10 Minuten nach der "Tat" gemacht wurden, sind sie nicht zu sehen...

Auch was zu der Waffe, die Mumia als Taxifahrer genau wie 85% aller anderen US-amerikanischen Taxifahrer trug: sie wurde nie auf Schmauchspuren untersucht oder ihr Schussverhalten mit der in dem getöteten Polizisten gefundenen verglichen. Eigentlich sind das Standarduntersuchungen, die auch später hätten durchgeführt werden können. Ob sie "vergessen" wurden oder die Ergebnisse einfach nicht passten, wird wohl auf ewig das geheimnis der "ermittelnden" Polizisten bleiben.

Das bringt mich auf ein weiteres Detail. Der ranghöchste Polizist am Tatort, der laut Protokoll die Leitung übernahm, wurde genau einen Tag nach Mumias Verurteilung wegen nachgewiesener Verbindung zum organisierten Verbrechen festgenommen. Er wurde später verurteilt, mehrere Jahre Schutzgelder kassiert zu haben und diese nicht versteuert (!) zu haben, wofür er 4 Jahre im Gefängnis sass. Die Aussagen und die Leitung der Polizeuzeugen war seine letzte Amtzhandlung als Polizist.

Die Liste von Ungereimtheiten füllt nach Lektüre der damaligen Prozeßakten wirklich Bände. Ich erspare hier mal weitere Beispiele, da ist das im Artikel erwähnte Buch von J.Patrick O'Connor wirklich hilfreich, es gibt aber auch zig weitere Untersuchungen des Prozesses und der Beweislage, die alle zu dem selben Schluß kommen: Mumia hatte kein faires Vefahren.
Das stellte u.a. sogar Amnesty International in ihrer Untersuchung von 2000 fest: "A life in the balance" Download in englisch oder spanisch hier möglich  http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR51/026/2000/en

Was viele Menschen nicht wahrhaben wollen ist, dass Mumia alleine wegen seiner politischen Anschauungen und seiner früheren Tätigkeit als Pressesprecher der Black Panther zum Tode verurteilt wurde. Auch darüber gibt es zahlreiche Untersuchungen, und die Prozessakten sind eindeutig.

Wer mehr Details wissen oder einzelne Fragen beantwortet haben möchte, kann mir gerne schreiben und ich verschicke Quellen etc.

Ich finde es auffällig, wie schlecht oft Menschen informiert sind, aber dennoch sicher zu sein scheinen, Mumia sei ein Mord bewiesen worden. Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass Rassismus, politische Repression gegen Aktivist_innen oder Klassenjustiz gegen Arme existiert. Zum Glück gibt es ja auch solche Ergänzungsforen, unm sich darüber auszutauschen.
Mumia's Schicksal ist kein Einzelfall, sondern bis auf seine politische Biografie geradzu typisch für die Mehrheit derer, die in den Todeszellen der USA sitzen.

Noch ein letzter Gedanke zu Ed Rendell. Der im Artikel angegeben Videolink zeigt eindeutig die Praxis der Staatsanwaltschaft in Pennsylvenia, wie z.B. Schwarze aus einer Jury zu entfernen sind. Dieses Video war ein Ausbildungsvideo für Staatsanwälte in Pennsylvenia. Veröffentlicht wurde es ca. 1997, aufgenommen in den 80ern! damals war Ed Rendell Oberstaatsanwalt...
Ed Rendell mag sich auf anderen Gebieten weniger smenschenfeindlich positionieren als einige seiner konservativen Gegenspieler. Das ändert nichts an der Tatsache, dass er für Gesetzesbrüche gegenüber Angeklagten verantwortlich ist. Im Fall eines neuen Prozesses für Mumia würde das eine Rolle spielen. Das ist auch kein Geheimnis in der öffentlichen Wahrnehmung in Philadelphia. Warum sonst wohl hätte sich seine Ehepartenerin selbst für befangen erklärt, als Mumias Fall 2005 vor das 3. Bundesberufungsgericht der USA in Philaldephia kam? Sie ist dort nämlich Richterin.

Mumia&Verteidigung zur Gerichtsentsentscheidu

IVK Bremen 02.08.2008 - 19:38
Kontinuierliche Infos von der Verteidigung und aus der Kampagne
auf der Website des IVK Bremen:  http://www.freedom-now.de

2. AUGUST 2008 / RUNDSCHREIBEN Nr. 7 des IVK-Verteilers »Aus eins
mach' drei!«


»DIE ENTSCHEIDUNG DES BUNDESBERUFUNGSGERICHTS WAR IN WIRKLICHKEIT
KEINE ENTSCHEIDUNG, SONDERN DIE BEKANNTGABE DER ENTSCHLOSSENHEIT
DES GERICHTS, SICH NICHT WEITER MIT MEINEM FALL BEFASSEN ZU WOLLEN«
[Mumia Abu-Jamal in einem Interview, das exklusiv am Samstag, dem
16. August, in der Tageszeitung »junge Welt« erscheinen wird]

Liebe Freundinnen und Freunde der Kampagne,
es geht heute um vier Punkte:

1.)GERICHT SEGNET VERFASSUNGSVERSTÖSSE AB
In einer ersten Stellungnahme erklärt Mumia Abu-Jamals
Hauptverteidiger Robert R. Bryan die Entscheidung des
US-Bundesberufungsgerichts vom 22. Juli 2008, mit der eine weitere
Überprüfung der Verstöße gegen die US-Verfassung abgelehnt und
damit das rassistischen Verfahren vom Juli 1982 abgesegnet wird.
Robert R. Bryan wird sich zum weiteren Vorgehen der Verteidigung
demnächst noch näher einlassen.

Mumia sitzt weiter in der Todeszelle und ist nach wie vor
rechtskräftig zum Tode verurteilt. Die Gefahr eines neuen
Hinrichtungsbefehls ist wegen der offenen Frage, ob es zu einer
Neuverhandlung über das Strafmaß kommt (Umwandlung der Todesstrafe
in lebenslange Haft), derzeit noch gebannt, ABER die
Staatsanwaltschaft rückt weiterhin nicht davon ab, Mumia
irgendwann hinrichten lassen zu wollen. Das müssen wir gemeinsam
verhindern!
Bitte hier lesen:
 http://www.freedom-now.de/news/artikel430.html

2.) EXKLUSIVES INTERVIEW MIT MUMIA AM 16. AUGUST IN »JUNGE WELT«
Anläßlich von Mumias 400. Kolumne, die am Samstag, dem 16. August
2008, in »junge Welt« veröffentlicht wird, erscheint in dieser
Wochenendausgabe auch ein Interview mit Mumia zu seiner Arbeit als
Autor im Todestrakt und zu seiner Reaktion auf die letzte
Gerichtsentscheidung.
Bitte am 16. August die jW-Printausgabe lesen oder unter
www.jungewelt.de oder
www.freedom-now.de nachschauen

3.) MUMIA SCHREIBT AN DAS DEUTSCHE PEN-ZENTRUM
In seinem Brief dankt PEN-Mitglied Mumia Abu-Jamal seinen
deutschen Kolleginnen und Kollegen.
Bitte hier lesen:
 http://www.freedom-now.de/news/artikel435.html

4.) DIE VERTEIDIGUNG BRAUCHT WEITERHIN DRINGEND SPENDEN
Die Verteidigung ist bereits seit längerer Zeit in einer prekären
finanziellen Situation. Dabei erhalten die Vertrauensanwälte nicht
einmal Honorare, sondern brauchen das Geld für die Besuche bei
Mumia Abu-Jamal, für Gerichts- und Zeugenkosten. Wir bitten
deshalb heute wieder alle, die dieses Rundschreiben lesen, sich zu
Herzen zu nehmen, um was Angela Davis uns als Sprecherin der
US-Kampagne gegen die Todesstrafe gebeten hat: »Im Namen der
Gerechtigkeit bitten wir Sie um Ihre Unterstützung und eine
großzügige Spende im Rahmen Ihrer Möglichkeiten.«
Jede Spende ist willkommen und wird garantiert ohne Abzüge an das
Verteidigungsteam weitergeleitet. Darüber besteht zwischen
Rechtsanwalt Robert R. Bryan und dem IVK Bremen eine verbindliche
Vereinbarung, die von Mumia Abu-Jamal autorisiert ist.

Spendenkonto für BR Deutschland und umliegendes europäisches Ausland:
Archiv 92/Sonderkonto Jamal
S.E.B. Bank Bremen
Konto-Nr. 100 8738 701 (BLZ 290 101 11) * Stichwort »Verteidigung«
(Überweisungen aus EU-Ländern: IBAN DE78 2901 0111 1008 7387 01 /
BIC: ESSEDE5F290)
Kompletter Spendenaufruf:
 http://www.freedom-now.de/news/artikel313.html

Abschließend Angela Davis' Mahnung, die sie selbst auf der X.
Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2005 in Berlin
ins Zentrum ihres Vortrages gestellt hat:
*»Ich möchte betonen, daß wir alle aufstehen sollten für die
Freiheit von Mumia Abu-Jamal, nicht nur, weil er ein Opfer der
Todesstrafe werden könnte, sondern auch, weil er einer der
einflußreichsten intellektuellen Führer der Bewegung gegen die
Todesstrafe in den USA und weltweit ist!«*
Solidarische Grüße,
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 530 * D-28095 BREMEN

Rachel führt Beweise gegen Mumia????

icke 02.08.2008 - 20:42
lach mir schief: "Selbst ehemalige Black Panther Aktivisten wie Condoleza Rice sind dafür das er bestraft wird." Was soll denn das? Condoleza Rice kann vielleicht andere Staatsregierungen mit Bombenstimmung von zuhause grüßen. Black Panther war die nie. So'n Blödsinn. Die hatte doch in der ersten Bushregierung den Kollegen Powell. Ja, auch schwarz, bestimmt auch Mumia Gegner (unterstelle ich jetzt mal). Der war kommandierender Offizier beim Mailai-Massacker in Vietnam...

Und wieviel Schwarze haste eigentlich wo gefragt? In Philadalephia bestimmt nicht.
In New York wahrscheinlich auch nicht, in San Francisco wohl auch nicht.
Es gibt Regionen in den USA, in denen Menschen (übrigens aller Hautfarben) sich noch eigene Gedanken machen ohne irgendwelche halbgaren Sachen wie "Gentests" (aua) zu erfinden. wenn du so'n Schwachsinn behauptest, wäre ich dir dankbar, mal ne Quelle zu nennen. Kannste nicht?

Lies dir den Artikel und Kurt's Antwort doch nochmal durch. Vielleicht verstehste dann, warum sich so viele Leute seit Jahren daran "hochziehen".
Das ist Rassismus pur. Und natürlich politische Unterdrückung. Schon mal was von COINTELPRO gehört? Ist keine Verschwörungstherie, sondern 1975 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß in den USA aufgedecktes FBI-Programm, um speziell die Black Panther Party zu zerschlagen. Mit den Methoden von Beweisfälschungen bis hin zu Mord.

Wegen solchen "Dokumenten" sind in San Francisco gerade 8 Menschen im Alter zwischen 53 und 74 (!)angeklagt worden. Angeblich hätten sie Anfang der Siebziger gewaltsame Aktionen gemacht.  http://www.freethesf8.org/Persecuting_Panthers.html

Mumia hat ne FBI Akte, seit er 15 ist. Der stand damals schon auf der Liste derer, die im Notfall sofort zu internieren sind. Warum? weil er schon als Jugendlicher ein schreibgewandter Pressesprecher war - und sicherlich auch, weil er das als Schwarzer war. (das letzte war jetzt meine Interpretation)

Brief von Mumia ans dt. PEN Zentrum

Mumia Hörbuchgruppe 02.08.2008 - 21:02
Mumia Abu-Jamal
# AM-8335
SCI Greene
175 Progress Drive
WAYNESBURG, Pennsylvania 15370-8082
USA

18. Juni 2008


Dr. Winfried F Schöller
Frau Sabine Kebir
PEN-Zentrum
Deutschland, Berlin

Meine lieben Freunde und Schriftstellerkollegen,
als ich erfuhr, daß Mitglieder des PEN-Deutschland im letzten April aus einigen meiner Werke gelesen haben, wollte ich kaum meinen Ohren trauen.
Das war zugleich ein Geburtstagsgeschenk und ein Geschenk des Lebens, das mich mitten ins Herz traf.
Noch vor wenigen Jahren hätte ich es mir nicht träumen lassen, daß meine einsam geschriebenen Essays aus dem engen, isolierten Raum einer Todeszelle so weit reisen würden, wie sie es letztlich taten.
PEN-Deutschland hat uns wahrlich gezeigt, daß »Literatur keine Grenzen kennt...«.
Schreiben ist schon für sich genommen ein einsames Unterfangen. Schreiben aus der Todeszelle aber ist so ähnlich wie der buddhistische Brauch, etwas in den Sand zu zeichnen.
Nachdem ich erst jüngst Mitglied des PEN-America geworden bin, vermag ich kaum die Gefühle zu beschreiben, welche die Solidarität, die mir von Mitgliedern aus aller Welt entgegengebracht wurde, in mir ausgelöst hat.
Als gefangener Schriftsteller verbindet mich eine besondere Seelenverwandtschaft mit allen, die auch hinter Gefängnismauern schreiben – sowohl in den USA als auch anderswo.
Eure Arbeit ist ein profunder Ausdruck der Opposition gegen die Todesstrafe und der Solidarität im langen, harten Kampf für die Menschenrechte.

Ich danke euch allen!
Mumia Abu-Jamal,
aus der Todeszelle
Vereinigte Staaten von Amerika

(Übersetzung: Jürgen Heiser)

Schwarze Us-Amerikaner_innen, die Mumia unter

stützen... 03.08.2008 - 14:39
fallen mir etliche ein. Darunter auch einige in der Öffentlichkeit sehr bekannte. Hier mal ohne lange nachzudenken eine Liste (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

*Alice Walker, Autorin von "die Farbe Lila"
*Angela Davis, selbst einmal politische Gefangene in den USA und heute Professorin
*Linn Washington Jr., Radiojournalistenkollege von Mumia und heute Professor für Journalistik an der Uni in Philadelphia
*Mos Def, Rapper
*Angel Diaz, Rapper
*Whooppie Goldberg, Schauspielerin
*der gesammte Black Caucus Ende der 90er (das ist die Vertretung schwarzer Parlementarier im Abgeordnetenhaus der USA)
*diverse politische Gefangene, die seit dem COINTELPRO Programm immer noch im Knast sitzen, häufig aus der BPP
*Sundiata Sadiq, Antirassistischer Aktivist aus New York
*Immortal Technique, Rapper
*NACCP, Vereinigung schwarzer Strafverteidiger_innen in den USA
*Todd S. Burroughs, Landesweite Vereinigung schwarzer Journalist_innen in den USA

Natürlich ist diese Liste viel größer. Und natürlich unterstützen Mumia Menschen aus verschiedenen Hautfarben, Konfessionen oder mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen.
Warum? Weil sie alle begriffen haben, dass Rassismus der Kern der Anklage gegen Mumia ist und der einzige Grund, warum er bis heute noch im Knast sitzt. Die Verantwortlichen können einfach nicht zugeben (wie es sonst schon ab und an passiert ist), dass sie sich "geirrt" hätten etc.
Mumia ist ein lebendiges Beispiel dafür, dass die radikale Form der Gegnerschaft gegen Rassimus und Entrechtung von ca. 1/3 der US-bevölkerung existiert.

neueste "FREE MUMIA News" jetzt online

Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal 03.08.2008 - 23:11
Ab jetzt bis Montag abend 19 Uhr ist hier  http://85.214.123.163:8000/metropolis.m3u die neueste Sendung der "FREE MUMIA News" als live stream zu hören.

Themen diese Woche:

* erste Reaktionen von Unterstützer_innen auf die Ablehnung des "en banc" Antrages
* weltweiter Aktionstag für die Freiheit von Mumia
* Mumia und das deutsche PEN Zentrum
* Brief von Mumia ans PEN Zentrum Deutschland
* Termine und Kontaktmöglichkeiten zur Kampagne in Berlin
* Mumia Abu-Jamals Kolumne: Dr. Evil und James Bond (über die geplatzte Immobilienspekulationsblase in den USA. Wer sind die Leidtragenden? Was macht die Regierung?)

Dazu jede Menge ausgesuchter Musik.

Montags läuft die Sendung jede Woche um 18 Uhr im Berliner Offenen Kanal auf UKW 97,2.
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Interview mit Mumia Abu-Jamal (JW, 16.08.08)

JW 16.08.2008 - 20:45
»... die Mauern zwischen uns einreißen«

Zur 400. Kolumne von Mumia Abu-Jamal in junge Welt: Ein Telefongespräch mit dem Gefangenen. Exklusiv aus dem Todestrakt der US-Strafanstalt Greene, Waynesburg/Pennsylvania
Interview: Jürgen Heiser


Mumia Abu-Jamal, Jahrgang 1954, sitzt seit Juli 1982 in der Todeszelle. Das ehemalige Mitglied der Black Panther Party wurde am 9. Dezember 1981 unter dem Vorwurf, in ­Philadelphia einen Polizisten erschossen zu haben, verhaftet. Fest steht nur, daß er seinen Bruder in einer Verkehrskontrolle vor den Mißhandlungen des weißen Polizisten Daniel Faulkner schützen wollte. Der wirkliche Tathergang wurde gerichtlich nie geklärt. Statt dessen wurde Abu-Jamal im Juli 1982 nach kurzem und rassistisch motiviertem Prozeß zum Tode verurteilt, obwohl er betonte, den Polizisten nicht erschossen zu haben. Seit 1995 kämpft er um die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Wöchentlicher jW-Kolumnist ist der politisch engagierte Journalist und Buchautor seit dem 16. Dezember 2000. Heute veröffentlichen wir seine 400. Kolumne in Folge (siehe Seite 6). Anläßlich dieses Ereignisses konnten wir den Gefangenen telefonisch insbesondere zu seiner journalistischen Arbeit im Todestrakt der US-Strafanstalt Greene, Waynesburg/Pennsylvania, befragen. Ein Gespräch über das überwachte Anstaltstelefon dauert maximal 15 Minuten und wird computergesteuert auf die Sekunde abgebrochen.



[Computerstimme: Sie erhalten ein R-Gespräch von Mumia Abu-Jamal (Name mit seiner Stimme gesprochen), einem Insassen der staatlichen Strafanstalt von Greene. Wenn Sie die Funktionen Konferenzschaltung oder Anklopfen aktivieren, wird das Gespräch sofort abgebrochen.]

Der Anlaß für unser heutiges Gespräch ist, daß in junge Welt am 16. August Ihre 400. Kolumne veröffentlicht wird. Die Leser fragen sich oft, wie es ein Mensch, der seit fast drei Jahrzehnten hinter Gittern sitzt, schafft, so viel zu schreiben und damit so nah am Herzschlag der Zeit ist...?
Ich denke, jeder Autor schreibt zuerst und vor allem für sich, aber letzten Endes ist der wichtigste Aspekt, für seine Leserinnen und Leser zu schreiben. Es ist herzerfrischend und verwundert mich in diesen Zeiten geradezu, daß wir die Leser von junge Welt und vergleichbarer Zeitungen und Medien rund um den Globus haben. Wenn ich schreibe, dann denke ich an diese Leserschaft und die Bewegungen, denen sie angehören, und an die Herausforderungen, mit denen sie in dieser Epoche konfrontiert sind. Ich versuche, die Distanz aufzulösen und die Mauern zwischen uns einzureißen. Das ist ein Teil von dem, wie ich an das Schreiben herangehe.

Journalisten hasten üblicherweise von Termin zu Termin. Das ist nicht Ihr Problem, aber Sie sind dafür beim Recherchieren und Schreiben völlig auf sich selbst gestellt. In Ihrem Brief an das deutsche PEN-Zentrum, in dem Sie sich für die Lesung aus Ihren Büchern am 17. April 2008 im Berliner Bertolt-Brecht-Haus bedanken, haben Sie gesagt: »Schreiben ist ein einsames Unterfangen.« Wie schaffen Sie es trotzdem, mitten unter uns zu sein und über die akuten Probleme dieser Welt zu schreiben?
Ich denke, ich habe tatsächlich den einen Vorteil, wirklich »unabhängig« im besten Sinne des Wortes zu sein. Vor allem hier in den USA haben wir nach der Tragödie des 11. September 2001 hautnah das Versagen des Mainstream-Journalismus erlebt, das Versagen der großen Zeitungen der Vereinigten Staaten und der großen Fernsehsender, die alle zusammen ein Publikum von Abermillionen erreichen. Es war eigentlich das Versagen des gesamten Journalismus, seiner wichtigsten Aufgabe nachzukommen, die Leser und Zuschauer zu informieren, also die gesamte Öffentlichkeit darüber zu informieren, was wirklich in der Welt passiert. Wenn ich »frei« wäre und für eine bürgerliche Zeitung arbeiten würde, dann wäre ich nicht wirklich frei, ich hätte nicht die Freiheit, die Wahrheiten auszusprechen, wie ich es in meiner jetzigen Situation tun kann.

Auf welche Informationsquellen können Sie sich stützen?
Ich lese, soviel ich kann, auch wenn es weniger ist, als ich gern möchte. Ich erhalte eine Reihe von linken Zeitungen, auch einige bürgerliche Zeitungen wie beispielsweise die New York Review of Books, die New Yorker Sunday Times und auch ein paar Magazine wie beispielsweise Monthly Review. Ich lese diese Blätter aufmerksam, analysiere die Artikel sehr genau und mache mir vor allem ein klares Bild davon, worüber die bürgerliche Presse schreibt. Ich frage mich dann, was die behandelten Themen mit den Kämpfen zu tun haben, die die Leute in den Bewegungen draußen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen führen. Ich frage mich, was ihre Anliegen sind, und versuche, mich dem mit meinem Denken, aber auch mit meinem Herzen so weit wie möglich anzunähern. Ich versuche nachzuempfinden, worum es bei den Problemen und Kämpfen draußen geht. So war es mir möglich, schon vor Monaten über die Welle der Zwangsvollstreckungen im Rahmen der Subprime-Krise zu schreiben, lange bevor es ein Thema in der überregionalen Öffentlichkeit wurde.

Dieser Kolumnenbeitrag wurde unter dem Titel »Fest der Obdachlosen« in der Vorweihnachtszeit am 22. Dezember 2007 in der Wochenendausgabe der jW veröffentlicht. Der Bezug zwischen der Geburt des Märtyrers der Christenheit in einem Viehstall und das Elend der wachsenden Zahl der Obdachlosen in den US-Vorstädten drängte sich auf.
Sicher. Und daß ich schon so früh darüber schreiben konnte, lag eben nicht daran, daß ich darüber schon viel in den Zeitungen gelesen hätte, sondern weil ich unter anderem den Brief einer verzweifelten jungen Mutter von vier Kindern bekam. Ich werde wohl nie erfahren, warum sie gerade mir einen Brief schrieb ...

[Computerstimme: Dieser Anruf kommt aus der staatlichen Strafanstalt Greene]

... aber sie schrieb mir jedenfalls, weil sie sich in einer persönlichen Krise befand. Diese Krise war durch die Zwangsvollstreckung ausgelöst worden, durch die sie ihr kleines Haus und damit das Zuhause ihrer Kinder verlieren sollte. Ihre Zeilen gingen mir sehr nahe, und ich machte das Thema deshalb zum Gegenstand mehrerer Artikel, die ich danach schrieb.

Erhalten Sie oft Briefe von Menschen, die einen Artikel von Ihnen gelesen haben?
Ja, und sie schreiben mir, weil sie wissen, wofür ich als Autor stehe. Einige Leute vergessen dabei meinen Absender (lacht), also wo genau ich mich hier befinde. Die meisten Leute schreiben mir aus einem Gefühl der Verzweiflung. Sie haben sich vorher schon an bekannte Autoren oder Journalisten gewandt, aber von diesen keinerlei Antwort erhalten. Ich bekomme natürlich auch sehr viele Briefe von anderen Gefangenen, die mir ihre Situation beschreiben. Leider kann ich nur wenigen antworten.

Tragen auch Besucher ein Stück des Lebens außerhalb der Gefängnismauern zu Ihnen in den Todestrakt?
Natürlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich lerne von den Leuten, wenn ich mit ihnen spreche. Ich lerne viel über Alltägliches wie die Preise von Lebensmitteln und die hohen Mieten und was Leute in Großstädten wie Philadelphia heute allein für das Abstellen ihres Autos zahlen müssen. Das sind die Probleme, mit denen sich die Leute herumschlagen, und indem mir meine Besucher davon erzählen, lerne ich selbst viel über das Leben draußen.

Ihre Leser lernen umgekehrt aus Ihren Artikeln und Kolumnen. Zum Teil werden die Inhalte gemeinsam diskutiert und zur jeweiligen persönlichen Situation und der ihrer jeweiligen Länder in Beziehung gesetzt. Ist das also der Weg, wie Sie am Anfang gesagt haben, die Mauern zwischen drinnen und draußen niederzureißen, Mauern, die nicht aus Beton gebaut sind?
Darum geht es mir, und es ist im Zusammenhang mit meinen Kolumnen in junge Welt ein weiterer wichtiger Punkt. Ich bekomme vielleicht nicht täglich, aber alle zwei Tage Briefe und Postkarten aus Deutschland. Es berührt mich sehr, daß Leute sich die Zeit nehmen, meine Artikel zu lesen. Nicht ganz zufällig schaue ich gerade auf meine Kolumne in der Wochenendausgabe der jW vom 19./20. Juli 2008 mit dem Titel »Dr. Watsons Genlabor«.

Wie ist das möglich?
Vor einer Stunde wurde mir meine Post ausgehändigt und dabei war diese Ausgabe von junge Welt, die ich in Händen halte. Jemand aus Deutschland hat sie mir zugeschickt.

Sie können also die eigenen Artikel auch in Deutsch lesen?
Ja, so gut ich kann. Mein Deutsch habe ich mir selbst beigebracht.

Die Leser der jW wollen natürlich mehr von Ihren Texten lesen. Sie werden sich aber denken können, daß die Leserschaft dafür eintritt, daß der »Korrespondent aus dem Todestrakt« seine Arbeit endlich als freier Mann verrichten kann.
Ja, natürlich. Aber jetzt – hier und heute, in diesem Moment – ist erst einmal das mein Sein, mein Arbeitsplatz und Revier. Wenn ich frei wäre, wären natürlich andere Länder, andere Bereiche, andere Gebiete mein Revier, in dem ich mich bewegen würde.

Da wir nur begrenzte Zeit haben, würde ich jetzt gern noch einmal kurz auf die letzte Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts zu sprechen kommen. Danach bleibt der Schuldspruch von 1982 wegen Mordes unangetastet, und es besteht nur die Möglichkeit, daß das Urteil eventuell von einer neuen Jury in lebenslange Haft umgewandelt wird. Vorausgesetzt, die Staatsanwaltschaft setzt sich nicht erneut durch, die Ihre Hinrichtung will. Kam die Gerichtsentscheidung überraschend für Sie?
Nun, ich versuche, mich davon nicht überraschen zu lassen, aber ich muß zugeben, daß ich manchmal schon noch überrascht bin. Zunächst einmal muß ich aber betonen, daß man diesen Richterspruch vom 22. Juli korrekterweise nicht als »Entscheidung« bezeichnen kann, denn er war ein klarer Ausdruck des Ausbleibens einer Entscheidung. Die Bundesrichter haben sich untereinander darauf verständigt, daß sich das auf zehn Richter erweiterte Gremium nicht noch einmal gründlich mit meinem Fall befaßt.

Wobei es in den Anträgen Ihres Hauptverteidigers Robert R. ­Bryan ja um die völlige Aufhebung des Schuldurteils vom Juli 1982 geht, weil Sie und Ihre Anwälte vorbringen, das Todesurteil beruhe auf rassistischen Vorurteilen, politischer Einflußnahme und Beweismanipulationen. Entspricht die jüngste Entscheidung denn der gängigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts?
Genau an dem Punkt wird die ganze Sache noch erstaunlicher, wenn man nämlich den Richterspruch nach den eigenen Regeln des Bundesberufungsgerichts beurteilt. Wenn einer der Richter eine abweichende Meinung vertritt, wie im vorliegenden Fall Richter Ambro, der wegen der rassistisch motivierten Ablehnung von schwarzen Jury-Kandidaten durch die Staatsanwaltschaft selbst einen neuen Prozeß für mich fordert, dann war es bis jetzt eigentlich gängige Praxis des Bundesgerichts, daß das erweiterte Richtergremium den Fall noch einmal anhört. Das nun abzulehnen, war ein klarer Bruch des bisherigen Kurses in der Rechtspraxis dieser Richter. Es ist auch ein klarer Bruch ihrer eigenen Regeln, wenn eine Entscheidung getroffen wird, bevor die Gegenseite, der Staat, also die Staatsanwaltschaft ihre Stellungnahme abgegeben hat, wie es jetzt der Fall war.

Also doch eine Überraschung angesichts vorangegangener Entscheidungen?
Ja, ich war überrascht, aber damit wurde auch etwas offengelegt. Es hätte mich eigentlich nicht überraschen dürfen, aber ich bin immer wieder überrascht, wenn die Justiz ihre eigenen Regeln verletzt, ihre eigenen Grundsatzentscheidungen negiert und gegen die eigenen Gesetze verstößt und damit meine mir angeblich zustehenden Rechte verletzt.

Ist also der Rechtsbruch der wesentliche Kern des gesamten Verfahrens seit 1982?
Absolut. Das ist von Anfang an durchgängig immer genauso geschehen.

Bekommen Sie als Mitglied des PEN-Zentrums der USA in dieser Situation stärkere Unterstützung von Ihrer Schriftstellerorganisation oder von anderen Menschenrechtsorganisationen?
Ja, Amnesty International beobachtet meinen Fall kontinuierlich. Und es haben sich bereits einige Journalisten und Autoren an mich gewandt ...

[Computerstimme: Es bleiben Ihnen noch 60 Sekunden]

... und ich erfahre wirklich eine sehr beeindruckende Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen des PEN America, die mich sehr tief bewegt.

Die Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland waren auch sehr bewegt von dem Brief, den Sie ihnen nach der Lesung vom 17. April im Berliner Brecht-Haus geschrieben haben…
[Computerstimme: Sie haben nur noch wenige Sekunden]

Die Leitung wird in wenigen Sekunden gekappt. Herzliche Grüße von Redaktion, Verlag und Lesern der jungen Welt …
Danke sehr (deutsch)! Liebe Grüße an alle!

Junge Welt, 16.08.2008 / Schwerpunkt / Seite 3
 http://www.jungewelt.de/2008/08-16/004.php

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