CSD Rostock

queehrolanz 21.07.2008 23:12 Themen: Antifa Gender
Der diesjährige CSD hat einmal mehr gezeigt, wie dringend notwendig es ist, queere Politik auf die Straße zu holen. Der folgende Artikel zeigt aber auch, wie schwierig dieses Unterfangen ist.
Naziparolen zum CSD - und keinen stört's? Uns schon.

Am 28. Juni 1969 kam es in der Christopher Street in der Bar Stonewall Inn, einem bekannten Treff von Schwulen, Lesben, Transgendern und Freund_innen, zu dem ersten öffentlichen Aufstand von Homosexuellen. Anlass gaben brutale Polizeirazzien, bei denen Personalien festgestellt und auch veröffentlicht wurden. Das betriebene "Zwangsouting" konnte fatale Folgen für die Betroffenen haben. Oft wurden die festgenommenen Menschen auf den Polizeiwachen erniedrigt und vergewaltigt(Siehe dazu Leslie Feinberg's autobiographischen Roman "Stone Butch Blues"). Gegen diese Unterdrückung setzten sich die Besucher_innen des Stonewall Inn zur Wehr und vertrieben die Polizei gewaltsam aus ihrem Lokal. Dieses Ereignis markiert den Beginn der Gay Liberation. Die Geschichte des CSD ist damit eine Geschichte des Widerstandes gegen die Unterdrückung und institutionalisierte Diskriminierung
Dass noch immer das Eintreten für die Rechte sog. sexueller "Minderheiten" notwendig ist, zeigte sich am 19. Juli in Rostock deutlich. In der Nacht vor der geplanten CSD-Parade haben Personen aus dem rechtsextremen Milieu (Laut altermedia zeichnete sich die Gruppe "Nationale Sozialisten Rostock" für die Schmierereinen verantwortlich. Siehe dazu: hOip://de.altermedia.info/, 21.7.2008)das alte Postgebäude am Neuen Markt mit Nazi-Parolen beschmiert. So fanden sich an den Wänden Schriftzüge und Schablonen mit Aussagen wie: „Fuck CSD“, „IHR die Perversion der Gesellschaft“, „Schwul abnormal“, "Nationale gegen diese Gesellschaft" und „Therapie gegen Heterophobie“.
Wir, das queerforum Rostock, wollten diesen homophoben Beschimpfungen, die einen klaren Angriff auf den CSD und dessen Teilnehmer_innen darstellen, nicht unkommentiert stehenlassen.
Daher haben wir in einer inszenierten Aufräumaktion die Schmierereien am Postgebäude mit Plakaten, Transparenten und Papierbahnen überklebt. Die Papierbahnen wurden zudem mit Statements gegen Homophobie und Nationalismus versehen. Außerdem wurde entlang der Post eine Gedenkmeile errichtet, an der wir auf Gewalt und Diskriminierungen gegenüber queeren Menschen aufmerksam gemacht haben. Dabei handelte es sich z.B. um den erst kürzlichen Überfall auf Besucher_innen des Drag-Festivals in Berlin und den Mord an Brandon Teena, einem Transgender aus den USA/Nebraska.
Wenn Lesben, Schwule, Transgender, Bi- und Intersexuelle und ihre Freund_innen gemeinsam auf die Straße gehen, bedeutet das noch immer auch den Kampf um politische Akzeptanz und sexuelle Befreiung, wie zuletzt gesehen in Budapest. Dennoch sind wir der Ansicht, dass der CSD in den letzten Jahren hierzulande stark kommerziell unterwandert wurde. Der politische Anspruch der Parade scheint leider in den Hintergrund geraten zu sein, sodass sich der CSD in eine große Partysause gewandelt hat.

Das queerforum möchte wieder verstärkt den politischen Anspruch in die Veranstaltung hineintragen. Mit einem klanggewaltigen Bollerwagen haben wir uns mit auf die Strecke der Parade begeben und Infomaterialien an Passanten und Teilnehmer_innen verteilt. Diese Flyer thematisierten Diskriminierungen innerhalb der queeren Szene, übten Kritik an der (Homo-) Ehe, den staatlichen (Finanz-) Privilegien und Entscheidungsvollmachten, die lediglich auf zwei Menschen begrenzt werden. Auch wurde über den Veranstaltungort der offiziellen CSD-Abschlussparty im Moya aufgeklärt. Auf diesem Flyer standen Fakten über den Besitzer des Clubs (ehemaliges Vorstandsmitglied der Jungen Union) und vergangene Veranstaltungen (Lesung von Eva Herman, geplantes Konzert der Band Kategorie C). Es wurde somit darauf hingewiesen, dass in diesem Club Menschen eine Plattform geboten wird, die konträr zu queeren Lebensweisen stehen.
Insbesondere die Moya-Flyer verärgerten einige Teilnehmer_innen, die diese vermutlich auch auf sich bezogen. Beim Verteilen wurde jemensch von uns von einer aufgebrachten Person aufgehalten, die die Flyer beschlagnahmen wollte und meinte, der Inhalt wäre eine große Unverschämtheit (O-Ton: "große Scheiße"). Die Frage, was daran so unverschämt sei und ob der Flyer etwa Unwahrheiten enthielte, konnte die Person jedoch nicht beantworten. Sie beschränkte sich lediglich darauf, verbal ausfallend und attackierend aufzutreten. So wurde gefordert, sich sofort zu „verpissen“ und wenn das nicht geschehe, würde die Person dafür sorgen.
Währenddessen kam es zu Auseinandersetzungen mit der CSD-Orga. Entgegen vorheriger Absprachen mit der CSD-Leitung und deren Einverständnis mit dem Verdecken der Schmierereien wurden wir von einem Mitglied der CSD-Orga strikt aufgefordert, unsere Gedenkmeile sowie die Plakate sofort zu entfernen. Dies geschah aufgrund der Beschwerde feiernder CSD-Teilnehmer_innen, die sich durch uns gestört fühlten. Weder konnte uns erklärt werden, wodurch sich diese Menschen angegriffen fühlten, noch wurde uns die Möglichkeit gegeben, uns zu womöglichen Missverständnissen öffentlich zu äußern. Sein Angebot an uns beschränkte sich lediglich darauf, dass wir uns nach dem Entfernen unserer Plakate, Banner und Gedenkmeile zum Feiern in das CSD-Fest gern mit einreihen könnten.
Es folgte ein Gespräch mit einem Vertreter des Ordnungsamtes, der uns der Sachbeschädigung beschuldigen wollte. Die nun auch erschienene CSD-Leitung trat uns gegenüber versöhnlicher auf und lenkte hier ein. Es musste eingesehen werden, dass die Plakate rückstandslos entfernt werden können und menschenverachtende Parolen hiermit verdeckt wurden.
Unsere Aktion musste also anerkannt werden, auch wenn wir dennoch nicht unbedingt das Gefühl hatten, erwünscht zu sein. Dennoch sollten wir den Weg neben der Postfiliale freimachen, da dies nicht mehr mit zum Veranstaltungsgelände gehöre. Letztendlich konnten wir uns auf ein Verschieben unseres Standortes einigen und auf friedliche Weise einen Konsens finden. Die Gedenkmeile wurde also auf dem Veranstaltungsgelände neu errichtet. Leider fühlten sich abermals einige Teilnehmer_innen durch unsere Aktion gestört. So kam es dazu, dass Leute unser „Queers gegen nationale Kackscheiße“-Transpi zerrissen, dass über einer der Nazi-Parolen hing. Ebenso wurden Teile der Gedenkmeile beschädigt.
Jedoch fanden wir auch Zuspruch. Teilnehmer_innen des CSD wollten sich eines unserer Transparente („Küche, Ehe Vaterland – Unsere Antwort: Widerstand“) ausleihen, um es vor die Bühne zu tragen, während dort das Lied „Lass die Sonne in dein Herz“ geträllert wurde. Nach famosen 20 Sekunden öffentlicher Rezeption wurde das Transpi durch die Security eingezogen.
Fazit: Viele Menschen haben äußerst positiv auf unsere Aktionen reagiert. Dennoch hatten wir letztlich das Gefühl, eher geduldet als ein Bestandteil der Veranstaltung gewesen zu sein. Besonders positiv war auch, dass Radio-Lohro uns spontan vor Ort die Möglichkeit gab, durch ein Live-Interview kritische Positionen äußern zu können. Generell entstand der Eindruck, dass unser politisches Engagement eher negativ aufgenommen wurde und sich die Teilnehmenden dadurch beim Partymachen gestört fühlten.
Daher bleibt die Politisierung dieser Veranstaltung besonders wichtig. Ursprünglich als Zeichen des Widerstandes von marginalisierten Gruppen ist der CSD kein ausschließliches Party-Event.

Des Weiteren wurde gegen 20.45 Uhr eine Gruppe von ca. 8-10 Nazis (Thor Steinar-Klamotten, Autonomen-Look) beobachtet, wie sie aus der Richtung des Hotel Sonne auf den CSD zugegangen sind. Dabei entfernten sie alle Plakate, mit denen die nationalen Parolen an der Post überdeckt waren. Weder die Polizei, noch die Besucher_innen des CSDs störten sich daran und ließen zu, dass die Nazis ihre menschenfeindliche Ideologie zur Schau stellen konnten. Diese schlenderten daraufhin druch die Kröpeliner Straße, wo sie irgendwann wieder kehrt machten und sich auf den CSD zubewegten. Dabei verteilten sie NDP-Aufkleber an den Laternenpfosten, die jedoch kurz darauf wieder entfernt wurden.


We're here – we're queere- we're fabulous- don't mess with us!
Reclaim the CSD!!!

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Ergänzungen

ErgänzerIn

useless.blogsport.de 22.07.2008 - 10:11
Mensch beachte die ausgezeichnete Rechtschreibung der Parolen, die in der Nacht vor dem CSD gesprüht wurden.

Sag JA zum Papst

Extra 3 23.07.2008 - 21:37

Sprache

Sprachliebhaber_in 25.07.2008 - 22:23
Es ist sehr wohl wichtig, wie mensch sich sprahlich ausdrückt, denn Sprache ist als Spiegel der Gesellschaft zu verstehen. Das heißt, sie wird sowohl von ihr beeinflusst, als dass auch sie die Gesellschaft beeinflusst. Nicht umsonst ist in den Mainstream-Medien zum beispiel von Terroristen (natürlich ungegendert!)die Rede, die ohne Probleme auch Soldaten_innen genannt werden könnten. Durch die Formulierung Torristen wird die gesellschaftliche Meinung über ebendiese Kämpfer_innen in eine bestimmte Richtung gelenkt. Folglich kann auch durch die Aufhebung des Androzentrismus in der Sprache gesellschaftlicher Wandel hervorgerufen werden.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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klärung? — jonas

Lesbos-Protest erfolglos — http://www.tz-online.de

sorry — kallio

Jemensch? — man kann

pöh! — kallio

jemand — -

Wen zur Hölle — interessiert

zuviel des guten — domasch