Untersuchungsgefängnis Klapperfeld

saul 19.07.2008 18:37 Themen: Kultur Repression
Gehe ins Gefängnis, gehe nicht über Freispruch, ziehe keine elektronische Fußfessel ein.
Das Untersuchungsgefängnis Klapperfeld ist seit einigen Jahren stillgelegt und heute quasi ein Knastmuseum. Es kann besichtigt werden und ist Teil einer Ausstellung, Gewahrsam, Räume der Überwachung, des deutschen Architekturmuseums. Hier haben sich ganze Generationen von Graffiti angesammelt, von denen freilich nur ein Teil erhalten ist. Ein Besuch lohnt sich, vor allen für diejenigen, die den Knast noch zu Betriebszeiten kennengelernt haben.
Das Klapperfeld ist Frankfurtern ein Begriff. Zumindest nicht wenigen Frankfurtern die mal auf Demos abhingen und dann die Gastfreundschaft in diesen Staatshotel genießen durften. Dies meist nur für kurze Zeit, andere saßen länger drin. Hatte selbst mal eine recht große Zelle für mich, na mal sehen. Hab sie sogar wieder gefunden, aber alles sauber übermalt. Unvergessen die Günther Sare Demos, als eine ganze Sammlung Demonstranten drin saß, gröhlte, johlte und eine Sitzbank raußriß um damit vereint ein Loch zur Nachbarzelle zu brechen. Etliche Demonstranten genossen für einige Stunden die Ruhe in den vier Wänden, hatten Zeit die Graffiti ihrer Vorgänger zu lesen und sich selbst irgendwann einzutragen. So entstand eine ganze Chronik der Zeitgeschichte, auf wenige Parolen reduziert, die leider von Zeit zu Zeit übermalt wurde. Heute sind nur die Hinterlassenschaften der letzten Jahre erhalten. Hier findet sich ein Gemisch aus linker Graffiti, einfachen Namenseintragungen, Nazigraffiti, kyrillischen und arabischen Schriften, gelegentlich Sexistisches und die ganze Bandbreite der normalen Knackies. Schaut man genauer hin, dann findet man eingekratztes Graffiti, teils sorgfältig gearbeitet. Wer hier saß, hatte Zeit und die muß man ja irgendwie rumkriegen. Das lässt sich auch noch nach der Übermalung erkennen, teils auch Tagesstriche eingekratzt. Doch es gibt auch Kunst zu sehen. Um die Örtlichkeit etwas ansprechender zu gestalten, hat jemand die Alt Frankfurter Architektur an die Wände gepinselt, durchaus gekonnt.
Im Keller soll es noch Graffiti aus der Zeit des Schwarzmarktes geben, ist aber nicht zugänglich. Sonst gibt es kleine Einzelzellen, da ist noch die Grundmöbilierung in Form des Stahlgerüstes zu sehen oder die "Spiegel" die als poliertes Blech ausgeführt sind, Glas wäre gefährlich gewesen. In Gemeinschaftszellen ist noch einiges auf den Holzbänken zu besichtigen, sogar ein Schachbrett. Knastgraffiti ist Graffiti in archaischer Form. Sie entsteht aus Langeweile, nach zwei Stunden bekommt man eben das Bedürfnis hier was zu hinterlassen, die Eintragungen seiner Vormieter hat man dann bereits vollständig durchgelesen. Selbst in dem leerstehenden Knast ist diese Ausnahmesituation zu spüren. Diese Graffiti unterscheiden sich von dem was draußen auf der Straße zu sehen ist. Als Werkzeug diente eben das, was man grad dabei hatte. Schlüssel, Kugellschreiber, Bleistift und Filzstift.
Hier riecht man regelrecht die Langeweile und Anspannung. Es gibt auch eine Spezialzelle, in der Aggressive ruhiggestellt wurden, soll heißen, nochmal Gitter und weniger Platz. Hier kannst toben, irgendwann vergehts dir eh. An einer Tür sind noch Spuren von etlichen Tritten zu sehen, an Pfeilern finden sich Sohlenabdrücke. Na wie es in nen Knast halt gelegentlich abgeht.
In Schautafeln ist einiges über die Geschichte des Klapperfelds zu lesen, über den Krätzeraum beispielsweise und Allgemein über das Gefängniswesen und deren Entwicklung. Die Schautafel zum Thema Knastgraffiti ist im Anhang wiedergegeben. Eine Küche gabs auch, die ist noch auf Foto zu sehen, vieles der Anlagen ist abgebaut. Wer nach einer Demo hier war, war meist nicht so lange drin, um noch im Genuß der knasteigenen Raubtierfütterung zu kommen. Asylanten schon eher, die haben sich hier auch verewigt und natürlich die Drogendealer, die es von ihren Arbeitsplatz Konstablerwache bis zum Klapperfeld nicht allzu weit hatten. Ob Streetgangjugendliche oder Migrantenkids, hier ist so ziemlich alles vertreten was die Knastwelt so an Gästen zu bieten hat. Im Hof haben sich einige auf den Backsteinen verewigt, hatten Zeit genug um in den Stein zu kratzen. Diese Teile sind teils recht alt.

Graffiti
Das Wort Graffiti leitet sich vom italienischen Wort "Scraffito" (ital. sgraffiare = kratzen) ab. Sgraffito ist eine Technik zur dekorativen Fasadengestaltung, bei dem aus dem Putz Formen ausgekratzt werden. Als Graffiti bezeichnet man in der Regel kunstvolle Buchstabenkombinationen und große Wandbilder an Gebäuden im öffentlichen Raum. Aber auch einfache "Wandkritzeleien" gehören zu den Graffitis.
Wenn bei Graffiti im öffentlichen Raum Farbspray und dicke Filzstifte eingesetzt werden, so findet sich in Gefängniszellen in Ermanglung von Farben und Stiften wieder oftmals die Technik des Kratzens Verwendung. Mit harten, scharfen Gegenständen werden in den Putz der Wände, den Lack auf metallischen Oberflächen oder das Holz der Möbel Worte, Texte und Bilder eingekerbt.
Eine andere Technik stellt das Malen bzw. Schreiben mit Ruß dar, bei dem mit der Flamme eines Feuerzeugs an die Zellendecke gemalt wird. dabei entstehen schwarze, wolkige Schriftzüge und Symbole, die oft nicht zu erkennen oder unleserlich sind. Beliebt ist auch das collageartige Aufkleben von Bildern aus Zeitschriften oder anderen Gegenständen. Da kein Klebstoff vorhanden ist, werden diese Collagen mit Wasser oder Hygieneartikeln wie Zahnpasta oder Haarspray montiert.
Für die Graffitis gibt es verschieden Motivationen: Sie dienen vorrangig dem Zeitvertreib. Darüber hinaus geht es dem Häftling um positive Emotionen - kurzzeitiges Vergessen des Alltags, Abreagieren und Ablassen von Aggressionen -, um Kreativität, denn viele Bilder wurden mit Geduld und Hingabe aufgebracht, um erotische Fantasien, um ein Gruppengefühl und Verbundenheit mit der Heimat. Letztendlich geht es auch um eine Aneignung des Raums. Mit seinen Bildern, Parolen, Schlagworten, Flüchen und Kalenderstrichen schafft sich der Gefangene in der unpersönlichen, funktionalen Zelle seine individuelle und private Umgebung.
Insofern ergibt sich eine paradoxe Situation in den nach hygienischen Gesichtspunkten wesentlich fortschrittlicheren Zellen des neuen Polizeigewahrsams. Die Perfektion der Ausstattung mit Fliesenbelag auf Wänden und Böden und Sanitäreinrichtungen aus Edelstahl ist gleichzeitig resistent gegen nahezu jede Form des "sich Einschreibens" der Gefangenen.
Die Vielzahl der der Graffiti in den Zellen des Polizeigewahrsams ist charakteristisch für Anstalten mit eine ständig wechselnden Belegung. In diesen Graffiti entlädt sich auch die psychische Anspannung der Situation. Bei den längerfristig belegten Zellen von Strafhaftanstalten dagegen bestimmt der Wunsch nach individueller Verschönerung der Standardmöbilierung die Erscheinung. Einkratzungen in die Wand oder mit Ruß geschriebene Texte spielen hier keine Rolle, stattdessen wird versucht, dem Raum durch Vorhänge oder Poster eine individuelle Note zu geben.
(Wandtafel zur Ausstellung)

Mehr Bilder auf:
 http://www.flickr.com/photos/28760994@N04/

Webseite zu Ausstellung: http://dam.inm.de/portal/WebObjects/PortalDAM.woa/wa/select?id=180005536&entity=Artikel
DAM : Gewahrsam. Räume der Überwachung : Ausstellungen 2007 : German : 41
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