Berlin-Südwest: Von NPD bis Grauzone

Antifaschist_innen aus Südwest Berlin 16.07.2008 12:24 Themen: Antifa
Wenn von Nazis in Berlin die Rede ist, fällt der Blick meist auf Ostberliner Bezirken oder Neukölln. Mit dem Weitlingkiez in Lichtenberg, Niederschönhausen in Pankow und der Rudower Spinne in Neukölln seien nur drei Brennpunkt Berliner Naziaktivitäten und gewalttätiger Übergriffe genannt, die im Bewusstsein der Bevölkerung und Politik angekommen sind. Nicht zu letzt existieren in diesen Bezirken handlungsfähige antifaschistische Strukturen, die die unhaltbaren Zustände öffentlich thematisieren und so immer wieder den Finger in die Wunde legen.

Doch schweift der Blick in den Westteil der Stadt (wie bereits erwähnt mit der Ausnahme von Neukölln) so drängt sich die Frage auf, ob es hier keine rechten Strukturen und Aktivitäten gibt oder ob bloß - wie in vielen ländlichen Regionen - die wahnehmbare antifaschistiche Intervention fehlt, um die unhaltbaren Zustände zu skandalisieren.
Anlässlich einer geplanten Saalveranstaltung des NPD Kreisverband (KV) 3, der für die Südwest Berliner Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf verantwortlich ist, wollen wir einen Blick in die Region des KV 3 werfen.
Der Anlass dieses Artikels ist wie bereits erwähnt eine Saalveranstaltung des NPD KV 3 in Lankwitz, einem Ortsteil von Steglitz. Der KV 3 konnte bisher relativ ungestört versuchen, Versuche im Südwesten Fuß zu fassen. Der Kreisverband wurde im Februar 2006 für die Bezirke Tempelhof-Schöneberg gegründet, hat jedoch relativ früh seinen Einflussbereich auf das westlichere Steglitz-Zehlendorf ausgeweitet. Gegründet wurde der Kreisverband im Zuge des Versuchs der NPD auch in den Westberliner Bezirken eine Verankerung zu erreichen. Hierzu wurden die Parteistrukturen gestärkt und der westberliner Kreisverband durch drei neue Kreisverbände ergänzt: Bereits im Oktober 2005 war der Neuköllner Kreisverband 9 gegründet wurden, zeitgleich mit dem KV 3 gründete sich der Kreisverband "Nord" (Mitte, Reinickendorf).

Der Kreisverband 3 hat es mittelweile zu einigen Aktivitäten gebracht. Er betreut eine eigenständige, ernst zunehmende Webseite, die sich redaktionell keineswegs auf den Südwesten Berlins beschränkt, sondern teilweise auch von den anderen Kreisverbänden genutzt wird, die mit Ausnahme des Kreisverband Pankow keine eigene Webseite betreiben.
Außerdem versucht er, wenn auch bisher mit sehr mäßigem Erfolg, eine Verankerung in Südwest Berlin zu erreichen. Bereits am 1. September letzten Jahres führte er im selben Gebäude wie dieses Jahr eine Veranstaltung durch. Die Bezeichnung als "Generationenfest" verdeutlich die Versuche des KV 3 als bürgernah wahrgenommen zu werden. Jedoch waren nur wenig mehr als dreißig Leute gekommen.
In diesem Jahr lautet das Motto "Arbeit; Heimat; Sicherheit für Berlin". Als Redner sind der ehemalige Berliner NPD-Landesvorsitzende Eckart Bräuniger und Matthias Fischer (Kreisvorsitzender Fürth) angekündigt.
Unterstützt wurden die Bemühungen eine lokale Verankerung herzustellen durch drei Veranstaltungen des Berliner NPD-Landesverbandes in Tempelhof-Schönberg: Im Juli 2007 in Tempelhof und im Rahmen des Berliner Wahlkampfes kurz hintereinander in Tempelhof und Schöneberg im August 2006.

Doch neben dem recht aktiven NPD Kreisverband 3 ist insbesondere Steglitz-Zehlendorf durch eine riesige Grauzone geprägt. Die Steglitz-Zehlendorfer CDU ist mittlerweile nahezu legendär für ihre teilweise extrem rechen Positionen. Hier ein paar Beispiele für nicht eingeweihte:
Anfang der 90er Jahre hatte die Steglitz-Zehlendorfer CDU gemeinsam mit den damals in der BVV vertretenen Republikanern und der FDP mit allen Tricks versucht, die sogenannte Spiegelwand, ein Denkmal für die ermordeten Juden und Jüdinnen aus Steglitz, zu verhindern. Selbst als durch ein beherztes Eingreifes des Land Berlin die Spiegelwand nicht mehr zu verhindern war, waren sie sich nicht zu schade, mit der Argumentation die Spielgewand könnte Autofahrer blenden, noch um die Größe des Denkmals zu feilschen.
Ein weiteres Mal größere Aufmerksamkeit erhielt die Steglitz-Zehlendorfer CDU bei der Debatte über die Gedenkfeiern zum 8. Mai 1945. Ein von der einzelnen Linkspartei-Abgeordneten eingebrachter Antrag für ein würdiges Gedenken wurde verschandelt. Statt der Opfer des Nationalsozialismus stand nun plötzlich das Gedenken an „den Schrecken und das Leid der Bevölkerung, den die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten hat“ im Zentrum. Sie erklärten, dass der 8. Mai 1945 neben der Befreiung vom totalitaristischen Naziregime auch für „Kriegsopfer, Flüchtlinge, Vertriebene, geschändete Frauen und die Opfer des sinnlosen Bombenkrieges“ stehen würde. Anstatt am 60. Jahrestag der Befreiung der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und den Alliierten zu danken, die unter millionemfachen Leid die deutsche Volksgemeinschaft niedergekämpft hatten, wollten die Steglitz-Zehlendorfer CDU und FDP den historischen Kontext ausblenden und die deutschen Opfer einreihen in die lange Liste der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. In guter Kalter Kriegs-Manier konnten sie es sich auch die verbalen Ausfälle gegen einen der Befreier, die Rote Armee, nicht unterlassen.
Wer nun auf die Idee käme, zu behaupten dies wäre ja schon alles so lange her und die Steglitz-Zehlendorfer CDU hätte sich sicherlich geändert, der sei auf den Konflikt über die Treitschkestraße verwiesen. Heinrich von Treitschke ist nicht nur für den Ausspruch „Die Juden sind unser Unglück“ verantwortlich, sondern auch dafür den Antisemitismus im deutschen Bürgertum hoffähig gemacht zu haben. Nichts desto trotz verhindert die CDU mit ihrem jeweiligen Koalitionspartner (zur Zeit die Grünen) aktiv die Umbenennung der Straße. Statt einer kritischen Auseinandersetzung über die Rolle Treitschkes und seiner Verantwortung für die Ermöglichung des Holocaust, will die CDU Steglitz-Zehlendorf ihn lieber als Historiker ehren. Jahrelange Proteste von Anwohner_innen, Bürger_inneninitativen und den Bezirksgruppen von SPD, Linkspartei und bis zum Koalitionsbeitritt den Grünen konnten daran bisher nichts ändern.

Als wäre die Steglitz-Zehlendorfer CDU nicht für jeden Menschen mit emanzipatorischem Gedankengut schon Zumutung genug, tummeln sich in dem Bezirk unzählige Burschenschaften. Ursache hierfür ist wohl nicht nur die Nähe zu Freien Universität (FU), sondern auch die ruhige Lage, in der nur selten mit antifaschistischen Protesten zu rechnen ist. Unter diesem sowieso ekligen Konglomerat von Burschenschaften stechen zwei besonders heraus, die ohne Bedenken ins extrem rechte Lager gezählt werden können: Die Burschenschaft Gothia und die Burschenschaft der Märker. Letztere hat zum Beispiel 2003 das Pressefest der Jungen Freiheit ausgerichtet. Doch leider würde eine genauere Betrachtung der Burschenschaften den Rahmen dieses Artikels endgültig sprengen. Daher noch schnell zurück zum Anlass dieses Artikels:

Wie bereits am Anfang erwähnt plant der NPD KV 3 eine Saalveranstaltung diesen Samstag, 19. Juli, in Lankwitz - genauer gesagt im Seniorenfreizeitheim Gallwitzalle 53. Die Veranstaltung soll um 13:30 beginnen.
In Steglitz hat sich ein breites Bündnis gebildet, dass gegen „Antidemokraten“ und für „Toleranz“ eine Kundgebung am S-Bhf Lankwitz veranstalten will. Unter diesen allgemeinen Aufruf kann sich selbst die lokale CDU stellen ohne sich mit ihren eigenen rechten Positionen auseinandersetzen zu müssen.
Lokalen Antifaschist_innen geht dies nicht weit genug. Sie wollen den Protest nicht bloß symbolisch hunderte Meter von der Veranstaltung entfernt zeigen. Auch ihre Kritik richtet sich nicht bloß gegen die NPD, sondern gegen rechte Ideologie allgemein und wie könnte es da anders sein, dass auch die Steglitz-Zehlendorfer CDU in den Fokus der Kritik rückt. Daher organisieren sie gemeinsam mit Jusos, Linkspartei und VVN-VdA Berlin-Südwest eine Demonstration zum Ort der Veranstaltung. Startpunkt ist die bürgerliche Kundgebung (S-Bhf Lankwitz).


Die bürgerliche Kundgebung beginnt um 12:30. Die Demonstration wird von da aus pünktlich (!) um 13 Uhr zum Veranstaltungsort in der Gallwitzallee ziehen.

Samstag, 19. Juli, 12:30, S-Bhf Lankwitz (S25)
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Ergänzungen

Tip

unwichtig 16.07.2008 - 16:39
Heisst es nicht VVN-BdA?

mfg

Deutsche Polizisten

Mörder und Faschisten 19.07.2008 - 18:31
Die Demonstration wird von da aus pünktlich (!) um 13 Uhr zum Veranstaltungsort in der Gallwitzallee ziehen.


Das wurde wohl nichts, scheiß Bullenstaat.


Es war eine kleine aber lautstarke und kraftvolle Demo.
(Ich hoffe ihr schreibt nen ausführlichen Text, hab keine Lust dazu.)
Wären wir mehr gewesen (oder hätten schneller reagiert) wäre mehr aus dem Fehler der Bullen, die Nazis an uns vorbei laufen zu lassen, passiert.

Alerta

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Der Aufruf — Antifaschist_innen aus Südwest Berlin

fassungslos — steve

@steve — icke